Die Rolle der Vereinigten Staaten im Jugoslawien-Konflikt und der außenpolitische Handlungsspielraum der Bundesrepublik Deutschland (1990–1996)
Item
- Title
- Identifier
- Creator
- has publication year
- Is Part Of
- volume
- has URL
- extracted text
-
Die Rolle der Vereinigten Staaten im Jugoslawien-Konflikt und der außenpolitische Handlungsspielraum der Bundesrepublik Deutschland (1990–1996)
-
BV013123212
-
Witte, Eric A.
-
2000
-
Mitteilungen OEI
-
32
-
https://www.dokumente.ios-regensburg.de/publikationen/mitteilungen/mitt_32.pdf
-
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-63281-3
-
OSTEUROPA-INSTITUT MÜNCHEN
Mitteilungen
Nr. 32
März 2000
ERIC A. WITTE
Die Rolle der Vereinigten Staaten im
Jugoslawien-Konflikt und der außenpolitische
Handlungsspielraum der Bundesrepublik
Deutschland (1990–1996)
ISBN 3-921396-53-0
Scheinerstraße 11, D-81679 München, Tel. (089) 99839-610
Fax: (089) 9810110, E-Mail: Beyer-Thoma@lrz.uni-muenchen.de
Redaktion: Miriam Finkelstein
Herausgeber: Hermann Beyer-Thoma
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
2. Zurückhaltung Amerikas und Deutschlands gegenüber Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . 8
2.1. Rahmen der westlichen Jugoslawienpolitik vor dem Ende
des Ost-West-Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.2. Steigender Nationalismus in den Republiken Jugoslawiens . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.3. Westliche Reaktion: Primat der Einheit Jugoslawiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3. Anerkennungsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
3.1. Amerikanische Zurückhaltung und deutsche Handlungen
im Rahmen der EG, KSZE und WEU bis März 1992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
3.2. Kritik an der deutschen Anerkennungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
3.3. Die Lehren aus dem Anerkennungsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4. Führungsschwäche der USA und begrenzte Möglichkeiten
der deutschen Balkanpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
4.1. Inkonsequente Führung der Bush-Administration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
4.2. Fortführung der halbherzigen Politik unter Clinton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
4.2.1. Sechs-Punkte-Plan Clintons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
4.2.2. Lift and Strike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
4.2.3. Gemeinsamer Aktionsplan, begrenzte NATO-Luftangriffe
und Bosnien-Kontaktgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
4.2.4. Scheitern der westlichen Jugoslawienpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
4.3. Enge Grenzen deutscher Balkandiplomatie zwischen März 1992
und August 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
5. Rückkehr einer konsequenten amerikanischen Führungsrolle
auf dem Balkan und neue deutsche Einflußmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
5.1. Umdenken der Clinton-Administration und Durchsetzung
einer diplomatischen und militärischen Offensive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
5.2. Abkommen von Dayton und seine Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
5.3. Neue außenpolitische Möglichkeiten für die Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . 172
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
3
6. Schlußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
4
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
1. Einleitung
Als der Ost-West-Konflikt zu Ende ging, sah sich die unvorbereitete internationale Gemeinschaft mit der Auflösung Jugoslawiens und dem Ausbruch des Krieges auf dem Balkan
konfrontiert. Obwohl eine Herausforderung für alle beteiligten Staaten, stellte das erneute
Blutvergießen in Europa insbesondere die Außenpolitik des neu vereinigten Deutschlands
auf den Prüfstand.
Von der Gründung der Bundesrepublik bis zur Vereinigung 1990 und dem Inkrafttreten
des Vertrages über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland am 15. März 1991,
war die bundesdeutsche Außenpolitik im wesentlichen durch Ansätze zur Überwindung der
deutschen Teilung sowie durch den Status der Bundesrepublik als ein nicht voll souveräner
Staat geprägt. Diese Faktoren ergaben sich aus dem Zweiten Weltkrieg und mußten vor dem
Hintergrund des Ost-West-Konflikts berücksichtigt werden. Zusammen mit dem Wunsch
nach der Überwindung des geschichtlich begründeten Mißtrauens Deutschland gegenüber,
vor allem unter den europäischen Nachbarn, setzten jene Faktoren den Rahmen für die
Außenpolitik der Bundesrepublik. Für jeden Bundeskanzler lautete die Antwort auf diese
Probleme: Integration in die Institutionen der westlichen Staaten, vor allem in die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, später Europäische Gemeinschaft, EG, und schließlich
Europäische Union, EU) und den Nordatlantikpakt (NATO).
In den Jahren 1990/1991 wurde die deutsche Einheit hergestellt und die Bundesrepublik
Deutschland erlangte in diesem Zuge ihre volle Souveränität, erlitt jedoch gleichzeitig einen
Verlust an außenpolitischen Leitlinien. Was waren die neuen Chancen und Grenzen deutscher
Außenpolitik? Die Frage stellte sich noch vor dem endgültigen Zerfall Jugoslawiens. Die
Entstehung einer neuen Krise auf europäischem Boden verlieh der Debatte allerdings einen
festen Bezugspunkt und eine neue Dringlichkeit.1
Die Ungewißheit über die künftige Rolle der Vereinigten Staaten in Europa nach dem Ende
des Ost-West-Konflikts machte diese Diskussion noch komplizierter. Als immer mehr
Ostblockstaaten sich von dem Kommunismus befreiten und die Sowjetunion selber um das
Überleben kämpfte, verlor Europa in den Augen vieler Amerikaner an Bedeutung. Gleichzeitig
stieg in den USA das Bewußtsein für die Kosten einer Präsenz in Europa. Die jugoslawische
Staatskrise und anschließende Kämpfe trugen zu einer heftigen Debatte um die Interessen
Amerikas in Europa nach Beendigung des Kalten Krieges bei.
1 Obwohl der Golf-Krieg die gewohnten Annahmen der deutschen Außenpolitik schon herausgefordert
hatte, konnte dieser nicht die gleiche Brisanz in die Debatte bringen wie eine europäische Krise.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
5
Die Europäer zeigten sich zuversichtlich, die Herausforderung auf dem Balkan alleine lösen
zu können: „Dies ist die Stunde Europas. Es ist nicht die Stunde der Amerikaner.“ - so
äußerte sich der luxemburgische Außenminister Jacques Poos nach dem Ausbruch der Kämpfe
in Slowenien.2 Die Bush-Administration akzeptierte diese Gelegenheit, den Europäern die
Führung zu überlassen. Wenn diese mit ihren diplomatischen Bemühungen erfolgreich sein
sollten, so würde den USA die Einmischung in eine komplizierte, potentiell teure und
innenpolitisch unbeliebte Angelegenheit erspart bleiben. Sollten die Europäer nicht erfolgreich
sein, wie die Administration dies durchaus vermutete, hätte dies eine Lehre hinsichtlich der
Notwendigkeit einer amerikanischen Führungsrolle im transatlantischen Bündnis bedeutet.
Ohne das wesentliche Engagement der Vereinigten Staaten zum Beginn des Gewaltausbruchs in Jugoslawien stellte sich die Frage, wer die Führung übernehmen sollte. Einige sahen
darin eine Chance für Deutschland, aus seiner altbekannten außenpolitischen Rolle auszubrechen und neue Führungskraft zu zeigen. Der Politologe Christian Hacke zählt zu den
aktivsten Kritikern der Bonner Außenpolitik. Prinzipiell hält er diese für kompetent, sieht
sie durch mangelnden Willen und Führungsschwäche daran gehindert, eine bzw. die
Führungsrolle in Europa wahrzunehmen.3 Folglich konstatierte er angesichts der Jugoslawienkrise: „Man erkannte in Bonn, daß die USA keine aktive Rolle in diesem Konflikt spielen
wollten. Dadurch vergrößerte sich der eigene Handlungsspielraum.“4
Die Erfahrungen in der internationalen Jugoslawienpolitik zwischen 1990 und 1996 weisen
jedoch genau das Gegenteil auf. Bei mangelnder amerikanischer Führung blieb der Handlungsspielraum der Bundesrepublik eng begrenzt; bei der Wiederaufnahme einer ausgeprägten
amerikanischen Führungsrolle in der Jugoslawienpolitik gewann Deutschland an außenpolitischen Einflußmöglichkeiten. Diese Kongruenz soll in der vorliegenden Arbeit dargestellt
werden.
Diese These soll eine Untersuchung von vier verschiedenen Phasen amerikanischer
Jugoslawienpolitik und dem korrelierenden deutschen Handlungsspielraum bei jeder dieser
Phasen bestätigen. Dabei soll „Handlungsspielraum“ als Rahmen der dauerhaft tragbaren
Politik verstanden werden.
2 Poos zitiert in: RIDING European Leaders Seek Common Line on Crisis, in: The New York Times,
29.6.1991, S. 4.
3 Vgl.HACKE Weltmacht wider Willen, insbes. S. 493.
4 Vgl. HACKE Weltmacht wider Willen, S. 489; vgl. auch S. 502-503. Auch Hans-Peter Schwarz sah mit
dem Rückgang des amerikanischen Einflusses in Europa neue Möglichkeiten für die Außenpolitik der
Bundesrepublik als der „Zentralmacht Europas“. Vgl. SCHWARZ Die Zentralmacht Europas, insbes. S.
90.
6
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Die erste Phase dauerte bis zum Sommer 1991 und ist von der Zurückhaltung sowohl
Amerikas als auch Deutschlands gegenüber Jugoslawien gekennzeichnet; trotz des deutlichen
Anstiegs des Nationalismus in den jugoslawischen Republiken, der auf den kommenden
blutigen Zerfall hindeutete. Beide Staaten hielten am Ziel des Erhalts des jugoslawischen
Staats fest. In der zweiten Phase überließ die Bush-Administration die sich verschärfende
Krise eindeutig der Europäischen Gemeinschaft. Deutschland, zunehmend unter Druck, etwas
gegen die Kämpfe zu unternehmen, drängte auf eine völkerrechtliche Anerkennung Kroatiens
und Sloweniens durch die EG. In dieser Phase kamen einige Grenzen des deutschen
außenpolitischen Spielraums deutlich zum Vorschein. Die dritte Phase der amerikanischen
Jugoslawienpolitik überschnitt die Bush- und Clinton-Administrationen. Halbherzige
Maßnahmen für den innenpolitischen Konsum zeichnen sie aus. Deutschlands Jugoslawienpolitik zu dieser Zeit bewegte sich in engen Grenzen; nach dem Streit um die Anerkennung
Kroatiens und Sloweniens besaß Deutschland geringe politische Mittel für eine aktivere
Balkanpolitik – insbesondere weil sich die USA weiterhin zurückhielten. In der vierten und
letzten Phase der amerikanischen Jugoslawienpolitik nahmen die Vereinigten Staaten ihre
Führungsrolle in Europa wahr. Im Zusammenhang damit gewann Deutschland an Möglichkeiten der Einflußnahme in der Jugoslawienpolitik und bestimmte wichtige Entscheidungen
mit.
Das Maß des amerikanischem Engagements auf dem Balkan wirkte sich nicht immer
unmittelbar auf den deutschen Handlungsspielraum aus, sondern beeinflußte diesen oft
indirekt über andere europäische Staaten. Somit werden vor allem die übrigen Staaten der
EU und ihre Haltungen zu den Ereignissen in Südosteuropa und gegenüber Deutschland
betrachtet werden müssen, insoweit sie die amerikanische Jugoslawienpolitik beeinflußten
oder als Mittel für den amerikanischen Einfluß auf den deutschen Handlungsspielraum dienten.
Zahlreiche Bücher, Artikel aus politikwissenschaftlichen Zeitschriften, Zeitungsartikel und
Dokumente werden herangezogen, um diese These zu stützen. Obwohl die Bedeutung des
amerikanischen Engagements in Europa angesichts des Jugoslawien-Konflikts oft festgestellt
wurde,5 liegen noch keine Studien vor, welche die Auswirkungen dieses Engagements für
den deutschen außenpolitischen Handlungsspielraum gegenüber dem Zerfall Jugoslawiens
untersuchen.
5 U.a. bei ART Why Western Europe Needs the United States and NATO; PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA; SCHWARZ Die Zentralmacht Europas; EYAL Europe and Yugoslavia; CALIC Krieg und
Frieden in Bosnien-Hercegovina; CALIC Jugoslawien-Politik am Wendepunkt; CALIC Die Logik des
Zerfalls.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
7
2. Zurückhaltung Amerikas und Deutschlands gegenüber Jugoslawien
2.1. Rahmen der westlichen Jugoslawienpolitik vor dem Ende des Ost-West-Konflikts
Die Haltungen der USA und der Bundesrepublik gegenüber dem zerfallenden Jugoslawien
können nicht untersucht werden, ohne daß ihre Jugoslawienpolitik während des Ost-WestKonflikts angesprochen und verstanden wird. Für beide Länder erfolgte eine Anpassung ihrer
Jugoslawienpolitik an die neuen Verhältnisse langsam, was mitunter ihr Handeln bzw. NichtHandeln bei dem Ausbruch der Krise erklären kann.6
Anders als in den übrigen europäischen Ländern des „kommunistischen Lagers“ war der
Kommunismus in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) nicht von
der Sowjetunion aufoktroyiert. Die kommunistischen Partisanen unter Führung Josip Broz
Titos waren für den Sieg gegen die deutschen Truppen in Jugoslawien und das von Nazideutschland unterstützte Ustasche-Regime verantwortlich. Obwohl die Sowjetunion unter
Stalin eine wesentliche Verantwortung für die „Befreiung“ Jugoslawiens von den Faschisten
in Anspruch nahm, spielte die Rote Armee dabei kaum eine Rolle.7 Tito beharrte auf einem
eigenständigen Weg zum Sozialismus, unabhängig von Moskau. Der Ausschluß prosowjetischer Mitglieder aus dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ) im Sommer
1948 war Ausdruck dieser Bestrebung und ein weiterer Schritt zur Verschlechterung der
schon belasteten Beziehung zur Sowjetunion.8 Am 28. Juni 1948 gipfelte der Bruch zwischen
Tito und Stalin mit dem Ausschluß des BdKJ aus dem Kominform. Damit eröffnete sich eine
Chance für die Vereinigten Staaten und den Westen, die geostrategische Bedeutung
Jugoslawiens im Kalten Krieg zu nutzen.
Die Existenz eines nicht von der Sowjetunion kontrollierten Jugoslawiens war von großer
Bedeutung für den Schutz Italiens und Griechenlands. Darüber hinaus ermöglichte es die
geographische Isolierung Albaniens von dem übrigen sowjetisch beherrschten Ostblock.9 Mit
dem Balkan-Pakt zwischen Jugoslawien, Griechenland und der Türkei von 1953, der 1954
in eine militärische Allianz umwandelt wurde, „sah der Westen die Südostflanke seines
6 Vgl. in diesem Sinne VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 325-326.
7 Vgl. HACKER Der Ostblock, S. 284-285. Inwieweit Siege über die Achsenmächte in anderen Teile
Europas einen Rückzug der Nazis aus Jugoslawien erzwangen, ist umstritten. So behauptet Almond,
diese machten den Sieg von Titos Partisanen erst möglich. Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S.
154-155.
8 Vgl. KOVRIG The Myth of Liberation S. 90-91. Für eine detaillierte Schilderung des Bruchs zwischen
Tito und Stalin vgl. HACKER Der Ostblock, S. 392-402.
9 Vgl. REUTER Prioritäten der jugoslawischen Außenpolitik, S. 11; CAMPBELL Tito’s Seperate Road, S. 9
und 92; HACKER Der Ostblock, S. 409-411; PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 19-20.
8
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Verteidigungsbündnisses geschlossen.“10 Trotz der Annäherung zwischen Belgrad und
Moskau nach dem Tod Stalins, blieb Jugoslawien weiterhin von großer strategischer
Bedeutung für den Westen. Zwar nahm die Zusammenarbeit im Balkan-Pakt ab, aber Tito
hatte sich durchgesetzt; nach dem Tod Stalins wurde die Unabhängigkeit Jugoslawiens mit
seinem eigenen Weg zum Sozialismus von Moskau überwiegend akzeptiert.
