Die Aussiedlung der Deutschen aus der Wolgarepublik 1941-1957

Item

Title
Die Aussiedlung der Deutschen aus der Wolgarepublik 1941-1957
Identifier
BV017856579
Creator
Eisfeld, Alfred
has publication year
2003
Is Part Of
Mitteilungen OEI
volume
50
has URL
https://www.dokumente.ios-regensburg.de/publikationen/mitteilungen/mitt_50.pdf
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-63262-8
extracted text
OSTEUROPA-INSTITUT MÜNCHEN

Mitteilungen

Nr. 50

November 2003

Alfred Eisfeld
Die Aussiedlung der Deutschen aus der
Wolgarepublik 1941-1957

ISBN 3-921396-86-7

Scheinerstraße 11, D-81679 München, Tel. (089) 99839-627
Fax (089) 9810110, E-Mail Beyer-Thoma@muenchen-mail.de
Herausgeber: Hermann Beyer-Thoma

INHALTSVERZEICHNIS

Kurzfassung ............................................................................................................... 7
Einleitung................................................................................................................... 10
1. Am Vorabend der Deportation .............................................................................. 14
2. Die Deportation aus der ASSR der Wolgadeutschen ............................................ 16
2.1. Der zeitliche Ablauf der Deportation aus der ASSR 16
der Wolgadeutschen ........................................................................................ 31
2.2. Der Eigentumsverbleib und die Mitnahme von
Lebensmitteln und Sachen............................................................................... 36
2.3. Die räumliche Trennung durch die Deportation ............................................ 37
2.4. Der Transport von den Verladebahnhöfen
in die Bestimmungsgebiete ............................................................................. 42
3. Die Deportation aus anderen Gebieten .................................................................. 45
4. Die Mobilisierung für die Arbeitsarmee................................................................ 47
4.1. Der Einsatz in der Arbeitsarmee ..................................................................... 57
4.1.1. Der europäische Teil der Sowjetunion .................................................. 48
4.1.2. Südural................................................................................................... 50
4.1.3. Sibirien .................................................................................................. 55
4.1.4. Kazachstan ............................................................................................ 56
4.1.5. Die Umverlegungen zwischen Arbeitslagern und der Dauer
des Aufenthalts ..................................................................................... 56
4.2. Die Lebensbedingungen in der Arbeitsarmee................................................. 57
4.3. Die Entlassung aus der Arbeitsarmee ............................................................. 62
5. Die Entlassung aus der Sondersiedlung ................................................................ 65
Zusammenfassung ..................................................................................................... 67
Anhang....................................................................................................................... 71

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3

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Zusammensetzung der Befragten nach Alter und Geschlecht ................ 12
Tabelle 2:

Verteilung der Wohnorte der Befragten im Jahre 1941
nach Verwaltungsgebieten ..................................................................... 12

Tabelle 3:

Befragte aus der ASSR der Wolgadeutschen nach Kantonen
und Geschlecht ....................................................................................... 13

Tabelle 4:

Zeitlicher Ablauf der Deportation der Wolgadeutschen ........................ 18

Tabelle 5:

Bahnhöfe, auf denen Wolgadeutsche zum Abtransport
verladen wurden ..................................................................................... 19

Tabelle 6:

Abtransport der Wolgadeutschen nach Wohnorten ................................ 20

Tabelle 7:

Abtransport der Wolgadeutschen nach Verladebahnhöfen .................... 24

Tabelle 8:

Verteilung der Wolgadeutschen auf die Verbannungsgebiete ................ 37

Tabelle 9:

Verteilung der Deportierten auf die Verbannungsgebiete....................... 43

Tabelle 10: Verteilung der Arbeitsarmisten nach Gebieten der Einberufung
und des ersten Arbeitseinsatzes............................................................... 46
Tabelle 11: Räumliche Verlegung der Arbeitsarmisten während ihres
Arbeitseinsatzes nach Verwaltungsgebieten ........................................... 49
Tabelle 12: Früheste und späteste Entlassung aus der Arbeitsarmee
nach Gebieten ......................................................................................... 63
Anhang
Anhang 1a: Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
vom 28. August 1941 (russisches Original)
Anhang 1b: Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
vom 28. August 1941 (deutsche Übersetzung)
Anhang 2a: Verordnung des Rats der Volkskommissare der UdSSR
vom 8. Januar 1945 (russisches Original)
Anhang 2b: Verordnung des Rats der Volkskommissare der UdSSR
vom 8. Januar 1945 (deutsche Übersetzung)
Anhang 3a: Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets
vom 26. November 1948 (russisches Original)
Anhang 3b: Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets
vom 26. November 1948 (deutsche Übersetzung)
Anhang 4a: Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets
vom 13. Dezember 1955 (russisches Original)

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Anhang 4b: Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets
vom 13. Dezember 1955 (deutsche Übersetzung)
Anhang 5a: Empfangsbestätigung aus der Siedlung Huck
vom 13. September 1941 (russisches Original)
Anhang 5b: Empfangsbestätigung aus der Siedlung Huck
vom 13. September 1941 (deutsche Übersetzung)
Anhang 6a: Empfangsbestätigung aus der Siedlung Mokrous
vom 1. September 1941 (russisches Original)
Anhang 6b: Empfangsbestätigung aus der Siedlung Mokrous
vom 1. September 1941 (deutsche Übersetzung)
Anhang 7a: Einzahlungsquittung vom 1. September 1941 (russisches Original)
Anhang 7b: Einzahlungsquittung vom 1. September 1941 (deutsche Übersetzung)
Anhang 8a: Karteikarte des NKVD, ausgefüllt am 31. August 1941,
vor der Deportation (russisches Original)
Anhang 8b: Karteikarte des NKVD, ausgefüllt am 31. August 1941,
vor der Deportation (deutsche Übersetzung)
Anhang 9a: Geheimverfügung des Lagerkommandanten des Lagers Nr. 9 (Čeljabinsk)
A. Komarovskij vom 19. Mai 1942 (russisches Original)
Anhang 9b: Geheimverfügung des Lagerkommandanten des Lagers Nr. 9 (Čeljabinsk)
A. Komarovskij vom 19. Mai 1942 (deutsche Übersetzung)
Anhang 10a: Bescheinigung über die Entlassung aus der Arbeitsarmee
vom 24. August 1946 (russisches Original)
Anhang 10b: Bescheinigung über die Entlassung aus der Arbeitsarmee
vom 24. August 1946 (deutsche Übersetzung)
Anhang 11a: Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht
vom 7. Oktober 1951 (russisches Original)
Anhang 11b: Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht
vom 7. Oktober 1951 (deutsche Übersetzung)
Anhang 12a: Bescheinigung (anstatt eines Passes) (russisches Original)
Anhang 12b: Bescheinigung (anstatt eines Passes) (deutsche Übersetzung)
Anhang 13a: Schreiben des Exekutivkomitees des Gebietssowjets von Voronež
über die Ablehnung der Rückgabe von konfisziertem Eigentum
vom 31. August 1965 (russisches Original)
Anhang 13b: Schreiben des Exekutivkomitees des Gebietssowjets von Voronež
über die Ablehnung der Rückgabe von konfisziertem Eigentum
vom 31. August 1965 (deutsche Übersetzung)

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Anhang 14: Umbenennung von Orten der ASSR der Wolgadeutschen
Karte 1: Orte der ASSR der Wolgadeutschen, aus denen Personen
an der Befragung teilgenommen haben
Karte 2: Transport der Wolgadeutschen zu den Verladebahnhöfen

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Kurzfassung
Für die Befragung „Ablauf und Umstände der Deportation der deutschen Bevölkerung
der ASSR der Wolgadeutschen und der benachbarten Gebiete“ konnten 528 Personen
ermittelt werden, die im August/September 1941 ihren Wohnsitz in der ASSRdWD und
in den benachbarten Gebieten Saratov, Stalingrad (seit 1961: Volgograd), Astrachan’,
Voronež, Kujbyšev und Orenburg hatten. Von den eingesandten Fragebogen konnten
205 ausgewertet werden.
Das Ziel der Untersuchung war es, mittels einer systematischen Auswertung von Augenzeugenberichten den Zeitpunkt und die Begleitumstände der Deportation, den
Verbleib der deportierten Bevölkerung und dabei insbesondere deren Einsatz in den Arbeitslagern festzustellen und zugängliche Publikationen zu dieser Problematik auszuwerten.
Die deutsche Bevölkerung in der ASSRdWD war durch 170 Personen vertreten, die
1941 in 90 verschiedenen Orten ihren Wohnsitz hatten. Dieses dichte Netz von erfaßten
Orten macht zum ersten Mal den Abtransport und die Verteilung der Bevölkerung auf
eine Reihe von Verwaltungsgebieten Sibiriens und Kazachstans zuverlässig nachvollziehbar. Die benachbarten Gebiete waren durch eine geringere Anzahl von Augenzeugen vertreten. Es konnten aber auch für diese Gebiete der Zeitpunkt der Deportation, die
Verladebahnhöfe, die Bestimmungsgebiete usw. festgestellt werden.
Die Deportation der deutschen Bevölkerung begann, wie die Befragung zeigte, am
3. August und wurde im Oktober 1941 abgeschlossen. Die Gebiete Saratov und Stalingrad wurden zeitgleich mit der ASSR der Wolgadeutschen geräumt. Im Gebiet Voronež
konnten die Deutschen bis in die zweite Oktoberhälfte und im Gebiet Kujbyšev bis Dezember 1941 in ihren Orten bleiben. Nach Angaben von Befragten, wurde die deutsche
Bevölkerung des Gebietes Orenburg nicht deportiert.
Die in der Literatur mehrfach vorhandenen Hinweise auf angebliche Loyalitätsprüfungen der Bevölkerung der ASSRdWD durch die Sicherheitsorgane und die Erschiessung von deutschen Funktionären und Dorfbewohnern fanden durch die Befragung keine Bestätigung. In einer ganzen Reihe von Kolonien gab es jedoch Hausdurchsuchungen und Verhaftungen.
Die Bevölkerung blieb bis zum Abtransport zu den Verladebahnhöfen ruhig und ging
ihrer Beschäftigung nach. Vor dem Abtransport aus den Wohnorten wurden die Wohnhäuser, das Inventar, die Vorräte und das Vieh von Vertretern der lokalen Behörden beschlagnahmt. Empfangsbestätigungen erhielt aber nur ein Teil der ehemaligen Eigentü-

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mer. In den Ansiedlungsgebieten sollte es gegen Vorlage dieser Empfangsbestätigungen
Lebensmittel, Getreide und Vieh geben. Nur wenige der Befragten haben aber tatsächlich etwas dafür bekommen. Das waren, wie sie mitteilten, seltene Ausnahmen.
Bei dem Abtransport aus den Wohnorten konnten die Deportierten z.T. Lebensmittelvorräte, Kleider und Bettwäsche mitnehmen. Die Menge der zur Mitnahme zugelassenen Vorräte schwankte von Fall zu Fall beträchtlich und lag zwischen wenigen Kilogramm bis zu einer Tonne pro Person. Der Zeitpunkt des Abtransports, die Entfernung
zum Verladebahnhof, die Transportdauer und andere meßbare Faktoren erbrachten keine Erklärung für diese unterschiedliche Behandlung der Deportierten. Die unterschiedlichen Transportkapazitäten des jeweiligen Tages könnten daher der entscheidende Faktor gewesen sein.
Die Aufnahme in den Bestimmungsgebieten war äußerst unzureichend vorbereitet. In
vielen Fällen konnten die im vorgesehenen Gebiet eingetroffenen Deportierten nicht
aufgenommen werden und wurden deshalb wochenlang von einem Ort zum anderen hin
und her transportiert. Die Dauer der Transporte vom Zeitpunkt des Verlassens des
Wohnortes bis zum Entladen auf dem Zielbahnhof schwankte zwischen 5 und 112 Tagen. 74,6% der Befragten unserer Gruppe wurden nach Sibirien gebracht, die zweitgrößte Gruppe kam nach Kazachstan.
Anfangs konnten die Familien der Deportierten an den neuen Aufenthaltsorten zusammenbleiben, sofern es nicht schon während des Transports zur Trennung kam. Ab
November 1941 begann die Einberufung von Männern und Frauen zum Dienst in der
Arbeitsarmee. Das Mindestalter wurde bei Männern bis auf 15 Jahre gesenkt, doch
wurden in Einzelfällen auch 13jährige Kinder eingezogen. Bei Frauen wurden Ausnahmen gemacht, sofern Kinder unter 3 Jahren zu versorgen waren.
Die Einberufung zum Arbeitsdienst erfolgte durch die Kriegskommissariate, der Arbeitseinsatz dagegen in Arbeitslagern der Lagerhauptverwaltung des Innenministeriums
(GULag NKVD). Nicht rechtskräftig verurteilte Arbeitsarmisten hatten schlechtere Arbeits- und Lebensbedingungen als Strafgefangene. Die Todesrate war in den Arbeitslagern erschreckend hoch (Solikamsk: 80%) und wird bei den schätzungsweise 300.000
bis 400.000 Mobilisierten mit über 100.000 Toten zu beziffern sein.
Die Entlassung aus der Arbeitsarmee begann bereits 1943. Es handelte sich um diejenigen, die wegen Invalidität, Erkrankung oder Entkräftung als arbeitsunfähig anerkannt
waren. Größere Gruppen wurden in den Jahren 1946/47 und 1956 entlassen. Der Rest
verteilte sich über die Jahre. 1957 kamen die letzten frei.

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Die übrige deutsche Bevölkerung befand sich in den Jahren 1941–56 in Sondersiedlungen unter der Aufsicht des Innenministeriums (NKVD). Sie wurde nach Inkrafttreten
des Amnestiedekrets vom 13. Dezember 1955 aus den Sondersiedlungen entlassen. Die
Rückkehr in die Heimatorte der Vorkriegszeit blieb aber auch danach untersagt. Auch
durften sie das bei der Deportation beschlagnahmte Eigentum nicht zurückfordern.

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Einleitung
Für die Befragung „Ablauf und Umstände der Deportation der deutschen Bevölkerung
der ASSR der Wolgadeutschen und der benachbarten Gebiete“ sollten anhand einer
amtlichen Kartei Personen ausgewählt werden, die bei Ausbruch des deutschsowjetischen Krieges im Juni 1941 auf dem Gebiet der ASSR der Wolgadeutschen, in
der Baschkirischen ASSR, in den Gebieten Saratov, Stalingrad, Astrachan’, Voronež,
Kujbyšev und Orenburg ihren Wohnsitz hatten. Ziel war es, alle deutschen Siedlungsgebiete des Wolgabeckens bis hin zum Ural zu erfassen.
Dieser großräumigen Anlage der Untersuchung lagen zwei Überlegungen zugrunde.
1. Im Deportationsdekret vom 23. August 1941 ist die Rede von Deutschen, die in
den „Wolgarajons“ leben.
2. In der Literatur gibt es Hinweise auf den Fortbestand von deutschen Dörfern in
der Baschkirischen ASSR und im Gebiet Orenburg.
Daher sollte auch geklärt werden, ob die deutsche Bevölkerung der genannten Gebiete
möglicherweise eine unterschiedliche Behandlung erfahren hat.
Befragt werden sollten Männer und Frauen, die bis einschließlich 1925 geboren waren. Der Mitwirkung der Heimatortskartei für Deutsche aus Ost- und Südosteuropa in
Stuttgart ist es zu verdanken, daß unter strenger Beachtung des Datenschutzes eine erste
Auswahl von geeigneten Personen ermittelt und deren aktuelle Postanschriften geklärt
werden konnten. Eine erhebliche Zahl potentieller Zielpersonen blieb dabei aus verschiedenen Gründen (Tod, unbekannt verzogen usw.) unerreichbar.
Da eine Gruppe von ca. 500 Zielpersonen angestrebt wurde, mußte die Kartei ein
zweites Mal auf geeignete Personen hin überprüft werden. Dabei wurden nicht – wie bei
der ersten Durchsicht – nur systematisch ausgewählte Orte, sondern alle Orte der entsprechenden Gebiete berücksichtigt. Das Mindestalter wurde auf den Jahrgang 1930
festgelegt. Dadurch konnte die erforderliche Anzahl von Zielpersonen erreicht werden.
Eine Reihe von Orten war in dieser Auswahl jedoch nicht vertreten.
Im März 1988 wurden 528 Fragebogen versandt. Der Rücklauf gestaltete sich sehr
schleppend. Relativ viele Zielpersonen konnten aus gesundheitlichen Gründen an der
Befragung nicht mehr teilnehmen.

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Von den zurückgesandten Fragebogen konnten 205 ausgewertet werden. Davon entfielen 108 auf Frauen und 96 auf Männer1 der Jahrgänge 1901 bis 1931.2
Für bestimmte Fragestellungen können die Befragten in zwei Vergleichsgruppen eingeteilt werden. Zur ersten Gruppe gehören 69 Männer und 52 Frauen der Jahrgänge
1901 bis einschließlich 1923. Diese Altersgruppe war bei Kriegsausbruch (1941) mindestens 18 Jahre alt3 und damit erwachsen. Sie hätten somit eine andere Behandlung erfahren können (z.B. Mobilisierung für die Arbeitsarmee) als die 39 Männer und 44
Frauen der Jahrgänge 1924 bis 1931.
Die Befragten hatten in ihrer überwiegenden Mehrheit (170 Personen) Ende August
1941 ihren Wohnsitz im Gebiet der ASSR der Wolgadeutschen. Zum Zeitpunkt der Deportation wohnten sie in 90 verschiedenen Orten, die in 19 Kantonen lagen.
Die Kantone Ilovatka, Zolotoe und Staraja Poltavka hatten, wenn überhaupt, nur vereinzelt deutsche Einwohner. Von den größeren Orten sind Norka, Beideck, Dönhof,
Kamenka, Husaren, Pfeifer, Kraft, Deutsch-Dobrinka, Galka, Schwab am Westufer der
Wolga nicht erfaßt. Für das Ostufer fehlen Augenzeugen aus den Orten Gnadentau,
Morgentau, Blumenfeld, Straßburg und Frankreich in den Kantonen Staraja Poltavka,
Gmelinka und Pallasovka. Im nördlichen Teil fehlen die zahlreichen kleinen Neugründungen. Sie hatten eine geringe Einwohnerzahl und waren wegen ihrer Lage für Aktionen der Behörden welcher Art auch immer (z.B. Loyalitätsprüfung, gesonderter Abtransport usw.) kaum von Interesse. Bedingt durch die geringe Bevölkerungszahl und
die geographische Lage, dürfte der Transport von dort zu den Bahnstationen keine
Probleme bereitet haben.
Das dichte Netz der erfaßten Wohnorte4 ermöglicht eine systematische Untersuchung
über den zeitlichen Ablauf der Deportation, die Erfassung der Bevölkerung an bestimmten Orten vor dem Abtransport nach Osten, die Bestimmungsorte und die Dauer des
Transports. Es kann z.B. auch geprüft werden, ob es einen Zusammenhang zwischen
der Verladestation und der zur Mitnahme zugelassenen Menge von Lebensmitteln,
Kleidung und Wäsche sowie der Dauer des Transports gegeben hat.

1
2
3
4

Ein Interviewpartner hat sein Geschlecht nicht angegeben.
Zusammensetzung nach Alter und Geschlecht siehe Tabelle l.
Siehe Tabelle 4.
Siehe Karte 1.

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Tabelle 1: Zusammensetzung der Befragten nach Alter und Geschlecht
Geburtsjahr

weiblich

männlich

gesamt

1901–1905

2



2

1906–1910

8

12

20

1911–1915

21

17

38

1916–1920

23

10

33

1921–1925

27

23

50

1926–1930

27

33

60



1

1

108

96

204

1931
gesamt

Tabelle 2: Verteilung der Wohnorte der Befragten im Jahre 1941
nach Verwaltungsgebieten
Verwaltungsgebiet
ASSR der Wolgadeutschen

Personen

Prozent

170

82,9

Kujbyšev

7

3,4

Orenburg

4

2,0

12

5,8

Stalingrad

4

2,0

Voronež

8

3,9

205

100,0

Saratov

gesamt

12

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Tabelle 3: Befragte aus der ASSR der Wolgadeutschen nach Kantonen
und Geschlecht
Kanton

weiblich

männlich

gesamt

Balzer

9

6

15

Dobrinka

3

4

7

Eckheim

5

1

6

Engels

4

2

6

Erlenbach

6

9

15

Fedorovka

1



1

Frank

7

11

18

Gmelinka

1

1

2

Gnadenflur

4

2

6

Ilovatka







Kamenka

5

1

6

Krasnojar

5

7

12

Krasnyj Kut

2

3

5

Kukkus

7

7

14

Lysanderhöh

4

5

9

Mariental

3

7

10

Marxstadt

9

9

18

Pallasovka

2

1

3

Seelmann



6

6

Zolotoe







Staraja Poltavka







Unterwaiden

5

6

11

82

88

170

gesamt

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1. Am Vorabend der Deportation
In der Literatur gab es bislang nur unzureichende Informationen über das Geschehen
auf dem Gebiet der ASSR der Wolgadeutschen in der Zeit unmittelbar vor der Bekanntgabe des Dekrets vom 28. August 1941. Ebenso waren die Begleitumstände der Deportation nur andeutungsweise bekannt und nicht systematisch erfaßt.
In früheren Publikationen zu diesem Thema wurde darauf hingewiesen, daß im Laufe
der Nachkriegsjahre wiederholt von der Verhaftung und Erschießung von Hunderten,5
von Tausenden, ja sogar von Zehntausenden6 die Rede war.
Ferner seien Loyalitätsprüfungen der Bevölkerung durch die Sicherheitsorgane vorgenommen worden. Dazu habe man sowjetische Fallschirmspringer in deutschen Uniformen über der ASSRdWD abgesetzt. In einigen Dörfern seien auch von den Behörden
verteilte Hakenkreuzfähnchen bei Hausdurchsuchungen gefunden worden. Führende
deutsche Funktionäre und als unzuverlässig eingestufte Dörfer seien daraufhin „umgehend liquidiert worden“.7
Auch in der sowjetischen Presse war Ende 1983 von Fallschirmspringern in deutschen Uniformen die Rede.8 Sowohl in westlichen Veröffentlichungen als auch in
jüngsten sowjetischen Publikationen sollen Augenzeugen darüber berichtet haben. Für
alle Publikationen zu diesem Thema gilt indes: Genannt wurden weder die Augenzeugen, noch der Ort des Geschehens.
In unserer flächendeckenden Befragung gaben 13 von 170 Wolgadeutschen an, sie
seien Augenzeugen von Hausdurchsuchungen gewesen. Ein Interviewpartner berichtete
über Mißhandlungen. Niemand von den Befragten war Augenzeuge von Erschießungen.
Auch gerüchteweise hörte keiner davon.
Im Dekret vom 28. August 1941 (siehe Anhang 1a) wurden die Wolgadeutschen der
Kollaboration mit dem „Dritten Reich“ beschuldigt. „Tausende und Abertausende Diversanten und Spione“ habe man versteckt. Als Beweis dafür sollten die bereits erwähnten sowjetischen Fallschirmspringer in deutschen Uniformen dienen. Eines der Ziele

5 J. Günther: Rußland von Innen. Konstanz 1959, S. 224.
6 A. Eissner, [A. Bohmann]: Bevölkerungsprobleme im europäischen Osten. Bonn, Brüssel, New York
1965, S. 252.
7 I. Fleischhauer: „Unternehmen Barbarossa“ und die Zwangsumsiedlung der Deutschen in der UdSSR,
in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 30 (1982), S. 312.
8 H. Wormsbecher: Nemcy v SSSR, in: Znamja, Moskva 1988, Nr. 11, S. 194.