Nicht nur durch die geographische Lage, sondern gerade auch wegen des Beschreitens
des eigenen unabhängigen Wegs war Jugoslawien für den Westen interessant. Während die
ursprüngliche Verfassung des Nachkrieg-Jugoslawiens maßgeblich am sowjetischen Vorbild
angelehnt war, ergaben mehrmalige Verfassungsänderungen bzw. -erneuerungen im Laufe
der Zeit erhebliche Abweichungen vom sowjetischen System.11 Die von Tito bevorzugte
„Arbeiterselbstverwaltung“ stellte einen Versuch dar, einen dritten Weg zwischen dem
zentralisierten Kommunismus nach sowjetischem Vorbild und freier Marktwirtschaft
einzuschlagen.12 Über die Wirtschaft hinaus reichten die Reformen bis in kulturelle und
politische Bereiche hinein.13 1967 schrieb John C. Campbell über Jugoslawien: „Internally
it is the Communist state which has introduced the most drastic modifications of the
totalitarian system through new institutions, recognition of the rights of the individual, and
tolerance of dissent.“14 Für den Zusammenhalt des Ostblocks wirkte dieser nationale, von
der Sowjetunion nicht kontrollierte Reformkommunismus: „zutiefst zerstörerisch“.15
Washington setzte auf den Vorbildcharakter Jugoslawiens für die Länder im sowjetischen
Machtbereich. So erklärte Außenminister Dulles in Juni 1956: „...Tito sets an example of
independence which is important to maintain in view of our efforts to bring about the
liberation of the satellite countries.“16 Die Unabhängigkeit Jugoslawiens aufrechtzuerhalten,
bedeutete für die USA und den Westen vor allem wirtschaftliche und militärische Unterstützung des Balkanstaats.
Nach dem Bruch mit der Sowjetunion 1948 litt Jugoslawien unter einem Lieferboykott
des Ostblocks, der schwere wirtschaftliche Folgen hatte.17 Trotz der Effektivität dieser
Maßnahme, gilt sie dennoch als konzeptioneller Fehler Stalins, da sich Jugoslawien dadurch
10
11
12
13
14
Vgl. HACKER Der Ostblock, S. 411.
Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 12.
Vgl. LENDVAI Jugoslawien ohne Jugoslawen, S. 573.
Vgl. SIMIC Bürgerkrieg in Jugoslawien, S. 37.
Vgl. CAMPBELL Tito’s Seperate Road, S. 161. Diese Aussage gilt für den Vergleich zu anderen
kommunistischen Ländern; die Achtung der Menschenrechte unter Tito hatte jedoch enge Grenzen.
15 Vgl. LENDVAI Jugoslawien ohne Jugoslawen, S. 573.
16 John Foster Dulles zitiert in KOVRIG The Myth of Liberation, S. 165-166.
17 Vgl. SCHÖNFELD Zur Westorientierung, S. 149.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
9
gezwungen sah, sich dem Westen zuzuwenden.18 So wurde das erste amerikanisch-jugoslawische Abkommen über eine Militärhilfe schon am 19. Juli 1948 abgeschlossen.19 Ebenso
wie umfangreiche Wirtschaftshilfen und Handelsabkommen, gewährleisteten diese die
fortexistierende Unabhängigkeit Jugoslawiens von der Sowjetunion.20 Obwohl das Bestehen
Titos auf der Blockfreiheit für westliche Regierungen zunehmend problematisch wurde,
spricht es für die außerordentliche Bedeutung Jugoslawiens, daß Wirtschafts- und Militärhilfen von ihnen weiterhin erbracht wurden.21 Durch die Anregung der Vereinigten Staaten
beteiligten sich auch andere Länder des Westens an diesen Maßnahmen. Schon ab 1950 nahm
die Bundesrepublik Deutschland an dieser Strategie Teil.22
Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Jugoslawien waren durchaus in den
Ost-West-Konflikt eingebettet.23 Dieser bildete den Rahmen für den Handlungsspielraum
der Bundesrepublik in ihrer Jugoslawienpolitik. Daß die USA ihre westlichen Verbündeten
zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit Jugoslawien bewegten, entsprach in erster Linie
strategischen Überlegungen. Diese waren aber ohne weiteres mit den wirtschaftlichen
Interessen der Bundesrepublik vereinbar.
Der Handel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien hatte 1950 einen
Gesamtwert von über 250 Millionen DM; bis 1968 stieg er auf über 1,9 Milliarden DM.24
Obwohl in den 60er Jahren das chronisch hohe Handelsdefizit Jugoslawiens für Spannungen
in der Beziehung sorgte,25 kam es noch zu einer Reihe bedeutender Abkommen zwischen
beiden Staaten hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Auch nach Titos Tod 1980
wurden die Handelsbeziehungen fortgesetzt. Die Bundesrepublik beteiligte sich ab 1970 an
der Wirtschaftshilfe und dem Handel mit Jugoslawien auch im Rahmen der EG.26
Wie bei allen anderen diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik, spielte die deutsche
Frage eine bedeutende Rolle auch in den Beziehungen zu Jugoslawien. Der Streit mit Stalin
18 Vgl. HACKER Der Ostblock, S. 410.
19 Vgl. HACKER Der Ostblock, S. 409, F.N. 224. Zum Verlauf der amerikanischen Militärhilfe an
Jugoslawien, vgl. GROßE-JÜTTE / JÜTTE Die außenpolitischen Beziehungen, S. 86-89.
20 Zu den Wirtschaftsabkommen, vgl. SCHÖNFELD Zur Westorientierung, S. 149-150 und GROßE-JÜTTE
/ JÜTTE Die außenpolitischen Beziehungen, S. 79-86.
21 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 19, KOVRIG The Myth of Liberation, S. 235-236,
243-244 und CAMPBELL Tito’s Seperate Road, S. 164-166.
22 Vgl. SCHÖNFELD Zur Westorientierung, S. 150.
23 Vgl. BREY Bonn und Belgrad, S. 633.
24 Vgl. RAMET Yugoslavia, S. 321.
25 Vgl. BREY Bonn und Belgrad, S. 637.
26 Zu den Abkommen zwischen der EG und Jugoslawien, vgl. STEINBERG The Role of European Institutions, S. 5-6.
10
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
bereitete den Weg für eine Kursänderung Jugoslawiens bezüglich des geteilten Deutschlands.27
1951 war Jugoslawien der erste kommunistische Staat, der die Bundesrepublik Deutschland
völkerrechtlich anerkannte.28 Kurz nach der Verbesserung der Beziehungen zur Sowjetunion
erkannte Tito 1957 allerdings die Oder-Neiße-Linie und anschließend die DDR an. Die neue
Einstellung wurde mit dem „Prinzip der Kooperierenden Unabhängigkeit“ Jugoslawiens in
Zusammenhang mit seiner Blockfreiheit begründet.29 Um die Hallstein-Grewe-Doktrin
aufrechtzuerhalten, brach die Bundesrepublik daraufhin ihre Beziehungen zu Jugoslawien
am 18. Oktober 1957 ab.30 Der Staatsbesuch Titos in der DDR 1965 sorgte für weitere
Spannungen, die vorher durch die Ablösung Adenauers durch Ludwig Erhard gemildert
worden waren.31 Erst die Ostpolitik des Bundeskanzler Kiesinger und der Wegfall der
Hallstein-Grewe-Doktrin erlaubten schließlich 1968 die Wiederaufnahme diplomatischer
Beziehungen zu Jugoslawien.32 Es gilt festzuhalten, daß sich die wirtschaftlichen und
konsularischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern auch in der Zeit zwischen 1957
und 1968 fortentwickelten.33 Diese einzustellen wäre nicht im Sinne westlicher Strategie
gewesen und damit außerhalb des Handlungsspielraums der Bundesrepublik gelegen.
Auch andere Streitfragen zwischen Bonn und Belgrad wurden geklärt, ohne daß sie die
starke Wirtschaftsbeziehung nachträglich beeinträchtigen konnten. So etwa die Gespräche
über die Entlassung deutscher Kriegsgefangene, die langjährigen Verhandlungen über eine
Kriegsentschädigung oder die Verstimmungen wegen des Aufenthaltes antijugoslawischer
kroatischer Extremisten in der Bundesrepublik vermochten nicht das beidseitige Interesse
an einer westdeutschen Unterstützung der jugoslawischen Wirtschaft zu überschatten.34
Vielmehr fand dieses Interesse Ausdruck in weiteren Aspekten der Beziehung. So stellte der
vertraglich geregelte Aufenthalt von über einer halben Million jugoslawischen Gastarbeitern
in der Bundesrepublik eine wichtige Quelle westlicher Devisen für Belgrad dar. Auch der
rege deutsche Tourismus an der Adriaküste erlangte zunehmende Bedeutung für die
wirtschaftliche Stabilität Jugoslawiens.35
27
28
29
30
31
32
33
34
35
Vgl. BREY Bonn und Belgrad, S. 633.
Vgl. BREY Bonn und Belgrad, S. 634 und RAMET Yugoslavia, S. 318.
Vgl. BREY Bonn und Belgrad, S. 635 und RAMET Yugoslavia, S. 319.
Der damalige westdeutsche Botschafter in Belgrad, Karl-Georg Pfleiderer, sprach sich gegen den
Abbruch diplomatischer Beziehungen aus. Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 927.
Vgl. RAMET Yugoslavia, S. 320.
Vgl. RAMET Yugoslavia, S. 321 und BREY Bonn und Belgrad, S. 639-640.
Vgl. RAMET Yugoslavia, S. 319 und BREY Bonn und Belgrad, S. 635-636.
Vgl. BREY Bonn und Belgrad, S. 633, 635-638, 641, 643 und RAMET Yugoslavia, S. 318-321.
Bis 1983 lag der Anteil deutscher Touristen in Jugoslawien bei über 40%. Vgl. RAMET Yugoslavia, S.
324.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
11
Mitte der achtziger Jahre wurden die Grundprämissen westlicher Strategie gegenüber
Jugoslawien jedoch zunehmend in Frage gestellt:
„Wie sich inzwischen [...] gezeigt hat, hing die Existenz Jugoslawiens und sein relativ großes
Prestige in den internationalen Beziehungen von einem möglichst hohen Niveau der Ost-WestSpannung ab, wenngleich die politischen Führer der SFRJ nicht müde wurden, sich für eine
umfassende und dauerhafte Entspannung zu engagieren.“36
Als sich das Ende des Ost-West-Konflikts abzeichnete, verlor Jugoslawien für den Westen
tatsächlich immer mehr an Bedeutung.37 Die Sowjetunion stellte eine immer geringere Gefahr
dar. Bezüglich der Reformen wurde Jugoslawien von anderen kommunistischen Ländern
Europas überholt und verlor damit die Vorbildsfunktion. Zu jener Zeit, als sich die Aufmerksamkeit des Westens von Jugoslawien abwandte, drohten zunehmend die zentrifugalen Kräfte
des Nationalismus, Jugoslawien zu zerstören.
2.2. Steigender Nationalismus in den Republiken Jugoslawiens
Der (vor allem serbische) Nationalismus, der 1990/1991 Jugoslawien endgültig auseinanderriß, war ebensowenig ein Produkt der Beilegung des Ost-West-Konflikts, wie auch nicht
das Ergebnis von Titos Tod 1980. Amerika, Deutschland und die übrigen westlichen Länder
waren nicht auf diese Krise vorbereitet, obwohl es eine Reihe an Frühwarnungen gab.38 Die
Fehldeutung dieser Signale (sofern sie beachtet wurden) ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Der wichtigste Grund dürfte die weitverbreitete Verwirrung über die Wurzeln der
ethnischen Konflikte in Jugoslawien sein. Das im Westen herrschende fundamentale
Mißverständnis dieser Problematik war für die verspätete und milde Reaktion auf die
Jugoslawienkrise maßgeblich verantwortlich.
Wo der Anfang der Konflikte zwischen den Völkern Jugoslawiens anzusetzen ist, ist
umstritten. Während ein Zweig der Wissenschaft die Wurzeln bis in das frühe Mittelalter
zurückverfolgt,39 wird dieser Ansatz von einer anderen Richtung abgelehnt, die den Anfang
36
37
38
39
Vgl. BEBLER Jugoslawiens Zukunftsperspektiven, S. 1.
Vgl. REUTER Prioritäten der jugoslawischen Außenpolitik, S. 11.
Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 296-312.
Für Beispiele dieses Ansatzes, vgl. MIEDLIG Gründe und Hintergründe, v.a. S. 123-130, sowie ARDAY
Der historische Hintergrund, v.a. S. 254-257.
12
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
frühestens im 19. Jahrhundert sieht.40 Die erste Gruppe verweist auf die unterschiedliche
historische Entwicklung der westkirchlichen Kroaten und Slowenen von den orthodoxen,
östlichen Serben und den muslimischen Bosniern. Diese unterschiedliche Entwicklung finde
Ausdruck in verschiedenen „Mentalitäten“ der Völker, die heute noch zum Konflikt
beitragen.41 Die zweite Gruppe stimmt dieser Behauptung nicht in vollem Umfang zu: „An
dieser These ist so viel richtig, daß die Gründung des ersten jugoslawischen Staates nicht
nur unterschiedlichste ethnische Gruppierungen, sondern auch jahrhundertelang voneinander
getrennte Kulturräume zusammenführte.“42 Gerade weil die verschiedenen Kulturen nie völlig
isoliert voneinander lebten und multiethnische Übergangszonen existierten sowie weil die
Kulturen, Religionen und Zivilisationen der Region ständigen Wandlungsprozessen unterlagen: „lassen sich die nationalistischen Konflikte der Gegenwart nicht deterministisch aus der
Vergangenheit herleiten.“43 Obwohl der Prozeß der Nationenbildung bei den südslawischen
Völkern erst im 19. Jahrhundert anfing,44 instrumentalisieren heute hauptsächlich serbische
Nationalisten auch die frühere Geschichte Balkans, um vermeintliche Gegensätze zwischen
den Völkern in reale Gegensätze umzuwandeln, die für ihr Verbleib an der Macht notwendig
sind.
Mit dem vollen Ausbruch der Jugoslawien-Krise fand diese Instrumentalisierung der
früheren Geschichte breite Akzeptanz in den westlichen Medien und unter manchen westlichen
Politikern. Die Behauptung, daß die Lage auf dem Balkan auf ein über Jahrhunderte
überlieferten ethnischen Haß zurückzuführen sei, gegen den jede Hilfe von außen hoffnungslos
wäre, wurde manchmal aus Ignoranz getroffen, allzu oft war es aber(auch in den USA und
Deutschland) eine Ausrede für die eigene Untätigkeit.45 Da es den nationalistischen Führern
gelungen ist, der älteren Geschichte Bedeutung für den heutigen Konflikt zu verleihen, soll
das wichtigste Beispiel dafür, nämlich der serbische Kosovo-Mythos aus dem 14. Jahrhundert,
kurz dargestellt werden. Serbische Führer setzten diesen Mythos erfolgreich ein, um den
serbischen Nationalismus anzustacheln und um eventuelle westliche Interventionen abzuschrecken.
40 Vertreter dieser Richtung sind Marie-Janine Calic (vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 20-30) und Sabrina Petra Ramet (vgl. RAMET War in the Balkans, S. 80-81).
41 Vgl. MIEDLIG Gründe und Hintergründe, S. 122-130.
42 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 20.
43 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 21.
44 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 23.
45 Vgl. RAMET War in the Balkans, S. 80-81; Ramet deutet darauf hin, daß Kroaten und Serben bis ins 20.
Jahrhundert friedlich zusammenlebten. 1848/49 kämpften sie sogar als Verbündete zusammen mit dem
Habsburger Reich, um die Wiener Revolution und die Aufstände in Ungarn zu besiegen. Vgl. dazu
ARDAY Der historische Hintergrund, S. 256.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
13
Der Mythos geht zurück auf eine Schlacht am 28. Juni 1389 auf dem Amselfeld (Kosovo
Polje), bei der das Heer des serbischen Fürsten Lazar vom osmanischen Heer unter Sultan
Murad besiegt wurde.46 Ob diese Schlacht für den Untergang des serbischen Feudalstaates
und für die Eroberung des Balkans durch die Osmanen entscheidend war, ist unter Historikern
zwar umstritten, nicht jedoch in der Nationalmythologie. Die moderne Umdeutung der
Geschichte läßt außer acht, daß neben Serben auch Albaner und Angehörige anderer
Nationalitäten auf der Seite Lazars kämpften: „Long before the policy of forcible depopulation
was introduced into Yugoslavia, the history of the Battle of Kosovo was, ethnically
cleansed’“47 Die Gefangenschaft und die Hinrichtung des Fürsten Lazar nach der Schlacht
wird im Mythos überspitzt; das serbische Volk und sein Fürst werden zu Märtyrern stilisiert
und in das Himmelreich erhoben: „Ins Politische gewendet, besagt dieses Ideologem, daß
dem Opfertod von Lazars Gefolgschaft und dem Untergang des Serbenreiches eine Auferstehung folgen werde.“48 Noch wichtiger für die nationalistische Deutung des Mythos ist
die Geschichte von Milos Obilic, dem Schwiegersohn Lazars, der sich unter dem Vorwand
des Verrats an seinem Heer vor den türkischen Sultan führen ließ und diesen erstach.