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dieser Befragung war daher, die Orte festzustellen, an denen diese Fallschirmspringer
gesehen wurden.
Ein Befragter aus Frank teilte mit, daß behauptet worden sei, die Russen hätten unter
der deutschen Bevölkerung Provokationen durchgeführt. In Pfannenstiel (Mariental)
und Pankraz habe man russische (sowjetische) Fallschirmspringer in Naziuniformen
abgesetzt. Alte Frauen, die zu Hause gewesen seien, hätten diese Fallschirmspringer
versteckt und den zuständigen Organen nichts gemeldet. Bis 1964 habe man das geheimgehalten. Nach 1964 hätten sich zwei dieser russischen Fallschirmspringer gemeldet und diese Aktion bestätigt. Bei dieser Geschichte handelt es sich um Gerüchte, die
dem Befragten aus Frank irgendwann zu Ohren kamen. Drei Befragte aus Mariental und
zwei aus dem nahen Neu-Mariental haben nichts dergleichen berichtet.
Allerdings berichtete ein Befragter aus Neu-Mariental, daß die Sicherheitsorgane im
Juli 1941 zwei Lehrer mit Schülern, zu denen auch er gehörte, nach deutschen Fallschirmspringern suchen ließen. Diese hätten sich angeblich in den Wäldern und Feldern
versteckt. Genaueres über das Auffinden von Fallschirmspringern sei auch diesem Augenzeugen bis heute nicht bekannt geworden.
Ein anderer Einwohner von Frank hörte von einem weitläufigen Verwandten, daß in
Saratov nach der Deportation der deutschen Bevölkerung eine Kommission gebildet
worden sei, welche die angeblichen „Verbrechen“ der Deutschen feststellen sollte. Dieser Kommission seien einige Waffendepots mit alten Gewehren gezeigt worden. Eine
an dieser Kommission beteiligte Frau, von der diese Information stammte, habe aber
gemerkt, daß es sich jeweils um dieselben Gewehre handelte. Sie hatte sich die Fabriknummern der Gewehre notiert. Daraus schloß sie, daß diese Depots vom NKVD selbst
angelegt worden seien.
Es war somit nicht möglich, die angeblichen Vorgänge zu verifizieren. Dies schließt
zwar nicht ganz aus, daß sie nicht doch stattgefunden haben. Die Wahrscheinlichkeit
hierfür ist jedoch gering.
Die Bevölkerung der Wolgarepublik blieb nach übereinstimmenden Berichten unserer Befragten und von Augenzeugen in der sowjetischen Presse vor und während der
Deportation ruhig.

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2. Die Deportation aus der ASSR der Wolgadeutschen
2.1. Der zeitliche Ablauf der Deportation aus der ASSR der Wolgadeutschen
Das Dekret über die Umsiedlung wurde am 30. August in der deutschsprachigen Regierungszeitung der ASSRdWD „Nachrichten“ (siehe Anhang 1b), in der russischsprachigen Zeitung „Bol’ševik“ und im Rundfunk veröffentlicht. Aus einem Augenzeugenbericht ist bekannt, „daß die ASSRdWD bis zum 12. September von den Sowjetdeutschen
gesäubert sein“ sollte.9
Nach Aussagen der Befragten begann die Deportation bereits am 3. August und wurde im Oktober abgeschlossen. Im August wurden 17,6% der Befragten, im September
79,5% und im Oktober 1,2% aus dem Gebiet der ASSRdWD abtransportiert. Der
Schwerpunkt lag demnach eindeutig im September 1941.
Die Bevölkerung der ASSRdWD wurde an 26 namentlich bekannten Bahnhöfen,
Bahnhaltestellen und Schiffsanlegestellen an der Wolga zusammengeführt.10
Von den Anlegestellen Achmat, Seelmann und Marxstadt erfolgten die Transporte
per Schiff nach Engels. Bemerkenswert ist, daß Marxstadt als Sammelpunkt für den
Schiffstransport der Bevölkerung aus Boregard und Hackerberg diente, während an
demselben Tag (10.9.1941) Einwohner aus Marxstadt nach Engels in Marsch gesetzt
wurden.
Der Einzugsbereich der einzelnen Bahnstationen läßt sich anhand der erhobenen Daten gut rekonstruieren. An der westlich der Wolga verlaufenden Bahnlinie Tambov –
Balašov – Kamyšin hatten die Stationen Medvedickoe (Bahnstation nordwestlich von
Kamyšin) und Kamyšin einen größeren Einzugsbereich. Nach Kamyšin mußte sich die
Bevölkerung der meisten Orte des Kantons Dobrinka und des östlichen Teils des Kantons Erlenbach zum Abtransport mit der Bahn begeben.
Medvedickoe war der Sammelpunkt für die Orte des Kantons Frank und einiger Orte
der Kantone Balzer und Kamenka. Aus den meisten Orten des Kantons Kamenka wurde

9 Oleg Michassik: Trotz allem überlebt, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 46 vom 9.11.1988, S. 6-7.
10 Siehe Tabelle 4.

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die Bevölkerung auf dem Landweg zum Verladebahnhof Saratov verbracht. Teile der
Bevölkerung aus Balzer, Messer, Huck, Grimm und Kratzke wurden aber mit Einwohnern aus Anton ab der Schiffsanlegestelle Achmat zur Bahnstation Engels transportiert.

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Tabelle 4: Zeitlicher Ablauf des Abtransports der Wolgadeutschen
Bahnhof

Datum
4

5

17

0018
0083

0204
0413
0415
0440
0445
0460
0465
0470
0472

August
20 22

26

24

24

27

28

1

2

3

24

24

24

4

5
24
21

6
57
21

7

8

56
21

9
04
56
44

September
10
11

12

13

21

56

56

14

15
56
24
21

16

17

18

24

56

19
72

27

57
24
24

21
57

72
21
21

70

57

57

21

56

04

56

21

04

56

04

0475
0480
0485
0490
2007

56
56

04

21
04
21

04

21
21

21
21

21
21

21

21

56
56

04

21

24

04

44

3006
5656

28
72
72

6162

72

Bahnhöfe:
0018 Avilovo
0083 Engels
0202 Marienfeld
0413 Anissovka
0415 Bezymjannaja

18

57

57

57

04

0440 Gmelinka
0445 Lapšinskaja
0460 Mokrous
0465 Nachoj
0470 Pallasovka

21

0472 Krasnyj Kut
0475 Ples
0480 Timofeevka
0485 Titorenko
0490 Urbach

21
56
04
57
57

04

72

57

04

72

57

57

21
57

24

04

72

2007 Saratov
3006 Uvek
5656 Medvedickoe
6162 Kamyšin

Bestimmungsgebiete:
04 Kazachische SSR
21 Region Altaj
24 Region Krasnojarsk
44 Gebiet Kemerovo

56 Gebiet Novosibirsk
57 Gebiet Omsk
70 Gebiet Tomsk
72 Gebiet Tjumen’

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

57

Tabelle 5: Bahnhöfe, auf denen die erfassten Wolgadeutschen
zum Abtransport verladen wurden
Verladebahnhof oder Anlegestelle

Personen

Prozent

Achmat

6

3,5

Anissovka

2

1,2

Avilovo

4

2,4

Balašov

2

1,2

Batraki

1

0,6

Bezymjannaja

16

9,4

Engels

32

18,8

Gmelinka

2

1,2

Kamyšin

6

3,5

Krasnyj Kut

7

4,1

Lebedevka

7

4,1

Lepechinskaja

3

1,8

Marienfeld

1

0,6

Marxstadt

4

2,4

17

10,0

Mjasokombinat

1

0,6

Mokrous

3

1,8

Nachoj

6

3,5

Pallasovka

2

1,2

Ples

4

2,4

11

6,5

Seelmann

1

0,6

Timofeevka

6

3,5

Titorenko

1

0,6

Urbach

6

3,5

Uvek

3

1,8

12

7,1

Medvedickoe

Saratov

keine Angabe

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

19

Tabelle 6: Abtransport der Wolgadeutschen nach Wohnorten
Wohnort
Ährenfeld
Ait-Urbach
Anton
Avilovo
Balzer
"
"
"
"
"
Bangert
"
"
Basel
Bauer
Beckerdorf
Blumental
Boregard
Brabander
"
Brunnental
Degott
Dittel (Dietel)
Engels
"
"
"
"
Erlenbach
"
Fischer
"
"
Frank
"
"
"
"
Franzosen
Freidorf

20

Bahnhof

Umsiedlung
Tag Monat Jahr
Timofeevka
04
09
41
05
09
41
Urbach
27
09
41
Achmat
15
09
41
Avilovo
*
09
41
Engels
15
09
41
Volgahafen
10
09
41
Saratov
12
09
41
Saratov
*
08
41
Uvek
13
09
41
*
14
08
41
Anissovka
08
09
41
Bezymjannaja
04
09
41
*
08
09
41
Saratov
09
09
41
*
15
09
41
Engels
12
09
41
Urbach
06
09
41
Marxstadt
10
09
41
Mjasokombinat 09
*
41
*
15
09
41
Krasnyj Kut
05
08
41
Saratov
18
09
41
*
13
09
41
Engels
03
09
41
Engels
02
09
41
Engels
*
09
41
Krasnyj Kut
04
09
41
Krasnyj Kut
08
09
41
Marienfeld
03
08
41
Lapšynskaja
*
09
41
Engels
*
08
41
Marxstadt
25
08
41
Saratov
13
09
41
Balašov
06
09
41
Medvedickoe
06
09
41
"
01
09
41
"
08
09
41
"
07
09
41
Saratov
*
09
41
Medvedickoe
10
09
41
* = keine Angaben

Bestimmungsgebiet
Region Altaj
Region Altaj
*
Region Krasnojarsk
Omsk
Novosibirsk
Kokčetav
Saratov
Kustanaj
Region Altaj
Region Altaj
Novosibirsk
Region Krasnojarsk
Novosibirsk
Saratov
Region Krasnojarsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Sverdlovsk
Pavlodar
Omsk
Kokčetav
Region Krasnojarsk
Omsk
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Semipalatinsk
Pavlodar
Pavlodar
Omsk
Omsk
Kemerovo
Kokčetav
Kokčetav
Tjumen’
Omsk
Omsk
Omsk
Tjumen’
Kokčetav
Tjumen’

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Wohnort
Friedenfeld
"
"
Frösental
Gattung
Glarus
Gmelinka
"
Gnadendorf
Gnadenflur
Göbel
Grimm
Hockerberg
Hohendorf
Hölzel
Holstein
Huck
"
"
"
Hussenbach
"
"
Kämpfer
Kauz
Köhler
"
Kolb
Krasnojar
"
"
Krasnyj Kut
Kratzke
"
"
Kukkus
Langenfeld
Laub
"
"
Lindenau
Mannheim

Bahnhof

Umsiedlung
Tag Monat Jahr
Timofeevka
23
08
41
Timofeevka
02
09
41
*
*
09
41
*
05
08
41
Engels
06
09
41
Vol’sk
12
08
41
Gmelinka
*
08
41
"
03
09
41
Nachoj
77
08
41
Ples
04
09
41
Kamyšin
*
08
41
Volgahafen
17
09
41
Marxstadt
10
09
41
Bezymjannaja
09
09
41
Nachoj
10
09
41
Kamyšin
09
09
41
Achmat
12
09
41
Saratov
*
08
41
Medvedickoe
11
09
41
Medvedickoe
*
09
41
Krasnyj Kut
03
09
41
Saratov
04
08
42
Medvedickoe
04
09
41
Engels
*
*
41
Medvedickoe
*
08
41
*
*
09
41
*
05
09
41
*
*
*
41
Engels
15
09
41
Engels
03
09
41
Engels
01
09
41
Krasnyj Kut
03
09
41
Achmat
*
09
41
Medvedickoe
14
09
41
Medvedickoe
11
09
41
Uvek
*
09
41
Krasnyj Kut
05
09
41
Bezymjannaja
*
09
41
Bezymjannaja
14
09
41
Bezymjannaja
*
08
41
Bezymjannaja
08
09
41
Titorenko
07
09
41
* = keine Angaben

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Bestimmungsgebiet
Aktjubinsk
Celinograd
Celinograd
Region Krasnojarsk
Region Altaj
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Kustanaj
Region Altaj
Tjumen’
Region Krasnojarsk
Novosibirsk
Tomsk
Omsk
Tjumen’
Kokčetav
Region Krasnojarsk
Omsk
Omsk
Kokčetav
Celinograd
Omsk
Novosibirsk
Omsk
Omsk
Omsk
Semipalatinsk
Altaj
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Region Altaj
Celinograd
ASSRdWD
Omsk
Novosibirsk
Region Altaj
Novosibirsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Kemerovo

21

Wohnort
Marienfeld
"
Mariental
"
"
Marxstadt
"
"
"
"
"
"
"
Messer
Mühlberg
Müller
Näb
Neu-Bauer/K-K
Neu-Bauer/E
Neu-Dönhof
"
"
Neu-Kolonie
Neu-Mariental
Neu-Moor
Neu-Straub
"
Neu-Zürich
"
"
Nieder-Mojou
Oberdorf
"
"
"
"
Ostenfeld
"
Pallasovka
Paulskoe
Preuß

22

Bahnhof

Umsiedlung
Tag Monat Jahr
Avilovo
06
09
41
Avilovo
09
09
41
Nachoj
*
10
41
Nachoj
*
09
41
Nachoj
17
09
41
Engels
07
09
41
Engels
10
09
41
Engels
05
09
41
Engels
17
09
41
Engels
13
09
41
Engels
18
09
41
Marxstadt
28
08
41
Anissovka
*
08
41
Achmat
13
09
41
Kamyšin
22
08
41
Kamyšin
01
09
41
Engels
26
08
41
Timofeevka
05
09
41
Timofeevka
04
09
41
Medvedickoe
05
09
41
Medvedickoe
12
09
41
Medvedickoe
12
08
41
Lepechinskaja
08
09
41
Urbach
15
09
41
Urbach
03
09
41
Engels
15
09
41
Lapšinskaja
05
08
41
*
06
09
41
Mokrous
04
09
41
Ples
04
09
41
Ples
05
09
41
*
*
09
41
Lapšinskaja
09
09
41
Lapšinskaja
05
09
41
Lapšinskaja
08
09
41
Lapšinskaja
*
*
41
Balašov
06
09
41
Bezymjannaja
11
09
41
Bezymjannaja
09
09
41
Pallasovka
*
09
41
*
*
08
41
Seelmann
*
08
41
* = keine Angaben

Bestimmungsgebiet
Omsk
Celinograd
Region Altaj
Region Altaj
Region Krasnojarsk
Region Altaj
Region Altaj
Region Krasnodar
Region Krasnodar
Novosibirsk
Novosibirsk
Saratov
Samarkand
Region Altaj
Tjumen’
Omsk
Region Krasnojarsk
Region Altaj
Region Altaj
Region Altaj
Omsk
Tjumen’
Novosibirsk
Region Altaj
Region Altaj
Region Krasnojarsk
Tjumen’
Karaganda
Region Altaj
Region Altaj
Region Altaj
Region Altaj
Omsk
Omsk
Omsk
Sverdlovsk
Omsk
Novosibirsk
Tomsk
Region Altaj
Novosibirsk
Pavlodar

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Wohnort
Reinhard
"
Reinwald
Remmler
"
"
Rosenberg
Rosendamm
Rosenfeld
Rothammel
Susannental
Schilling
"
"
Schönchen
Schwed
Stahl
Sovchoz Nr. 39
Stephan
Straßendorf
Straßenfeld
Unterdorf
Urbach
"
Warenburg
"
Wiesenmüller
Wittmann
Zürich
"

Bahnhof

Umsiedlung
Tag Monat Jahr
Bezymjannaja
10
09
41
Bezymjannaja
*
09
41
Engels
07
09
41
Engels
15
09
41
Engels
*
09
41
Batraki
12
08
41
Avilovo
22
08
41
Ples
*
10
41
Nachoj
22
08
41
Medvedickoe
27
09
41
Engels
05
09
41
Saratov
05
09
41
Saratov
06
09
41
Saratov
06
09
41
*
*
08
41
Engels
05
09
41
Engels
09
09
41
Pallasovka
05
09
41
Kamyšin
17
08
41
Krasnyj Kut
07
09
41
Mokrous
07
09
41
Kamyšin
06
09
41
Urbach
03
09
41
Urbach
04
09
41
Engels
20
08
41
Engels
17
09
41
Lepechinskaja
21
06
41
*
08
09
41
Engels
09
09
41
Engels
15
09
41
* = keine Angaben

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Bestimmungsgebiet
Region Altaj
Region Altaj
Novosibirsk
Region Krasnojarsk
Kemerovo
Region Krasnojarsk
Region Altaj
Novosibirsk
Region Altaj
Omsk
*
Novosibirsk
Novosibirsk
Kazachische SSR
Rußländische SFSR
Region Altaj
Kemerovo
Region Altaj
Tjumen’
Region Altai
Region Altaj
Omsk
Region Altaj
Region Altaj
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Region Altaj
Novosibirsk
Novosibirsk

23

Tabelle 7: Abtransport der Wolgadeutschen nach Verladebahnhöfen
Bahnhof
Avilovo
"
"
"
Engels
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
Engels
Krasnyj Kut
"
"
"
"
"
"
Marienfeld

24

Wohnort
Tag Monat
Avilovo
*
09
Marienfeld
06
09
Marienfeld
05
09
Rosenberg
27
09
*
15
09
Balzer
*
09
Beckerdorf
15
09
Engels
10
09
Engels
12
09
Engels
*
09
Fischer
13
08
Gattung
14
09
Krasnojar
08
09
Krasnojar
04
09
Krasnojar
08
09
Marxstadt
09
09
Marxstadt
15
09
Marxstadt
12
09
Marxstadt
06
09
Marxstadt
10
09
Marxstadt
09
*
Näb
15
09
Neu-Moor
05
08
Reinwald
18
09
Remler
13
09
Remler
03
09
Schwed
02
09
Susannental
*
09
Stahl
04
09
Warenburg
08
09
Warenburg
03
08
Zürich
*
08
Zürich
25
08
Kämpfer
*
*
Brunnental
05
08
Engels
04
09
Engels
08
09
Hussenbach
03
09
Krasnyj Kut
03
09
Langenfeld
05
09
Straßendorf
07
09
Erlenbach
03
08
* = keine Angaben

Jahr
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41

Bestimmungsgebiet
Omsk
Omsk
Karaganda
Tjumen’
Kemerovo
Novosibirsk
Novosibirsk
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Semipalatinsk
Kemerovo
Region Altaj
Region Altaj
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Region Altaj
Region Altaj
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Novosibirsk
Region Krasnojarsk
Kemerovo
Region Altaj
*
Kemerovo
Region Krasnojarsk
Krasnojarsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Kokčetav
Pavlodar
Pavlodar
Kokčetav
Region Altaj
Region Altaj
Region Altaj
Omsk

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Bahnhof
Marxstadt
"
"
"
Pallasovka
Seelmann
Achmat
"
Anissovka
"
Bezymjannaja
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
Gmelinka
"
"
Lapšinskaja
"
"
"
"
Lepechinskaja
"
"
Mjasokombinat
Mokrous
"
Nachoj
"
"
"
"
"
Pallasovka

Wohnort
Tag Monat
Boregard
10
09
Fischer
25
08
Hockerberg
10
09
Marxstadt
28
08
Pallasovka
*
09
Preuß
*
08
Anton
15
09
Huck
12
09
Bangert
08
09
Marxstadt
*
08
Bangert
04
09
Dinkel
13
09
Hohendorf
09
09
Laub
*
09
Laub
14
09
Laub
*
08
Lindenau
08
09
Ostenfeld
11
09
Ostenfeld
09
09
Reinhard
10
09
Reinhard
*
09
Reinwald
*
08
Gmelinka
*
08
Gmelinka
03
09
Kalinino
03
09
Erlenbach
*
09
Neu-Norka
05
08
Oberdorf
09
09
Oberdorf
05
09
Oberdorf
08
09
Neu-Kolonie
08
09
Oberdorf
*
*
Wiesenmüller
21
06
Brabander
*
*
Neu-Zürich
04
09
Straßenfeld
07
09
Gnadendorf
27
08
Hölzel
10
09
Mariental
*
10
Mariental
*
09
Mariental
17
09
Rosenfeld
22
08
Sovchoz Nr. 39
05
09
* = keine Angaben

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Jahr
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41

Bestimmungsgebiet
Tomsk
Kokčetav
Novosibirsk
Saratov
Region Altaj
Pavlodar
Region Krasnojarsk
Kokčetav
Novosibirsk
Samarkand
Region Krasnojarsk
Nordkasachstan
Tomsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Tomsk
Region Altaj
Region Altaj
Novosibirsk
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk
Region Altaj
Omsk
Tjumen’
Omsk
Omsk
Omsk
Novosibirsk
Sverdlovsk
Region Krasnojarsk
Pavlodar
Region Altaj
Region Altaj
Kustanaj
Novosibirsk
Region Altaj
Region Altaj
Region Krasnojarsk
Region Altaj
Region Altaj

25

Bahnhof
Ples
"
"
"
Timofeevka
"
"
"
"
"
Titorenko
Urbach
"
"
"
"
"
Volgahafen
"
"
"
Astrachan’
Podružnaja
"
"
Koskino
Orenburg
"
Balanda
Saratov
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
Vol’sk
Batraki

26

Wohnort
Tag Monat
Gnadenflur
04
09
Neu-Zürich
04
09
Neu-Zürich
05
09
Rosendamm
*
09
Ährenfeld
04
09
Ährenfeld
05
10
Friedenfeld
28
08
Friedenfeld
02
09
Neu-Bauer/K-K
05
09
Neu-Bauer/E
04
09
Mannheim
07
09
Alt-Urbach
27
09
Neu-Mariental
15
09
Neu-Mariental
03
09
Blumental
06
09
Urbach
03
09
Urbach
04
09
Balzer
10
09
Grimm
17
09
Kratzke
*
09
Messer
13
09
Avilovo
*
09
Neuhoffnung
03
12
Neuhoffnung
03
12
Neuhoffnung
11
12
Alexandertal
15
12
Kamenka
09
11
Kamenka
*
11
Neu-Walter
*
09
Balzer
12
09
Balzer
*
98
Basel
09
09
Degott
18
09
Fischer
13
09
Franzosen
*
09
Huck
*
08
Hussenbach
04
08
Schilling
05
09
Schilling
06
09
Schilling
06
09
Saratov
*
09
Glarus
12
08
Remmler
12
08
* = keine Angaben

Jahr
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
42
42
41
41
41
41
41
41
41
41
42
41
41
41
41
41
41

Bestimmungsgebiet
Region Altaj
Region Altaj
Region Altaj
Novosibirsk
Region Altaj
Region Altaj
Aktjubinsk
Celinograd
Region Altaj
Region Altaj
Kemerovo
*
Region Altaj
Region Altaj
Novosibirsk
Region Altaj
Region Altaj
Kokčetav
Region Krasnojarsk
Celinograd
Region Altaj
Ostkazachstan
Dagestanische ASSR
Karaganda
Pavlodar
Karaganda
Orenburg
Orenburg
Kirgisische SSR
Saratov
Kustanaj
Celinograd
Region Krasnojarsk
Kokčetav
Kokčetav
Region Krasnojarsk
Celinograd
Novosibirsk
Novosibirsk
Kazachstan
Novosibirsk
Region Krasnojarsk
Region Krasnojarsk

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Bahnhof
Uvek
"
Privol’skaja
Dergači
"
Arkadak
"
"
"
"
Balašov
"
Stalingrad
Medvedickoe
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
"
Kamyšin
"
"
"
"
"
"
Voronež
"
Novochopersk
"
"
"