Daraufhin wurde er getötet. Dieser von den modernen Nationalisten hervorgehobene Aspekt
des Kosovo-Mythos feiert nicht nur Mut, sondern auch den politischen Mord.49
Jahrhunderte nach der Schlacht auf dem Amselfeld galt die orthodoxe Kirche Serbiens als
Trägerin des Kosovo-Mythos.50 Es waren jedoch serbische Nationalisten im 19. Jahrhundert,
die dem Mythos seine politische Bedeutung verliehen. Zu dieser Zeit der „nationalen
Erweckung“ deuteten sie religiöse Kategorien „schrittweise in ethnisch-nationale Kategorien“
um.51 Rassismus gegen alles nicht serbische (aber besonders gegen alles türkische, islamische
oder albanische), die Verwischung zwischen Heldentum und Verbrechen sowie zwischen
Täter und Opfer sorgten für das Gefahrpotential der nationalistischen-politischen Instrumentalisierung des Kosovo-Mythos.52 Obwohl die albanischen Muslime seit dem Ende des 17.
Jahrhunderts die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Kosovos bilden (heute um die
46 Vgl. LAUER Das Wüten der Mythen, S. 139-142 und ALMOND Europe’s Backyard War, S. 190-191.
47 Vgl. Almond Europe’s Backyard War, S. 190; vgl. im gleichen Sinne auch OSCHLIES Ursachen des
Krieges in Ex-Jugoslawien, S. 7.
48 Vgl. LAUER Das Wüten der Mythen, S. 142.
49 Vgl. LAUER Das Wüten der Mythen, S. 143 und ALMOND Europe’s Backyard War, S. 191.
50 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 191-192. Auch in „einer nicht mehr überschaubaren Zahl
von Dichtungen, Epen und Erzählungen in der serbischen Literatur“ wurde der Mythos überliefert. So
LAUER Das Wüten der Mythen, S. 142.
51 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 27-28; vgl. auch ALMOND Europe’s
Backyard War, S. 192-193.
52 Vgl. LAUER Das Wüten der Mythen, S. 146-147.
14
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
90%), hat Kosovo nichts an seiner Bedeutung für serbisches Nationalgefühl eingebüßt.53
„Rache für Kosovo“ war eine wichtige Triebkraft für serbische Kämpfer in den Balkankriegen
von 1912/1913 sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg; bei dem Zerfall des zweiten
Jugoslawiens zeigte der Mythos erneut seine Sprengkraft.54
Wie erfolgreich die nationalistischen Kräfte in Serbien mit der Steigerung des Mythos
waren, läßt sich auch daran erkennen, daß etliche westliche Regierungen ihn akzeptierten.
Kosovo besitze für Serben die gleiche Bedeutung wie Jerusalem für Juden, schrieb beispielsweise Warren Zimmermann, der letzte amerikanische Botschafter in Jugoslawien.55 Die
Hinnahme nationalistischer Ansprüche trug zu einer weitverbreiteten Auffassung der Konflikte
im jugoslawischen Raum bei, wonach die verschiedenen Völker legitime, jedoch nicht
miteinander zu vereinbarende Forderungen stellten. Macht- und Gebietsansprüche wurden
von nationalistischen Führern dem Westen als unlösbare Differenzen zwischen ganzen Völkern
präsentiert. Nach dem Ausbruch der Kämpfe führte diese Auffassung fast unausweichlich
zu dem Schluß, daß eine Intervention von außen viele Opfer fordern würde und wahrscheinlich nicht effektiv sein können. Dabei wurde verkannt, daß es sich um eine relativ junge
nationalistische Bewegung handelte, die erst im 19. Jahrhundert die ideologische Grundlage
für ein „Großserbien“ geschaffen hatte.
Als die Weichen für den großserbischen Traum im 19. Jahrhundert gestellt wurden, so
wurde dieser am Ende des Ersten Weltkrieges mit der Gründung des „Königreichs der Serben,
Kroaten und Slowenen“ weitgehend erfüllt.56 In der Zwischenkriegszeit entstanden somit die
Spannungen zwischen den verschiedenen Völkern im jugoslawischen Raum. Obwohl es
beträchtliche Integrationsprobleme zwischen den verschiedenen Völkern gab,57 war es die
Vormachtstellung der Serben und die Unterdrückung der übrigen Nationalitäten durch sie,
die die bis heute andauernden Konflikte schufen.58 Die Diskriminierung der Nichtserben wurde
in der zentralistischen Verfassung von 1921 festgeschrieben:59
53 Vgl. ARDAY Der historische Hintergrund, S. 254-255 für den Hintergrund des serbischen Exodus aus
dem Kosovo im 17. Jahrhundert. Vgl. SCHMIDT Kosovo, S. 21 für die Bevölkerungsstatistik Kosovos
heute.
54 Vgl. LAUER Das Wüten der Mythen, S. 142-143.
55 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 13.
56 Vgl. LENDVAI Jugoslawien ohne Jugoslawen, S. 574-575. Kroatien stimmte der Staatsgründung zu, da
es sonst von den Siegermächten als Kriegsverlierer behandelt worden wäre. Vgl. OSCHLIES Ursachen
des Krieges in Ex-Jugoslawien, S. 4.
57 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 15 und ARDAY Der historische Hintergrund,
S. 257.
58 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 15-16, RAMET War in the Balkans, S. 80-81
und LENDVAI Jugoslawien ohne Jugoslawen, S. 575.
59 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 15-16.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
15
„During the interwar period the Serbian-dominated government in Belgrade introduced unequal
taxation for the various nationality groups, gave preferential treatment to Serbs in military
promotions, imposed the Cyrillic alphabet on the Croats, denied the Macedonians schooling
in their own language (claiming that they were Serbs), closed all state schools for Kosovo’s
Albanians and forcibly expelled about 45,000 Albanians from Kosovo province – confiscating
their land and turning it over to some 60,000 Serbian ,colonists’“60
Die Unterdrückung führte zu steigendem Nationalismus unter den anderen Völkern, vor allem
unter Kroaten und Mazedoniern. Um den eskalierenden Konflikten entgegenzutreten, setzte
König Alexander 1929 die Verfassung außer kraft und rief eine „Königsdiktatur“ unter dem
Namen „Königreich Jugoslawien“ aus, die die Vormachtstellung der Serben festigte.61 Die
kroatische nationalistische Bewegung Ustasche, die sich 1929 um Ante Paveliægebildet hatte,
sowie die mazedonischen Nationalisten der Inneren Mazedonischen Revolutionären Organisation (IMRO) gingen somit in den Untergrund, wurden jedoch nicht ausgerottet.62 Interethnische Konflikte gefährdeten zunehmend die innere Stabilität Jugoslawiens.63
„Daß letzten Endes die Kroaten diesen von Serben dominierten zentralistischen Staat mehr
gehaßt haben als die deutschen und italienischen Angreifer im April 1941, war die Folge dieses
erzwungenen (und erniedrigenden) Zusammenlebens ohne Rechte und ohne Gleichberechtigung.“64
Der durch innere Spannungen belastete Staat fiel innerhalb von wenigen Tagen. Hitler wußte
diese Spannungen auszunutzen und errichtete ein Marionettenregime in Kroatien (einschließlich des damals dazugehörenden Bosnien-Herzegovina) unter Führung des Faschisten
Paveliæ.65 Sein Ustasche-Regime war für die Ermordung und Vertreibung von Hunderttausenden von Serben und Juden verantwortlich.66 Die Partisanen Titos (ein Kroate mit
slowenischer Mutter) waren am erfolgreichsten im Aufstand gegen die Ustasche sowie gegen
deutsche und italienische Besatzer. Seine Gefolgschaft bestand hauptsächlich aus der
60 Vgl. RAMET War in the Balkans, S. 81.
61 Vgl. OSCHLIES Ursachen des Krieges in Ex-Jugoslawien, S. 5 und CALIC Krieg und Frieden in
Bosnien-Hercegovina, S. 16.
62 Vgl. OSCHLIES Ursachen des Krieges in Ex-Jugoslawien, S. 4-5.
63 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 16.
64 Vgl. LENDVAI Jugoslawien ohne Jugoslawen, S. 575.
65 Vgl. OSCHLIES Ursachen des Krieges in Ex-Jugoslawien, S. 5.
66 Vgl. OSCHLIES Ursachen des Krieges in Ex-Jugoslawien, S. 5 und LENDVAI Jugoslawien ohne Jugoslawen, S. 575.
16
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
serbischen Minderheit Kroatiens und Bosniens.67 Der Krieg wandelte sich somit weitgehend
in einen Bürgerkrieg um, der fast 1,4 Millionen Leben forderte; in Kampfhandlungen gegen
die Besatzer starben dagegen circa 350.000 Menschen.68 Das Blutvergießen und die
Verbrechen des Zweiten Weltkriegs in Jugoslawien bleiben stark in Erinnerung. Als Futter
für den beanspruchten Opferstatus des ganzen Volks sind sie für moderne serbische Nationalisten von großem Nutzen gewesen, und dies trotz der langjährigen Unterdrückung
solcher nationalistischen Gedanken durch den siegreichen Tito.
Obwohl Tito bestrebt war das zweite Jugoslawien auf die „Brüderlichkeit und Einheit“ unter
den verschiedenen Völkern aufzubauen, sorgten die Terrormaßnahmen seiner Partisanen am
Kriegsende für weiteren Zündstoff zwischen den Ethnien. Abertausende von Kroaten,
Slowenen, serbischen Tchetniks, Albanern, bosnischen Muslimen, Ungarn und Mazedoniern,
unter ihnen zahlreiche unschuldige Zivilisten, wurden gefoltert, vertrieben und hingerichtet.69
Trotz der Tatsache, daß Vertreter aller Nationalitäten Jugoslawiens zu den Opfer zählten,
konnten diese Schlachten später von Nationalisten als einen weiteren Beweis für das Leid
ihres jeweiligen Volks umgedeutet werden.
Die erste Verfassung des Nachkriegsjugoslawiens von 1946 hatte die sowjetische Verfassung von 1936 zum Vorbild. „So wie ihre ,älteren Brüder‘, glaubten auch die jugoslawischen
Kommunisten irrtümlicherweise, die kommunistische Revolution werde die Nationalitätenfrage in Jugoslawien ein für allemal lösen.“70 Daher mangelte es an strukturellen Schlichtungsmechanismen in dieser ersten, quasi-föderalen Verfassung.71 Tito teilte die SFRJ in sechs
Republiken (Serbien, Kroatien, Montenegro, Bosnien-Herzegovina, Slowenien und Mazedonien) und zwei Provinzen (Kosovo und Vojvodina) auf. Obwohl diese Republiken und
Provinzen lange Zeit kaum Macht besaßen, da alle maßgeblichen Entscheidungen von Tito
getroffen wurden, sollten sie dem Auffang und der Milderung eventueller nationalistischer
Bewegungen dienen.72 Diese Aufteilung schuf jedoch neue Konflikte zwischen den Völkern.
Tito zog Republik- bzw. Provinzgrenzen ohne Beteiligung der betroffenen Bevölkerungen,
67 Vgl. ARDAY Der historische Hintergrund, S. 257-258.
68 Vgl. ARDAY Der historische Hintergrund, S. 258.
69 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 150 und ARDAY Der historische Hintergrund, S. 258.
Deutsche und Italiener litten auch unter der Rache Titos. Nach Arday liegt die Zahl der ermordeten
deutschen Zivilisten bei 200.000.
70 Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 9; vgl. auch ALMOND Europe’s Backyard
War, S. 163.
71 Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 9.
72 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 16-17, ALMOND Europe’s Backyard War,
S. 162-163, BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 9-10,VETSCHERA / SMUTEKRIEMER Signale zur Früherkennung, S. 297 und ARDAY Der historische Hintergrund, S. 258-259.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
17
die sich oft mit den willkürlichen Entscheidungen nicht zufrieden gaben. Da sie unterdrückt
wurden, konnten nationalistische Bewegungen zur Zeit der Grenzziehung die entstandenen
Streitigkeiten nicht austragen. „Indessen war die praktische Bedeutung interner Grenzfragen
gering, solange Jugoslawien [...] de facto ein stark zentralisierter Einparteienstaat mit einer
föderalen Fassade blieb.“73 Die von Tito angesetzte zusätzliche Belastung der Beziehungen
zwischen den Völkern Jugoslawiens überdauerte allerdings diese zentralistische Phase der
jugoslawischen Politik.
Anfang der 60er Jahre beklagten vor allem Slowenen und Kroaten die stark zentralisierte
Bundespolitik.74 Hauptsächlich ergaben sich die Beschwerden aus der Vormachtstellung der
serbischen Bürokratie und der serbischen Schriftsprache in staatlichen Institutionen, aber auch
aus wirtschaftlichen Verteilungskämpfen.75 1966 schloß Tito seinen Stellvertreter und
Polizeichef, den Serben Aleksander Rankoviæ, aus dem BdKJ aus.76 In dem Maße wie der
Sturz Rankoviæs besonders unter der kroatischen und albanischen Bevölkerung als Erleichterung empfunden wurde, schuf er Bedenken unter manchen Serben, die bis dahin davon
ausgegangen waren, daß serbische und jugoslawische Interessen zusammenfielen.77 Umfangreiche Reformen der 60er Jahre, die Macht von der Zentralregierung in Belgrad auf die
Republikebene verlagerten, verstärkten die zentrifugalen Kräfte in Jugoslawien.78 Zwischen
1962 und 1966 dezentralisierte Tito weitgehend die Partei und die Polizei; von den ursprünglichen drei „Hauptsäulen des Zentralismus“ blieb nun lediglich die JVA unangetastet.79 „Die
Partei [...] ist zur wichtigsten Trägerin der aus traditionellen und neuen Quellen gespeisten
Kräfte der nationalen Eigenständigkeit geworden.“80
Nun mit neuer Macht versehen, wurden die Republiken mutiger in ihren Forderungen. Ein
selbstbewußtes, reformorientiertes und durchaus nationalistisches Vorgehen gipfelte 1971
in Kroatien mit dem sogenannten „Kroatischen Frühling“. Diese von Reformkommunisten
73 Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 10 (Hervorhebung im Original).
74 Vgl. GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 293 und CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina,
S. 33.
75 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 33 und BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 10-11. Bebler bezeichnet die Entscheidung, Belgrad zur alleinigen Hauptstadt
der SFRJ zu machen, als „[e]iner der größten Fehler Titos.“ (S. 10).
76 Tito war angeblich empört über das Ausmaß der polizeilichen Überwachung der Bevölkerung unter
Rankoviæund seiner überwiegend serbischen Polizei. Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 167.
77 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 167.
78 Tito wollte durch die Reformen die Beschwerden über die Vormachtstellung Serbiens mildern und
einen weiteren Schritt zur „Arbeiterselbstverwaltung“ vollziehen. Vgl. GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 293 und CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 34.
79 Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 11.
80 Vgl. LENDVAI Jugoslawien ohne Jugoslawen, S. 576.
18
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
getragene Bewegung folgte auf Unruhen in Kosovo und erschien zeitgleich mit einer
Reformbewegung in Serbien. Für Tito gingen die Forderungen und das Verhalten der
Reformer zu weit.81 Ende 1971 setzte er die JVA ein, um den „Kroatischen Frühling“
niederzuschlagen. Kurz darauf säuberte er die politischen Führungen in Serbien, Mazedonien
und Slowenien von Reformkommunisten.82 Durch eine Mischung von gewaltsamer Repression
und Zugeständnissen sollten die zentrifugalen Kräfte zugleich unterdrückt und eingebunden
werden.83
In diesem Sinne setzte Tito die Dezentralisierung mit der neuen Verfassung von 1974 fort.
Die zwei autonomen Gebiete Kosovo und Vojvodina wurden dadurch de facto mit den sechs
Republiken gleichgesetzt, obwohl sie de jure noch zu Serbien gehörten.84 Dieser „faule
Kompromiߓ85 wirkte nicht deeskalierend auf die interethnischen Konflikte in diesen Gebieten;
vielmehr sorgte er für zusätzlichen Zündstoff zwischen Serben und Albanern in Kosovo sowie
zwischen Serben und Ungarn in Vojvodina. Auch die weiteren wichtigsten Bestimmungen
der Verfassung legten eine neue Betonung auf Ethnizität bei Entscheidungsprozessen. Die
weitgehende Dezentralisierung der Macht in Jugoslawien, einschließlich der Einführung eines
Vetorechts für die sechs Republiken und zwei Provinzen in wichtigen Bereichen, stellte „[...]
eine wesentliche Voraussetzung dafür [dar], daß die regionalen Eliten sich immer weiter
auseinanderentwickelten und schließlich die Bundespolitik gänzlich unwirksam machten.“86
Doch solange Tito lebte, konnten die föderalen und sogar konföderalen Züge der Verfassung
nicht voll zur Geltung kommen.87
81 Kroatien forderte u.a. einen eigenen Sitz in der UN und betonte nationale Symbole sowie Unterschiede
zu anderen (v.a. serbischen) Dialekten des Serbo-Kroatischen. Vgl. OSCHLIES Ursachen des Krieges in
Ex-Jugoslawien, S. 6 und ALMOND Europe’s Backyard War, S. 161. Tito fürchtete nicht nur die
Instabilität im Inneren und die wachsenden nationalen Gefühle an sich, sondern auch die von diesen
geschaffene Möglichkeit einer sowjetischen Intervention. Tatsächlich bot Brezhnev Tito sowjetische
„Hilfe“ an. Vgl. dazu ALMOND Europe’s Backyard War, S. 162.