Wohnort
Tag Monat
Balzer
13
09
Kukkus
*
09
Vol’sk
11
09
Pervomajskij
11
09
Zernosovchoz
*
08
Proletarskoe
14
09
Proletarskoe
16
09
Dorf Nr. 5
01
09
Dorf Nr. 7
*
*
Krasnoe
14
09
Frank
06
09
Oberdorf
06
09
Stalingrad
31
09
Bauer
15
09
Dittel
13
09
Frank
06
09
Frank
01
09
Frank
08
09
Frank
07
09
Freidorf
10
09
Huck
11
09
Huck
*
09
Hussenbach
04
09
Kauz
*
08
Kratzke
14
09
Kratzke
11
09
Neu-Dönhof
05
09
Neu-Dönhof
12
09
Neu-Dönhof
12
08
Rothammel
27
09
Göbel
*
08
Holstein
09
09
Mühlberg
22
08
Müller
01
09
Stephan
17
08
Unterdorf
06
09
Nikolaevsk
04
09
Voronež
*
10
Voronež
*
10
Central
*
10
Central
*
09
Central
20
10
Central
18
10
* = keine Angaben

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Jahr
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41

Bestimmungsgebiet
Region Altaj
Novosibirsk
Pavlodar
Celinograd
Novosibirsk
Tjumen’
Tjumen’
Tjumen’
Tjumen’
Tjumen’
Tjumen’
Omsk
Ostkazachstan
Region Krasnojarsk
Omsk
Omsk
Omsk
Omsk
Tjumen’
Tjumen’
Omsk
Omsk
Omsk
Omsk
ASSRdWD
Omsk
Region Altaj
Omsk
Tjumen’
Omsk
Tjumen’
Tjumen’
Tjumen’
Omsk
Tjumen’
Omsk
Semipalatinsk
Novosibirsk
Džezkazgan
Novosibirsk
Novosibirsk
Novosibirsk
Novosibirsk

27

Bahnhof
Bobrov
*
*
*
*
*
*
*
*
*
*
*
*
*
*
*
*

Wohnort
Tag Monat
Talovaja
18
10
Central
16
10
Neu-Straub
06
09
Balzer
14
08
Bangert
08
09
Brabander
15
09
Friedenfeld
*
09
Köhler
*
09
Köhler
05
09
Kolb
*
*
Nieder-Monjou
*
09
Paulskoe
*
08
Remmler
*
08
Schönchen
*
08
Wittmann
08
09
Sosnovka
09
12
Koskinskij
14
09
* = keine Angaben

Jahr
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41
41

Bestimmungsgebiet
Novosibirsk
Novosibirsk
Karaganda
Region Altaj
Novosibirsk
Omsk
Celinograd
Omsk
Omsk
Semipalatinsk
Region Altaj
Novosibirsk
*
*
Region Altaj
Karaganda
Tjumen’

Avilovo, Marienfeld und Lapšinskaja (nördlich von Kamyšin) dienten als Verladestationen für die wenigen in der Nähe gelegenen Orte. Die Station Uvek (von Nižnij Uvek,
unmittelbar südlich von Saratov) scheint nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Transporte von den Stationen Kamyšin, Avilovo, Marienfeld, Lapšinskaja, Medvedickoe und Balašov konnten erst auf dem Umweg über Saratov nach dem Osten erfolgen.
Rund 20% der Befragten wurden in Engels und auf der Haltestelle Mjasokombinat
(Schlachthof) verladen. Sie waren die Endstationen einer Zweiglinie der Strecke Saratov – Ural’sk. Hier konnten die Transporte ohne Behinderung des Durchgangsverkehrs
auch über längere Zeit vorbereitet werden.
Die Bevölkerung der meisten größeren Kolonien der nördlichen Wiesenseite wurde
auf dem Landweg nach Engels gebracht. Zu ihnen stießen Einwohner aus den Kolonien
Anton, Balzer, Huck, Messer, Grimm und Kratzke, die ab Achmat mit Schiffstransporten herangeführt wurden. Von der Wiesenseite erfolgten Schiffstransporte ab Marxstadt
und ab Seelmann nach Engels. Ein Teil der Bevölkerung der nördlichen Wiesenseite
wurde nach Saratov oder nach Vol’sk überstellt.
Die Bevölkerung der Kolonienkette entlang der Wolga von Brabander bis Seelmann
wurde auf die Stationen Uvek, Anissovka, Engels, Titorenko, Nachoj (südöstlich von
Saratov) und Lepechinskaja verteilt.

28

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Der Einzugsbereich der Station Bezymjannaja reichte von den Kolonien Dehler bis
Dinkel an der Wolga über die Neugründungen in der Steppe der Kantone Kukkus und
Lysanderhöh südlich der Bahnlinie bis zu den südlichen Orten des Kantons Krasnojar
nördlich der Bahnlinie. Mit 9,4% aller Deportierten war das der drittgrößte Verladebahnhof.
Zu den Stationen Nachoj, Urbach, Mokrous, Timofeevka und Ples wurde die Bevölkerung der umliegenden Orte verbracht. Ungeklärt ist der Weg der Bevölkerung der
zahlreichen kleinen Orte in der Steppe nördlich der Bahnlinie Saratov – Ural’sk. In der
Befragung waren sie nicht vertreten, doch kommen aufgrund der Topographie die Stationen Urbach, Eruslan, Mokrous und Ples als mutmaßliche Verladebahnhöfe in Frage.
Über den Abtransport aus den Wohnorten zu den Verladebahnhöfen schreibt ein Betroffener: „Wir fuhren mit Pferdegespann längs der Wolga zum Einladeort, dem Bahnhof
Anisowka, passierten die menschenleeren Dörfer Stahl, Dehler, Brabander u.a. Noch
heute steht mir dieses schreckliche Bild vor Augen. Das heimatliche Kuckus... Noch
gestern saß ich als Schüler unter gleichen in einer Bank mit dem Russen Alexander Zepow. Heute vertraut man mir nicht, bewacht mich wie einen Verbrecher, verjagt mich
von der Heimaterde und schickt mich auf lange Jahre in die Verbannung.“11
In einer späteren Ausgabe derselben Zeitung berichtet er in russischer Sprache: „Die
Kolonne wurde von beiden Seiten von Soldaten bewacht. Dieses schreckliche Bild habe
ich noch heute vor Augen, überall Soldaten. Im Wald, an der Wolga – Soldaten.“12
Der Abtransport der wolgadeutschen Bevölkerung begann, soweit Zeugenaussagen vorliegen, am 3. August 1941. Bis Ende des Monats mußten 17,6% der Befragten (30 Personen) ihre Wohnorte verlassen. Darunter waren 17 Männer der Jahrgänge 1907 bis
1929. Sieben Personen dieser Gruppe waren unter 18 Jahre, d.h., sie waren noch nicht
im wehrpflichtigen Alter. Bei ihnen kann als Aussiedlungsgrund die Mobilisierung zum
Wehr- oder Arbeitsdienst nicht angenommen werden. Gleiches trifft auch auf vier der
13 weiblichen Befragten dieser Gruppe zu.
Die Deportierten des Monats August kamen aus 26 völlig verschiedenen Orten, so
daß kein räumlicher Zusammenhang besteht. Unter der Voraussetzung, daß es sich hier
nicht um Vertreter bestimmter Berufe oder deren Familienangehörige handelt,13 kann
die Deportation im August als erste Welle der allgemeinen Räumung im Gebiet der

11 Willi Lochmann: Hier bin ich zu Hause, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 1.9.1988, S. 2.
12 Vasilij Lochman : Čto my imeem segodnja, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 16.12.1988, S. 3-4.
13 Hierüber liegen keine Angaben vor.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

29

ASSRdWD gelten. Diese Annahme erscheint gerechtfertigt, da die einzige in allen Orten vertretene Berufsgruppe – Kraftfahrer und Traktoristen – zu dieser Zeit beim Ernteeinsatz war. Es war daher wenig sinnvoll, sie bereits im August abzuziehen.
Bei dem dichten Netz von Verladebahnhöfen und der relativ geringen Entfernung der
Wohnorte von den Bahnhöfen konnten diese binnen 24 Stunden erreicht werden. Das
Datum des Abtransports aus dem Wohnort kann daher als Datum der Erfassung an den
Verladebahnhöfen angenommen werden. Die Ankunft nach Mitternacht, d.h. am nächsten Tag, mag vorgekommen sein. Sie spielt für die nachstehenden Aussagen keine Rolle.
Bereits im August erfolgte der Abtransport von Wolgadeutschen über die Bahnhöfe
Kamyšin, Medvedickoe, Saratov, Anissovka, Engels, Marxstadt, Lebedevka, Nachoj
und Titorenko. Die Schiffsanlegestelle in Marxstadt diente als Sammelstelle für den
Weitertransport nach Engels.
Im September wurde der Abtransport praktisch von allen Bahnhöfen gleichzeitig
fortgesetzt. Der Schwerpunkt lag, wie unsere Augenzeugenberichte belegen, zwischen
dem 3. und 15. September. In Engels erstreckte er sich noch auf den 17. und 18. September, und in Saratov lag er vor allem auf dem 13. September.
Am Beispiel von Engels, das für immerhin 13,8% der Befragten Verladebahnhof war,
läßt sich am ehesten feststellen, ob den Transporten ein System zugrunde lag. Im August wurden Personen aus den relativ weit entfernten Kolonien Warenburg und Preuß
im Süden, sowie Fischer und Näb im nördlichen Teil der Republik nach Engels gebracht. In den Tagen vom 1. bis 3. September waren davon Bewohner von Engels und
dem nahe gelegenen Krasnojar betroffen. Vom 5. September an waren es gleichzeitig
Personen aus den nahen Kolonien Schwed, Reinwald, Stahl, Krasnojar und aus den Orten der nördlichen Kolonienkette bis einschließlich Zürich. Zwischen dem 10. und 17.
September trafen in Engels auch Personen aus Balzer ein. Sie gelangten ab der Schiffsanlegestelle Achmat mit Schiffen nach Engels.
Der Reihenfolge der Abtransporte nach Engels lag keine geographische Systematik
zugrunde. Sie erfolgte unabhängig von der Entfernung der jeweiligen Kolonie zur Station.
Auch der Abtransport zur Bahnstation Medvedickoe (10% der Befragten) läßt keine
systematische Vorgehensweise der Behörden erkennen. Sie konnte lediglich in der Absicht, die Bevölkerung der benachbarten Orte oder auch desselben Ortes zu trennen, erkannt werden. Die Trennung von Einwohnern eines Ortes war bei größeren Kolonien
und bei Städten wie Balzer (11.556 Einwohner im Jahre 1926), Marxstadt (11.260),
30

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Seelmann (5.500), Hussenbach (6.623) u.a. wohl schon aufgrund ihrer Zahl kaum zu
vermeiden.
Die Bahnstation Bezymjannaja hatte einen kreisförmigen Einzugsbereich bei nahezu
gleicher Entfernung der Orte von der Bahnstation. Die Reihenfolge des Abtransports
wurde daher offensichtlich von den Transportkapazitäten bestimmt.
Die Zahl der Personen, die über andere Stationen abtransportiert wurden, ist im Einzelfall für eine systematische Auswertung zu gering.

2.2. Der Eigentumsverbleib und die Mitnahme von Lebensmitteln, Kleidung und
Wäsche
Von den 30 Deportierten des August 1941 durften 3 weder Lebensmittel noch Kleider
und 3 Personen nur Lebensmittel für einige Tage mitnehmen. Das vorhandene Eigentum wurde beschlagnahmt (70%) oder zurückgelassen. Empfangsbestätigungen für das
beschlagnahmte Eigentum wurden aber nur in Brunnental, Glarus und Mariental ausgestellt.
Von 132 deportierten Wolgadeutschen des Monats September durften 3 Personen nur
Lebensmittel, 2 nur Kleider und 4 weder Lebensmittel noch Kleider mitnehmen. Laut
Angaben der Befragten konnte ihr Eigentum in Huck verschenkt werden. Das dürfte eine Ausnahme in diesem Ort mit über 5.000 deutschen Einwohnern gewesen sein, da es
nicht genügend potentielle Empfänger dafür gab. Teilweise wurde das Eigentum auch in
Balzer, Köhler, Laub, Engels und Urbach verschenkt. Die beiden letztgenannten Orte
hatten eine mehrheitlich nicht-deutsche Bevölkerung, die am Ort verbleiben sollte.
Neun Personen machten keine Angaben über die Art der Trennung von ihrem Eigentum. Die überwiegende Mehrheit von 88,6% hat ihr Eigentum durch Beschlagnahmung
verloren oder ließ es zurück.
Nur 28% der Betroffenen erhielten Empfangsbescheinigungen für das beschlagnahmte Eigentum. Diese Feststellung mag aus heutiger Sicht bedeutungslos erscheinen. Sie
war es für die Betroffenen damals nicht, da den Deportierten an ihren Bestimmungsorten Ersatzleistungen in Aussicht gestellt wurden. Gewährt wurden diese allerdings nur
ausnahmsweise.
Nach Auskunft eines Befragten hat es in Ährenfeld, Kanton Eckheim, nur für das beschlagnahmte Getreide und für das Vieh Empfangsbestätigungen gegeben. In der Region Altaj bekam diese Familie dafür nur 3 Doppelzentner Getreide und eine Kuh. Der

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

31

Befragte fügte dem hinzu: „Hätte mein Vater nicht als Buchhalter im Kolchos gearbeitet, hätten wir überhaupt nichts bekommen. Wie viele andere.“
Aus Ostenfeld im Kanton Lysanderhöh berichtet eine Augenzeugin: Man durfte beim
Abtransport aus der Kolonie zur Bahnstation Bezymjannaja eine nicht genau begrenzte
Menge an Lebensmitteln mitnehmen. Diese dienten als Verpflegung während des
Transports. Mit den Kleidern „war es sehr schlecht“. Man konnte nur die besten Sachen
und etwas Bettwäsche mitnehmen. „Möbel, Geschirr, alles, was sonst vorhanden war,
blieb liegen und stehen.“ Auch das Vieh und die Hühner. Alles sei dem Staat anheimgefallen. Das meiste davon sei verdorben oder zugrundegegangen. Es sei niemand da gewesen, der die Ernte einbringen und das Vieh versorgen konnte. Für das beschlagnahmte Eigentum habe es teilweise Empfangsbestätigungen gegeben. An den neuen Wohnorten sollte es dafür Getreide und Vieh geben. Nur wenige hätten aber etwas Getreide oder eine Kuh bekommen, und dies sei minderwertige Ware gewesen. „Die Frucht war
leer, ausgewachsen; die Kuh höchstens ein kleines, krankes, mageres Tier, die kaum
Milch gab.“ Das war im Gebiet Tomsk.
Beim Verlassen des Ortes Ostenfeld war die Ernte dort noch nicht eingebracht. Ein
russisches Mädchen aus dem Gebiet Kirov erzählte der Mutter unserer Befragten, daß
sie mit anderen jungen Leuten aus dem Gebiet Kirov in die Wolgarepublik geschickt
worden sei, „um die Ernte einzubringen und das Vieh zu versorgen. Sie hatten hier alles
und mehr als sie brauchten, aber die Mädels – halbe Kinder – wollten nur zur Mutter
und liefen fort, nach Hause. Danach wurden sie verhaftet und zu je 5 Jahren Lagerhaft
verurteilt.“
Katharina Grauberger aus dem Kanton Lysanderhöh, eine Melkerin und Deputierte
des Obersten Sowjets der UdSSR, teilte 1988 einem Journalisten über die Deportation
mit: „In den letzten Augusttagen 1941 hat man alle Sowjetdeutschen aus unserem Kolchos „Bolschewik“ abtransportiert. Zurückbleiben durften nur diejenigen, deren Männer
oder Frauen Russen oder Ukrainer waren.“
„Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie man in der Nacht alle Kommunisten des
Dorfes dringend zum Kolchosvorstand bestellte. Der Kolchosvorsitzende saß finster
und zusammengekauert wie ein Schwerkranker auf seinem Stuhl und rauchte
ununterbrochen. Als sich dann alle versammelt hatten, las er ein Papier vor, in dem es
hieß, daß alle Deutschen aus der Autonomen Republik der Wolgadeutschen
auszusiedeln seien, um ein Blutvergießen zu vermeiden. Ich fragte ihn: Die Front ist
doch noch sehr weit, wozu sollen wir ausgesiedelt werden? Er antwortete darauf nicht,
sondern sagte nur: Mitgenommen wird nur das Allernotwendigste. Alles andere – die
Sachen, Möbel und das Vieh – wird zurückgelassen [...]. Am nächsten Tag wurden dann
32

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

das Vieh – wird zurückgelassen [...]. Am nächsten Tag wurden dann auch alle in Lastwagen verladen und unter dem Geleit von Soldaten zur Eisenbahnstation Besymjannaja
gebracht. Von allen Deutschen wurde nur ich allein im Kolchos zurückgelassen, weil
ich die Farm geleitet habe. Melkerinnen hatten wir keine, die Kühe wurden unter meiner Anweisung von Soldaten gemolken. Das Getreide auf den Feldern ging zugrunde,
denn es war niemand da, der es geerntet hätte. Etwas später brachte man Studentinnen
aus Engels, und ich übergab die Farm unserem Kolchoshirten. Er war Kazache, deshalb
durfte er natürlich bleiben und wurde nicht zwangsevakuiert. Als einer Deputierten des
Obersten Sowjets der UdSSR ist mir und meiner Familie erlaubt worden, mehr Sachen
als die anderen Ausgesiedelten mitzunehmen und auch in einem geräumigeren Wagen
zu fahren. Ich wußte aber, daß die Waggons mit Menschen vollgestopft waren wie ein
Faß mit Heringen. Deshalb habe auch ich nur das Allernotwendigste eingepackt und in
unserem Waggon noch Frauen mit kleinen Kindern mitgenommen. Und so brachen wir
auf [...]. Das war am 10. September. Wir wurden am Bahnhof vom Ersten Sekretär des
Rayonkomitees Alexanderhöh (Lysanderhöh) der KPdSU, Lobow, vom Vorsitzenden
des Rayonexekutivkomitees, Tschernysch, sowie von Soldaten und Offizieren verabschiedet. Als der Zug sich in Bewegung setzte, schrien die Frauen immer noch: ‚Liebe
Männer, treibt doch bitte unsere Kühe zur Kolchosherde, sonst verrecken sie. Und es ist
auch niemand da, der sie melkt.‘ Die Männer schwiegen nur zu diesem ‚Auftrag‘. Sie
wußten ja, daß nicht einmal die kolchoseigenen Kühe gemolken werden konnten. Die
Studentinnen aus der Stadt verstanden sich nur wenig auf die Landarbeit, außerdem waren es viel zu wenig. Und überhaupt, wer kümmerte sich schon damals um Kühe?“14
Die Verpflegung während des Transports sollte bekanntlich aus eigenen Vorräten erfolgen. Es wäre daher zu prüfen, ob genügend Lebensmittel mitgenommen werden
konnten. Diese Frage wurde bis auf wenige Fälle verneint. Da es untersagt war, Geflügel und Vieh zu schlachten und etwas gebratenes Fleisch als Proviant vorzubereiten,
konnte nur auf vorhandene Vorräte zurückgegriffen werden. Die Zusammensetzung der
mitgenommenen Vorräte abzufragen, erschien nach so vielen Jahren als wenig sinnvoll.
Daher kann nachstehend nur die Menge der mitgenommenen bzw. die zur Mitnahme
zugelassene Menge an Lebensmitteln behandelt werden.
Von den 170 Deportierten aus der Wolgarepublik konnten nur 126 die für den Transport zugelassene Lebensmittelmenge angeben. Danach durften 23 Personen (16,5% al14 A. Fitz: Wie geht es ihnen heute, Katja Grauberger?, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 30 vom
20.7.1988, S. 6-7.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

33

ler befragten Wolgadeutschen) nur einen begrenzten, für wenige Tage ausreichenden
Vorrat mitnehmen. 24 Personen (14,1%) war es erlaubt, bis zu 15 kg bei sich zu führen.
Einem Wolgadeutschen wurde seinen Angaben zufolge die Mitnahme von Lebensmitteln verboten. Bessere Verpflegungsmöglichkeiten hatten 51 Personen (30,0%), die
zwischen 16 und 30 kg Lebensmittel mitnehmen durften. Auffallend ist, daß zwei Personen 200 kg, drei Personen je 500 kg und 15 Personen bis zu einer Tonne an Lebensmitteln mitnehmen durften.
Eine nähere Betrachtung der letztgenannten Gruppe läßt keine systematische Bevorzugung erkennen. Nur ein Teil dieser Personen kam aus Orten, die in der Nähe der Verladebahnhöfe lagen. Der Abtransport erfolgte von 9 Bahnhöfen und von einer Schiffsanlegestelle (Seelmann). Die Transportdauer betrug zwischen 14 und 26 Tagen, ist also
eher als kurz zu bezeichnen.
Ab dem Bahnhof Engels z.B. konnte eine Person aus Marxstadt am 7.9.1941 bis zu
einer Tonne Lebensmittel und Kleider mitnehmen. Am 17.9.1941 wurde zwei Personen
die Mitnahme von bis zu jeweils 200 kg Lebensmitteln und Kleidern erlaubt. Am 3. und
15. September 1941 war es je einer Person aus dem entlegenen Neu-Moor und aus dem
nahe der Bahn gelegenen Krasnojar möglich, bis zu einer Tonne an Lebensmitteln und
Kleidern mit sich zu führen. Je einer Person aus dem entlegenen Zürich und aus dem
nahen Reinwald war am 7. bzw. am 15.9.1941 die Mitnahme von Lebensmittelvorräten
für mehrere Wochen erlaubt.
Ähnlich günstig war die Lage für weitere 21 Personen, die an verschiedenen Tagen
und von anderen Bahnhöfen für den Transport nach Osten abgefertigt wurden. Sie durften Vorräte für mehrere Wochen bzw. bis zu einer Tonne mitführen.
Im Hinblick auf den bevorstehenden Winter war der Besitz von Kleidern von besonderer Bedeutung. Sie konnten im Notfall gegen Lebensmittel eingetauscht werden, waren aber auch als Kleidung bei dem harten Winter in Sibirien und in den Steppen Nordkazachstans unentbehrlich. Dies um so mehr, als die Deportierten weder über Bargeld
verfügten, noch der Kauf von Kleidern gegen Geld auf dem Lande möglich war.
Die Angaben der Befragten lassen erkennen, daß nur ein Teil der Deportierten nennenswerte Mengen Kleider beim Abtransport aus ihren Wohnorten mit sich führen
konnte. Auffallend ist, daß dies die gleichen Personen waren, denen es auch gestattet
war, größere Mengen Lebensmittel mitzunehmen. Gleichzeitig gab es noch einige wenige Personen, die zwar nur kleinere Lebensmittelvorräte, aber ausreichend Kleider behalten konnten. Ursache dafür war offensichtlich das erlassene Schlachtverbot, während
die Transportkapazität die Mitnahme von mehr Lebensmitteln zugelassen hätte.
34