82 Vgl. LENDVAI Jugoslawien ohne Jugoslawen, S. 576, und ALMOND Europe’s Backyard War, S. 162.
Ramet sieht mit der Unterdrückung des „Kroatischen Frühlings“ den Anfang des Zerfallsprozesses in
Jugoslawien. Vgl. RAMET Yugoslavia and the Two Germanys, S. 326.
83 Diese Strategie entwarf der Chefideologe Titos, Edvard Kardeljs. Vgl. BEBLER Der Untergang des
jugoslawischen Modells, S. 13.
84 Für den Hintergrund zur Lage in Kosovo zu dieser Zeit, vgl. SCHMIDT Kosovo, S. 22; für den Hintergrund zur Lage in Vojvodina, vgl. MARKOTICH Vojvodina, S. 13-14.
85 So Anton Bebler; vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 13.
86 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 34. Für die wichtigsten Bestimmungen der
Verfassung von 1974 und ihre Folgen, vgl. auch BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells,
S. 13-14.
87 Die Verfassung von 1974 stellte eine einmalige Mischung aus Zentralismus, Föderalismus und
Konföderalismus dar. Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 6.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
19
Mit dem Tod Titos im Mai 1980 verlor Jugoslawien seinen charismatischen Führer, der
seine Fähigkeit, repressive Maßnahmen für den Erhalt der SFRJ erfolgreich durchzuführen,
erwiesen hatte. Trotz der föderalistischen Verfassungsbestimmungen hatte er den Handlungsspielraum der Republik- und Provinzenführer in engen Grenzen gehalten.88 Damit konnte er
die rationale Artikulierung der Interessen der verschiedenen Völker verhindern.89 Mit seinem
Tod „erwachten in allen Landesteilen nationalistische Bewegungen.“90 Die Dezentralisierung
der Macht und der kommunistischen Partei schritt weiter voran; nur die JVA blieb als einzige
wahre jugoslawische Institution bestehen.91 Selbst das internationale Ansehen Jugoslawiens,
das auch zur Stabilität beigetragen hatte, schwand mit dem Tod Titos.92 Übriggeblieben waren
1980 zahlreiche Probleme, die Tito nicht zu lösen vermocht hatte. Die sich verschärfenden
ethnischen Konflikte, die schwersten Lasten Jugoslawiens, ernährten sich weiterhin von
andauernden wirtschaftlichen Problemen.
Schon bei der Staatsgründung litt das erste Jugoslawien an strukturellen ökonomischen
Defiziten, die bis zum Zerfall des zweiten Jugoslawiens 1991 nicht überwunden werden
konnten.93 Das von Tito eingeführte Konzept der „Arbeiterselbstverwaltung“ erwies sich für
dauerhaftes Wirtschaftswachstum als uneffektiv, als ein unfruchtbares Programm. Es wirkte
dem Nachkriegswachstum in Jugoslawien insofern entgegen, als es Produktionssysteme
zerlegte und eine „ökonomische Desintegration“ anregte.94 „Fehlinvestitionen, technologischer
Rückstand, Mißwirtschaft und Bürokratisierung waren dafür verantwortlich, daß sich bereits
Mitte der sechziger Jahre erste Anzeichen einer ökonomischen Stagnation bemerkbar
machten.“95 Tito wollte eine wirtschaftliche Strategie zur Entspannung zwischen den Völkern,
erreichte damit jedoch das Gegenteil.96
Trotz der Industrialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Jugoslawien gekennzeichnet
durch regionale Disparitäten in der Wirtschaftsentwicklung und die durch sie hervorgerufenen
Verteilungskonflikte. Das steile Entwicklungsgefälle zwischen den reicheren Republiken im
Nordwesten (Slowenien und Kroatien) und den ärmeren Landesteilen (vor allem Kosovo,
88 Vgl. GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 294. Während der Tito-Ära waren die realen Machtstrukturen
unvereinbar mit den Grundsätzen des Föderalismus. Vgl. dazu BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 12.
89 Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 6.
90 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 35.
91 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 171.
92 Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 14.
93 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 30-33.
94 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 32.
95 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 32.
96 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 173.
20
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Bosnien-Herzegovina und Mazedonien, aber auch Serbien) hofften die Kommunisten mit einer
wirtschaftlichen Umverteilung zu überwinden;97 dabei sollten auch die ethnischen Spannungen
zurückgeschraubt werden. Beide Ziele der Umverteilung blieben unerfüllt. Das Entwicklungsgefälle blieb fast unverändert und wurde zum Teil noch steiler; die Umverteilungspolitik
spitzte die ethnischen Konflikte weiter zu.98 Jede Republik und Provinz hatte durch sie einen
neuen Grund, um sich benachteiligt zu fühlen: die Zahlerregionen weil sie ihre Zahlungen als
zwecklos und zu hoch empfanden und die ärmeren Regionen, weil sie die Zahlungen für zu
niedrig hielten. Die weitere Dezentralisierung der Wirtschaft in den achtziger Jahren, nach
dem Tod Titos, verschlimmerte die allgemeinen Bedingungen für die Gesamtwirtschaft
Jugoslawiens, indem diese weiter zerlegt hat und alle zentralen ökonomischen Einrichtungen
und Vorkehrungen gelähmt wurden.99 Die Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen
Bedingungen in Jugoslawien verschärften die regionalen Disparitäten noch weiter, und da
Ressourcen nun knapper waren, reduzierte sich die Bereitschaft, diese zu teilen. Unter allen
Völkern wuchs das Gefühl der Benachteiligung – ein wichtiger Nährstoff für den Nationalismus.100
Auf diesen für den Wachstum des Nationalismus günstigen Hintergrund fanden in den
achtziger Jahren vier herausragende Ereignisse statt, die deutliche Anzeichen für zunehmend
ethnische Konflikte darstellten. Jedes von ihnen gab dem Nationalismus zugleich neuen
Auftrieb: Unruhen in Kosovo und ihre blutige Unterdrückung, die serbische Reaktion auf
den Tod Aleksander Rankoviæs, das Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU) sowie der Aufstieg Slobodan Miloševiæs brachten den Zerfall
Jugoslawiens immer näher.
In April 1981, weniger als ein Jahr nach dem Tod Titos, brachen Unruhen in Kosovo aus.
Auch wenn diese als „erste[r] Anschlag auf das politische Gleichgewicht des Zweiten
Jugoslawiens“101 bewertet werden können, konnten sie nicht überraschen. Die ethnisch-
97 Für die Statistik zur Wirtschaftsentwicklung in den verschiedenen Gebieten, vgl. ALMOND Europe’s
Backyard War, S. 173 und Endnote 4, S. 386, sowie CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina), S. 33.
98 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 172-174 und CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 33.
99 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 34-35.
100 Wie wirtschaftliche Konflikte in ethno-nationale umgedeutet werden beschreibt Silvio Devetak. Vgl.
DEVETAK Slovenia as a Specific Case, S. 228-229. Eine Beschreibung dieses Prozesses innerhalb
Bosnien-Herzegovina bietet Ljiljana Smajlovic. Vgl. SMAJLOVIC Desintegration, Ethnisierung, Krieg,
S. 172-173. In den achtziger Jahren betonten Republikführer nationalistische Themen immer häufiger
auch um von ihrer eigenen Verantwortung für die schlechte Wirtschaft abzulenken. Vgl. dazu BREY
Jugoslawien, S. 419.
101 Vgl. SIMIC Bürgerkrieg in Jugoslawien, S. 37.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
21
albanische Mehrheit protestierte gegen die kommunistische Herrschaft (auch durch Massenaustritte aus der Partei), die sich als unfähig erwiesen hatte, die wirtschaftliche Misere in
Kosovo zu lindern; doch wegen der jahrelangen Unterdrückung unter Serbien nahmen die
Proteste rasch einen nationalistischen, anti-serbischen Ton an.102 Die Kosovo-Albaner
forderten die Aufwertung der Provinz zur siebten Republik der SFRJ. Die serbische Minderheit Kosovos beklagte ihrerseits Repressionen, unter denen sie seit der früheren Aufwertung des Status Kosovos durch die Verfassung von 1974 zu leiden hatten.103 Nachdem
der Aufstand von der JVA blutig niedergeschlagen wurde, wurden „die Rechten der Albaner
[...] etwa auf den Stand der frühen fünfziger Jahre zurückgeschraubt.“104 Dies führte zu
Spannungen zwischen Serbien und Slowenien, weil die von Serbien geforderte politische,
finanzielle und technische Unterstützung Sloweniens für die Repressionspolitik in Kosovo
von diesem nur widerwillig geleistet wurde.105 Die Kosovo-Unruhen hatten ebenfalls ein
Wiederaufleben serbischer Nationalgefühle zur Folge.106
1983 kam der serbische Nationalismus deutlich zum Vorschein. Der Tod Aleksander
Rankoviæs, des gestürzten serbischen Polizeichefs Titos, löste spontane Massenversammlungen in Belgrad aus. „It was clear to all that it was Rankoviæ as Serb strongman who was
being hailed.“107 Rankoviæwar zum Symbol vermeintlicher serbischer Benachteiligung in der
SFRJ geworden.
Mit dem Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU)
vom 26.9.1986 artikulierten führende serbische Ökonomen, Historiker, Politikwissenschaftler,
Soziologen und Bevölkerungswissenschaftler ihre Klagen gegenüber der SFRJ. Dieses
Dokument bereitete den Weg für den Aufstieg serbischer Nationalisten und diente als
ideologische Untermauerung für ihre spätere Taten. Das SANU-Memorandum verbreitete
ein Bild der Serben als ein durch die Geschichte leidendes Volk, das der Unterdrückung
anderer Völker immer wieder ausgesetzt war. Ob im Zweiten Weltkrieg, unter „dem Kroaten“
Tito oder angesichts eines behaupteten Völkermordversuchs seitens der Kosovo-Albaner:
nach der Schilderung des Memorandums war das serbische Volk, wenn nicht immer das
102 Vgl. OSCHLIES Ursachen des Krieges in Ex-Jugoslawien, S. 7, RAMET War in the Balkans, S. 82 und
VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 299-300.
103 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 35, OSCHLIES Ursachen des Krieges in ExJugoslawien, S. 7 und VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 300.
104 OSCHLIES Ursachen des Krieges in Ex-Jugoslawien, S. 7. Vgl. auch ALMOND Europe’s Backyard
War, S. 206-207 und VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 300.
105 Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 6.
106 Vgl. OSCHLIES Ursachen des Krieges in Ex-Jugoslawien, S. 7, RAMET War in the Balkans, S. 82 und
VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 300-301.
107 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 176.
22
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
einzige Opfer, so doch das Hauptopfer.108 Tito und seinen Nachfolgern in der BdKJ wurden
wirtschaftliche Diskriminierung und die vorsätzliche Zerstückelung Serbiens durch die
Existenz der zwei autonomen Provinzen vorgeworfen. Zwangsassimilierung der serbischen
Minderheit in Kroatien sowie Beihilfe zum Völkermord gegen Kosovo-Serben wurden dem
Bund zu Last gelegt.109 Das Memorandum stellte nicht nur einen außerordentlich offenen
Versuch dar, Nationalismus gegen die Partei einzusetzen110, sondern auch eine Wendung von
einem „defensiven Nationalismus“ zu einem „offensiven Nationalismus“ in Serbien hin.111 Die
Behauptung: „Die Wiederherstellung der vollen nationalen und kulturellen Integrität des
serbischen Volkes, unabhängig davon, in welcher Republik oder Provinz es sich befindet,
ist sein historisches und demokratisches Recht.“112 war eine eindeutige Frühwarnung für die
kommenden Ereignisse.
Unter Serben erweckte das Memorandum eine Nostalgie für das erste Jugoslawien, das
ja praktisch ein Großserbien war. Kroatien, Slowenien und Mazedonien reagierten empört
auf das Memorandum. Separatistische Elemente in den zwei nordwestlichen Republiken
nahmen an Bedeutung zu, während sich in dem mazedonischen Nationalismus ein verstärktes
anti-serbisches Moment Platz fand.113 Die zentralistischen Kommunisten sahen in dem
Potential des serbischen Nationalismus eine Gefahr separatistischen Wirkens. Als dieser jedoch
sein „liberale[s] Element“ verlor, erkannten Vertreter einer starken Zentralmacht eher
gemeinsame Ziele mit Serbien, das sich auch eine starke, allerdings serbische, Zentralmacht
für Jugoslawien wünschte.114 1987 übernahm Slobodan Miloševiæ die Macht in Serbien und
verfolgte die weitere Zusammenführung von Kommunismus und Nationalismus.
Anders als die Führung in den anderen Republiken Jugoslawiens, verstand Miloševiæ seine
Aufgabe nicht darin, demokratische Reformen einzuleiten und den Übergang zum Mehrparteiensystem zu ebnen. Vielmehr wollte er die kommunistische Partei Serbiens durch die
Kooptierung des serbischen Nationalismus wiederbeleben.115 Erhalten blieb der alleinige
108 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 179, 197, 203-204. Dieser „geschichtliche Nihilismus“ ist
charakteristisch für den serbischen Nationalismus. In diesem Sinne DJILAS A Profile of Slobodan
Miloševiæ, S. 93.
109 Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 308-309.
110 Vgl. GAGNON Yugoslavia, S. 21.
111 Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 308.
112 SANU-Memorandum zitiert in HACKER Integration und Verantwortung, S. 188.
113 Bis zu dieser Zeit war der mazedonische Nationalismus hauptsächlich gegen ethnische Albaner
gerichtet und damit weitgehend in Übereinstimmung mit dem serbischen Nationalismus. Vgl.
VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 309.
114 Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 309.
115 Vgl. REUTER Jugoslawien im Umbruch, S.4 und DJILAS A Profile of Slobodan Miloševiæ, S. 87.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
23
Machtanspruch der Partei; neu war der Wille eines kommunistischen Führers, serbische
Nationalthemen anzusprechen.116 Die dadurch gewonnene Popularität setzte Miloševiæ ein,
um die Partei von allen übriggebliebenen liberalen Elementen zu befreien.117
Miloševiæs eigener Aufstieg wurde erst durch die Säuberung der kommunistischen Führung
Serbiens von liberalen Mitgliedern in den frühen 70er Jahren ermöglicht. „By extinguishing
all the creative forces within the League of Communists of Serbia, Tito had paved the way
for someone like Miloševiæ to seize power. In a sense, Miloševiæ is a monument to Tito’s
policies.“118 Nach einer Zeit als Geschäftsmann und Bankier folgte Miloševiæ seinem Freund
Ivan Stamboliæin die Politik.119 1984 wurde dieser zum Präsidenten des Bundes der Kommunisten (BdK) Serbiens ernannt und Miloševiæverdankte ihm seine Stelle als Vorsitzender des
Belgrader Parteikomitee.120 Als Stamboliæim Januar 1986 zum Präsidenten Serbiens wurde,
übernahm Miloševiæ seine Stelle als Präsident der BdK Serbiens. Von dieser Position aus
konsolidierte er 1987 und 1988 seine Macht. Im Herbst 1987 stürzte er seinen Freund und
Mentor, Stamboliæ; im Mai 1989 stieg Miloševiæselbst zum Präsidenten Serbiens auf.121 Damit
hatte er faktisch die absolute Macht in Serbien sowie die Führung der Bundeszentrale inne.
Miloševiænutzte den bereits vorhandenen Nationalismus nicht nur aus, sondern lancierte
nationalistische Gefühle aktiv.122 Nach fast einstimmiger Beurteilung verschiedener Beobachter
ist er jedoch kein Nationalist aus Überzeugung; vielmehr sieht er den Nationalismus als Mittel
zum Erhalt seiner Macht.123 So instrumentalisierte er beispielsweise nationalistische Massendemonstrationen, um Rückhalt für seine Politik und die Säuberung der BdK Serbiens zu
116 Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 310.
117 Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 310 und GAGNON Yugoslavia, S.
21.
118 Vgl. DJILAS A Profile of Slobodan Miloševiæ, S. 85.
119 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 176-178 und DJILAS A Profile of Slobodan Miloševiæ, S.
84.
120 Hier war er u.a. für die Unterdrückung serbischer Nationalisten verantwortlich, eine Aufgabe, die der
mit großem Erfolg erledigte. Vgl. dazu DJILAS A Profile of Slobodan Miloševiæ, S. 86.
121 Vgl. DJILAS A Profile of Slobodan Miloševiæ, S. 88-90, ALMOND Europe’s Backyard War, S. 11 und
REUTER Jugoslawien im Umbruch, S. 5.
122 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 11. Miloševiæ begrüßte das SANU-Memorandum. Vgl.
dazu MARKOTICH Serbia, S. 95. Bebler sieht Miloševiæ als Vertreter eines „populistischen Nationalsozialismus“. Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 8.