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Der Grund für die unterschiedliche Behandlung der Wolgadeutschen im Hinblick auf
die Mitnahme von Lebensmittel- und Kleidervorräten ist aus den zur Verfügung stehenden Informationen nicht erkennbar. Der Zeitpunkt des Abtransports, die Verladestation,
der Wohnort und die Entfernung zur Verladestation waren offensichtlich nicht ausschlaggebend.
Über die Kantone Mariental und Lysanderhöh ist bekannt, daß die größtenteils deutsche Leitung bis zum Abschluß des Abtransports auf ihrem Posten verblieben war.15
Die Behandlung der Deportierten aus diesen beiden Kantonen hat sich nicht erkennbar von den anderen unterschieden. Als einzige plausible Erklärung für die unterschiedlichen Mengen an Nahrungsmitteln und Kleidung verbleibt nur die verfügbare Transportkapazität des jeweiligen Tages. Aus Publikationen ist bekannt, daß am 3. September
aus Engels höchstens 200 kg Gepäck mitgenommen werden durften.16 Für Nahrungsmittel liegen wie oben angegeben andere Angaben vor. In anderen Fällen wurde erst
beim Verladen bestimmt, was mitgenommen werden durfte.17 Somit konnte das Fehlen
von 1-2 Waggons pro Zug über das Schicksal von Tausenden von Menschen entscheiden.
Über die Nutzung des zurückgelassenen Eigentums gibt es in der Literatur nur wenige Angaben. So berichtete V. Busik über die Zustände in dem Gebiet der aufgelösten
Wolgarepublik: „Um das in der ASSRdWD entstandene Vakuum zu füllen, hat man
dorthin Menschen aus den (von deutschen Truppen) befreiten Territorien umgesiedelt.
Die Menschen kamen aus den verschiedensten Gegenden und wurden aus verschiedenen Gründen dorthin geschickt. Sie hatten nicht vor, dort ständig wohnen zu bleiben,
schätzten daher auch nichts: Obstgärten, Ställe, leerstehende Häuser wurden als Heizmaterial vernichtet, das seinem Schicksal überlassene Vieh wurde geschlachtet.“ Nach
sieben Jahren Arbeitsarmee sei es z. B. Heinrich Kupra gelungen, in sein Heimatdorf
Kukkus zu kommen. „In einem der Zimmer seines Hauses hat ein ehemaliger Mitkämpfer des ukrainischen Nationalistenführers Bendera gewohnt. Im anderen Zimmer war
ein Dielenbrett herausgerissen, und diese Spalte diente als Toilette. Im dritten Zimmer

15 K. Zeiser: Ruhe werde ich mir geben..., in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 17.1.1989, S. 2-3; A. Fitz:
Wie geht es Ihnen, Katja Grauberger, heute?, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 30 vom 20.7.1988, S. 6-7.
16 Michassik: Trotz allem überlebt, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 46 vom 9.11.1988, S. 6-7.
17 K. Zeiser: Ruhe werde ich mir geben..., in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 17.1.1989, S. 2-3.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

35

stand eine Kuh. Der Obstgarten war völlig abgeholzt, Ställe und Nebengebäude gab es
nicht mehr.“18

2.3. Die räumliche Trennung durch die Deportation
Die Trennung der Bevölkerung konnte in mehreren Stufen erfolgen, so beim Abtransport aus den Wohnorten, beim Verladen für den Bahntransport sowie durch die unterschiedlichen Ziele der Transporte.
Die Trennung beim Abtransport erfolgte dadurch, daß man die Bevölkerung eines Ortes nicht an einem Tag zur Bahn brachte und in getrennten Zügen abtransportierte. So
wurde z.B. die deutsche Bevölkerung der Stadt Engels am 2., 3., 4. und 8. September
verladen. Die Transporte des 2. und 3. September gingen in die Region Krasnojarsk,
während die Züge vom 4. und 8. September in das Gebiet Pavlodar nach Kazachstan
kamen. Es bestanden jedoch Unterschiede. Die Bevölkerung aus Oberndorf im Kanton
Erlenbach kam am 5., 8. und 9. September zur nahegelegenen Station Lapšinskaja und
am 6. September zur entfernteren Station Balašov derselben Eisenbahnlinie. Alle Personen dieser Transporte kamen in das Gebiet Omsk. Die Ankunft im gleichen Verwaltungsgebiet bedeutete bei der Größe dieser Gebiete aber keineswegs auch die räumlich
nahe Unterbringung. Die Zusammenführung wäre jedoch unter Umständen leichter gewesen, da dafür die dem Innenministerium einer Sowjetrepublik unterstehende Verwaltung eines Gebietes zuständig war.
Die Bevölkerung mehrerer Orte (Balzer, Huck, Hussenbach, Kratzke, Marxstadt, u.a.)
wurde nicht nur an verschiedenen Tagen zur Bahn gebracht, sondern auch an verschiedenen Bahnstationen für den Weitertransport verladen. Hier erfolgte zwangsläufig die
Trennung. So gelangten Personen, die am 10. September Balzer verlassen hatten und ab
Achmat mit Schiffen zur Bahn gebracht wurden, nach Kazachstan in das Gebiet Kokčetav. Am 12. September kamen einige Einwohner von Balzer für längere Zeit nach Saratov. Ein anderer Teil der Balzerer wurde am 13. September auf der nahe Saratov gelegenen Bahnstation Uvek verladen und in die Region Altaj gebracht. Am 15. September
wurden weitere Einwohner von Balzer nach Engels in Marsch gesetzt und in das Gebiet
Novosibirsk deportiert.

18 Vladimir Buzik: Glubže izučat’ uroki istorii, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 4 vom 18.1.1989, S. 6.

36

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Nach eigener Kenntnis der Befragten gab es auch noch andere Gründe für die Trennung von Familien und Freunden. In Frank wurden Deutsche zur Verrichtung von Arbeiten am Wohnort zurückbehalten. Über die Art der Arbeiten und die Dauer des
Verbleibs wurden keine Angaben gemacht.
In Engels, Frank, Friedenfeld, Lindenau, Marxstadt und Neu-Straub gab es nach Aussagen der Befragten Verhaftungen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß es auch
in Orten zu Verhaftungen kam, die in der Befragung nicht vertreten sind. Ferner kann es
auch Verhaftungen gegeben haben, von denen unsere Augenzeugen nichts erfuhren.
Ein weiterer Grund für die Trennung waren Mischehen. In Balzer, Engels, Gnadenflur, Hockerberg, Mariental, Marxstadt, Reinwald, Susannental und Urbach durften
Frauen zurückbleiben, die mit Russen oder Männern anderer Volkszugehörigkeit verheiratet waren.

2.4. Der Transport von den Verladebahnhöfen in die Bestimmungsgebiete
Über die Anzahl der Bahntransporte, mit denen die Wolgadeutschen aus ihrem Siedlungsgebiet nach Osten gebracht wurden, ist aus der Literatur nichts bekannt. Aus Augenzeugenberichten geht hervor, daß dabei Güterwaggons benutzt wurden. Die Waggons waren mit ca. 70 Personen überbelegt. Unter der Annahme, daß alle Transporte in
etwa gleich belegt waren und mit jedem Zug rund 2.000 Personen in Marsch gesetzt
wurden, müssen es bei einer Bevölkerungszahl von ca. 350.000 allein für den Abtransport der Wolgadeutschen mindestens 175 Eisenbahnzüge gewesen sein. Bei unserer
Annahme hieße das, daß mitten in der schwierigsten Phase des Krieges, während des
Vormarsches der deutschen Truppen, 175 Sonderzüge mit etwa 5.000 Güterwaggons für
mehrere Wochen gebunden und für die kriegsnotwendigen Transporte nicht verfügbar
waren.
Tabelle 8: Verteilung der Wolgadeutschen auf die Verbannungsgebiete
Region, Gebiet
Sibirien:
Altaj
Krasnojarsk
Kemerovo
Novosibirsk
Omsk
Tjumen’
Tomsk

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Personen
136
38
26
5
25
26
10
6

Prozent
80,0
22,4
15,3
2,9
14,7
15,3
5,9
3,5

37

Region, Gebiet
Kazachstan:
Akmolinsk
Kokčetav
Kustanaj
Pavlodar
Semipalatinsk
andere Republiken und Gebiete:
insgesamt:

Personen

Prozent

6
7
2
4
2

3,5
4,1
1,2
2,4
1,2

13

7,6

170

100

In diesem Zusammenhang ist es interessant zu erfahren, wie diese Züge zu ihrem jeweiligen Ziel geleitet wurden. Kombiniert man das Datum, an dem die Bewohner ihren
Wohnort verlassen hatten, mit dem Verladebahnhof und dem Zielbahnhof ergibt sich
folgendes Bild:
Von den Bahnstationen Kamyšin, Avilovo, Lapšinskaja und Medvedickoe gingen die
Transporte am l., 4., 5., 6., 8., 11., 12., 13. und 27. September in das Gebiet Omsk.
Richtung Region Altaj verließ ein Transport die Station Medvedickoe (5. September).
Von Kamyšin aus ging ein einen Transport am 9. September, und von Medvedickoe
gingen zwei Transporte am 7. September und 10. September in das Gebiet Tjumen’.
Nur von diesen vier Bahnstationen ausgehend sind Transporte bekannt, mit denen Wolgadeutsche in das Gebiet Tjumen’ gebracht wurden. Der erste verließ bereits am 5. August die Station Lapšinskaja. Am 17. und 22. August sowie am 9. September erfolgten
Transporte ab Kamyšin, am 7. und am 10. September ab Medvedickoe und am
19. September ab Avilovo.
Aus Saratov, das eine starke deutsche Minderheit besaß und darüber hinaus als Sammelpunkt für die Bevölkerung einer Reihe von Kolonien des nördlichen Teils der Wiesenseite (Fischer, Basel) diente, gingen am 5. und 6. September Transporte in das Gebiet Novosibirsk und am 6., 9. und 13. September nach Kazachstan. Am 18. September
folgte ein Transport in die Region Krasnojarsk.
Ganz anders war die Zielbestimmung für die Transporte, die von den Stationen der
Bahnlinie östlich der Wolga aus erfolgte. Die Reihenfolge der Stationen ist hier: Engels,
Anissovka, Bezymjannaja, Titorenko, Nachoj, Urbach, Mokrous, Ples. Dazu kommen
die Stationen Krasnyj Kut, Lepechinskaja, Gmelinka, Pallasovka und Timofeevka der
südlichen Zweigbahn.
In der ersten Phase gingen die Transporte von dort in die Region Krasnojarsk. Engels
war dafür Ausgangsstation am 20. und 26. August, dann vom 1. bis 3. und am 5. Sep-

38

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

tember. Von Gmelinka ging am 3. und von Bezymjannaja am 4. September je ein
Transport nach Krasnojarsk.
Ab dem 3. September setzten sich von den Stationen Urbach und Krasnyj Kut, am 4.
September von Urbach, Timofeevka, Mokous und Ples Transporte in die Region Altaj
in Bewegung. Ihnen folgten am 5. September Züge ab den Stationen Gmelinka, Pallasovka, Timofeevka, Krasnyj Kut und Ples.
Nachdem die genannten Transporte in die Region Altaj unterwegs waren, folgten ichnen am 5., 6. und 7. September Züge mit gleichem Ziel ab Engels.
Die meisten bekannten Transporte aus den östlichen Kantonen der ASSRdWD gingen
somit zwischen dem 3. und 7. September in die Region Altaj. Timofeevka (am 2. September) und Krasnyj Kut (am 3., 4. und 8. September) waren aber auch Ausgangspunkte
für Transporte nach Kazachstan.
Ab dem 7. September rollten ab Engels, Anissovka und Bezymjannaja die Züge vor
allem nach Novosibirsk. Andere Ziele waren die Regionen Altaj und Krasnojarsk, die
Gebiete Tomsk und Kemerovo. Ein Transport ging nach Kazachstan.
Die erfaßten Transporte dürften einen zuverlässigen Überblick über die Schwerpunkte der Transporte bieten.
Die Dauer der Transporte von den einzelnen Bahnhöfen in die Bestimmungsgebiete
war nicht einheitlich. Der erste Transport ab der Station Engels (20. August) war bis
zum Entladen in der Region Krasnojarsk 62 Tage unterwegs. Der nächste Transport (26.
August) benötigte dagegen nur 23 Tage. Im September abgefertigte Züge fuhren zwischen 15 und 31 Tagen.
Der Weg in das Gebiet Novosibirsk dauerte ab Engels zwischen 15 und 17 Tagen.
Bedeutend länger waren Personen unterwegs, die am 15. September aus ihren Wohnorten zur Sammelstation gebracht wurden. Ihr Weg nach Adlibino bzw. Matkovo dauerte
31 Tage. Von den fünf in die Region Altaj geleiteten Zügen benötigten vier zwischen
11 und 15 Tagen, einer war 25 Tage unterwegs.
Die Fahrtzeit der Züge, die in Saratov ihren Anfang hatten, ist so unterschiedlich, daß
hier nur von Zufällen gesprochen werden kann. So benötigte der am 5. September abgefertigte Zug bis zu seinem Bestimmungsbahnhof im Gebiet Novosibirsk 23 Tage. Der
am darauffolgenden Tag abgefertigte Transport war dagegen nur 12 Tage lang unterwegs. Noch extremer unterschied sich die Fahrtdauer der Transporte nach Kazachstan.
In das Gebiet Kustanaj wurden je ein Transport im August und am 6. September abgefertigt. Sie benötigten 10 bzw. 9 Tage. Das benachbarte Gebiet Kokčetav erreichte ein
am 13. September abgefertigter Zug in 13 Tagen. Zwischen diesen beiden Zügen ging
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

39

ein Transport in das Gebiet Akmolinsk (1961–1992: Celinograd, heute: Akmola). Er
benötigte 52 Tage.
Die Fahrtdauer der Züge ab Kamyšin in die Gebiete Omsk, Tjumen’ und nach Kazachstan lag zwischen 17 und 29 Tagen. Für die Fahrt in das entlegenere Gebiet Omsk
wurde die längere Fahrtdauer benötigt. Zügiger fuhren dagegen die meisten Züge ab der
Station Medvedickoe. Sie benötigten einschließlich Abfertigungstag (12. September)
für die Strecke in die Gebiete Omsk und Tjumen’ 11 bis 17 Tage.
Züge, die am 13., 14. und 15. September in Engels, Medvedickoe und Urbach abgefertigt wurden, benötigten für den Weg nach Sibirien durch unerwartete Unterbrechungen offensichtlich mehr Zeit als geplant. Sie waren bis zur Endstation in den Gebieten
Omsk und Novosibirsk sowie in den Regionen Altaj und Krasnojarsk jeweils 31 Tage
unterwegs. Nur ein Zug gelangte in dieser Zeit in 15 Tagen in die Region Altaj. Die ab
dem 17. September abgefertigten Züge benötigten für denselben Weg zwischen 13 und
24 Tagen. Der Engpaß dürfte zwischen Petropavlovsk und Omsk entstanden sein, denn
ein am 13. September in Saratov abgefertigter Zug erreichte Kokčetav in Kazachstan
über Petropavlovsk in 13 Tagen.
Am längsten war ein am 3. September auf der Station Krasnyj Kut abgefertigter Zug
unterwegs. Bis zum Entladen im Gebiet Kokčetav benötigte er 112 Tage. Die kürzeste
Transportdauer betrug 5 (Region Altaj) und 6 Tage (Kazachstan). Die meisten Transporte waren zwischen 11 und 21 Tagen unterwegs.
Streckenführung, Ausgangsbahnhof und Datum der Abfertigung lassen keine Erklärung für die unterschiedliche Fahrtdauer erkennen. Aus der Sicht eines Betroffenen ergab sich folgendes Bild: „Zuerst geriet der Zug in die Region Krasnojarsk, danach kehrten sie in das Gebiet Novosibirsk zurück, später kamen sie in die Altaj-Region, dann
führte der Weg wiederum nach Irkutsk [...]. Es sah so aus, als wisse man beim NKVD
nicht, wohin mit diesen Leuten. Es gab keinen Grund, sie zu erschießen, es war aber
auch kostspielig, sie umsonst zu ernähren und herumzufahren.“19
Die Aufnahme der Deportierten in den Bestimmungsgebieten war mit organisatorischen Problemen verbunden. Die Vorkehrungen vor Ort waren offensichtlich unzureichend. So berichtete ein Betroffener über den Transport aus dem Kanton Mariental, der
am 14. September abfuhr: „Ihr Weg ging nach dem Altai, mit einem Aufenthalt in Pawlodar. Die Behörden des Gebietes wollten nicht noch mehr Umsiedler annehmen. Das

19 V. Saweljew: Die bitteren Äpfel von 1941, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 10.9.1988, S. 1-2.

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Gebiet könne keine mehr oder weniger normalen Lebensverhältnisse garantieren. Arbeitskräfte seien natürlich notwendig. Aber der Winter stehe vor der Tür, und wo solle
man alle unterbringen? Es seien auch so schon über alle Erwartungen viele Menschen
angekommen. Sie fuhren weiter. An der Station Kulunda hängte man nur zwei Wagen
ab. Auch hier konnte man die Menschen fast nirgends unterbringen. Die übrigen Wagen
schickte man nach Pawlodar zurück.“20
Beim Abtransport aus den Wohnorten wurde versprochen, „[...] die Ausgesiedelten
nach dem Dorfprinzip unterzubringen, also jedes Dorf komme in eine Einzelsiedlung in
Kazachstan, im Altai oder in Sibirien. Es schien somit, daß die Angehörigen sich nicht
trennen werden und niemand verloren geht.“21
Die Realitäten vor Ort sahen indes anders aus. Jakob Schmal, ein Mitarbeiter des
Wolgadeutschen Rundfunks in Engels, berichtete 1983 in der Zeitung „Freundschaft“:
„Es kam nun so, dass wir zusammen in demselben Güterzug – dem allerersten – am
2. September 1941 aus Engels nach Sibirien abfuhren und somit alle Strapazen auf diesem Leidensweg zusammen durchleben mußten. Am 13. September 1941, gegen Abend, hielt unser Zug auf einem toten Gleis am Zaun des Stadtparks in Kansk, Region
Krasnojarsk, und es erschallte der Befehl: Aussteigen! Die paar Tausend Angekommenen mußten eine naßkalte Herbstnacht unter freiem Himmel verbringen. Am anderen
Morgen stieg die Sonne hinter den hohen Fichten des Waldparkes hervor und versprach
einen schönen Herbsttag. Draußen, um den Parkzaun herum, hatte sich schon eine Unmenge von Kolchosfuhren angesammelt. Zwischen den Vertretern der Kolchose, meistens waren es die Vorsitzenden in eigener Person, und den Angekommenen fing sofort
eine Art Tauschhandel an: Je mehr Arbeitskräfte eine Familie aufzuweisen hatte, desto
eher konnte sie es sich auf der Fuhre mit Sack und Pack bequem machen. Diejenigen
aber, die außer sich selbst keine arbeitsfähigen Familienmitglieder aufzuweisen hatten,
wurden abgestoßen, und gegen Abend blieben nur noch verzweifelte Väter und Mütter
mit ihren Kindern zurück.“22

20 K. Zeiser: Ruhe werde ich mir geben..., in: Freundschaft, Alma-Ata,, vom 17.1.1989, S. 2-3.
21 K. Zeiser: Ruhe werde ich mir geben..., in: Freundschaft, Alma-Ata,, vom 17.1.1989, S. 2-3.
22 Jakob Schmal: Von der Höhe der verlebten Jahre, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 16.8.1988, S. 2-3.

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3. Die Deportation aus anderen Gebieten
Die Deportation der deutschen Bevölkerung aus den der ASSRdWD benachbarten Gebieten erfolgte zu unterschiedlichen Zeiten. In den Gebieten Saratov und Stalingrad
wurde sie parallel zur Wolgarepublik aus ihren Wohnorten entfernt. So mussten im Gebiet Saratov ein Befragter im August, die anderen zwischen dem 1. und dem 16. September den Weg zur Bahnstation antreten. Als Verladebahnhöfe dienten neben Saratov
die den Siedlungen jeweils am nächsten gelegenen Stationen Vol’sk, Arkadak, Dergači
und Balanda (seit 1962: Kalininsk). Die Bestimmungsorte waren, wie bei den Transporten von den Stationen von Kamyšin bis Medvedickoe, das Gebiet Tjumen’ und Kazachstan. Ab Saratov führte der Weg in das Gebiet Novosibirsk. Er dauerte nur 14 Tage. Mit bis zu 20 kg Lebensmittelvorräten und bis zu 50 kg anderen Sachen, die zur
Mitnahme zugelassen waren, ging es den Personen dieses Transports vergleichsweise
nicht schlecht. Das zurückgelassene Eigentum wurde beschlagnahmt.
Deutsche aus der Stadt Vol’sk und aus der Getreidesovchoze „Pervomajskij“ wurden
am 11. September zur Station Privol’skaja bzw. Dergači gebracht. Der Transport aus
Vol’sk gelangte in 17 Tagen in das Gebiet Pavlodar. Lebensmittel für einige Tage und
nur ca. 20 kg anderer Sachen durften mitgenommen werden. Die Einwohner aus „Pervomajskij“ hatten es da bedeutend besser. Auf ihrer 19tägigen Fahrt in das Gebiet Akmolinsk konnten sie Lebensmittelvorräte für einige Wochen und bis zu 1 Tonne anderer
Sachen mitnehmen.
Auf der Station Arkadak wurden am 1. September Deutsche aus dem Dorf
„Nr. Fünf“, am 14. September aus Proletarskoe und aus Krasnoe, am 16. September aus
Proletarskoe und an einem nicht bekannten Tag aus dem Dorf „Nr. Sieben“ zur Fahrt
nach Osten verladen. Das Endziel dieser Transporte waren Orte im Gebiet Tjumen’. Die
Fahrtdauer betrug 14, 18 bzw. 21 Tage. Die zur Mitnahme zugelassenen Lebensmittelvorräte schwankten zwischen Vorräten für wenige Tage bis zu Vorräten für mehrere
Wochen bzw. solchen von bis zu 80 kg. An Kleidern und Sachen konnten nur kleine
Mengen mitgeführt werden.
Bei den vier Befragten aus dem Gebiet Stalingrad waren die Wege nach Osten völlig
unterschiedlich. So wurde eine Person aus Nikolaevsk am 4. September mit minimalen
Vorräten über die Wolga zur Station Kamyšin gebracht. Von dort führte der Weg in 20
Tagen in das Gebiet Semipalatinsk. Am nächsten Tag kam eine andere Person aus Kalinino zur Station Gmelinka in der Wolgarepublik. Von dort ging der Transport in die
Region Altaj in nur 5 Tagen.

42

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Tabelle 9: Verteilung der Deportierten auf die Verbannungsgebiete
Region, Gebiet
Sibirien:
Altaj
Krasnojarsk
Kemerovo
Novosibirsk
Omsk
Tjumen’
Tomsk
Kazachstan:
Akmolinsk
Karaganda
Kokčetav
Kustanaj
Pavlodar
Semipalatinsk
Ostkazachstan
andere Republiken und Gebiete:
Insgesamt:

Personen Prozent
153
74,6
39
19,0
26
12,7
5
2,4
35
17,1
26
12,7
16
7,8
6
2,9
7
6
7
2
6
3
2

3,4
2,9
3,4
1,0
2,9
1,5
1,0

19

9,3

205

100

Einen ganz anderen Weg hatte ein Interviewpartner aus dem direkt an der Grenze des
Kantons Erlenbach gelegenen Ort Avilovo. Für ihn war der Verladebahnhof in Astrachan’. Es ist nicht bekannt, ob es mehrere Transporte per Schiff nach Astrachan’ gab,
oder ob dies ein Einzelfall war. Ein Schiffstransport von Kamyšin bis nach Astrachan’
mit anschließendem Bahntransport nach Osten bedeutete einen beträchtlichen Umweg
und eine Verzögerung von mehreren Tagen.
Aus der Stadt Stalingrad erfolgte der Abtransport am 31. September 1941. Dieser
Transport erreichte sein Ziel im Gebiet Ostkazachstan in 31 Tagen.
Die Deportation der deutschen Bevölkerung aus dem Gebiet Voronež erfolgte in der
zweiten Oktoberhälfte 1941, d.h. nach Abschluß der Deportation aus der östlich davon
gelegenen ASSRdWD sowie aus den Gebieten Saratov und Stalingrad. Aus der Stadt
Voronež, in der es im Jahre 1926 weniger als 300 Deutsche gab, gelangte eine Person in
31 Tagen in das Gebiet Novosibirsk, während eine andere in derselben Zeit in das Gebiet Džezkazgan kam.
Aus dem nähe der Bahn gelegenen Dorf Central erfolgte der Abtransport am 16., 18.
und 20. Oktober 1941. Die Betroffenen wurden in 28 bzw. 31 Tagen in das Gebiet Novosibirsk gebracht.
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43

Über die Mitnahme von Lebensmitteln und Kleidern konnten von den acht Befragten
fünf Angaben machen. Die Deportierten aus der Stadt Voronež konnten nur für wenige
Tage Lebensmittel mitnehmen. Für die Deportierten aus Central war die Lage günstiger.
Die zur Mitnahme zugelassenen Lebensmittelvorräte wurden mit 30 bis 100 kg pro Person bzw. als Vorräte für mehrere Wochen angegeben. Das zurückgelassene Eigentum
wurde beschlagnahmt. Empfangsbestätigungen gab es aber nur teilweise.
Die deutsche Bevölkerung des Gebietes Kujbyšev siedelte zum größten Teil in 30
Dörfern in der Nähe der Bahnlinie Ul’janovsk – Ufa. Die größte dieser Kolonien, Hoffental, zählte 1926 nur 725 Einwohner. Lediglich in der Stadt Kujbyšev selbst waren im
gleichen Jahr knapp über 1.000 Deutsche wohnhaft.
Die Deportation dieser Bevölkerung kann hier am Beispiel der Einwohner aus Mariental, Alexandertal, Neuhoffnung und Sosnovka verfolgt werden. Aus den Kolonien
Mariental und Neuhoffnung wurde die Bevölkerung am 3. Dezember 1941 für den Abtransport an der Bahnstation Podružnaja konzentriert. Nach dem Stand der Volkszählung von 1926 zählte sie weniger als 500 Personen. Sie hätte ohne Schwierigkeiten mit
einem Zug abtransportiert werden können. Die Fahrzeit bis zum Bestimmungsort im
Gebiet Karaganda von 10 bis 19 Tagen läßt aber die Vermutung zu, daß es sich entweder um mehrere kleine Transporte handelte, oder die Aufnahme am Bestimmungsort
nicht geregelt und mit Verzögerungen verbunden war.
Auffallend ist, daß am selben Tag eine Person aus Mariental nur ca. 10 kg Lebensmittel und bis zu 20 kg Kleider mitnehmen, während eine andere Lebensmittel für mehrere
Wochen und Kleider nach Belieben mitführen durfte.
Das zurückgelassene Eigentum wurde beschlagnahmt. Bescheinigungen gab es aber
auch hier nicht in jedem Falle.
Am 9. Dezember 1941 wurden Deutsche aus Sosnovka zur Bahn gebracht. Sie kamen
nach 31 Tagen an ihrem Bestimmungsort im Gebiet Karaganda an. Ein weiterer Transport ging am 11. Dezember ab der Station Podružnaja nach Kazachstan. Er kam nach 14
Tagen im Gebiet Pavlodar an. Der letzte bekannte Transport verließ am 15. Dezember
1941 die Station Koskino und brachte Einwohner aus Alexandertal nach 16 Tagen in
das Gebiet Karaganda. Sechs der sieben Befragten aus dem Gebiet Kujbyšev durften
nur äußerst wenig an Lebensmitteln und Kleidern mitnehmen.
Aus dem Gebiet Orenburg konnten nur drei in Kamenka wohnende Personen Auskunft geben. Sie wurden am 9. November 1941 aus Kamenka abgeholt und kamen über
Orenburg in 7 Tagen nach Orsk in demselben Gebiet. Da sie anschließend dasselbe Datum als Tag ihrer Einberufung zur Arbeitsarmee nach Orsk angaben und es in der Lite44

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ratur Hinweise auf den Fortbestand der deutschen Siedlungen im Gebiet Orenburg gibt,
liegt die Vermutung nahe, daß die Frage hinsichtlich der Deportation mißverstanden
wurde. Es handelte sich offensichtlich um die Einberufung zur Arbeitsarmee.

4. Die Mobilisierung für die Arbeitsarmee
Aus veröffentlichten Erlebnisberichten ist bekannt, daß die Deportierten nach der Ankunft in den Bestimmungsgebieten erst zur Verrichtung der dringendsten Arbeiten eingeteilt wurden. Die Familien blieben noch zusammen, sofern sie während des Transports nicht getrennt worden waren. Von November 1941 an und verstärkt im Januar
1942 erfolgte die Einberufung von Deportierten zur Arbeitsarmee. Unter den 205 Befragten wurden 124 zur Arbeitsarmee einberufen. Die erste große Welle fiel auf die
Monate November 1941 bis einschließlich April 1942 (44,4%). Es wurden überwiegend
Männer im wehrpflichtigen Alter (49 von 55 Einberufenen) einberufen, darunter auch
zwei Minderjährige von 13 und 15 Jahren. Die Frauen waren zwischen 24 und 32 Jahre
alt.
In den Monaten Mai bis September 1942 wurden nur 10 Personen (8,1%) mobilisiert.
Diese geringe Zahl läßt sich mit dem Einsatz der Deportierten bei Feldarbeiten am Aufenthaltsort begründen. Nach Abschluß der Erntearbeiten stieg die Zahl der Einberufenen ab Oktober wieder stark an.
In den Monaten von Oktober bis Dezember 1942 wurden 29% der Mobilisierten einberufen. Zwei Drittel von ihnen waren Frauen. Offensichtlich gab es nicht mehr genügend Männer. Die späteste Einberufung zur Arbeitsarmee erfolgte nach Angaben eines
Betroffenen am 16. März 1945.
Die Einberufung in die Arbeitsarmee nahm das jeweilige Kreiswehrersatzamt
(Kriegskommissariat, russ. voenkomat) für Männer und Frauen gleichermaßen vor. Sie
wurden vom Kriegskommissariat dem Kommissariat für innere Angelegenheiten
(NKVD) übergeben und in dessen Regie in Arbeitslagern des NKVD eingesetzt.
Das Mobilisierungsalter für Männer wurde stellenweise auf 15 Jahre gesenkt. Aus
unserer Gruppe von Befragten wurden 15jährige im Jahre 1942 in den Gebieten Novosibirsk, Omsk und in der Region Altaj und 1941 im Gebiet Tjumen’ eingezogen. In Kazachstan wurde 1942 ein 13jähriger Junge eingezogen und zur Verrichtung von Arbeiten im Kohlebergbau im Gebiet Moskau eingesetzt. Im Gebiet Novosibirsk wurde im
Jahre 1942 aber auch ein Mädchen im Alter von 14 Jahren zur Arbeitsarmee eingezogen. Der Einsatzort war im selben Gebiet.
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Tabelle 10: Verteilung der Arbeitsarmisten nach Gebieten der Einberufung
und des Arbeitseinsatzes
Gebiet/Region
Altaj
Akmolinsk
Archangel’sk
Baškirische ASSR
Čeljabinsk
Gor’kij
Karaganda
Kemerovo
Kirov
Kokčetav
Komi ASSR
Krasnojarsk
Kujbyšev
Kurgan
Kustanaj
Moskau
Nordkazachstan
Novosibirsk
Omsk
Orenburg
Ostkazachstan
Pavlodar
Penza
Perm’
Saratov
Semipalatinsk
Sverdlovsk
Tatarische ASSR
Tjumen’
Tomsk
Ul’janovsk
andere

Personen einberufen
28
3




3
3

6

13


1

1
19
17
3
2
2


2
1
1

9
3

9

im Arbeitseinsatz
3

2
3
8
9

14
3
1
3
8
6
1
1
1

7
1
5

2
1
9



21
4
2
3
6

Von der Mobilisierung waren, soweit bekannt, nur Frauen befreit, die Kleinkinder unter
drei Jahren zu versorgen hatten. Auf die anderen Kinder wurde bei der Einberufung
keine Rücksicht genommen. Die dadurch entstandenen unmenschlichen Begleitumstände kommen in den bei der Befragung zugeleiteten Beschreibungen zum Ausdruck: Ein
Mann, der vor der Deportation an der Wolga lebte, schreibt: „Ich wurde im August

46

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194123 mit Frau und drei Kindern mit dem Zug nach Krasnojarsk und dann mit dem
Schiff weiter nach Daursk gebracht. Die Frauen und Kinder wurden auf Siedlungen verteilt. Die Männer kamen in Arbeitslager, die Frauen und Kinder blieben zurück. Ich
wurde gleich verhaftet. Als meine zwei kleinen Kinder verhungert waren, wurde auch
die Frau in die Trudarmee genommen. Die älteste Tochter war fünf Jahre alt und mußte
bei der 73jährigen Oma bleiben. Meine Frau kam erst 1948 wieder von der Trudarmee
zurück.“
Eine weitere Zeitzeugin aus dem Wolgagebiet berichtete: „Meinen Mann hatten sie
ins Arbeitslager genommen und ich blieb allein mit drei Kindern in der Fremde. Nach
kurzer Zeit hat man mich verhaftet und, weil ich eine Deutsche war, zu sechs Jahren
Verbannung verurteilt. Meine drei Kinder sind allein geblieben und mußten verhungern.“
In Einzelfällen wurde den zurückgebliebenen Kindern materielle Hilfe gewährt. So
gibt eine im Dezember 1942 in der Region Altaj einberufene Frau an: „Meine Schwester mußte meine drei und ihre eigenen fünf Kinder aufziehen. Da gab der Kolchos meinen Kindern eine Kuh.“ Das sei alles gewesen, was man für das beschlagnahmte Eigentum bekommen habe.
Inwieweit die zunehmende Brutalität, von der bei der eigentlichen Deportation aus
den alten Siedlungsgebieten in diesem Ausmaß nicht berichtet wurde, mit dem für die
Sowjetunion ungünstig verlaufenden Kriegsgeschehen zu tun hatte und/oder ob dies behördlich angeordnet wurde, läßt sich aufgrund der bisher zugänglichen Unterlagen nicht
zweifelsfrei klären.

4.1. Der Einsatz in der Arbeitsarmee
Aus der Befragung ergibt sich über den Einsatz in der Arbeitsarmee folgendes Bild:
Im europäischen Teil der Sowjetunion kamen Arbeitsarmisten in die Baškirische und
in die Tatarische ASSR, in die Gebiete Archangel’sk. Gor’kij, Kujbyšev, Kirov,
Ul’janovsk und Perm’. Es handelte sich dabei um Kontingente, die jeweils aus einigen
Hundert bis zu wenigen Tausend Personen pro Lager bestanden.
In den Gebieten Sverdlovsk und Čeljabinsk wurde der Bau von Rüstungs- und metallurgischen Betrieben begonnen. Auf diesen Großbaustellen wurden Lagerkomplexe, zu

23 Das genaue Datum ist aus Gründen des Personenschutzes nicht wiedergegeben.

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47

denen jeweils über ein Dutzend Arbeitslager mit mehreren Tausend Personen pro Lager
gehörten, angelegt.
Im sibirischen Teil der Sowjetunion befanden sich die Einsatzorte der Befragten in
den Gebieten Tjumen’, Omsk, Novosibirsk, Kemerovo und in den Regionen Altaj und
Krasnojarsk.
Anhand der vorliegenden Angaben können der Zeitpunkt und das Gebiet der Rekrutierung, die Orte, an denen die Arbeitsarmisten ihren ersten Lageraufenthalt hatten, und
das Alter der zur Arbeitsarmee Einberufenen festgestellt werden.

4.1.1. Der europäische Teil der Sowjetunion
Im Gebiet Archangel’sk, in Kotlas, kamen Männer zum Einsatz, die im Januar 1942 in
der Region Altaj eingezogen wurden.
Männer und Frauen aus dem Gebiet Omsk und aus der Region Krasnojarsk wurden in
der Komi ASSR eingesetzt. Sie wurden im März und Dezember 1942 sowie Ende Dezember 1943 einberufen. Ihre ersten Einsatzorte waren Vodnaja, Vodnyj promysel,
Uchta und Vorkuta. In der Umgebung von Uchta waren es die Lager OLP 21, OLP l
und OLP 13 (OLP – Otdel’nyj Lagernyj Punkt, d.h. selbständige Lagerabteilung).
Ein kleines Kontingent der Befragten (3 Personen) kam in das Gebiet Kirov. Es wurde im Februar 1942 in der Region Krasnojarsk, im März und Dezember 1943 im Gebiet
Karaganda eingezogen. Die Arbeitsorte waren bei Beceva und Verchnekamsk.
Im Gebiet Perm’ kamen neun Personen zum Arbeitseinsatz. Sie wurden im Dezember
1941 (Omsk), Januar (Altaj und Semipalatinsk), März (Akmolinsk), November (Kemerovo, Omsk) und Dezember 1942 (Saratov), Januar (Kokčetav) und Dezember 1943
(Akmolinsk) einberufen. Die Arbeitslager befanden sich in Perm’, Krasnokamsk, Solikamsk, Ust’-Jastva, am Bergwerk Nr. 2 und in Gremjačinsk (Kohlengrube Nr. 76). Auf
die Baustelle eines Rüstungsbetriebs in Solikamsk kamen Anfang Februar 1942 12.000
deutsche Arbeitsarmisten,24 darunter einer der drei Befragten, die in Solikamsk im Einsatz waren. Die beiden anderen kamen erst später, und zwar im März 1942 und im Dezember 1943 hinzu.

24 F. Fröse: Aus dem Herzen gesprochen, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 42 vom 15.10.1986, S. 14.

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Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Tabelle 11: Räumliche Verlegung der Arbeitsarmisten während ihres Arbeitseinsatzes
nach Verwaltungsgebieten
Gebiet/Region/ASSR

Personen im Verwaltungsgebiet
erster Einsatzort letzter Einsatzort
Baškirische ASSR
3
2
Burjatische ASSR

1
Komi ASSR
4
4
Tatarische ASSR
6
2
Altaj
3
4
Chabarovsk

1
Krasnojarsk
8
5
Archangel’sk
2
1
Čeljabinsk
8
10
Gor’kij
9
7
Irkutsk

1
Kemerovo
14
10
Kirov
3
1
Kujbyšev
6
5
Kurgan
1
1
Moskau
1
1
Novosibirsk
7
6
Omsk
1
1
Orenburg
5
4
Penza
1

Perm’
9
10
Sverdlovsk
21
20
Tomsk

2
Tula

3
Tjumen’
2
4
Ul’janovsk
3
1
Dnepropetrovsk

2
Čimkent

1
Karaganda

3
Kokčetav
1
1
Kustanaj
1

Pavlodar
2

Tadžikische SSR

2
Kirgisische SSR
1
4
Die Differenz gegenüber den 124 zur Arbeitsarmee einberufenen Personen dieser Befragung resultiert aus unvollständigen Angaben.
Im Januar 1942 und im Dezember 1942 wurden Frauen in die Arbeitslager der Gruppe
„Unzlag“ im Gebiet Gor’kij gebracht. Es waren 30 Lager mit einem Verwaltungszentrum an der Bahnstation Suchobezvodnaja. Unsere Befragten waren in den Lagern Nr. l
(Gaiskij), Nr. 8, Nr. 20, Nr. 22 und Nr. 28 (Lapsanga) untergebracht. Eine der Frauen
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

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berichtet von l.800 weiblichen Gefangenen, die am 10. Januar 1943 im Lager Nr. 20
ankamen. Diese wurden in Brigaden von 30-45 Personen bei Forstarbeiten eingesetzt.
In die Tatarische ASSR kamen Männer und Frauen aus den Gebieten Omsk und Novosibirsk. Die Einberufungen erfolgten von Januar bis April 1942 und erneut im Januar
1943. Die Einsatzorte waren Kazan’, Lopatino, Fedorovka und Kirova. Die Bezeichnung des Lagers in Kazan’ wurde von einem Befragten mit „Siroklag NKVD“ angegeben.
Im Gebiet Ul’janovsk wurden drei Männer eingesetzt. Ihre Abeitsorte waren Kalinino, das Lager Nr. 168 und die Bauverwaltung Nr. 882 (SU-882). Die Arbeitsarmisten
der Bauverwaltung arbeiteten am Bau der Bahnlinie Ul’janovsk – Kazan’.
In der Baškirischen ASSR kamen junge Frauen ab dem Jahrgang 1924 zum Einsatz.
Sie wurden 1942 im Alter von höchstens 18 Jahren in den Regionen Altaj und Krasnojarsk sowie im Gebiet Omsk mobilisiert. Die ersten Einsatzorte in der Arbeitsarmee waren für sie Ufa, Sterlitamak und Oktjabr’sk.
Im Gebiet Kujbyšev wurde von den erfaßten Personen nur eine Frau im Alter von
über 19 Jahren eingesetzt. Die anderen wurden in den Gebieten Omsk, Novosibirsk,
Tomsk und Ostkazachstan in der Zeit von September bis Dezember 1942 mobilisiert.
Ihre Arbeitsorte waren Pochvistnevo, Bajterjakovo und Syzran’.
In den oben genannten Gebieten und autonomen Republiken gelangten jeweils Personen zum Arbeitseinsatz, die aus anderen, z.T. weit entfernten Gebieten herangeholt
wurden. Anders war es im Gebiet Orenburg. Von unseren Befragten wurden in der Stadt
Orsk Personen eingesetzt, die im November 1942 dort auch eingezogen wurden. Einen
Monat früher kam in Buguruslan ein in der Region Krasnojarsk mobilisierter Mann zum
Einsatz. Es deutet alles darauf hin, daß die im Gebiet Orenburg mobilisierten Deutschen
dort auch zum Arbeitseinsatz kamen.

4.1.2. Südural
Über den Arbeitseinsatz in den Gebieten Čeljabinsk und Sverdlovsk haben wir aufgrund
der Befragung und sowjetischer Presseberichte bedeutend mehr Informationen.
Das Gebiet Čeljabinsk erhielt Arbeitskräfte aus der Region Altaj und aus Kazachstan.
Die Einberufung von Männern und Frauen erfolgte im Oktober 1941, im Januar, April,
Oktober und Dezember 1942 sowie im Mai 1943. Die Einsatzorte waren die Kohlengrube Nr. 3 in Bredy, eine Kohlengrube in Kopejsk und Baustellen in Zlatoust und in
Čeljabinsk.

50

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

In der deutschsprachigen Presse der UdSSR wurde über das größte Arbeitslager des
NKVD im Gebiet Čeljabinsk, das Lager „Čeljabmetallurgstroj“, berichtet. Anfang Mai
1942 seien dorthin mehr als 50.000 deutsche Sowjetbürger gebracht worden. Zur Behandlung der Arbeitsarmisten heißt es: „Das Lager wurde mit einem doppelreihigen
Stacheldrahtzaun umschlossen, an den Ecken befanden sich Türme, wo die ganze Zeit
bewaffnete Wächter standen. Der Ausgang wurde ebenso von einem bewaffneten Bevollmächtigten bewacht. Das Lagerpersonal bestand hauptsächlich aus grausamen, ungerechten Menschen, die auf Kosten des Lebens anderer, der unschuldigen Opfer, Auszeichnungen und Beförderungen erhielten. Aber hinter dem Stacheldraht wurde eine besonders raffinierte Technologie der physischen Vernichtung angewandt. Man ließ die
Leute hungern, und wenn sie vor Schwäche nicht mehr gehen konnten, wurden sie als
‚Arbeitsverweigerer‘ erschossen. Solche Befehle wurden auf den Appellen mehrmals
pro Woche bekanntgegeben [...]. Die Zahl der Leichen wurde jeden Tag größer. Am
Anfang ließ man die Arbeitsarmisten die Gräber mit Spaten ausheben. Aber die Sterblichkeit nahm immer mehr zu, und die Lagerleitung war gezwungen, Bagger einzusetzen. Die Leichen wurden nackt in den Graben transportiert, nur an den Zehen wurden
Anhänger angebunden. Man hat sie wie Holz in den Graben geworfen und mit Erde überschüttet.“25
Ein anderer Überlebender des Lagers Čeljabinsk berichtete ebenfalls in der sowjetischen Presse: „Wir bauten in der Stadt Tscheljabinsk ein großes Hüttenwerk. Aber bald,
nach vier Monaten, verhaftete man mich. Eigentlich nicht nur mich allein, sondern noch
Tausende anderer unschuldiger deutscher Arbeiter und Bauern. Man beschuldigte uns
verschiedener unglaublicher Dummheiten: Ich, zum Beispiel, hätte mit meiner Brigade
von 40 schwachen Jungen die große Stadt Tscheljabinsk erobern und sie dann dem Faschistenführer schenken wollen. Ich weigerte mich, solch einen Blödsinn zu unterschreiben. Darauf mißhandelte man mich und drohte mir mit Erschießung. Aber auch da
habe ich nicht unterschrieben. Eines Tages erklärte mir der Untersuchungsrichter
Afrimson, daß mein alter Vater und meine Frau mit Brustkind (Säugling) ebenfalls verhaftet und nach Tscheljabinsk transportiert würden, wenn ich die Beschuldigung nicht
in zwei Tagen unterzeichne. Nach einigen Tagen mußte ich alles unterschreiben. Die
zwei Monate in den Folterkammern des NKVD hatten mich müde und schwach gemacht, aber ich hoffte noch, unsere Unschuld auf dem Gericht beweisen und auf die un-

25 Hubert Witlif: In Sibirien geblieben, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 4 vom 19.1.1989, S. 7.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

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gesetzliche Erpressung hinweisen zu können. Es fand aber gar kein Gericht statt [...].
Nach drei Monaten brachte man mir in die Gefängniskammer einen Zettel. Darauf
stand, daß ich schon zu zehn Jahren durch ein Ferngericht des NKVD verurteilt sei.
Zwei Wochen danach wurde ich in das Lager Iwdel abtransportiert.“26
Das größte Kontingent der von uns befragten Arbeitsarmisten kam im Gebiet Sverdlovsk zum Einsatz. In diesem Gebiet wurden während des Krieges mehrere Rüstungsund metallurgische Betriebe aufgebaut. Beschäftigt waren dort fast ausschließlich Männer. Frauen kamen, den Aussagen der Betroffenen zufolge, in Asanka und im Frauenlager Irbit zum Einsatz. Sie wurden im Gebiet Tjumen’ und in der Region Altaj (Dezember 1942) eingezogen.
Für das Lager Ivdel’ wurden in der Region Altaj in der zweiten Dezemberhälfte 1942
Männer bis zum Jahrgang 1923 rekrutiert. Über dieses Lager berichtete der in Kazachstan lebende deutsche Schriftsteller und Publizist Herold Belger: „Im Jahr 1942
wurden 15.000 deutsche Arbeitsarmisten nach Iwdel (Gebiet Swerdlowsk) zum Holzfällen gebracht [...]. Ein Jahr später waren sie nur noch drei Tausend an der Zahl.“27
Die größte Gruppe von Arbeitsarmisten kam auf den Baustellen des Bogoslovsker
Aluminiumkombinats (BAZstroj NKVD), auf anderen Baustellen dieses Komplexes
und der Stadt Krasnotur’insk zum Einsatz. Eduard Eurich, ein in Alma-Ata wohnender
Überlebender dieses Lagers, und Heinrich Sittner aus Saransk (Mordvinische ASSR),
berichteten in der Zeitung „Freundschaft“ über das Arbeitslager in Krasnotur’insk.
Auf diese Großbaustelle wurden Arbeitsarmisten in drei Gruppen gebracht. „Die aus
der Ukraine stammenden Deutschen kamen bereits im September 1941 nach der Einberufung durch das Militärkommissariat zum BASstroj. Als erste mußten sie die ganze
Bitternis der herabwürdigenden Lage eines Menschen im Lager als schuldlos Schuldige
auskosten [...]. Die zweite Partie von Deutschen kam im Januar 1942 aus Sibirien an.
Sie bauten Wohnungen, Straßen, ein Reparaturwerk, ein provisorisches Kraftwerk, eine
Wasserleitung und andere Versorgungsleitungen. Sie fällten Holz und waren beim Bau
des künftigen Alu-Werks mit dabei. Im März 1942 kam dann die dritte und größte Partie am BASstroj an. Ebenfalls aus Sibirien. Es waren aus dem Wolgagebiet ausgesiedelte Deutsche.“28

26 Alfons Klukas: Die schönen Äpfel schmecken bitter, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 13.1.1989,
S. 2.
27 H. Belger: Dieser Schmerz bleibt, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 22.10.1988, S. 2.
28 E. Eurich: Wenn man gut zurückdenkt, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 22.3.1988, S. 2.