123 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 20 und DJILAS A Profile of Slobodan Miloševiæ, S. 94.
Auch die letzten Botschafter der USA und Deutschlands in der SFRJ teilen diese Meinung. Vgl.
ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 25 und EIFF Zur Entwicklung im früheren Jugoslawien, S.
136. Djilas behauptet im Gegensatz zu Almond, daß Miloševiænicht nur an der Macht interessiert sei;
seine Sorgen um das Wohlergehen der Kosovo-Serben seien nicht vorgetäuscht. Vgl. DJILAS A Profile
of Slobodan Miloševiæ, S. 87.
24
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
erlangen.124 Er betonte die angebliche Benachteiligung Serbiens und der Serben, vor allem
in Kosovo. „Miloševiæbewerkstelligte seinen politischen Aufstieg und seine Machtübernahme
ganz wesentlich mit Hilfe des Vehikels Kosovo.“125 Bei einem Besuch Miloševiæs am 25. April
1987 in der Provinz kam seine nationalistische Wende zum ersten Mal deutlich zum Vorschein, als er in seiner Rede offen Partei für die Kosovo-Serben ergriff. Seine Rhetorik zog
auch nicht- und antikommunistische Serben an und ermöglichte ihm somit eine breite
Zustimmung.126 In einer weiteren Rede am 28. Juni 1989 in Kosovo, anläßlich des 600.
Jahrestags der Amselfeldschlacht, verschärfte Miloševiæseinen nationalistischen Ton; die von
ihm angestiftete Nationalhysterie ließ eine Bereitschaft zu Gewalt und Krieg deutlich
erkennen.127
Die Rhetorik Miloševiæs war von konkreten politischen Taten begleitet. Durch die
Säuberung seiner Gegner in der Regierung und der Presse Serbiens gewann er die weitgehende Kontrolle des öffentlichen Lebens.128 Aber Miloševiæ suchte auch die Unterstützung
der serbischen Minderheit Kroatiens und Bosnien-Herzegovinas. Er schürte die Ängste dieser
Serben vor der Politik der jeweiligen Republik und nutzte sie aus. „Miloševiæ welcomed the
Serbs’ increased sense of insecurity and was only too glad to plunge them into a war in which
they would have only him for protection.“129 Zu diesem Zweck lieferte Serbien schon in den
späten 80er Jahren Waffen, Geld und Personal an die serbischen Minderheiten in Bosnien
und Kroatien.130 1990 betonte er, im Falle des Zerfalls Jugoslawiens seien Grenzfragen offen;
Serbien bestünde aus all den Gebieten, in denen Serben leben (nicht nur in der Mehrheit) und
begraben sind.131 Auch der Führer der 1990 gegründeten „Serbischen Demokratischen Partei“
(SDS) Bosnien-Herzegovinas, Radovan Karadziæ, teilte diese Ansicht Miloševiæs.132 Die Wahl
des kroatischen Nationalisten Franjo Tudjman mit seiner Partei, der „Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft“ (HDZ) bei den ersten Mehrparteien-Wahlen in Kroatien im Mai 1990
124
125
126
127
128
129
130
131
132
Vgl. DJILAS A Profile of Slobodan Miloševiæ, S. 88 und insbes. RAMET War in the Balkans, S. 83.
Vgl. REUTER Jugoslawien im Umbruch, S. 5. Im gleichen Sinne, vgl. SCHMIDT Kosovo, S. 22.
Vgl. DJILAS A Profile of Slobodan Miloševiæ, S. 83.
Vgl. MARKOTICH Serbia, S. 95 und EIFF Zur Entwicklung im früheren Jugoslawien, S. 136.
Oppositionelle, die die nationalistische Politik Miloševiæs nicht mittragen wollten, waren Vorwürfen
des Verrats an dem serbischen Volk ausgesetzt, entweder durch die politische Führung oder durch das
an einer nationalistischen Hysterie leidende Volk. Vgl. dazu REUTER Jugoslawien im Umbruch, S. 5.
Manche Oppositionsführer (v.a. Vuk Draskoviæ) gelten ohnehin als Nationalisten. Vgl. dazu ALMOND
Europe’s Backyard War, S. 20.
Vgl. DJILAS A Profile of Slobodan Miloševiæ, S. 88.
Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 11.
Vgl. REUTER Jugoslawien im Umbruch, S. 12.
Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 72.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
25
gab der dort lebenden serbischen Minderheit Anlaß zum Bedenken.133 Vor allem war es
Slobodan Miloševiæ, der laut vor einer Wiedergeburt des kroatischen, anti-serbischen
Faschismus warnte. Zündstoff für die kommenden Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegovina war nun reichlich vorhanden. Es war jedoch Kosovo, das den endgültigen Zerfallsprozeß
in Jugoslawien auslöste.
Massendemonstrationen, organisiert von einem Miloševiænahestehenden Komitee, brachten
ab 1988 Instabilität nicht nur in den zwei Provinzen Kosovo und Vojvodina, sondern auch
in der Republik Montenegro.134 In allen drei Gebieten stürzten die Regierungen innerhalb
kurzer Zeit.135 Unbeugsame Amtsinhaber mußten zurücktreten und wurden durch Gefolgsleute
Miloševiæs ersetzt. Dadurch konnte dieser im Februar 1989 die notwendigen Verfassungsänderungen in Kosovo, Vojvodina und Serbien durchsetzen, die den Gleichschaltungsprozeß
in den zwei Provinzen vollendeten.136 Dies hatte auch zur Folge, daß Serbien nun drei weitere
Stimmen auf Bundesebene kontrollierte (nämlich die der zwei Provinzen und Montenegros).
Nach der Verkündung der Souveränität Kosovos durch die Abgeordneten albanischer
Nationalität im Juli 1990, ließ Miloševiæ das Parlament und die Regierung der Provinz ganz
auflösen. Kosovo war nun vollständig in Serbien eingegliedert.137
In Kroatien und besonders in Slowenien hatten die jeweiligen Republikführungen schon
seit langem ihre Beschwerden gegen die serbische Repressionspolitik in Kosovo nicht
verheimlicht. Trotzdem hatten diese Republiken den von Serbien geforderten finanziellen
und personellen (durch die JVA und die Polizei) Beitrag geleistet.138 Aus Angst, die KosovoPolitik Serbiens könnte eine Annäherung Jugoslawiens an die EG verhindern139 oder als
Übung für die gewaltsame „Befriedung“ anderer Landesteile (v.a. Slowenien) dienen140 sowie
aus moralischen Gründen entschloß sich Slowenien, die Unterdrückungsmaßnahmen nicht
133 Mehr zu den Wahlen in Kroatien in ALMOND Europe’s Backyard War, S. 15-16, REUTER Jugoslawien
im Umbruch, S. 9-10 und OSCHLIES Ursachen des Krieges in Ex-Jugoslawien, S. 9.
134 Näheres bei RAMET War in the Balkans, S. 83-84.
135 Oktober 1988 in Vojvodina, Januar 1989 in Montenegro und Februar 1989 in Kosovo. Vgl. RAMET
War in the Balkans, S. 83 und VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 310311.
136 Vgl. RAMET War in the Balkans, S. 83-84. Hacker sieht die „Todesstunde Jugoslawiens“ in der
Beraubung der Autonomie der zwei Provinzen. Vgl. HACKER Integration und Verantwortung, S. 179.
137 Proteste der Kosovo-Albaner, die den Unterdrückungsablauf begleiteten, wurden gewaltsam beendet.
Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 310-311 und REUTER Jugoslawien im Umbruch, S. 10. Daraufhin leitete Belgrad weitere Repressionen ein. Vgl. dazu SCHMIDT
Kosovo, S. 23.
138 Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 6-7, ALMOND Europe’s Backyard War,
S. 25-26 und REUTER Jugoslawien im Umbruch, S. 5.
139 Vgl. BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 7.
140 Vgl. REUTER Jugoslawien im Umbruch, S. 6 und GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 296.
26
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
länger zu fördern.141 Diese Entscheidung, zusammen mit der starken Sezessionsbewegung
Sloweniens142 stieß auf eine scharfe Reaktion in Serbien. Miloševiæ und die Serben waren
nicht besorgt um eine serbische Minderheit in Slowenien, wie in den übrigen Republiken;
vielmehr fürchteten sie die Rückwirkungen der slowenischen Separatisten auf die Sezessionsbewegung in Kosovo143 sowie eine Schwächung der von Serbien weitgehend kontrollierten
zentralen Einrichtungen der SFRJ. Eine Spaltung entwickelte sich zwischen der BdK
Slowenien, die ab Januar 1989 die Zulassung anderer politischen Parteien befürwortete, und
der BdK Serbiens, die noch an der Monopolstellung der Kommunisten festhielt. Im September
1989 billigte das slowenische Parlament eine Reihe von Verfassungsänderungen für die
Republik, die das Ende Jugoslawiens vorwegnahmen.144 Das Recht auf Sezession sowie das
Recht des slowenischen Parlaments, die Verhängung eines Ausnahmezustands in Slowenien
durch jugoslawische Behörden abzulehnen, wurden beschlossen.145 Trotz Kritik, Demonstrationen (in Serbien, Vojvodina und Montenegro) und einer Verfassungsbeschwerde blieben
die zentralen Einrichtungen Jugoslawiens machtlos, um den slowenischen Beschlüssen
erfolgreich entgegenzutreten.146 Als die slowenischen Behörden im Dezember 1989 eine
Demonstration von 100.000 Serben in Ljubljana nicht zuließen, erklärte Serbien einen Boykott
slowenischer Waren und brach kulturelle Beziehungen zu Slowenien ab.147 Die Auseinandersetzung zwischen den zwei Republiken hatte schließlich den Verfall der BdKJ auf dem
14. Parteikongreß im Januar 1990 zur Folge. Diese von Serbien geforderte Sonderversammlung der BdKJ sollte der Rezentralisierung von Partei und Staat dienen.148 Die BdK Slowenien
forderte dagegen die vollkommene Dezentralisierung der Partei und die Konföderalisierung
Jugoslawiens sowie u.a. die Zulassung anderer Parteien, die Achtung der Menschenrechte
in Kosovo und die Aufhebung der serbischen Wirtschaftsblockade gegen Slowenien.149
141 Die Einzelheiten des Beschlusses sind bei Bebler nachzulesen. Vgl. BEBLER Der Untergang des
jugoslawischen Modells, S. 7.
142 Ökonomische Aspekte der slowenischen Sezessionsbewegung sollen nicht unterschätzt werden.
Almond und Bebler zeigen großes Verständnis für die Slowenen, die ihre Zahlungen an die ärmeren
Republiken Jugoslawiens einstellen wollten. Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 27-28 und
BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 7. Zum Ablauf dieser Bewegung vgl. REUTER
Jugoslawien im Umbruch, S. 7-10.
143 Vgl. REUTER Jugoslawien im Umbruch, S. 6.
144 Vgl. RAMET War in the Balkans, S. 84.
145 Die Verfassung der SFRJ von 1974 erwähnte das Recht der Sezession in der Präambel, gab jedoch
keinerlei Hinweise zu der Ausführung dieses Rechts. Zu diesem Punkt und für weitere Informationen
zu den slowenischen Verfassungsänderungen, vgl. REUTER Jugoslawien im Umbruch, S. 7-8.
146 Vgl. REUTER Jugoslawien im Umbruch, S. 7-8 und GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 296.
147 Vgl. GAGNON Yugoslavia, S. 22.
148 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 54 und GAGNON Yugoslavia, S. 22.
149 Vgl. GAGNON Yugoslavia, S. 22-23, BREY Jugoslawien, S. 710 und VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
27
Serbien blockierte alle dieser Forderungen (bis auf die Zulassung weiterer politischer
Parteien).150 Daraufhin verließ die slowenische Delegation den Kongreß. Trotz des Versuchs
der BdK Serbien, ohne die Slowenen fortzufahren, ließ dies vor allem die kroatische
Delegation nicht zu.151 Damit hatte die BdKJ zum letzten Mal getagt. Die nun zersplitterten
kommunistischen Parteien bereiteten sich auf verschiedene Arten auf die bevorstehenden
Wahlen in ihren jeweiligen Republiken vor.
1990 stand in den Republiken nicht die Entscheidung zwischen Kommunismus und liberaler
Demokratie im Mittelpunkt, so wie in anderen Ländern Mittel -und Osteuropas. Vielmehr
ging es bei diesen Wahlen um eine Entscheidung zwischen (serbisch beherrschtem) Föderalismus oder Konföderalismus.152 In Slowenien siegte im April das antikommunistische Parteienbündnis „Demokratische Opposition Sloweniens“ (DEMOS). Republikspräsident wurde
jedoch der ehemalige Chef der BdK Slowenien, Milan Kuèan; er galt als größter Verfechter
der slowenischen Unabhängigkeit.153 Bei den Wahlen in Kroatien im Mai konnte die „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ) einen deutlichen Zuwachs der Wählerstimmen
erzielen. Der frühere Partisanengeneral Franjo Tudjman, infolge des „Kroatischen Frühlings“
Anfang der 70er Jahre wegen Nationalismus verhaftet, wurde zum Republikspräsident
gewählt.154 Die HDZ mit Tudjman an ihrer Spitze hatte sich während des Wahlkampfes nicht
nur gegen die serbische Vorherrschaft in der SFRJ ausgesprochen, sondern die Unabhängigkeit eines größeren Kroatiens gefordert, unter Einschluß großer Teile BosnienHerzegovinas.155 In Mazedonien gewann im November die nationalistische IMRO-Partei eine
relative Mehrheit der Parlamentssitze.156 Wie in Slowenien und Kroatien suchte diese Partei
die Unabhängigkeit ihrer Republik und die Bildung einer losen Konföderation mit den übrigen
Signale zur Früherkennung, S. 312-313.
150 Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 313. Mit den zusätzlichen
Stimmen Kosovos und Vojvodinas und der Unterstützung Montenegros verfügte Serbien über vier der
acht Stimmen in allen föderalen Einrichtungen.
151 Auch die Delegaten aus Bosnien, Mazedonien und Montenegro verließen die Sitzung mit Kroatien.
Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 313, ZIMMERMANN Origins of a
Catastrophe, S. 55 und GAGNON Yugoslavia, S. 23.
152 Vgl. vor allem WAGNER Acht Lehren, S. 32-33. Im gleichen Sinne REUTER Jugoslawien vor dem
Zerfall, S. 3 und auf Slowenien bezogen, BREY Jugoslawien, S. 711.
153 Vgl. BREY Jugoslawien, S. 711. Zur Rolle des Nationalismus bei den slowenischen Wahlen, vgl.
ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 71 und REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 6.
154 Vgl. BREY Jugoslawien, S. 711-712 und REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 3.
155 Vgl. Gagnon, S. 23. Mehr zu den nationalistischen Tendenzen Tudjmans und der HDZ bei Reuter ,
S. 9-10, ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 71-77 und OSCHLIES Ursachen des Krieges in ExJugoslawien, S. 8-9.
156 Zu den mazedonischen Wahlen vgl. REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 3 und BREY Jugoslawien, S. 713.
28
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
jugoslawischen Republiken. Allerdings wurde der Reformkommunist Kiro Gligorov als
Kompromißkandidat zum mazedonischen Republikspräsidenten gewählt.157 In BosnienHerzegowina fielen die Wahlergebnisse weitgehend entlang ethnischer Linien aus. Drei
Parteien, die sich zu den jeweiligen nationalen Zielen der Kroaten, Serben oder Muslime
bekannten, errangen im November/Dezember 86% der Sitze in der Nationalversammlung.158
Die „Partei der Demokratischen Aktion“ (SDA) unter Führung von Alija Izetbegoviæ konnte
entsprechend des Anteils an Muslime in Bosnien-Herzegovina eine relative Mehrheit der
Versammlungssitze für sich gewinnen und Izetbegoviæ zum Präsidenten ernennen.159
Lediglich in Montenegro und Serbien konnten sich die Kommunisten behaupten. Im
Dezember 1990 gewann die BdK Montenegro die absolute Mehrheit der Stimmen, nicht
zuletzt dank ihres Informationsmonopols in dieser kleinsten Republik Jugoslawiens; sie stellte
Momir Bulatoviæ als Republikspräsident.160 Auch im Dezember fanden die ersten Wahlen
in Serbien statt. Im Juni 1990 hatte sich die BdK Serbien in die „Sozialistische Partei Serbiens“
(SPS) umbenannt. Dies ging mit einer weiteren Verschärfung der nationalistischen Rhetorik
seitens Miloševiæeinher, einschließlich erneuter, verschleierter Territorialansprüche gegenüber
den anderen Republiken.161 Seine SPS gewann 78% der Mandate und Miloševiæ wurde im
ersten Wahlgang als Präsident bestätigt. Neben der Kontrolle der Medien, Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der von Soldaten abgegebenen Stimmen, der Verteilung von fast 2 Mrd. US$
an Staatsangestellte vor den Wahlen und der finanziellen und organisatorischen Rückständigkeit der Opposition, waren ein Wahlboykott der Kosovo-Albaner sowie das Mehrheitswahlrecht für den klaren Sieg der SPS mitverantwortlich.162
157 Dieser gehörte einer neuen Partei unter Führung des jugoslawischen Ministerpräsidenten Ante
Markoviæ an. Ziel der Partei war der Erhalt der SFRJ. Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe,
S. 66-68.
158 Vgl. REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 3-4 und CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 70-71, 85. Calic zeichnet die engen Beziehungen auf zwischen der HDZ in Bosnien-Herzegovina (vorwiegend in Herzegovina) und der HDZ in Kroatien, sowie zwischen der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) unter Führung des bosnischen Serben Radovan Karadziæund Miloševiæs SPS
in Serbien. (S. 71-72).