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Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Zu diesem Zeitpunkt seien von den Angehörigen der ersten zwei Gruppen, insbesondere von der ersten, nur noch wenige im arbeitsfähigen Zustand gewesen.29
Für unsere Befragung standen neun Männer zur Verfügung, die in diesem Lager waren. Drei von ihnen wurden bereits im Herbst 1941 in den Gebieten Tjumen’ und Sverdlovsk mobilisiert. Die anderen sechs wurden im Januar und Februar 1942 in der Region
Krasnojarsk und in den Gebieten Omsk und Tjumen’ eingezogen. Sie gehörten zu der
von Eurich genannten zweiten und dritten Gruppe und lebten und arbeiteten dort unter
Bedingungen, die er so beschreibt:
„Wir fuhren durch Nižnij Tagil, Serov, und endlich kam die Station ‚Mednaja šachta‘
(Kupfermine) im nördlichen Ural. Hier hatten wir unter schwierigsten Bedingungen einen Industriegiganten für die Produktion von Tonerde und Aluminium und eine neue
Stadt Krasnotur’insk zu bauen. Auf der Station ‚Mednaja sachta‘ stand der Zug den
ganzen Tag. Erst nach Einbruch der Dunkelheit begann man mit dem Entladen. Nach
Verlassen des Zuges wurden wir von paramilitärischer Wache umstellt. Wir sahen zum
ersten Mal Arbeitsarmisten-Eisenbahner, die seit September 1941 auf dem Bau waren.
Sie waren dunklen Schatten ähnlich. Hier begann unser Weg, einige Kilometer Fußmarsch auf schneebedecktem Weg bis zum Ort unseres Lagers. Überall wo wir
vorbeigingen, waren viele Lichter zu sehen, welche die Lagerzonen des Lagers
„Bogoslovlag des NKVD“ markierten [...]. Uns kamen Schlitten entgegen, auf denen
verstorbene Arbeitsarmisten lagen [...]. Danach verloren die Bewachten kein Wort
mehr. Bald darauf hat die Kolonne ihren Bestimmungsort erreicht. Wir trauten unseren
Augen nicht: einige Baracken mit dreistöckigen Pritschen. Das alles war mit
Stacheldraht umzäunt. An jeder Ecke dieses Vierecks standen Wachtürme. Am Tor war
ein Postenhaus mit Wache. Am Morgen kam es zu unserer ersten Begegnung mit der
Lagerleitung. Vor unserer Front trat mit einer ‚programmatischen‘ Rede der Chef des l.
Selbständigen Lagerpunktes, Hauptmann des NKVD Paperman, auf. Der Sinn seiner
Ansprache war: Uns alle hätte man als Spione und Diversanten mit Maschinengewehren
erschießen sollen. Man habe uns aber human behandelt und die Möglichkeit gegeben,
durch ehrliche Arbeit unsere Schuld zu sühnen [...]. Unser Lager befand sich in 5 km
Entfernung von der Hauptbaustelle des zukünftigen Werkes. Diese Kilometer mußten
wir früh morgens und spät abends zu Fuß unter Bewachung trampeln. Für den Schlaf
blieb nur wenig Zeit. Was konnte das für ein Schlaf sein bei diesem Gedränge und
Dreck? Die Verpflegung war miserabel: 600 g Brot pro Kopf und Tag. Für warme
29 E. Sittner: Einige Bemerkungen zu den Aufzeichnungen von Eduard Eurich „Wenn man gut zurückdenkt“, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 15.7.1988, S. 2.

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miserabel: 600 g Brot pro Kopf und Tag. Für warme Mahlzeiten wurde nur verschwindend wenig Grütze und Pflanzenöl zugeteilt. Aber wir hofften, daß die Verpflegung entsprechend der Arbeitsleistung zugeteilt werde, wie die Lagerleitung es versprach [...].
Die Hälfte der Arbeitsarmisten fand hier ihr Grab auf einem Areal von mehreren Hektar
im 42. Quadrat. Nach Auflösung der Arbeitsarmee wurde die Erde mit Planierraupen
eingeebnet und zu Ackerland bestimmt.“30
Auch über Richard Haas aus Unterdorf, Kanton Erlenbach, ASSRdWD, einen Überlebenden der dritten Gruppe, liegt ein Zeitungsbericht vor. Darin wird berichtet, er und
sein Vater seien im März 1942 aus dem Gebiet Tjumen’ in die Arbeitsarmee einberufen
worden und in ein Lager auf der Baustelle des Bogoslovsker Aluminiumkombinats gekommen: „Taiga, hoher Himmel und ein dichter Zaun für viele Jahre. Zweite Kolonne,
14. Trupp, 28. Brigade. Das blieb für das ganze Leben im Gedächtnis haften. Kälte,
Hunger, Skorbut rafften Tausende jener weg, welche den Staudamm und die Fundamente für das Kraftwerk sowie Baracken errichteten. Das Baumaterial wurde fünf Kilometer
weit von der Bahn herangetragen. Unter Bewachung. Sie fielen und richteten sich wieder auf, wenn die Kräfte dazu reichten. Nach einigen Monaten gab es den Vater nicht
mehr – die Bedingungen waren unmenschlich. Mitten im Winter ging es los mit den
Särgen. Zu Tausenden. Richard hatte sie selbst gezimmert. Auch zugenagelt. Das Bestattungskommando sollte sie begraben. Die Kräfte reichten aber nicht, um den betonharten Boden aufzubrechen. Dann begann man die Särge aufzubrechen und zu verbrennen. Die Leichname wurden in Massengräbern beerdigt.“31
Wieviele Menschen insgesamt in den Lagerkomplex „Bogoslovlag“ kamen, ist bisher
nicht bekannt. In der Presse wurden jedoch die Abteilungen Nr. 14 und Nr. 15 genannt.
Danach dürfte es mindestens 15 Abteilungen gegeben haben.32 Im Sommer 1942 zählte
die 14. Abteilung rund 6.000 Menschen. Insgesamt dürften seit September 1941 mehrere zehntausend Menschen in diesem Lager zum Arbeitseinsatz gekommen sein. Ein
Großteil von ihnen fand dort den Tod.

30 E. Ajrich [Eurich]: S partijnym biletom za koljučej provolokoj, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 47 vom
16.11.1988, S. 6.
31 Evgenij Warkentin: Ljudi osoboj proby, in: Neues Leben, Nr. 50 vom 7.12.1988, S. 6.
32 B. Jakovlev nennt für 1953 die Zahl von neun Lagerabteilungen. Zu dieser Zeit waren die Aufbauarbeiten schon lange abgeschlossen und die Zahl der Beschäftigten stark reduziert. Arbeitsarmisten wurden, nach Eurich, im Herbst 1945 aus der Arbeitsarmee entlassen, mußten aber am selben Ort als Sondersiedler weiterleben und arbeiten. Siehe dazu: B. Jakovlev: Koncentracionnye lageri SSSR (Institut
po izučeniju istorii i kul’tury SSSR. Issledovanija i materialy. Serija l-ja, vyp. 23-J). München 1955,
S. 136.

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Weitere Lager des Gebietes Sverdlovsk befanden sich in Nižnij Tagil, Karpinsk,
Tavda-Turinsk und in Asanka. Die Mobilisierung dieser Personen erfolgte von Januar
bis März 1942 im Gebiet Tjumen’ und in der Region Krasnojarsk. Eine männliche Befragungsperson stammte aus Saratov.

4.1.3. Sibirien
Die sibirischen Verwaltungsgebiete und Regionen stellten den größten Teil der Mobilisierten, von denen die meisten in die Lager des Ural oder des europäischen Teils der
UdSSR kamen. In den Rekrutierungsgebieten blieben dagegen vergleichsweise wenige
Personen. So wurden im Gebiet Tjumen’ zwei Männer in der Gebietshauptstadt Tjumen’ eingesetzt. Sie wurden im Oktober 1942 im Gebiet Tjumen’ und im Juli 1943 im
Gebiet Omsk eingezogen.
Das Gebiet Omsk stellte unter den Befragten zwar 17 Arbeitsarmisten, im Gebiet
selbst wurde aber nur ein Mann davon in Novinka zum Einsatz herangezogen.
Im Gebiet Novosibirsk wurden aus unserer Untersuchung sieben Personen eingesetzt.
Ihre Einberufung in den Gebieten Novosibirsk, Kemerovo, Tomsk und in der Region
Altaj erfolgte im Mai, Juni, August und Dezember 1942 sowie im März 1943 und 1945.
Die Einsatzorte waren Novosibirsk, Krivoščekovo, Krivasok und Barabinsk.
Die Region Altaj stellte mit 23 Personen die zahlenmäßig stärkste Gruppe von Arbeitsarmisten. In der Region selbst kamen aber nur drei Männer zum Einsatz. Die Einberufungen erfolgten im Dezember 1941 und im April 1943, wobei es sich bei dem
1943 Einberufenen um einen jungen Mann handelte. Er war zu diesem Zeitpunkt höchstens 19 Jahre alt. Der Arbeitsort war die Stadt Barnaul.
Die Einberufungen für die Arbeiten in der Region Krasnojarsk erfolgten bereits Ende
Dezember 1941. Weitere Männer wurden im Januar und Februar 1942 mobilisiert. Im
Sommer 1942 kamen auch Frauen hinzu. Die letzte Einberufung zur Arbeitsarmee in
der Region Krasnojarsk datiert vom Oktober 1944. Rekrutierungsgebiete waren die Region Krasnojarsk und die Gebiete Kemerovo, Novosibirsk und Tomsk. Eine Frau kam
aus Saratov. In der Region Krasnojarsk gelangten die Arbeitsarmisten in Abakan, Rešoty, Aleksandrovka, Orositel’naja und Špal-zavod zum Einsatz. Letzteres war ein Betrieb
zur Herstellung von Eisenbahnschwellen.
In das Gebiet Kemerovo wurden 14 Befragte kommandiert. Sie wurden im November
1941, im Januar, Mai, August und Dezember 1942 und im Mai und Oktober 1943 vor
allem in der Region Altaj und im Gebiet Novosibirsk einberufen. Schwerpunktmäßig

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

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beschäftigte man sie im Kohlebergbau. Die Lager befanden sich bei Leninsk-Kuzneckij,
Prokop’evsk und Anžero-Sudžensk. In Anžero-Sudžensk gab es ein „Spezkontigent“.

4.1.4. Kazachstan
Ihren ersten Arbeitseinsatz in der Arbeitsarmee erhielten eine Frau und drei Männer unserer Interviewgruppe in Kazachstan mit seinen zahlreichen Bergwerken und Industriebaustellen. Auffallend ist dabei, daß keiner der Befragten in Lagern wie Aktjubinsk,
Karaganda, Džezkazgan war. Dafür kann es mehrere Gründe geben. So mögen die Rekrutierungsgebiete für diese Lager in Gebieten gelegen haben, in die Deutsche aus dem
Kaukasus, von der Krim, aus der östlichen Ukraine und anderen Gebieten des europäischen Teils der Sowjetunion deportiert wurden. Möglicherweise waren Wolgadeutsche
aus diesen Gebieten in der Befragung nicht vertreten, weil sie noch an dem Ort, an dem
sie als Arbeitsarmisten eingesetzt worden waren, lebten. Es ist bekannt, daß bis einschließlich 1986 in den Gebieten Aktjubinsk, Karaganda und Džezkazgan wie auch in
anderen Gebieten Kazachstans nur selten Ausreisegenehmigungen erteilt wurden. Seit
1988 sind auch aus diesen Gebieten Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland gekommen, doch diese waren in unserer Befragung nicht vertreten.
4.1.5. Die Umverlegungen zwischen Arbeitslagern und der Dauer des Aufenthalts
Der Einsatz der Arbeitsarmisten richtete sich nach dem Arbeitskräftebedarf der einzelnen Betriebe. Die Verlegung in andere Lager desselben Verwaltungsgebietes oder in
Lager anderer Gebiete bzw. Republiken kam dabei häufig vor. So waren nur 47,6% der
124 erfaßten Arbeitsarmisten ausschließlich an einem Ort im Einsatz, während 33,9%
an zwei Orten, 11,3% an drei Orten und 4,8% an fünf verschiedenen Orten gearbeitet
haben.
Aufgrund des wiederholten Ortswechsels ergab sich eine breite Streuung über das
Gebiet der Sowjetunion. Es kamen neue Arbeitsorte in den Gebieten Tula (Kohlebergbau), Čimkent, Karaganda, in der Kirgisischen und Tadžikischen sowie im wiederbefreiten Gebiet Dnepropetrovsk in der Ukraine hinzu.
Die Dauer des Einsatzes in der Arbeitsarmee war vom Fortgang der Arbeiten bzw.
deren Abschluß, vom Gesundheitszustand und Verhalten der Arbeitsarmisten sowie von
der Einstellung der Lagerverwaltung ihnen gegenüber abhängig.

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4.2. Die Lebensbedingungen in der Arbeitsarmee
Über den Alltag der deutschen Arbeitsarmisten liegt bislang keine systematische Untersuchung vor. Spätaussiedler erinnern sich immer wieder an die schweren Zeiten in den
Arbeitslagern, waren aber bis in die späten 80er Jahre aus Rücksicht auf Angehörige in
der Sowjetunion nicht bereit, darüber öffentlich zu berichten und ihren Namen zu nennen. Erst seitdem im Zuge der Politik der von Glasnost’ und Perestrojka die Verbrechen
der Stalin-Periode an den verschiedenen Nationalitäten und Schichten der sowjetischen
Bevölkerung öffentlich in den Massenmedien angeprangert wurden, gibt es auch Zeitungsberichte über den Alltag der deutschen Lagerinsassen.
Die Arbeitsarmisten befanden sich zwar in Arbeitslagern der Lagerhauptverwaltung
des NKVD (GULag), doch unterschied sich ihr Status von dem der anderen Sträflinge.
Sie wurden von den Kreiswehrersatzämtern für den Dienst in der Arbeitsarmee mobilisiert, jedoch nicht gerichtlich zum Freiheitsentzug verurteilt. Überdies wurden die Wolgadeutschen durch das Dekret vom 28. August 1941 mit dem Vorwurf der Kollaboration mit dem Feind inkriminiert. Dies wurde auch auf Deutsche aus anderen Siedlungsgebieten übertragen. Dieser Gesetzesakt ist tief in das Bewußtsein der übrigen Bevölkerung eingedrungen und prägt das Leben der deutschen Bevölkerung seit 1941 nachhaltig.
Ein Insasse des Lagers Čeljabinsk berichtete über das Leben im Lager im Winter
1942: „Um unsere Lebensbedingungen wurde wenig Sorge getragen, weil es sich ja um
das sogenannte Sonderkontingent handelte. Als solche wurden wir streng überwacht:
Ein jeder hatte seine laufende Nummer. Meine Kameraden und ich kamen ins Lager
Nr. 9; da gab es zwei große Erdhütten, vollgepfropft mit Menschen. Eines Tages kam zu
uns ein junger Militär, der NKVD-Mitarbeiter Genosse Timoschenko, und befahl, ihm
ein Wohnzimmer einzurichten und schnell einen Kerker zu bauen. ‚Ich muß doch arbeiten, erklärte er. Menschen müssen eingesetzt werden, denn unter dem Sonderkontingent
gibt es ja viele Schädlinge.‘ [...]. Doch am allerschwersten war der moralische und physische Druck, der hier im Gange war. Der Oberleiter des Bauvorhabens war Generalmajor Alexander Komarowski. Seine Unterstellten waren früher auf den Bauobjekten in
der Frontgegend tätig, jetzt wurden sie hier angestellt. Sie kannten kein Erbarmen und
Mitgefühl mit uns Deutschen. ‚Wir werden den Hitler vernichten‘, wurde uns gesagt.
‚Und das müßt ihr als Sonderkontingent auch verspüren. Generalmajor Komarowski
hatte das Recht, Todesstrafen zu verhängen. Dieses Recht nutzte er voll und ganz. Dafür
wurden zwei ‚Anschuldigungen‘ erdacht: Fluchtversuch und Simulation. Niemand floh,
denn es war zwecklos. Es ginge noch an, wenn physisch schwache Menschen als angebOsteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

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liche Simulanten überführt worden wären. Aber es wurden relativ Gesunde aus den
Gruben, wo sie arbeiteten, abgeführt. Wir mußten treu und energisch arbeiten, um uns
das bloße Leben zu erhalten.“33
Die Arbeitsarmisten wohnten häufig in Erdhütten. Erst nach ihrem Eintreffen im Lager wurden Baracken errichtet. Diese ersten Wochen und Monate kosteten besonders
vielen Menschen das Leben. Sie waren unzureichend mit Winterkleidung und Filzstiefeln versorgt. Bei einem täglichen Arbeitstag von 12 bis 14 Stunden und einem ständigen Lebensmittelmangel häuften sich Erkrankungen und Arbeitsunfälle. Immer öfter
sind Arbeitsarmisten an Erschöpfung und Hunger gestorben.
Im Lager Ivdel’ (Geb. Sverdlovsk) beispielweise sind binnen eines Jahres von 15.000
Arbeitsarmisten, die bei Forstarbeiten eingesetzt wurden, 12.000 ums Leben gekommen.34 Auf den Baustellen des Bogoslovsker Aluminiumkombinats waren von den im
September 1941 und im Januar 1942 Einberufenen bis März 1942 „nur noch wenige in
arbeitsfähigem Zustand“.35 Mehrere Tausend Männer waren nicht mehr am Leben. Die
Arbeitsunfähigen wurden aber noch bis März 1942 im Lager behalten. Erst auf Weisung
des Stellvertretenden Innenministers erfolgte im März die sog. „Massenaktierung“, d.h.
die Entlassung von Arbeitsuntauglichen wegen Invalidität.
Die unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln wurde in diesem Lager wie auch in
zahlreichen anderen nicht zuletzt dadurch verursacht, daß die Lagerleitung sich Lebensmittel der Arbeitsarmisten aneignete.36
Die Bildungsschicht und die Funktionäre der ASSRdWD wurden während des Krieges keineswegs geschont. Aus Zeitungsberichten und von Interviewpartnern ist bekannt,
daß Funktionäre der ASSRdWD während des Krieges in Arbeitslagern in den Gebieten
Kirov, Perm’, Sverdlovsk, Čeljabinsk und in der Region Krasnojarsk im Einsatz waren.
Über eines der Lager des Komplexes „Vjatlag“ im Gebiet Kirov berichtet O. Michassik:
„Unter ununterbrochener Bewachung war in dem Lager eine 2000 Mann starke Gruppe,
150 davon Kommunisten, eingesperrt. Um 6.00 Uhr wurden die Lagerinsassen geweckt,
wenige Minuten später gab es ein karges Frühstück, dann traten alle auf dem Appell-

33 Jakob Kämpf: ...mitgerechnet unseren Einsatz und Fleiß, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom
11.11.1988, S. 2.
34 B. Belger: Dieser Schmerz lebt, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 22.10.1988, S. 2.
35 B. Sittner: Einige Bemerkungen zu den Aufzeichnungen von Eduard Eurich „Wenn man gut zurückdenkt“, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 15.7.1998, S. 2.
36 B. Sittner: Einige Bemerkungen zu den Aufzeichnungen von Eduard Eurich „Wenn man gut zurückdenkt“, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 15.7.1998, S. 2.

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platz an, von wo es zur Arbeit ging. Zur Bewachung gehörte ein MPi-Schütze mit einem Wachhund. Die Arbeit bestand darin, in einem Sumpfgebiet Holz zu fällen. Im Lager gab es viele ehemalige Geistesarbeiter: Juristen, Ärzte und Lehrer. Für diese Menschen war die Arbeit im Lager ganz besonders schwer. Die Waggons kamen häufig in
der Nacht an, sie mußten unverzüglich beladen werden. Viele starben an Unterernährung. Aus der Baracke von Jakob Nuß37 wurden jede Nacht bis zu zehn Leichen abtransportiert. In dem Holzwagen schaffte man sie zu einer großen mit Wasser gefüllten
Grube: Das war die letzte Ruhestätte für diejenigen, die dem Lager nicht gewachsen
waren. Ein so grausames Schicksal hatten diese Menschen nicht verdient. Und es wäre
eine große Lüge, wollte man alles das einfach auf den Krieg schieben.“38
Die hohe Todesrate und der langsame Fortgang der Arbeiten waren zum großen Teil
darauf zurückzuführen, daß selbst auf Großbaustellen die meisten Arbeiten manuell verrichtet werden mußten. So benutzte man bei der Errichtung eines Dammes und der Anlage der Anschlußgleise für das Bogoslovsker Aluminiumwerk im Winter 1942 als
Werkzeuge Brecheisen, Spitzhacken, Spaten und Schubkarren. Bei mehreren zehntausend Arbeitsarmisten kamen nur einige Dutzend Lastkraftwagen zum Einsatz.
Unzureichende Arbeitsvorbereitung und oft wenig sinnvoller Einsatz von Arbeitskräften waren nicht nur auf Großbaustellen anzutreffen. So wurden Frauen von ihren
minderjährigen Kindern gewaltsam getrennt und zu Arbeiten in die Baškirische ASSR
gebracht. Ihre Aufgabe bestand darin, „aus dem Schnee irgendwelche Ausrüstungen
freizuschaufeln, die dann am nächsten Tag wieder zugeschüttet wurden“.39
Es gibt allerdings auch Beispiele, die belegen, daß die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Arbeitslagern dann weniger Opfer und Entbehrungen forderten, wenn die
Lagerleitung bereit war, die ohnehin eingeschränkten Rechte der Lagerinsassen zu beachten. So berichtete eine der Frauen über ihre Zeit in der Arbeitsarmee auf den Erdölfeldern bei Syzran’ im Gebiet Kujbyšev: „In Syzran’ war ein Spezkommandant40 Viktor
Ivanovič Litvinov, der sich dafür einsetzte, daß wir alles bekamen, was uns laut Lebensmittelkarten zustand, so daß bei uns keine von den Frauen vor Hunger und Elend
gestorben ist. Wir hatten scheinbar die besten Verhältnisse unter allen, die in die Ar-

37
38
39
40

J. Nuß war seit dem 13. Juni 1941 Direktor des Deutschen Staatstheaters der ASSRdWD in Engels.
O. Michassik: Trotz allem überlebt, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 46 vom 9.11.1988, S. 6-7.
O. Michassik: Trotz allem überlebt, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 46 vom 9.11.1988, S. 6-7.
Spezkommandant (Sonderkommandant) hießen Offiziere des Innenministeriums, deren Aufgabe die
Überwachung der Insassen von Sondersiedlungen war. Bier wird der Lagerkommandant als Spezkommandant bezeichnet.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