159 Für eine ausgewogene Darstellung des muslimischen Nationalismus in Bosnien, vgl. CALIC Krieg und
Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 75-78. Trotz seiner früheren Plädoyers für einen Staat, der auf
islamischen Werten beruhen würde, war Izetbegoviæbestrebt, Jugoslawien und Bosnien-Herzegovina
zusammenzuhalten. Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 113-116 und etwas kritischer,
SMAJLOVIC Desintigration, Ethnisierung, Krieg, S. 181-182 und 188-192.
160 Vgl. REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 4 und BREY Jugoslawien, S. 713.
161 Vgl. GAGNON Yugoslavia, S. 23-24.
162 Die 78% der Mandate gewann die SPS mit weniger als 50% der Wählerstimmen. Zu den Wahlen in
Serbien, vgl. BREY Jugoslawien, S. 712-713, REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 4-5 und
GLYNN Yugoblunder, S. 15.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
29
Außer in Mazedonien fielen die Wahlergebnisse für Premierminister Ante Markoviæs „Bund
der Reformkräfte“ ausgesprochen schlecht aus. Die andere Partei, die um den Zusammenhalt
der SFRJ bemüht war, die „Kommunistische Partei - Bewegung für Jugoslawien“ (von
Generälen der JVA gegründet), stellte sich gar nicht zu den Wahlen.163 An den Wahlen in
allen Republiken Jugoslawiens war es auffällig, daß keine Wahlen auf Bundesebene stattfanden.
„Es gab nie die Möglichkeit, auf der gesamtjugoslawischen Ebene Gesinnungsgenossen zu
suchen und für bestimmte Ideen zu kämpfen. Alle politischen Kommunikationskanäle hörten
an den Republiksgrenzen auf. [...D]as ganze politische Geschehen ereignete sich im Rahmen
der Republiken und hatte den Filter ihrer Interessen zu durchlaufen.“164
Der Zerfall zentraler Einrichtungen, allem voran der BdKJ, hatte weitreichende Folgen. Die
Auflösung des jugoslawischen Rechtsystems mit der faktischen Außerkraftsetzung der
Verfassung von 1974 war das auffallendste Ergebnis.165 Die bereits überlastete jugoslawische
Wirtschaft litt ebenfalls unter dem Verfall gemeinsamer Strukturen.166 Wirtschaftliche,
gesellschaftliche und politische Gegensätze zwischen den Republiken konnten offener
artikuliert werden,167 was letztendlich die minimalen Kräfte, die das SFRJ noch zusammenhielt,
sprengte.
2.3. Westliche Reaktion: Primat der Einheit Jugoslawiens
Ende der achtziger Jahre verkannte das amerikanische Außenministerium das Ausmaß, das
die nationalistischen Konflikte in der SFRJ angenommen hatten. Die Jugoslawienpolitik der
163 Daß Mirjana Markoviæ, die Ehefrau Slobodan Miloševiæs, diese Partei mitführte, war ein Zeichen
dafür, daß die mehrheitlich serbische JVA sich auch ein serbisch beherrschtes Jugoslawien wünschte.
Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 24 und BREY Jugoslawien, S. 710. Weitere Hintergründe
dieser Partei bei BEBLER The Military and the Yugoslav Crisis, S. 139 und VETSCHERA / SMUTEKRIEMER Signale zur Früherkennung, S. 315-316.
164 Vgl. REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 5. Im gleichen Sinne, vgl. ZIMMERMANN Origins of a
Catastrophe, S. 68-70.
165 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 38.
166 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 38-39.
167 Vgl. BREY Jugoslawien, S. 709.
30
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
USA forderte einerseits demokratische und marktwirtschaftliche Reformen sowie die Achtung
der Menschenrechte, andererseits Stabilität, Einheit und die territoriale Integrität Jugoslawiens; vor dem Hintergrund der sich verschärfenden ethnischen Konflikte standen diese
Ziele jedoch zunehmend in Widerspruch zueinander.168 Wer in Jugoslawien Reformen
befürwortete (vorwiegend in Slowenien und Kroatien), mußte sich gegen Miloševiæ und die
JVA stellen - gegen die größten Verfechter von Einheit und Stabilität. Zu dieser Zeit standen
die wirtschaftlichen und nicht die nationalistischen Probleme der SFRJ im Mittelpunkt der
amerikanischen Jugoslawienpolitik.169
Erfolgreiche wirtschaftliche Reformen sollten jedoch auch der Überwindung ethnischer
Konflikte und damit der Einheit der SFRJ dienen. Als zwei der Republikführer diese Einheit
immer offensichtlicher in Frage stellten, machte die amerikanische Administration sie
zunehmend zum Schwerpunkt ihrer Jugoslawienpolitik. Wie noch zu sehen wird, übten die
USA Druck auf ihre europäischen Verbündeten, einschließlich Deutschland aus, ihre Politik
der jugoslawischen Einheit mitzutragen. Obwohl die Bundesrepublik auch von anderen Seiten
einem immer stärkeren Druck ausgesetzt war, der eine Politik für die Einheit Jugoslawiens
ablehnte und ihr entgegenwirkte, überwog bis Ende Juni 1991 der negative amerikanische
Einfluß. Diese „negative Führung“ der USA einerseits und deren Zurückhaltung bei der Suche
nach einer konstruktiven Alternative andererseits bestimmten weitgehend den Rahmen für
deutsche Handlungsmöglichkeiten.
Die Bush-Administration erkannte, daß mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und dem
einhergehenden geopolitischen Bedeutungsverlust Jugoslawiens, Platz für einen neuen Akzent
in ihrer Jugoslawienpolitik im Hinblick auf demokratische Reformen und Menschenrechte
geschaffen war. Warren Zimmermann berichtet von seinem Anfang 1989 stattgefundenen
Gespräch mit dem neuen stellvertretenden Außenminister, Lawrence Eagleburger, vor dessen
Abreise nach Jugoslawien als neuer (und letzter) amerikanischer Botschafter dort:170
„[...] Eagleburger and I agreed that in my introductory calls in Belgrade and in the republican
capitals I would deliver a new message. [...Yugoslavia’s] failures in the human rights area,
which the United States had tended to downplay because of America’s security interests, now
loomed larger, especially in the province of Kosovo [...]. Not least, I would reassert to the
168 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 22.
169 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 22.
170 Zimmermann und Eagleburger hatten beide im Laufe ihrer Karrieren zweimal dem Außenministerium in Jugoslawien gedient, Eagleburger einmal davon als Botschafter von 1977-1981. Auch der
Nationale Sicherheitsberater Bushs, Brent Scowcroft, hatte in Jugoslawien gedient (zusammen mit
Eagleburger in den frühen sechziger Jahren).
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
31
Yugoslav authorities the traditional mantra of U.S. policy toward Yugoslavia - our support
for its unity, independence, and territorial integrity. But I would add that we could only support
the country’s unity in the context of progress toward democracy; we would be strongly opposed
to unity imposed or maintained by force.“171
Diese Botschaft aus Washington war tatsächlich neu. Zwischen seiner Machtübernahme 1987
und der Beraubung der Autonomie Kosovos im Februar 1989 hatte Slobodan Miloševiæ die
Unterstützung der USA genossen. Bis zu diesem Zeitpunkt galt ausgerechnet er für das
amerikanische Außenministerium als Hoffnungsträger der politischen und wirtschaftlichen
Reformen in Jugoslawien.172 Mit der verspäteten Erkenntnis im Februar 1989, daß Miloševiæ
als Reformer ungeeignet war, und vielleicht noch wichtiger, daß seine Handlungen die
Stabilität und Einheit Jugoslawiens zunehmend in Frage stellten, verlor er die Unterstützung
der Administration.
Ihre Politik setzte den Schwerpunkt jedoch weiterhin auf stabilitätsfördernde Maßnahmen
in Jugoslawien; neuer Hoffnungsträger der Einheit für die US-Regierung war nun Premierminister Ante Markoviæ.173 Zwar wollte er marktwirtschaftliche Reformen durchsetzen, doch
war die dafür notwendige Macht bereits auf die Republikebene verlagert worden:174 „Auf
die entscheidenden Akteure im jugoslawischen Machtkampf, die Republikführungen und die
Bundesarmee, hatte Markoviæ, und damit auch die ihn unterstützenden USA, praktisch keinen
Einfluß.“175 Im Laufe des Jahres 1990, als Wahlen in allen sechs Republiken stattfanden, sah
sich die USA zudem mit der peinlichen Lage konfrontiert, ihre Unterstützung dem nichtdemokratisch legitimierten Premierminister in einem Land mit sechs vom Volk gewählten
Führer zu geben.176
171 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 7-8.
172 Vgl. GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 306, SIMIC Bürgerkrieg in Jugoslawien, S. 45 und PAULSEN
Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 22-23. James B. Steinberg deutet darauf hin, daß Miloševiæs
Instrumentalisierung des Nationalismus schon 1987 zweifelsfrei zu erkennen war. Er betrachtet diese
Nichtbeachtung eines deutlichen Warnsignals als eine der wichtigsten Zäsuren der westlichen
Jugoslawienpolitik. Vgl. STEINBERG Turning Points, S. 4.
173 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 42-52 und PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA,
S. 23.
174 Heute erkennt Zimmermann, daß es 1989/1990 zu spät war für den Reformer Markoviæ, seine
Reformpläne auf Bundesebene gegen den Willen der Republiksführer durchzusetzen. Allerdings
verteidigt er noch die Entscheidung, Reformen und Einheit in Jugoslawien gleichzeitig zu verfolgen.
Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 43, 46-52.
175 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 35.
176 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 35. Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen in Serbien
relativierten allerdings die demokratische Legitimation Miloševiæs. Siehe S. 20.
32
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Die düsteren Aussichten für Reformen trugen in der Bush-Administration zu einem
Desinteresse gegenüber Jugoslawien bei.
„The very difficulty of Markoviæ’s problems, which should have made assistance imperative,
caused people to shy away. Compared with other countries in Eastern Europe, Yugoslavia
didn’t look like a good bet. Politicians would rather back a winner than a loser, and, despite
Markoviæ’s heroic efforts, Yugoslavia looked like a loser.“177
Insbesondere der neue Außenminister, James Baker III, soll zu diesem Zeitpunkt wenig
Interesse an Jugoslawien gezeigt haben.178
Daß das Außenministerium und die Administration die Stärke der zentrifugalen Kräfte in
der SFRJ unterschätzt hatten, wurde auf dramatische Weise ersichtlich, als im November 1990
ein Bericht der Central Intelligence Agency (CIA) den Zerfall Jugoslawiens und den Ausbruch
eines Bürgerkriegs innerhalb von 18 Monaten für wahrscheinlich hielt.179 „Im Winter und
Frühjahr 1991 wurden auf der Arbeitsebene des Außenministeriums und der CIA immer
wieder die Alarmglocken geläutet. Aber die Vorgesetzten hörten nicht darauf.“180
Die Kritik an der Jugoslawienpolitik der Administration von Mitgliedern beider Parteien
im Kongreß wurde indessen lauter. Der aufblühende Nationalismus in Jugoslawien war 1986
zum ersten Mal ins Bewußtsein des Kongresses gerückt, als in Jugoslawien ein Amerikaner
albanischer Abstammung für seine Teilnahme an antijugoslawischen Demonstrationen in
Washington 1981 verhaftet wurde.181 Mit seiner neu gewonnenen Aufmerksamkeit für
Menschenrechtsverletzungen in Kosovo betonte der Kongreß am Ende der achtziger Jahre
zunehmend Aspekte des Wandels in Jugoslawien, während das Außenministerium und die
Bush-Administration einen größeren Wert auf die Einheit und Stabilität Jugoslawiens legten.182
Im Senat gehörten Mehrheitsführer Dole (R), sowie die Senatoren DeConcini (R), Biden (D),
D’Amato (R), Pressler (R) und Nickles (R) zu den größten Kritikern der amerikanischen
Jugoslawienpolitik; im Repräsentantenhaus waren es vor allem die Abgeordneten Dioguardi
(D) (ein Albanien-Amerikaner), Lantos (D), Gilman (R), Broomfield (R) und Porter (D), die
auf die Menschenrechtslage in Kosovo verwiesen und eine Kursänderung der von der
177 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 51.
178 Vgl. NEWHOUSE Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens, S. 1191 und ALMOND Europe’s
Backyard War, S. 39.
179 Vgl. BINDER The Withering of Yugoslavia? In: International Herald Tribune, 29.11.90, S. 1 und 2.
180 Vgl. NEWHOUSE Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens, S. 1191.
181 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 21.
182 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 23.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
33
Administration verfolgten Politik verlangten.183 Im August 1990 leitete Senator Dole eine
Reise einiger seiner Kollegen nach Kosovo, welche deren Ablehnung der serbischen
Repressionspolitik und ihre Kritik am Vorgehen der Administration bestätigte.184 Folge dieser
Reise war eine Reihe von Resolutionen, die Serbiens Kosovopolitik verurteilten und Reformen
forderten. Diese waren jedoch nicht mit den Bemühungen des Außenministeriums vereinbar,
der Stabilität und Einheit in Jugoslawien Priorität einzuräumen. So kritisiert Zimmermann,
„For the Congress, self-determination was a more important value in Yugoslavia than unity.
But in Yugoslavia, a polarized multiethnic country, self-determination for some could only
mean no-determination for others. [...] In episodic interventions reflecting selective allegiances
and antipathies, the Congress made the implementation of a consistent strategy toward
Yugoslavia nearly impossible.“185
Das Außenministerium erklärte nach wie vor, es gäbe keinen Widerspruch zwischen der
Demokratieförderung in Jugoslawien und seinem Festhalten an der Einheit. So sagte der
stellvertretende Außenminister James F. Dobbins beispielsweise: „We believe that democracy
is most likely to flourish within the context of continued unity, and we believe that the
continued unity of Yugoslavia can be best preserved if there is progress toward democracy
throughout the country.“186 Gerade diese Behauptung stellten die Kritiker in Frage. Beispielhaft für ihre Position war die Erklärung von Senator Biden:
„[...N]ow unity and democracy are at issue, and it is far from clear that the two can exist
together in contemporary Yugoslavia. It is also far from clear that the United States should
continue to favor unity if that objective conflicts with our interests and the principles of
democracy.“187
Das Nickles-Amendment, von Präsident Bush am 5. November 1990 unterschrieben, sollte
den Forderungen der Kritiker aus dem Kongreß genüge tun und gleichzeitig einen großen
183 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 21, 28-29 und ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 127. Nach seinem Abschied aus dem Kongreß führte Dioguardi die „Albanian-American
Civic League“, von deren Stelle aus er seinen Einfluß auf die Jugoslawienpolitik weiterhin geltend
machte. Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 24 und ZIMMERMANN Origins of a
Catastrophe, S. 127-129.
184 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 23-24 und ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe,
S. 127-129.
185 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 130-131.
186 Dobbins zitiert in PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 29.
187 Biden zitiert in PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 28.
34
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Handlungsspielraum für die Administration bewahren.188 Danach sollte die amerikanische
Wirtschaftshilfe an die SFRJ nach einer Frist von sechs Monaten eingestellt und Kredite der
IWF und Weltbank für Jugoslawien blockiert werden, wenn die Menschenrechtsverletzungen
bis zu diesem Zeitpunkt noch andauerten.
Die Administration ging diesen Kompromiß widerwillig ein.189 Sie blieb von der Notwendigkeit des Erhalts der Einheit Jugoslawiens unter der Ausführung der Reformpläne von
Premierminister Markoviæüberzeugt, trotz der Tatsache, daß angesichts der Ereignisse vor
Ort dieses Ziel zunehmend illusorisch zu sein schien.