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beitsarmee kamen.“ Weiter berichtet sie über die Rechnungsführerin Erna Abramovna
Neufeld: „Sie hat mich vor dem Gefängnis bewahrt, indem sie uns auf die Liste derer
setzte, die weiter geschickt werden sollten. Wir kamen dadurch 1946 nach Jablonevyj
Ovrag. Dort trafen wir des öfteren im Vorbeigehen deutsche Kriegsgefangene und
konnten ihnen manchmal etwas zum Essen zustecken, auch wenn man selbst nichts übrig hatte.“
In den Lagern „BAZstroj“ (Gebiet Sverdlovsk) und „Kraslag“ (Lagerverwaltung
Krasnojarsk, Region Krasnojarsk) waren die dort als Arbeitsarmisten im Einsatz tätigen
Kommunisten und Funktionäre bemüht, für sich und die anderen Lagerinsassen eine
Statusänderung zu erreichen. Sie bestanden darauf, nicht mit dem Feind kollaboriert zu
haben und infolgedessen unschuldig zu sein. Sie versuchten, ihre Arbeit als Beitrag im
Kampf gegen das Deutsche Reich darzustellen. Auf den einzelnen Bauabschnitten gründeten sie Parteiorganisationen, doch war die Bereitschaft der Lagerleitung, darauf Rücksicht zu nehmen, sehr gering.
Im Lager „BAZstroj“ wurden die aus Arbeitsarmisten bestehenden Parteikomitees
von der Lagerleitung als Führungsorgane anerkannt. Auf deren Vorschläge zur Verbesserung der Versorgung und der Arbeitsbedingungen ging die Lagerverwaltung teilweise
ein. Dabei mag eine nicht geringe Rolle die Tatsache gespielt haben, daß die Parteikomitees nicht nur die Übererfüllung des Arbeitssolls anstrebten, sondern auch eine Spendenaktion initiierten, in deren Verlauf über 2 Mio. Rubel für den Bau von Panzern und
Flugzeugen gesammelt wurden. Dafür bekamen sie ein von Stalin gezeichnetes Dankestelegramm. Nach Kriegsende wurden nach Angaben von Eurich viele Arbeitsarmisten
dieses Lagers mit der Medaille „Für heldenhafte Arbeit im Großen Vaterländischen
Krieg 1941–45“ ausgezeichnet.41 Der Dank des Diktators änderte aber nichts am Status
der Arbeitsarmisten. Sie blieben auch nach Kriegsende bis zum Abschluß der Bauarbeiten hinter Stacheldraht, und ihre Parteiorganisation war ebenfalls eine Parteiorganisation hinter Stacheldraht.
Schlimm erging es den deutschen Kommunisten in den Arbeitslagern der Region
Krasnojarsk. Sie waren ebenfalls bemüht, hohe Arbeitsleistungen zu erbringen. Einer
der Insassen des „Kraslag“, Alexej Gauss, schreibt über das Ergebnis der Bemühungen:
„Dieser Arbeitselan irritierte die Lagerleitung, wollte sie doch um jeden Preis zu Verletzungen der Lagerordnung und Unruhen provozieren, damit die im berüchtigten Erlaß

41 E. Eurich: Wenn man gut zurückdenkt, in: Freundschaft, Alma-Ata, vom 22.3.1988, S. 2.

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Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

aus dem Jahre 1941 enthaltene Version, unter den Sowjetdeutschen gäbe es viele Spione und Diversanten, bestätigt werden konnte.“42
Eine Beschwerde der deutschen Kommunisten bei der Lagerhauptverwaltung des Innenministeriums führte zur weiteren Diskriminierung und Verfolgung. Sie wurden aufgefordert, ihre Parteimitgliedsbücher abzugeben. Als sie sich dieser Aufforderung widersetzten, wurden einige von ihnen in andere Lager überführt. In den Lagern des
„Kraslag“ gab es danach eine Reihe von Verhaftungen. Die Verhafteten wurden als
Mitglieder einer „konterrevolutionären aufrührerischen Organisation abgestempelt“.
Den Leitungen anderer Lager wurde daraufhin, so Gauss, „schleunigst nahegelegt, die
verlegten sowjetdeutschen Kommunisten festzunehmen. Somit wurde der Eindruck erweckt, illegale feindliche Organisationen bestünden nicht nur im Kraslag, sondern auch
in anderen Lagern. In der Folgezeit wurden fast alle Parteimitglieder aus dem Kraslag
hinter Schloß und Riegel gebracht. Aber da war gerade der Krieg zu Ende. Die Verhaftungswelle ebbte ab, doch die Sekretäre der Parteiorganisationen wurden gewarnt, daß
jeglicher Ungehorsam gegenüber den Untersuchungsrichtern sie das Leben kosten würde. Bei der Untersuchung wurden grausame Methoden angewandt, die Isoliereinrichtung des Kraslag war überfüllt, nur wenige kehrten daraus zurück.“43
Im Herbst 1945 wurden 13 ehemalige Partei- und Staatsfunktionäre der ASSRdWD
durch ein Dreier-Gericht (trojka) zu 10, 15 und 25 Jahren Freiheitsentzug verurteilt.
Es waren nicht zuletzt diese Erfahrungen in den Arbeitslagern, welche die heutige ältere Generation von Deutschen in der Sowjetunion seelisch gebrochen haben und von
jeglicher politischen Aktivität fernhalten.

42 A. Gauss: Wir blieben Kommunisten, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 5 vom 25.1.1989, S. 7.
43 A. Gauss: Wir blieben Kommunisten, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 5 vom 25.1.1989, S. 7.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

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4.3. Die Entlassung aus der Arbeitsarmee
Bei der Frage nach der Entlassung aus der Arbeitsarmee muß berücksichtigt werden,
daß es dafür keine einheitliche Regelung gegeben hat. Selbst im Falle von Invalidität infolge von Entkräftung oder von Arbeitsunfällen lag die Entscheidung über die Entlassung aus dem Arbeitslager im Ermessen des Lagerkommandanten, wie das Beispiel des
Lagers „Bogoslovlag“ belegt.
Von 124 Befragten der vorliegenden Untersuchung wurde ein Mann im Juni 1942 in
der Arbeitsarmee verhaftet, ein anderer 1944. Sie verließen die Arbeitsarmee als Strafgefangene. Sieben Personen haben als Grund für ihre Entlassung in den Jahren 1943
und 1944 Erkrankung oder Erschöpfung angegeben. Die 1945 aus der Arbeitsarmee
Entlassenen blieben am selben Ort als Sondersiedler. Insgesamt haben 24 Personen
(19,4%) unserer Gruppe die Arbeitsarmee bis Ende 1945 verlassen.
Mit der bedingungslosen Kapitulation des „Dritten Reiches“ war der Krieg an der
Arbeitsfront aber noch nicht beendet. So wurde den Insassen des Lagers „Bogoslovlag“
im Sommer 1945 bekanntgegeben, daß sie auch weiterhin im Lager bleiben müßten.
Erst am 12. April 1946 wurden sie aus der Arbeitsarmee entlassen. Mit ihrer Entlassung
erhielten die Betroffenen den Status von Sondersiedlern (specposelency). Sie wurden
damit den anderen Deutschen, die nicht in der Arbeitsarmee waren, gleichgestellt. Die
aus dem „Bogoslovlag“ Entlassenen durften ihre Familien zu sich holen und gegebenenfalls eine Arbeit vor Ort aufnehmen. Sie mußten sich wöchentlich beim Sonderkommandanten des NKVD (speckommendant) melden. Bei der Entlassung aus der Arbeitsarmee gab es auch eine andere Variante: Die Arbeitsarmisten durften das Lager
verlassen und zu ihren Angehörigen ziehen. Dort wurde ihnen ebenfalls der Status eines
Sondersiedlers zuerkannt. In ländlichen Gegenden Sibiriens und Kazachstans mußten
sich die Sondersiedler meistens monatlich beim Kommandanten melden.
In den ersten zwei Nachkriegsjahren wurden insgesamt nur 27,4% der Arbeitsarmisten entlassen. Das war für die Verbliebenen sicher enttäuschend. Noch enttäuschender war jedoch die seit 1948 weiter abnehmende Zahl von Entlassungen. Das kann nicht
allein auf einen hohen Arbeitskräftebedarf zurückgeführt werden, denn nach Kriegsende
wurden mehrere Millionen sowjetischer Kriegsgefangener aus Deutschland zurückgeführt. Diese wurden zum größten Teil zu 10 und mehr Jahren Lagerhaft verurteilt und
kamen ebenfalls in Arbeitslager des Innenministeriums. Darüber hinaus mußten Zivilisten, zum größten Teil Deutsche aus Rumänien, Ungarn, Jugoslawien und Deutschland,
Aufräum- und Aufbauarbeiten in den vom Krieg zerstörten westlichen Landesteilen der

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Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Sowjetunion leisten. Ein Großteil der deutschen Kriegsgefangenen befand sich ebenfalls
noch in den Lagern.
Tabelle 12: Früheste und späteste Entlassung aus der Arbeitsarmee nach Gebieten
Gebiet, Region, ASSR

Baškirische ASSR
Burjatische ASSR
Komi ASSR
Tatarische ASSR
Altaj
Chabarovsk
Krasnojarsk
Archangel’sk
Čeljabinsk
Gor’kij
Irkutsk
Kemerovo
Kirov
Kujbyšev
Moskau
Novosibirsk
Omsk
Orenburg
Perm’
Sverdlovsk
Tomsk
Tula
Tjumen’
Ul’janovsk
Dnepropetrovsk/Ukr. SSR
Čimkent/Kaz. SSR
Karaganda/Kaz. SSR
Kokčetav/Kaz. SSR
Leninabad/Tadž. SSR
Kirgisische SSR

letztes Lager für Personen
2
1
6
2
4
1
5
1
10
7
1
10
1
5
1
6
1
4
10
20
2
3
4
1
2
1
3
1
2
4

erste
Entlassung

letzte
Entlassung

03.03.48
09.12.50
06.43
22.01.47
45
56
20.09.46
10.10.43
44
01.43
15.02.47
10.44
12.44
06.43
15.09.46
03.44
46
19.09.53
25.07.43
28.06.42
10.56
06.46
11.43
54
29.09.49
10.56
06.08.46
46
47
10.45

10.05.53
--53
07.02.47
12.48
11.56
15.08.56
01.01.49

12.55
15.11.56
11.56
07.03.57
08.56
12.56
10.56
11.48
21.11.49
01.56

31.12.56

Trotz dieses mehrere Millionen zählenden Arbeitskräftepotentials wurden 1948 nur
7,3% und in den Jahren 1949–1955 weitere 16% der Arbeitsarmisten entlassen. Die
restlichen 23,5% wurden erst in den Jahren 1956 und 1957 entlassen. Diese Feststellung
bedarf einer besonderen Würdigung unter Berücksichtigung der damals geltenden sowjetischen Gesetzgebung.
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Am 26. November 1948, d.h. 3l/2 Jahre nach Kriegsende, wurde den Deutschen und
anderen während des Krieges wegen angeblicher Kollaboration mit dem Feind nach Osten deportierten ethnischen Gruppen die Rückkehr in ihre Siedlungsgebiete durch ein
Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR untersagt (siehe Anhang 3).
Die Verbannung sollte für immer sein. Das Verbot der Rückkehr galt primär für Sondersiedler. Die Insassen der Arbeitslager durften ihren Aufenthaltsort ohnehin nicht verlassen.
Über 10 Jahre nach Kriegsende fanden im September 1955 die ersten deutschsowjetischen Regierungsverhandlungen in Moskau statt. In diesen bilateralen Verhandlungen sollten die Kriegsfolgen überwunden werden. Die Gespräche haben auch innenpolitische Folgen in der Sowjetunion gehabt. Wenige Tage nach Abschluß der Verhandlungen wurden am 17. September 1955 rechtskräftig verurteilte Kollaborateure und Militärangehörige, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und in der UdSSR zu Lagerhaft verurteilt worden waren, begnadigt. Die nicht verurteilten Arbeitsarmisten mußten aber weiterhin in den Lagern bleiben.
Ein erster Schritt in Richtung einer Verbesserung der Lage der deutschen Bevölkerung in der UdSSR war das Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
vom 13. Dezember 1955 „Über die Aufhebung der Beschränkungen in der Rechtsstellung der Deutschen und ihrer Familienangehörigen, die sich in den Sondersiedlungen
befinden“ (siehe Anhang 4). Es sah die Entlassung der deportierten Zivilisten aus den
Sondersiedlungen vor. Erst nach Inkrafttreten dieses Dekrets wurden (sicher auf einer
anderen juristischen Grundlage) im Verlauf des Jahres 1956 27 Personen (21,7% der
Befragten ) und im Jahre 1957 die letzten 2 Personen (1,8% der Befragten ) aus der Arbeitsarmee entlassen.
Den Übergang aus dem Arbeitslager der Arbeitsarmee in die Sondersiedlung hat ein
Befragter, der Mitte Dezember 1949 im Gebiet Kemerovo entlassen wurde, wie folgt
beschrieben: „Wir wurden damals auf Anordnung des Innenministeriums (NKVD) ‚entlassen‘ und unter Bewachung in ein Sammellager nach Barnaul gebracht. Dann, obzwar
es Winter war und kalt – -30 bis -40 Grad C – in Viehwaggons verladen. Es waren auch
Frauen und Kinder dabei und keinerlei Verpflegung. Die Fahrt von Barnaul bis Slavgorod (etwa 500 km) unter strenger Bewachung dauerte über eine Woche lang. Dann dauerte es wieder einige Tage, bis der Spezkommandant uns abgeholt hat und an die Endstation, dorthin, wo meine Mutter und meine Geschwister waren, brachte. Der Ort wurde Bursol’prom genannt. Es war ein Salzwerk. 80% der Einwohner waren Deutsche.
Für uns war es auch ein Arbeitslager. Wir durften den Ort ohne Genehmigung des
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Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Spezkommandanten nicht verlassen und mußten uns alle 10 Tage beim Spezkommandanten melden. Die Arbeitsverhältnisse waren schlecht. Für uns gab es nur die Drecksarbeit. Bei - 40° C mußten wir arbeiten, egal wo. Die Kleidung war schlecht und der
Verdienst hat nur für die Grundnahrung so einigermaßen gereicht. Die Wohnverhältnisse waren auch sehr schlecht. Es gab nur ein Zimmer von 12 qm, und da mußten fünf
und mehr Menschen wohnen. Ab 1953 hat sich unsere Lage ein wenig verbessert.“
Bei der Entlassung aus den Arbeitslagern bekamen von den befragten Personen
34,7% Bescheinigungen über die Entlassung aus der Arbeitsarmee (siehe Anhang 10).
Wurden sie wegen Invalidität entlassen, so erhielten sie darüber einen handschriftlichen
Vermerk. Ausweise wurden 29,8% der Entlassenen ausgehändigt, während zwei Personen Aufenthaltsgenehmigungen (vid na žitel’stvo) erteilt wurden. Drei Personen bekamen Arbeitsbücher, und eine Person erhielt ein anderes Dokument (welcher Art wurde
nicht angegeben). Ohne Dokument wurden nach Angaben der Befragten 11 Personen
entlassen, und 22 Personen konnten dazu keine Angabe mehr machen. Die Entlassung
aus dem Arbeitslager mit der Auflage, am Ort zu bleiben, und dem Verbot, in die Heimatorte zurückzukehren, führte dazu, daß 24 entlassene Personen (19,3%) am Ort des
Arbeitslagers und weitere 11 (3,9%) an einem anderen Ort desselben Gebiets geblieben
sind.
Drei Befragte hatten ein anderes Schicksal. Sie kehrten von einem Urlaub bei der
Familie nicht mehr in das Lager zurück. Wegen der verzweifelten Lage, in der sich ihre
Familien befanden, versuchten sie mit Hilfe der Leiter der Landwirtschaftbetriebe, in
denen sich ihre Angehörigen befanden, eine Genehmigung zum Verbleib zu erhalten.
Das war ein riskantes Spiel, da sie im Lager als entlaufen galten. Dank der nachdrücklichen Fürsprache der Betriebsleiter durften zwei Personen bei ihren Familien bleiben.
Die dritte Person wurde zu 7 Jahren Lagerhaft verurteilt.

5. Die Entlassung aus der Sondersiedlung
Die Situation in den Sondersiedlungen unterschied sich nicht wesentlich von der in den
Arbeitslagern. Das betraf vor allem die Unterkunft, die Verpflegung und die Arbeitsbedingungen. Die unmittelbare Bedrohung des Lebens durch Willkürakte des Kommandanten bestand jedoch nicht.
Die Freizügigkeit war, wenn davon überhaupt gesprochen werden kann, etwas größer. Der wichtigste Unterschied bestand darin, daß die Restfamilien zusammenblieben.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

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Während ein Arbeitsarmist über seine knapp bemessene Lebensmittelration allein verfügen konnte, hatten die Sondersiedler ihre Kinder und Alten mitzuernähren.
Die Sondersiedler mußten sich in bestimmten Zeitabständen beim Kommandanten
melden. (siehe Anhang 2). Einige von ihnen besaßen Pässe, die eine Aufenthaltsgenehmigung für einen bestimmten Rayon (Landkreis) enthielten.44 Anderen war der Aufenthalt nur in einem bestimmten Dorf gestattet (siehe Anhang 11). Bekannt ist aber auch
eine Aufenthaltsgenehmigung, die für das Territorium der gesamten Region Altaj galt
(siehe Anhang 12).
Eine wesentliche Änderung trat erst nach der Unterzeichnung des Dekrets vom 13.
Dezember 1955 über die Aufhebung der Sondersiedlung ein (siehe Anhang 4). Das
Dekret enthielt allerdings zwei Verbote: Die Sondersiedler durften nicht in ihre Heimatorte zurückkehren und hatten kein Recht, das bei der Deportation beschlagnahmte
Eigentum zurückzufordern. Nach Berichten aus verschiedenen Gebieten mußten die
Sondersiedler vor ihrer Entlassung diese „Rechtslage“ schriftlich anerkennen.
Die Entlassung aus den Sondersiedlungen begann daraufhin im Gebiet Novosibirsk
im Dezember 1955 und setzte sich bis Oktober 1956 fort. Auch in der Region Altaj
wurden die ersten Entlassungen bereits im Dezember 1955, die letzten aber erst im Dezember 1956 vollzogen. Die meisten Entlassungen entfielen auf die Sommermonate des
Jahres 1956. Bei der Entlassung aus der Sondersiedlung wurden meist Ausweise ausgestellt.
Ein kleiner Teil der ehemaligen Sondersiedler gibt an, schon Anfang der 50er Jahre
oder aber erst in den 60er Jahren aus den Sondersiedlungen entlassen worden zu sein.
Diese Angaben sind neu und können weder durch zusätzliche Angaben, noch durch
Hinweise in der Literatur bestätigt werden. Die Informationen über den späten Zeitpunkt der Entlassung dürften mit dem Zeitpunkt des Wegzugs aus dem Ort der Sondersiedlung identisch sein. Diese Meinung wurde in Gesprächen mit den befragten Spätaussiedlern wiederholt vertreten.
Das Verbot, in die Heimatorte zurückzukehren und das beschlagnahmte Eigentum zurückzufordern, ist trotz der Dekrete über die Rehabilitierung vom 29. August 1964 und
vom 3. November 1972 noch immer in Kraft. Versuche, das beschlagnahmte Eigentum
wiederzuerhalten, wurden verschiedentlich abschlägig beschieden (siehe Anhang 13).
Rückkehrversuche in die Heimatorte wurden durch Versagen der Aufenthaltsgenehmi44 Karl Winter: Vmesto pasporta – spravka MGB, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 49 vom 30.11.1988,
S. 6.

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Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

gung (propiska) für den gewünschten Ort unterbunden. Ausnahmen gab es allerdings im
Falle der Gebiete Saratov und Volgograd (1925 bis 1961: Stalingrad). Wegen des akuten Arbeitskräftemangels in der Landwirtschaft konnte man sich als Arbeitskraft anwerben lassen. Die Volkszählungen von 1970 und 1979 weisen in diesen Gebieten etwa
25.000 bzw. 30.000 Deutsche aus. Ein Teil von ihnen hatte seinen Wohnsitz auf dem
Gebiet der ehemaligen Wolgarepublik. In den 80er Jahren scheint es ebenfalls einen
stärkeren Zuzug von Deutschen dorthin gegeben zu haben.

Zusammenfassung
Die Befragung von Aussiedlern hat sich als brauchbares Mittel zur Erschließung von
Daten und Fakten erwiesen, die schon bis zu 47 Jahre zurückliegen. Nicht jeder Befragte konnte alle Fragen beantworten. Das eine oder andere Datum ließ sich nicht mehr genau angeben; Ortsnamen gerieten in Vergessenheit. Die relativ hohe Anzahl von Informanten ermöglichte es jedoch trotz dieser Lücken, den zeitlichen und räumlichen Ablauf der Deportation der deutschen Bevölkerung aus der ASSR der Wolgadeutschen und
aus den benachbarten Gebieten sowie ihren weiteren Schicksalsweg systematisch zu untersuchen.
Die in der Literatur anzutreffenden Behauptungen, es habe auf dem Gebiet der
ASSRdWD Loyalitätsprüfungen der Bevölkerung durch die Sicherheitsorgane gegeben,
konnten durch die Befragung von 170 Wolgadeutschen, die 1941 in 90 verschiedenen
Orten der ASSRdWD wohnhaft waren, nicht bestätigt werden. Von aufgegriffenen Fallschirmspringern in deutschen Uniformen oder versteckten Hakenkreuzfähnchen konnte
niemand der Befragten aus eigener Anschauung oder Erfahrung bzw. aufgrund gesicherter Angaben von Gewährsleuten berichten. Auch war ihnen nichts über die Erschießung von wolgadeutschen Funktionären oder sogar der Bevölkerung ganzer Dörfer unmittelbar vor oder während der Deportation bekannt. Die führenden Funktionäre wurden nach ihren Angaben vielmehr mit der übrigen Bevölkerung deportiert und befanden
sich anschließend ebenfalls in Arbeitslagern der Arbeitsarmee.
Die Bevölkerung blieb ruhig und fügte sich in ihr Schicksal. Eine andere Möglichkeit
hatte sie wohl auch nicht. Der Abtransport aus den Wohnorten zur Bahn vollzog sich in
einer nicht mehr exakt zu rekonstruierenden Reihenfolge, die vermutlich vor allem von
den verfügbaren Transportkapazitäten abhängig war. Letzteres dürfte auch der Grund
dafür gewesen sein, daß die Deportierten unterschiedliche Mengen an Lebensmittelund Kleidervorräten mitnehmen konnten. Die Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude, das
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