Nicht nur wurde im Laufe der nächsten sechs Monate die Macht in Jugoslawien weiterhin
auf Kosten zentraler Institutionen zugunsten der Republiken verschoben, sondern es zeichnete
sich vielmehr auch eine Eskalation der interethnischen Konflikte und eine ansteigende
Gewaltbereitschaft ab. Schon im August und September 1990 hatten sich Widerstandsgruppen
unter der serbischen Minderheit in Kroatien gebildet, die Straßensperren errichteten, Waffen
aus Polizeistationen geraubt und Bahnschienen gesprengt hatten.190 Durch Propaganda aus
Serbien hatten diese seit Jahrhunderten in der Krajina lebenden Serben (um die kroatische
Stadt Knin) Angst vor einer Wiederkehr des kroatischen Faschismus nach dem Wahlsieg von
Tudjmans HDZ. Nachdem kroatische Polizeieinheiten damit begonnen hatten, gestohlene
Waffen mit Gewalt zurückzuholen, hatten zehn serbische Bürgermeister (unter dem Namen
„Serbischer Nationalrat“) am 1. Oktober die serbische Autonomie in Kroatien erklärt.
Miloševiæs SDS hatte daraufhin das serbische Volk zum „Schutz der Serben gegen den Terror
in Kroatien“ aufgerufen und erneut vor einem androhenden Völkermord gegen Serben
gewarnt.191
Somit waren Gefahren für die Einheit und Stabilität Jugoslawiens schon zur Zeit der
Unterzeichnung des Nickles-Amendments erkennbar. Danach häuften sich die Anzeichen für
einen Zerfall der SFRJ. Eine weitere Autonomie-Erklärung der Krajina-Serben erfolgte am
21. Dezember. Zwei Tage später stimmten 88% der Slowenen bei einem Referendum für die
Unabhängigkeit von Jugoslawien. Am 26. Dezember verabschiedete das slowenische
188 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 30-33 und Zimmermann, S. 131. Senator Nickles
traf diesen Kompromiß mit der proserbischen Abgeordnetin Bentley (R). Vgl. dazu GLYNN Yugoblunder, S. 16-17.
189 Zimmermann selber versuchte Senatoren von der Unterstützung des Amendments abzuhalten. Vgl.
ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 131.
190 Zur Eskalation zwischen Kroatien und den Krajina-Serben, vgl. BREY Jugoslawien, S. 717-718 und
VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 316-317. Nach Brey zählte die
serbische Minderheit in Kroatien zu dieser Zeit um die 600.000 Personen.
191 SDS zitiert in BREY Jugoslawien, S. 718.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
35
Parlament ein Gesetz, worin die Unabhängigkeit erklärt und eine Frist von sechs Monaten
für die Regelung der Beziehungen zu Jugoslawien gesetzt wurde.192 Eine von Miloševiæ
angeordnete Plünderung der jugoslawischen Wirtschaft seitens Serbiens war diesen Sezessionsschritten Sloweniens vorausgegangen. Als Miloševiæ im Vorfeld der serbischen Wahlen
im Dezember 1990 über 18,2 Mrd. Dinar (um 2 Mrd. US$) hatte drucken lassen, stellte dies
nicht nur einen schweren Wahlbetrug dar, sondern hatte auch inflationäre Auswirkungen auf
die gesamtjugoslawische Wirtschaft, die den Wirtschaftsplan Ante Markoviæs für das Jahr
1991 schon vor Jahresbeginn unterminiert hatte.193 Im Januar 1991 traf sich die achtköpfige
jugoslawische Präsidentschaft mit Premierminister Markoviæ und allen sechs Republikspräsidenten für die erste Konferenz einer ganzen Reihe, die das SFRJ aus der Krise steuern
sollten.194 Während dort aber keine Erfolge verbucht werden konnten, begannen die Slowenen
und Kroaten ihre Sezessionsbewegungen miteinander zu koordinieren. Am 20. Januar
unterschrieben die Präsidenten Kuèan und Tudjman ein Abkommen zur gegenseitigen Hilfe
im Falle eines serbischen Angriffs.195 Kroatien und die serbische Minderheit in Kroatien fingen
daraufhin an, Milizen zu bilden. Nachdem die JVA damit drohte, die kroatische Miliz
gewaltsam zu entwaffnen und Slowenien dazu zu zwingen, weiterhin Wehrpflichtige an die
Zentralarmee zu schicken, kam es am Ende des Monats fast zu einem Gewaltausbruch.196
Da die JVA nach Oktober 1990 Waffen von den Territorialverteidigungen aller Republiken außer Serbien - unter ihre Kontrolle zu bringen versucht hatte (mit großem Erfolg in
Kroatien), bestellte Kroatien im Februar 1991 Waffen direkt aus dem Ausland.197 In März
kam es zu den ersten Gefechten zwischen dieser Miliz und serbischen Freischärlern in der
Krajina und Slawonien.198
192 Die Slowenen betonten, diese Unabhängigkeitserklärung bedeute nicht einen endgültigen Ausstieg aus
Jugoslawien. Slowenien war noch willens, über Konföderationspläne zu verhandeln. Vgl. VETSCHERA
/ SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 314-315 und SCHÖNFELD Balkankrieg, S. 128-129.
193 Markoviæ selber erkannte das Ausmaß dieses Betrugs für das Wirtschaftssystem und drohte mit
seinem Rücktritt. Vgl. BREY Jugoslawien, S. 721. Trotzdem hielte der Westen weiter an den zentralen
Reformplänen fest. Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 1-2, ALMOND Europe’s Backyard War, S.
15 und GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 297.
194 Vgl. zu den Konferenzen BREY Jugoslawien, S. 724, GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 297-298
und RAMET War in the Balkans, S. 85.
195 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 18 und RAMET War in the Balkans, S. 86.
196 Vgl. BREY Jugoslawien, S. 721 und BEBLER The Military and the Yugoslav Crisis, S. 139. Weil die
Mehrheit der JVA-Offiziere und -Soldaten Serben waren und weil die JVA, wie Serbien, am Zusammenhalt der SFRJ interessiert war, koordinierte die JVA-Führung ihr Vorgehen immer enger mit
der Miloševiæ-Regierung. Vgl. GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 298-303.
197 Eine große Waffenlieferung aus Ungarn ist der bekannteste Fall. Vgl. BEBLER The Military and the
Yugoslav Crisis, S. 138 und GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 299-300. Weitere Literaturhinweise
dazu bei EYAL Europe and Yugoslavia, S. 17, F.N. #3.
198 Vgl. GAGNON Yugoslavia, S. 28, 30 und EYAL Europe and Yugoslavia, S. 5-7.
36
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Als Massendemonstrationen gegen das Miloševiæ-Regime am 9. und 10. März in Belgrad
stattfanden, sahen die Bush-Administration und das Außenministerium darin Grund zur
Hoffnung, daß diese unter anderem eine serbische Ablehnung des nationalistischen Kurses
Miloševiæs bedeuteten.199 Diese Hoffnung wuchs, nachdem Miloševiæ keine Mehrheit bei der
achtköpfigen Präsidentschaft für einen Einsatz der JVA finden konnte, die die Demonstrationen niederschlagen sollte. Die Folgen der Demonstrationen waren für die Einheit
Jugoslawiens jedoch verheerend. Erstens war die Mehrheit der Opposition in Serbien auch
nationalistisch, was Miloševiædazu anregte, seinen nationalistischen Ton weiter zu verschärfen
sowie den Konflikt mit den anderen Republiken zu suchen, um die Opposition kooptieren
zu können.200 Darüberhinaus erkannte Miloševiæ nach der Weigerung der Präsidentschaft,
die JVA für sein politisches Überleben einzusetzen, daß seine Macht in einem unabhängigen
Serbien sicherer wäre: „Overnight he changed from the defender of the necessity of a
continuing Yugoslavia to its public gravedigger.“201 Die Unfähigkeit Miloševiæs, eine Mehrheit
der Präsidentschaft für einen Einsatz der JVA auch gegen Kroatien und Slowenien zu finden,
verstärkte diese neue Erkenntnis. In einer Fernsehansprache am 16. März erklärte Miloševiæ,
daß Jugoslawien am Ende sei und Serbien den Entscheidungen jugoslawischer Institutionen
nicht länger gehorchen würde.202
Trotz der weiteren Erosion des Zentralstaates ließ Präsident Bush Ante Markoviæ durch
einen Brief wissen, daß die USA noch am Erhalt der SFRJ festhielten; Botschafter Zimmermann betonte die gleiche Nachricht bei der Führung der JVA, allerdings verbunden mit einem
Appell nach einer friedlichen Lösung der Krise.203 Während die Gefechte zwischen der
kroatischen Miliz und Krajina-Serben noch andauerten, traten die Sanktionen des NicklesAmendments am 5. Mai 1991 ohne große Aufmerksamkeit in Washington oder Jugoslawien
in Kraft.204 Im Laufe des Monats schritt der Zerfallsprozeß weiter voran. Die JVA berief
199 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 108 und EYAL Europe and Yugoslavia, S. 6. Auch in
der Wissenschaft und in den Medien fand diese Deutung Ausdruck. Vgl. GAGNON Yugoslavia, S. 29
und MEIER Ein Jugoslawien der sechs Präsidenten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.4.91, S.
14.
200 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 21-22 und VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur
Früherkennung, S. 318.
201 ALMOND Europe’s Backyard War, S. 22. Miloševiæmußte auf serbische Reservisten der JVA zurückgreifen, um die Demonstrationen zu beenden. Vgl. PAVKOVIC The Fragmentation, S. 131.
202 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 102-103 und BEBLER The Military and the Yugoslav
Crisis, S. 142-143.
203 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 122-123 und EYAL Europe and Yugoslavia, S. 8.
204 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 31. Unter 5 Mrd. US $ in Krediten wurden
suspendiert.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
37
Reservisten ein als JVA-Stabschef Adziæ Kroatien mit einem Angriff drohte und Verteidigungsminister Kadijevic erklärte, Jugoslawien befinde sich schon im Bürgerkrieg.205
Die Chancen für das Fortbestehen eines zentralen Staates erlitten einen zusätzlichen
schweren Schlag am 15. Mai 1991. Seit zehn Jahren hatten die Republiken und Provinzen
an diesem Tag das Amt des Vorsitzenden der jugoslawischen Präsidentschaft in unter sich
Turnus weitergegeben. Dieses Mal benützte Miloševiæseine vier Stimmen bei der Präsidentschaft, um die Amtsübernahme von dem gemäßigten Kroaten Stipe Mesiæzu blockieren, was
zur Folge hatte, daß das Staatspräsidium nun vollständig paralysiert war.206 Da der Vorsitzende der Präsidentschaft auch gleichzeitig Oberbefehlshaber der JVA war, blieb die Armee nach
dem 15. Mai ohne klare Führung.207 Vier Tage später stimmten 94% der Kroaten mit „Ja“
bei einem Unabhängigkeitsreferendum.208 Der endgültige Zerfall der SFRJ schien nicht mehr
aufzuhalten zu sein.
Die USA gaben jedoch nicht auf. Bush rief Markoviæam 20. Mai an, um ihn zu informieren,
daß sich die amerikanische Jugoslawienpolitik nicht geändert hätte, das Nickles-Amendment
aber wieder außer Kraft gesetzt werden könnte. Zimmermann nannte die notwendige
Gegenleistung dafür: die Wahl Mesiæs zum Vorsitzenden des Staatspräsidiums.209 Am 24.
Mai setzte die Bush-Administration die Sanktionen außer Kraft - auch ohne diese
Konzession.210 (Markoviæhatte ohnehin keinen Einfluß auf den Status von Mesiæ.) In einem
offiziellen gemeinsamen Statement am gleichen Tag erklärten Baker und Eagleburger: „U.S.
policy toward Yugoslavia is based on support for the interrelated objectives of democracy,
dialogue, human rights, market reform and unity.“211
Die Appelle der USA vermochten nicht, die Tendenz zur Zersplitterung aufzuhalten. Ende
Mai entführte die JVA für kurze Zeit den Kommandanten der slowenischen Territorialverteidigung und ließ kurz danach (serbische) Spezialeinheiten der JVA nach Slowenien
fliegen zu „Übungen“.212 Miloševiæwarnte Kroatien, daß er im Falle der kroatischen Sezession
205 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 9.
206 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S.12, das Interview mit Stipe Mesiæin Der Spiegel vom 27.5.91,
S. 142-144 und ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 123-125.
207 Der Vorsitzende des Vorjahres, der Miloševiæ-Vertraute Joviæ, ist in März zurückgetreten und
Premierminister Markoviæ hatte wenig Durchsetzungskraft bei der JVA. Vgl. ALMOND Europe’s
Backyard War, S. 29.
208 Die meisten Angehörigen der serbischen Minderheit in Kroatien boykottierten die Wahl. Vgl. EYAL
Europe and Yugoslavia, S. 12 und VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 315.
209 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 31-32.
210 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 33.
211 Baker und Eagleburger zitiert in: BINDER United Yugoslavia Goal of U.S. Policy, in: The New York
Times, 1.7.91, S. A6.
212 Mehr dazu bei GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 302-303 und VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER
38
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Gebietsansprüche erheben würde, während sich serbische Milizen indessen in Kroatien mit
Hilfe der JVA paramilitärisch zu organisieren begannen.213
Das Datum für die endgültigen Unabhängigkeitserklärungen Kroatiens und Sloweniens
rückte näher und die Bush-Administration versuchte dementsprechend Druck auf diese beiden
Republiken auszuüben. Warren Zimmermann reiste im Juni nach Ljubljana und Zagreb, um
die zwei nordwestlichen Republiken von der einseitigen Sezession abzuhalten. Er betonte,
sie könnten durch ihre geplanten Erklärungen für den Ausbruch eines Krieges verantwortlich
werden.214 Erst jetzt versuchte die Administration, Unterstützung der Republiken für
Konföderationspläne zu finden. Bis Juni 1991 waren Kroatien und Slowenien jedoch davon
überzeugt, daß jegliche Vereinbarung mit Miloševiæ über die Weiterexistenz eines jugoslawischen Staats (in welcher Form auch immer) von diesem nicht eingehalten werden würde.
Als Eingeständnis stimmte Slowenien weiteren Verhandlungen mit Serbien über eine
eventuelle Konföderation zu, schloß eine Föderation aber aus.215 Nach einer weiteren
Konferenz zwischen den Präsidenten von Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegovina Mitte
Juni, die zu keinem Ergebnis führte, gaben Kroatien und Slowenien bekannt, daß sie mit ihren
Vorbereitungen für die Unabhängigkeit fortfahren würden.216
Vor diesem Hintergrund reiste Außenminister Baker zunächst zu einem Zusammentreffen
der Außenminister der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)
in Berlin und anschließend nach Belgrad, um einen letzten amerikanischen Versuch zu
unternehmen, die Unabhängigkeitserklärungen zu verhindern. Bei der Berliner Konferenz
am 19. und 20. Juni warnte er Slowenien und Kroatien, daß sie im Falle einer Sezession keine
völkerrechtliche Anerkennung von den USA zu erwarten hätten.217 Baker traf sich am 21.
Juni in Belgrad in neun getrennten Gesprächsrunden mit den sechs Republiksführern,
Repräsentanten der Kosovo-Albaner und zweimal mit Premierminister Markoviæ und
Außenminister Loncar. Gegenüber Tudjman und Kuèan erklärte er: „The United States will
Signale zur Früherkennung, S. 318-319.
213 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 13 und VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 317-318.
214 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 131-133. Ein früheres Mitglied des Nationalen
Sicherheitsrats unter Bush hält Slowenien und Kroatien gleichfalls für Auslöser des folgenden
Krieges. Vgl. GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 34-35.
215 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 132-133. Kritiker argumentieren, daß es für die
Administration nur möglich war, die Schuld für die Krise Slowenien und Kroatien zu geben, weil sie
den früheren Warnsignalen wie Miloševiæs Rhetorik und Handlungen keine ausreichende Beachtung
schenkte. Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 185 und EYAL Europe and Yugoslavia, S. 11-12.
216 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 14.
217 Vgl. GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 308 und EYAL Europe and Yugoslavia, S. 15-16.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
39
not recognize unilateral secession, which can only trigger violence and bloodshed. Those who
fail to negotiate will be responsible if violence breaks out.“218 Baker war bemüht, einen neuen
Konföderationsplan von Izetbegoviæund dem mazedonischen Präsident Gligorov den anderen
Republikführer schmackhaft zu machen. Für Slowenien und Kroatien war eine weitere
Zusammenarbeit mit Miloševiæs Serbien jedoch schon ausgeschlossen. Baker wies Miloševiæ
die Hauptschuld für die Staatskrise zu und warnte vor einer internationalen Isolierung
Serbiens, sollte Miloševiæ versuchen, die SFRJ mit Gewalt zusammenzuhalten. Allerdings
nannte der Außenminister keine spezifische Sanktionen, die in dem Falle eingesetzt werden
könnten. Botschafter Zimmermann betrachtete dies im Nachhinein als einen Fehler:
„Unfortunately Miloševiæ and the generals who backed him had lived by force, and they
understood it. What they read between the lines of the Baker visit was that the United States
had no intention of stopping them by force. It might isolate them and make them pariahs, but
that, they concluded, was an acceptable risk.“219
Baker verließ Belgrad pessimistisch. Er berichtet:
„In reporting on my day, I wrote the President, ,I argued strongly against unilateral steps that
would preempt a negotiating process, and basically sought to introduce a heavy dose of reality
into the unreal political climate in Yugoslavia. Markoviæwas very pleased with this message
and the thrust of the visit. Frankly I’m dubious about the effect.’“220
Es waren allerdings Bakers Reise und die amerikanische Politik, die angesichts des vorangeschrittenen Zustands der Nationalitätenkonflikte in Jugoslawien nicht realistisch schienen.