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Vieh, die Gerätschaften und die Vorräte blieben zurück. Sie wurden von den örtlichen
Machtorganen übernommen, Empfangsbestätigungen für beschlagnahmtes Eigentum
wurden nur teilweise ausgestellt.
Die Deportation der deutschen Bevölkerung aus der ASSR der Wolgadeutschen begann, wie die Befragung zeigte, schon lange vor der Veröffentlichung des Deportationsdekrets vom 28. August 1941. Die deutsche Bevölkerung wurde vom 3. August bis
Oktober 1941 und nicht, wie verschiedentlich in Berichten behauptet, binnen 24 Stunden ausgesiedelt. Die Frist von 24 Stunden galt, allerdings auch nicht überall, für die
Vorbereitung zum Abtransport aus den Wohnorten zur Bahn. Die Hauptaufnahmegebiete waren in Sibirien die Regionen Altaj und Krasnojarsk und die Gebiete Novosibirsk,
Kemerovo, Omsk und Tjumen’. Kleinere Kontingente kamen in die nördlichen Gebiete
Kazachstans und in andere Landesteile.
Die Deportation aus den Gebieten Saratov und Stalingrad verlief zeitgleich mit der
Deportation aus der ASSRdWD. Die Deportation aus dem Gebiet Voronež erfolgte dagegen in der zweiten Oktoberhälfte 1941. Aus dem Gebiet Kujbyšev wurden die Deutschen im Dezember 1941 abtransportiert. Den Angaben der wenigen Befragten aus dem
Gebiet Orenburg zufolge konnte die Bevölkerung in ihren Wohnorten verbleiben. Es
gab nur Einberufungen zur Arbeitsarmee. Die Baškirische ASSR war in der Befragung
nicht vertreten.
Der Transport und die Verteilung in den Aufnahmegebieten waren schlecht vorbereitet. Infolgedessen kam es zu äußerst unterschiedlich langen Transportzeiten von bis zu
112 Tagen und der Trennung von Nachbarn und Verwandten.
Die Einberufung zur Arbeitsarmee durch die Kriegskommissariate erfolgte zwischen
November 1941 und März 1945. Erfaßt wurden davon 60,5% der Befragten. In der ersten Phase (November 1941 bis April 1942) wurden 44,4% aller Einberufungen vollzogen. Davon waren überwiegend Männer, aber auch männliche Jugendliche ab 13 Jahren
betroffen.
Eine zweite Mobilisierungswelle ist von Oktober bis Dezember 1942 auszumachen.
Diese traf 29% der befragten Arbeitsarmisten. Zwei Drittel der Mobilisierten dieser
Phase waren Frauen. Zurückgestellt wurden nur Frauen, die Kinder unter drei Jahren zu
versorgen hatten. Die Einberufung der restlichen Arbeitsarmisten erfolgte in kleineren
Gruppen.
Die Arbeitsarmisten wurden nach ihrer Mobilisierung in die Arbeitslager des Innenministeriums (GULag NKVD) gebracht. Diese befanden sich vielfach bei Großbaustellen der Rüstungs- und der metallurgischen Industrie. Als größte Arbeitslager sind die
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Lager „Čeljabmetallurgstroj“ mit mehr als 50.000 deutschen Insassen im Mai 1942 und
„Bogoslovlag“ mit 15 Abteilungen bekannt, deren größte – die 14. Abteilung – im Sommer 1942 rund 6.000 Menschen zählte.
Die bislang in der Literatur genannte Zahl von ca. 100.000 deutschen Arbeitsarmisten
muß nach Bekanntwerden der Anzahl von Lagern, in denen Deutsche arbeiteten, der
hohen Sterblichkeit in den Lagern und der hohen Einberufungsquote auf mindestens
300.000 bis 400.000 geschätzt werden. In diesen Zahlen sind die Deutschen aus der östlichen Ukraine und aus anderen Landesteilen mit eingeschlossen.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Arbeitslagern waren außerordentlich
schlecht. Völlig unzureichend war die Versorgung mit Lebensmitteln, Kleidern, Werkzeugen und Maschinen. Als „Spec-kontingent“ waren die deutschen Arbeitsarmisten der
Willkür der Lagerleitungen ausgesetzt.
Diese reichte vom Diebstahl von Lebensmitteln bei Arbeitsarmisten über Mißhandlungen bis hin zu grundlosen Haftstrafen und Erschießungen. Davon blieben auch die
deutschen Mitglieder der Kommunistischen Partei der Sowjetunion nicht verschont. In
einigen Lagern gab es jedoch auch Vorgesetzte, die bemüht waren, unnötige Härten,
auch zwecks Planerfüllung, zu vermeiden.
Die Familien der Arbeitsarmisten unterstanden seit ihrer Aussiedlung aus den Heimatorten bis Mitte der 50er Jahre der Aufsicht der Sonderkommandantur des NKVD.
Sie mußten sich in bestimmten Zeitabständen beim Sonderkommandanten melden. Das
unerlaubte Verlassen der Ansiedlungsorte wurde durch das Dekret vom 26. November
1948 mit Zwangsarbeit von bis zu 20 Jahren bedroht. Die Aussiedlung sollte für „ewige
Zeiten“ gelten.
Dieses Dekret hat nicht nur die Abwanderung aus den Ansiedlungs-, eigentlich Verbannungsorten, stark begrenzt, es wirkte sich auch auf die Migration der entlassenen
Arbeitsarmisten aus. Über 19% der von uns Befragten blieben nach der Entlassung am
Ort ihres letzten Arbeitslagers und weitere 9% an einem anderen Ort desselben Gebietes.
Die Entlassung aus der Arbeitsarmee erfolgte sehr schleppend. In den Kriegsjahren
konnten Invalidität und völlige Entkräftung ein Entlassungsgrund sein. In den ersten
zwei Nachkriegsjahren wurden 27,4% der Arbeitsarmisten, im Jahre 1943 7,3% und in
den Jahren 1949–1955 weitere 16% entlassen. Die restlichen 23,5% der Arbeitsarmisten
konnten erst in den Jahren 1956–1957 die Arbeitsarmee verlassen. Zu dieser Zeit waren
die letzten deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion nach Deutschland zurück-

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

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gekehrt. Erst danach wurden die ersten Maßnahmen zur Normalisierung der Lage der
deutschen Bevölkerung in der Sowjetunion ergriffen.
Mit der Entlassung aus den Arbeitslagern und aus den Sondersiedlungen ging in den
Jahren 1956 und 1957 der Zweite Weltkrieg auch für diesen Teil der Bevölkerung, die
ihn weder gewollt hat, noch ihn hätte verhindern können, zu Ende. Die Nachwirkungen
dieses Krieges spüren die noch in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion lebenden
Deutschen aber bis auf den heutigen Tag.

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Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 50/2003

Anhang 1a

Quelle: Tragedija sovetskich nemcev v dokumentach, in: Neues Leben,
Moskau, Nr. 33 vom 14. August 1991, S. 7.

Anhang 1b

Quelle: Eisfeld, A.: Die Rußlanddeutschen. München 1992 (=Studienbuchreihe
der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, Bd. 2.), S. 120.

Anhang 2a

Quelle: Tragedija sovetskich nemcev v dokumentach, in: Neues Leben,
Moskau, Nr. 33 vom 14. August 1991, S. 7.

Anhang 2b

Der Rat der Volkskommissare der UdSSR
Verordnung Nr. 35 vom 8. Januar 1945
Moskau, Kreml.
Über die Rechtsstellung der Sondersiedler
Der Rat der Volkskommissare der UdSSR beschließt:
Die Sondersiedler genießen alle Rechte der Bürger der UdSSR mit Ausnahme der in
diesem Beschluß vorgesehenen Einschränkungen.
Alle erwerbsfähigen Sondersiedler werden zur gesellschaftlich-nützlichen Arbeit verpflichtet.
Zu diesem Zweck organisieren die örtlichen Sowjets der Werktätigendeputierten in Abstimmung mit den Organen des NKVD die Einbeziehung der Sondersiedler in den Arbeitsprozeß in der Landwirtschaft, in den Industriebetrieben, auf Baustellen, in den Produktionsgenossenschaften und Behörden.
Für die Verletzung der Arbeitsdisziplin werden die Sondersiedler entsprechend den geltenden Gesetzen zur Verantwortung gezogen.
Die Sondersiedler haben nicht das Recht, den von der jeweiligen Kommandantur betreuten Ansiedlungsrayon ohne Genehmigung des Kommandanten der Sonderkommandantur des NKVD zu verlassen. Das eigenmächtige Verlassen des von der jeweiligen
Kommandantur betreuten Ansiedlungsrayons wird als Flucht gewertet und hat eine
strafrechtliche Verantwortlichkeit zur Folge.
Die Sondersiedler – Familienoberhäupter bzw. die sie vertretenden Personen – sind verpflichtet, der Sonderkommandantur des NKVD binnen dreitägiger Frist alle Veränderungen in der Zahl der Familienmitglieder (Geburt eines Kindes, Tod eines Familienmitglieds, Flucht usw.) zu melden.
Die Sondersiedler sind verpflichtet, das für sie festgelegte Regime und die öffentliche
Ordnung in den Ansiedlungsorten streng einzuhalten und sich allen Verordnungen der
Sonderkommandanturen des NKVD zu fügen.
Für den Verstoß gegen das Regime und die öffentliche Ordnung in den Ansiedlungsorten werden die Sondersiedler mit einer Ordnungsstrafe in Form einer Geldstrafe bis zu
100 Rubeln belegt oder zu einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Tagen verurteilt.
Der Stellvertretende Vorsitzende des Rates der Volkskommissare der UdSSR
(V. Molotov)
Der Geschäftsführer des Rates der Volkskommissare der UdSSR
(Ja. Cadaev)

Quelle: Eisfeld, A. / Herdt, V. (Hrsg.): Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee.
Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956. Köln 1996 (=Der Göttinger Arbeitskreis: Veröffentlichung Nr. 453), S. 264.

Anhang 3a

Quelle: Tragedija sovetskich nemcev v dokumentach, in: Neues Leben, Moskau, Nr. 33
vom 14. August 1991, S. 7.

Anhang 3b

Nicht zur Veröffentlichung
Nr. 133/12
Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
Über die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Personen, die während des Vaterländischen Krieges in ferne Regionen der UdSSR ausgesiedelt wurden, für die Flucht aus
den Pflicht- und ständigen Ansiedlungsorten.
Zwecks Festigung des Siedlungsregimes für die vom Obersten [Macht]Organ der
UdSSR während des Krieges zwangsausgesiedelten Čečenen, Karačaer, Ingušen, Balkaren, Kalmücken, Deutschen, Krimtataren u.a. sowie in Anbetracht der Tatsache, daß bei
ihrer Verschickung die Geltungsdauer ihrer Aussiedlung nicht bestimmt worden ist,
wird festgelegt, daß die o.g. Personen in diese fernen Regionen auf ewig ausgewiesen
sind, ihnen wird das Recht auf Rückkehr in die früheren Siedlungsorte aberkannt.
Für den eigenmächtigen Wegzug (die Flucht) aus den Orten ihrer Pflichtansiedlung sind
die Schuldigen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu ziehen. Als Strafzumessung
für dieses Verbrechen sind 20 Jahre Zwangsarbeit anzusetzen.
Die Strafsachen wegen Flucht der Umgesiedelten werden im Sonderkollegium des Innenministeriums der UdSSR verhandelt.
Personen, die sich der Verbergung der aus den Orten der Pflichtansiedlung Geflüchteten
schuldig gemacht haben, bzw. Personen, die ihnen die Flucht ermöglicht haben, wie
auch Personen, die sich dadurch schuldig gemacht haben, daß sie den Umgesiedelten
die Rückkehr in deren frühere Siedlungsorte genehmigt oder ihnen bei der Einrichtung
in den früheren Siedlungsorten geholfen haben, unterliegen einer strafrechtlichen Verfolgung. Diese Verbrechen sind mit fünf Jahren Freiheitsentzug zu bestrafen.
Der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
(N. Svernik)
Der Sekretär des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
(A. Gorkin)
Moskau, Kreml, 26. November 1948
d. Nr. 111/45

Quelle: Eisfeld, A. / Herdt, V. (Hrsg.): Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee.
Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956. Köln 1996 (=Der Göttinger Arbeitskreis: Veröffentlichung Nr. 453), S. 307-308.

Anhang 4a

Quelle: Istorija sovetskich nemcev v dokumentach (1763-1992 gg.). T. 1. Moskva,
1993, S. 177.

Anhang 4b
Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 13. Dezember 1955
,,Über die Aufhebung der Beschränkungen in der Rechtsstellung der Deutschen und ihrer Familienangehörigen, die sich in Sondersiedlung befinden“
In Anbetracht der Tatsache, daß die bestehenden Beschränkungen in der Rechtsstellung
der deutschen Sondersiedler und ihrer Familienangehörigen, die in verschiedene Rayons
des Landes verschickt worden sind, in Zukunft nicht weiter notwendig sind, beschließt
das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR:
1. Deutsche und ihre Familienangehörigen, die in der Zeit des Großen Vaterländischen
Krieges in eine Sondersiedlung verschickt worden sind, sind aus der Zugehörigkeit
zur Sondersiedlung zu entlassen und von der administrativen Kontrolle der Organe
des MWD zu befreien. Das gleiche gilt für deutsche Bürger der UdSSR, die nach
ihrer Repatriierung aus Deutschland in eine Sondersiedlung eingewiesen worden
sind.
2. Es wird festgestellt, daß die Aufhebung der durch die Sondersiedlung bedingten Beschränkungen für die Deutschen nicht die Rückgabe des Vermögens zur Folge hat,
das bei der Verschickung konfisziert worden war, ferner daß sie nicht das Recht haben, in die Gegenden zurückzukehren, aus denen sie verschickt worden sind.

Quelle: Osteuropa-Recht 4, 1958, S. 223.

Anhang 5a

Quelle: Privatsammlung A. Eisfeld.

Anhang 5b

Übersetzung:
Übernahmequittung Nr. ??
Auf Eigentum eines Kolchosbauers oder einer individuellen Bauernwirtschaft
vom 13. September 1941
Gebiet Saratov
Bezirk Balzer
Dorf oder Kolchos Guk [=Huck]
Nachname, Vorname und Vatersname des Umsiedlers [...] Filipovič [...]
Name des Guts

Menge Zustand

Preis, Rub

1 Holzhaus
1
alt/genutzt
2 Bretterküche
1
alt/genutzt
3 Pferdestall
1
alt/genutzt
(aus Stein und Ton)
5500
4 Holzpferdestall
1
alt/genutzt
5 Bretterschutzdach
1
alt/genutzt
6 Betten
2
alt/genutzt
25
7 Truhe
8 Kleiderschrank
1
alt/genutzt
80
9 Geschirrschränkchen 1
alt/genutzt
20
10 Stühle
2
alt/genutzt
10
11 Hocker
1
alt/genutzt
3
12 ?? aus Holz
1
alt/genutzt
20
13 Tische
3
alt/genutzt
30
14 Fäßchen
3
alt/genutzt
25
15 Kessel
9
alt/genutzt
20
16 Lade
1
alt/genutzt
25
Gesamt
5868
fünftausendsechshundert[sic!]achtundsechzig

}

Übergeben von gestrichen
Übernommen von ??

Anhang 6a

Quelle: Privatsammlung A. Eisfeld.

Anhang 6b

Protokoll vom 1. September 1941
Über die Übernahme des Eigentums des Umsiedlers Karlin Jakob Philippowitsch aus
der Siedlung Mokrous, Kanton Fedorowka, ASSRdWD, auf Grund des Dekrets des
Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. VIII. 41.
1 Haus aus Saman* mit Nebengebäude
Wert 2420 Rubel
Gesamtbetrag zweitausendvierhundertzwanzig Rubel. Übergeben vom Umsiedler: Ja.
Karlin
Mokrous: (zwei Unterschriften)
Siegel
* ungebrannte Lehmziegel

Quelle: Eisfeld, A.: Die Rußlanddeutschen. München 1992 (=Studienbuchreihe der
Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, Bd. 2), S.121.

Anhang 7a

Quelle: Privatsammlung A. Eisfeld.

Anhang 7b

Quittung über die Einzahlung von 2445 Rubel in den Fond für die Verteidigung der
Sowjetunion von Ja. Ph. Karlin vom 1. September 1941.
Quelle: Eisfeld, A.: Die Rußlanddeutschen. München 1992 (=Studienbuchreihe der
Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, Bd. 2), S.121.

Anhang 8a

Quelle: Privatbesitz A. Eisfeld.

Anhang 8b
Für das Familienoberhaupt ausfüllen
1. Name Horn
2. Vorname, Vatersname Josef, Wilhelm
3. Jahrgang 1896
4. Geburtsort Siedlung Jost, Kanton Kukkus, ASSRdWD
5. Volkszugehörigkeit Deutscher
6. Wohnanschrift (genau) Siedlung Jost, Kanton
Kukkus,ASSRdWD
7. Art der Beschäftigung Kolchosbauer
8. Grund Dekret der Regierung der UdSSR vom 28. August
1941

Alph.
Gebiet
–––––––––––––––
Rayon
–––––––––––––––
Dorf
–––––––––––––––
–––––––––––––––
Datum der Ankunft
–––––––––––––––
Karteikarte erstellt
(Unterschrift)
31. August 1941

Familienmitglieder
Name, Vorname, Vatersname
Horn Lydia, Wilhelm
Horn Pauline, Rudolf
Horn Alexander, Josef
Horn Pauline, Josef
Horn Wilhelm, Josef
Horn Irma, Josef
Horn David, Josef
Horn Heinrich, Heinrich
Zug Nr.883 12. 9. 41 Barnaul
Besondere Eintragungen: Sohn in der Roter
Armee

Geburtsjahr
1896
1921
1922
1924
1926
1930
1938
1939

Verwandtschaftsgrad
Ehefrau
Schwiegertochter
Sohn
Tochter
Tochter
Tochter
Sohn
Enkel

Quelle: Eisfeld, A.: Die Rußlanddeutschen. München 1992 (=Studienbuchreihe der
Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, Bd. 2), S. 122.

Anhang 9a

Quelle: Privatsammlung A. Eisfeld.

Anhang 9b

Geheim
P. P. Tschestnych.
Im Isolator werden 300 g Brot und Wassersuppe zugeteilt. Die Menschen werden
dermaßen schwach, daß sie nicht normal verhört werden können. Die
Verpflegungsnorm ist zu überprüfen und sehr hart zu bemessen, jedoch ohne daß
dadurch eine krankhafte Schwächung verursacht wird.
Bitte dieses sogleich zu tun.
A. Komarovskij

Quelle: Eisfeld, A.: Die Rußlanddeutschen. München 1992 (=Studienbuchreihe der
Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, Bd. 2), S. 127.

Anhang 10a

Quelle: Privatsammlung A. Eisfeld

Anhang 10b
Übersetzung:
Bescheinigung
Sondersiedlerin Kessler Emma Egorovna, Jahrgang 1923, geboren in Station Urbach, Marientaler Rayon, Gebiet Saratov, deutscher Nationalität, mobilisiert für die Arbeit in der Industrie
vom Rayonkriegskommissariat Kytmanovo, Region Altaj, vom 11. Januar 1943 bis 24. August 1946, befand sich in der Arbeitskolonne des Unžlag des MVD, wurde von dort wegen
Invalidität demobilisiert und zu ihrer Familie geschickt, welche auf der Station Ovčinnikovo,
Rayon Kytmanovo, Region Altaj, wohnhaft ist.
Die Sondersiedlerin ist verpflichtet, in die Abteilung der Sondersiedlungen der Verwaltung
des Ministeriums für innere Angelegenheiten der Region Altaj zur Registrierung für die Sondersiedlung zu kommen.
Für die Fahrt zum Wohnort wurden der Sondersiedlerin Geldmittel und Lebensmittel für 15
Tage ausgehändigt.
Stellvertretender Leiter der Verwaltung Unžlag MVD Oberstleutnant (Unterschrift) Abkin
Leiter des OVRZ Unžlag MVD Hauptmann (Unterschrift) Tarancov

Anhang 11a

Quelle: Neues Leben, Moskau, Nr. 49 vom 30. November 1988, S. 6.

Anhang 11b
Übersetzung:
UdSSR
Ministerium für Staatssicherheit
Verwaltung des MGB* der Region Krasnojarsk
Stadt-/Rayonabteilung des MGB B[ol’šaja] Murta
7. Oktober 1951
Nr. ...
Stadt Krasnojarsk
Bescheinigung
Vorliegende Bescheinigung wurde dem ausgesiedelten Winter Karl Petrovič, geb. im Jahr
1913, darüber ausgestellt, daß er ein Sondersiedler ist und nur im Bereich des Dorfes Tolovka,
Rayon B[ol’šaja] Murta, Region Krasnojarsk wohnen darf.
Foto.
Gültig bis 31. Dezember 1952.
Chef der Stadt-/Rayonabteilung des MGB B[ol’šaja] Murta.
Oberleutnant /Unterschrift/
*

MGB - Ministerium für Staatssicherheit

Anhang 12a

Quelle: Privatsammlung A. Eisfeld.

Anhang 12b
Übersetzung

Bescheinigung
(anstatt eines Passes)
Bürgerin Kessler Emma Egorovna, geboren 1923 in Station Urbach, Marientaler Rayon, Gebiet Saratov, befindet sich unter der Aufsicht der Sondersiedlung der Sonderkommandantur des MVD des Rayon Kytmanovskij, Region Altaj, und darf sich auf
dem Territorium der Region Altaj frei bewegen.

Foto.
Stempel der Kommandantur.
Gültig bis 15. Februar 1955.
Kommandant Oberleutnant (Unterschrift) Tevroškov.

Anhang 13a

Quelle: Privatsammlung A. Eisfeld.

Anhang 13b
Übersetzung:
Voronežer
Gebietssowjet der Deputierten der Werktätigen
Exekutivkomitee
31.8.1965
Nr. 3895
Voronež, V. I. Lenin-Platz, 1

An Bürger Zavadskij I. P.
Gebiet Kemerovo,
Stadt Leninsk-Kuzneckij
Tel’manstr., 20

Auf Ihren Brief hin teilen wir mit, daß nach der geltenden Gesetzeslage Häuser und anderes
Eigentum den in andere Gegenden des Landes Ausgesiedelten nicht zurückgegeben werden
können.
Sekretär des Exekutivkomitees des
Gebietssowjets der Deputierten der Werktätigen
(Unterschrift) M. Maljutin

Anhang 14
Umbenennung von Orten der ASSR der Wolgadeutschen
Ortsname 1941
Alt-Warendorf, Kant. Kukkus
Anton, Kant. Balzer
Balzer, Stadt
Bangert, Kant. Kukkus
Basel, Kant. Unterwalden
Beckersdorf, Kant. Marxstadt
Dinkel, Kant. Kukkus
Erlenbach, Kant. Erlenbach
Frank, Kant. Frank
Freidorf, Kant. Frank
Friedenfeld, Kant. Eckheim
Gnadenflur, Kant. Gnadenflur
Göbel, Kant. Dobrinka
Holstein, Kant. Dobrinka
Hölzel, Kant. Seelmann
Huck, Kant. Balzer
Hussenbach, Kant. Frank
Kauz, Kant. Frank
Kukkus, Kant. Kukkus
Maidorf, Kant. Mariental
Marienfeld, Kant. Erlenbach
Mariental, Kant. Mariental
Marxstadt, Stadt
Müller, Kant. Dobrinka
Neu-Dönhof, Kant. Frank
Neu-Kolonie, Kant. Seelmann
Neu-Mariental, Kant. Mariental
Schilling, Kant. Balzer
Schwed, Kant. Krasnojar
Stahl, Kant. Kukkus
Stephan, Kant. Dobrinka
Straßenfeld, Kant. Gnadenflur
Oberdorf, Kant. Erlenbach
Ostenfeld, Kant. Lysanderhöh
Preuß, Kant. Seelmann
Remmler, Kant. Unterwaiden
Rothammel, Kant. Frank
Zürich, Kant. Unterwaiden

Ortsname 1988
Prival’naja, Geb. Saratov
Sadovaja, Geb. Saratov
Krasnoarmejsk, Geb. Saratov
Uzmor’e, Geb. Saratov
Vasil’evka, Geb. Saratov
Beresovka, Geb. Saratov
Dalekovka, Geb. Saratov
erloschen; Restbevölkerung umgesiedelt
nach Kupcovo, Geb. Volgograd
Medvedica, Geb. Volgograd
erloschen
Komsomol’skoe, Geb. Saratov
Krasnomajskij, Geb. Saratov
Ust’-Grjaznucha, Geb. Volgograd
Kulalinka, Geb. Volgograd
Kočetnoe, Geb. Saratov
Splavnucha, Geb. Saratov
Linevo, Geb. Volgograd
Veršinka, Geb. Volgograd
Privolžskoe, Geb. Saratov
Lebedevo, Geb. Saratov
Novo-Nikolaevka, Geb. Volgograd
Sovetskoe, Geb. Saratov
Marks, Geb. Saratov
Kresty, Geb. Volgograd
Novinka, Geb. Volgograd
erloschen und überflutet
Lebedevo, Geb. Saratov
Sosnovka, Geb. Saratov
Leninskoe, Geb. Saratov
Privolžskoe, Geb. Saratov
Bueračnoe, Geb. Volgograd
Pervomajskoe, Geb. Saratov
Kupcovo, Geb. Volgograd
erloschen
erloschen
Michajlovka, Geb. Saratov
erloschen
Zorkino, Geb. Saratov
Item sets