Es war kaum zu erwarten, wenige Tage vor den geplanten Unabhängigkeitserklärungen
Sloweniens und Kroatiens, daß der eintägige Besuch des amerikanischen Außenministers mit
bloßer Rhetorik und ökonomischen Anreizen die sich seit Jahren zuspitzende Antagonismen
hätte aufhalten können.221 Am 25. Juni 1991 erklärten Slowenien und Kroatien Ihre Unabhängigkeit; zwei Tage später begann der Krieg, als die JVA Slowenien angriff.
218 Baker zitiert in ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 135. Nähere Beschreibungen der Gespräche in ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 133-138 und BAKER The Politics of Diplomacy, S.
478-483.
219 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 137.
220 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 483.
221 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 37. Auch Zimmermann erkennt, daß Bakers Reise
viel zu spät kam. Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 137.
40
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Angesichts des Mißerfolgs der amerikanischen Jugoslawienpolitik stellt sich die Frage, was
die Bush-Administration motivierte, diese Linie zu verfolgen. Warum pochten die USA auf
den Erhalt der Einheit Jugoslawiens, wenn diese in Widerspruch zu demokratischen und
marktwirtschaftlichen Reformen stand und ohnehin schwer realisierbar schien? Eine Reihe
von Gründen könnten das Verhalten der Administration erklären. Trägheit ist eine mögliche
Erklärung: „Jugoslawien wurde in Fortschreibung seiner Rolle im Ost-West-Konflikt
ungefragt als Aktivposten des Westens gesehen, dessen Bestand in jedem Fall erhalten werden
mußte.“222 Ein oft erwähnter Grund für das Festhalten der amerikanischen Regierung an der
Einheit des SFRJ ist der Jugoslawien zugeschriebene Vorbildcharakter für die Sowjetunion.
Da auch dort ein zentraler Staat (mit Nuklearwaffen) zunehmend Forderungen seiner
multiethnischen Republiken nach einer Dezentralisation gegenüber stand, wollte Bush die
sowjetischen Republiken nicht durch eine Unterstützung separatistischer Bewegungen in
Jugoslawien ermutigen.223 Die Krise im persischen Golf und der daran anschließende Krieg
forderten die Aufmerksamkeit der amerikanischen Öffentlichkeit, der Administration und des
Außenministeriums: „Even a great power has difficulty in dealing with more than one crisis
at a time.“224 Trotz dieses Zugeständnisses des amerikanischen Botschafters, leugnet das
damalige Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates, David Gompert, daß die Golfkrise eine
Ablenkung für die Administration darstellte. Vielmehr berichtet er von der nüchternen
Überlegung der Administration, daß es keine friedliche Auflösung Jugoslawiens geben konnte
und es daher keinen besseren Weg gab, als auf die Einheit zu setzten.225 Kritiker bemängeln
eine „Bush-Doktrin“, wonach Stabilität eine übertriebene Bedeutung bekam.226 Dieser
„Doktrin“ entsprechend hätte die Bush-Administration nicht nur zu lange an der Einheit der
SFRJ festgehalten, sondern stufte auch in der Politik gegenüber der Sowjetunion die Stabilität
höher ein als die Menschenrechte. Die Wurzeln dieser Politik sahen sie in einem neuen Einfluß
der Ideen des früheren Außenministers Henry Kissinger durch seine früheren Kollegen
Eagleburger und Scowcroft, die beide maßgeblich an der Jugoslawienpolitik der BushAdministration beteiligt waren.227
222 Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 325. Vgl. auch GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 307.
223 Vgl. SCHILD Die USA und der Bürgerkrieg in Bosnien, S. 22, GLYNN Yugoblunder, S. 15-17,
IVANOV Zweideutige Prioritäten, S. 131, VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung,
S. 326 und BINDER United Yugoslavia Goal of U.S. Policy, in The New York Times, 1.7.91, S. A6.
224 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 137.
225 Vgl. GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 32-34.
226 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 37.
227 Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 38-39 und GLYNN Yugoblunder, S. 16.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
41
Ein weiteres zentrales Merkmal der Jugoslawienpolitik der Bush-Administration war die
Weigerung in dieser Phase der Krise, militärisches Vorgehen zu erwägen. Die Administration
sah in den drohenden Konflikten nur begrenzte Gefahren für amerikanische Interessen.
Außenminister Baker schreibt: „The Yugoslav conflict had the potential to be intractable,
but it was nonetheless a regional dispute. Miloševiæhad Saddam’s appetite, but Serbia didn’t
have Iraq’s capabilities or ability to affect America’s vital interests, such as access to energy
supplies.“228 Zudem betrachtete die Administration den drohenden Konflikt in Kroatien als
nicht geeignet für eine militärische Intervention, da die serbische Minderheit in Kroatien auch
legitime Beschwerden hatte.229 Am wichtigsten für die Entscheidung, nicht mit militärischen
Konsequenzen zu drohen, war die Annahme der Administration, daß ein solcher Einsatz
wenige Unterstützung in der amerikanischen Öffentlichkeit gefunden hätte. Botschafter
Zimmermann beobachtet: „Herein lies a dilemma that could be called the ‘paradox of
prevention’ and that applies to crises everywhere: it’s rarely possible to win support for
preventive action at a time when the circumstances that unambiguously justify such action
have not yet arrived.“230 Der Wunsch der Europäischen Gemeinschaft nach dem Golfkrieg
eine größere Führungsrolle bei dieser europäischen Krise zu spielen, lieferte noch einen Grund
für die Administration, Miloševiæund der JVA nicht mit dem Einsatz militärischer Mittel zu
drohen.231
Weil die Administration von einer einheitsfördernden Politik als der einzig vertretbaren
Möglichkeit für die Stabilität Jugoslawiens überzeugt war, suchte sie zu diesem Zweck auch
die Zusammenarbeit mit den europäischen Verbündeten. Dabei zählte die Bundesrepublik
Deutschland zu den wichtigsten Partnern. Wie nun dargestellt wird, gab es in der frühen Phase
der Jugoslawienkrise einen fast vollständigen Konsens zwischen der Bundesrepublik, den
USA und den anderen Verbündeten, daß ihre Politik angesichts der Probleme in der SFRJ
die richtige war. Im Laufe der Zeit bestimmten verschiedene Faktoren die Haltung Deutschlands, die diese Politik zunehmend in Frage stellten. Solche Einflüsse wurden jedoch von der
amerikanischen Rolle in der Jugoslawienpolitik beeinflußt. Eine „negative Führung“ der USA
versuchte Bemühungen der Verbündeten, die den Status quo in der SFRJ zu sehr gefährdeten,
zu blockieren. Zugleich fehlte eine „positive Führung“ Amerikas, die eine realistische Strategie
228 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 636. Ehemaliges NSC-Mitglied David Gompert stimmt
dieser Ansicht im wesentlichen zu, obwohl er behauptet, daß die Gefahren der Jugoslawienkrise als
Vorbild für andere nationalistische Konflikte in Osteuropa unterschätzt wurden.
229 Vgl. ZIMMERMANN, Origins of a Catastrophe, S. 139-140.
230 Ebd., S. 140. Vgl. auch BAKER The Politics of Diplomacy, S. 635-636 und GOMPERT How to Defeat
Serbia, S. 41-42.
231 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 636-637 und GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 36.
42
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
zur Konfliktverhütung gegenüber der SFRJ gezeigt hätte.232 Das Fehlen einer solchen Führung
stärkte wiederum eine Reihe anderer Faktoren, die eine eigenständige Jugoslawienpolitik
Deutschlands, trotz zunehmender Zweifel an der Richtigkeit der amerikanischen Linie,
verhinderte. Das Zusammenspiel dieser beiden Gruppen von Faktoren kann dazu beitragen,
deutsche Handlungen und den deutschen Handlungsspielraum in der Jugoslawienkrise bis
Ende Juni 1991 zu erklären.
Zunächst hielten die deutschen Außenpolitiker am Erhalt der jugoslawischen Einheit aus
eigener Überzeugung fest. Die Wirtschaftshilfe in den achtziger Jahren aus Bonn sollte unter
anderem auch der Stabilität der SFRJ dienen. Bei seinem Besuch 1985 in Belgrad betonte
Bundeskanzler Kohl das Interesse der Bundesrepublik an der inneren und äußeren Stabilität
Jugoslawiens.233 Allerdings waren diese Sorgen hauptsächlich vor dem Hintergrund des OstWest-Konflikts zu sehen.
Die sich zuspitzenden nationalistischen Konflikte in Jugoslawien errangen am Ende der
achtziger Jahre noch weniger Beachtung in der Bundesrepublik als in den USA. So bereut
der letzte deutsche Botschafter in der SFRJ (von 1988 bis 1992), Hansjörg Eiff, daß er bis
1988 die Unwirksamkeit von Wirtschaftsreformen auf gesamtjugoslawischer Ebene nicht
erkannte.234 Die Gründe für die unzulängliche Beachtung der Warnsignale in der Bundesrepublik sind vergleichbar mit den Gründen für die späte Reaktion der USA. Auch Deutschland
war durch die mannigfaltigen Folgen des Ende des Ost-West-Konflikts sowie von der
Golfkrise abgelenkt. Insbesondere die bevorstehende Vereinigung beider deutscher Staaten
und die damit verbundenen Schritte zur Einheit Deutschlands stellten eine immense Belastung
für deutsche Diplomaten dar und ließen wenige Ressourcen für die Jugoslawienpolitik übrig.235
Zum Teil lag die deutsche Zurückhaltung gegenüber Jugoslawien an den anfänglich weit-
232 Obwohl es unmöglich wäre, mit Sicherheit festzustellen, ob eine andere Strategie der USA und des
Westens den Ausbruch des gewaltsamen Konfliktes in Jugoslawien verhindert hätte, spricht vieles
dafür, daß es in dieser Phase der Krise bessere Alternativen gab als die tatsächlich verfolgte Politik.
Der Westen hätte bereits 1990 Konföderationspläne unterstützen können, als solche noch die Zustimmung Sloweniens und Kroatiens genossen. (Auch Zimmermann bedauert im nachhinein die
verspätete Unterstützung der Konföderationsidee.) Zudem hätten die USA und ihre Verbündeten einen
größeren Einfluß auf nichtkommunistische Kräfte in Slowenien und Kroatien ausüben können, um
antiserbischer Rhetorik während der Wahlkämpfe entgegenzuwirken und den Minderheitenschutz (in
Kroatien) zur Voraussetzung für ihre Wirtschaftshilfe zu machen. Gegenüber Miloševiæhätte man mit
konkreten Konsequenzen für sein Verhalten drohen können. Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 138-139, BEBLER Der Untergang des jugoslawischen Modells, S. 15, VETSCHERA /
SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 323, STEINBERG Turning Points, S. 4-6 und PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 37.
233 Vgl. RAMET Yugoslavia, S. 325 und MAULL Germany, S. 101.
234 Vgl. EIFF Zur Entwicklung im früheren Jugoslawien, S. 134.
235 Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 930 und MAULL Germany, S. 101.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
43
gehend mit den USA geteilten Meinungen, die Ereignisse auf dem Balkan wären vorbildlich
für die Republiken der Sowjetunion und daß jede Auflösung Jugoslawiens zum Krieg führen
mußte.236 Zum Teil unterschätzten deutsche Politiker die Sprengkraft der Konflikte in
Jugoslawien wegen des Phänomens der „Spiegelbildlichkeit“: „Man erwartete von den
Protagonisten ein Verhalten nach dem eigenen Vorbild, teilweise aus einem Wunschdenken
oder der Unkenntnis von Unterschieden, teilweise auch aus der Erwartung einer Rationalität,
die nicht zutraf.“237 Obwohl dieses auch die verspätete amerikanische Reaktion auf die
Jugoslawienkrise miterklären kann, errang dieser Effekt eine größere Auswirkung in
Deutschland; für ein Land, das seit dem Zweiten Weltkrieg eine tief empfundene Abscheu
gegenüber der Politik des Nationalismus entwickelt hatte, waren die Handlungen der
nationalistischen Führung in Serbien (und auch in Kroatien) rational besonders schwer
nachzuvollziehen.238
Ab 1989 versuchte die Arbeitsebene des amerikanischen Außenministeriums, die europäischen Verbündeten vor den zentrifugalen Kräften in Jugoslawien zu warnen. Aber so wie
ihre Vorgesetzten im State Department und im Weißen Haus, hörten die Europäer nicht auf
sie. Ein amerikanischer Diplomat erinnerte sich später:
„Die Franzosen zeigten sich ganz und gar abweisend. [...] Die Engländer und die Deutschen
hielten unser Verhalten für eine Überreaktion. Sie waren auf das, was geschah, nicht vorbereitet. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß so entsetzliche Dinge, wie sie in Somalia und
Kurdistan geschahen, sich in ihrem eigenen Hinterhof ereignen konnten.“239
Als die USA 1990 Konsultationen zur Lage in Jugoslawien im Rahmen der NATO vorschlugen, erhielten sie eine Absage von Europa; vermutlich nach dem Willen Frankreichs
wollten die Europäer ihre Jugoslawienpolitik im Rahmen der EG formulieren.240
Unter Berücksichtigung dieser Tatsache übte Amerika Druck auf die EG-Staaten aus: „den
nach Unabhängigkeit strebenden Republiken klarzumachen, daß sie im Falle ihres Ausscherens
236 Vgl. MAULL Germany, S. 113 und Müller, S. 150 für deutsche Sorgen um den Vorbildcharakter
Jugoslawiens für die Sowjetunion. Für die Meinung, es konnte keine friedliche Auflösung der SFRJ
geben, vgl. EIFF Zur Entwicklung im früheren Jugoslawien, S. 134.
237 Vgl. VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER Signale zur Früherkennung, S. 327 (in Anlehnung an Richard
Betts).
238 Vgl. MAULL Germany, S. 113.
239 Zitiert in NEWHOUSE Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens, S. 1191. Vgl. im gleichen
Sinne ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 147 und GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 35.
240 Vgl. GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 35.
44
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
aus der jugoslawischen Föderation in Europa nicht willkommen wären.“241 Im Dezember 1990
betonte Jacques Delors, Präsident der EG-Kommission, daß Republiken, die aus der SFRJ
austraten, nicht in die EG aufgenommen werden würden; Verhandlungen über eine Assoziierung Jugoslawiens lehnte der „Rat für die Zusammenarbeit zwischen Jugoslawien und der
Europäischen Gemeinschaft“ in Anbetracht der unsicheren innenpolitischen Lage in der SFRJ
ab.242 Um ihrer Unterstützung für die Einheit Jugoslawiens Nachdruck zu verleihen, sagte
die EG einem dritten Finanzprotokoll in Höhe von 730 Millionen ECU (eine Mrd. US$) für
Gesamtjugoslawien zu. Allerdings sollte dieses erst im Juli 1991 in Kraft treten.243
Als das Gewaltpotential in Jugoslawien weiter anstieg, plädierten die USA mit der EG
Anfang 1991, für die Einheit der SFRJ und gegen die Gewalt etwas zu unternehmen. Die
EG setzte weiterhin auf wirtschaftliche Anreize und Drohungen, sowie Rhetorik, um die
zerstrittenen Republiken in einem Staat friedlich zusammenzuhalten. Koordiniert mit dem
Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank versprach die EG am Anfang des
Jahres weitere finanzielle Unterstützung für die Reformpläne Markoviæs.244 Außenminister
Hans-Dietrich Genscher traf sich am 3. Februar mit dem slowenischen Mitglied des jugoslawischen Präsidiums und am 20. März mit Präsident Kuèan und dem slowenischen
Außenminister, um die Haltung der Bundesrepublik Deutschland gegen eine einseitige
Sezession Sloweniens deutlich zu machen.245 In einer Deklaration am 26. März erklärte die
EG erneut: „Nach Auffassung der Zwölf hat ein geeintes, demokratisches Jugoslawien die
besten Aussichten, sich harmonisch in das neue Europa einzugliedern.“246 Anfang April
wiederholte die „Troika“ der EG-Außenminister (zusammengesetzt aus den jeweiligen
Außenministern der vorherigen, gegenwärtigen und nachfolgenden Präsidentschaften der
EG)247 die gleiche Botschaft in Belgrad und bat zusätzliche Wirtschaftshilfe an, sollte
Jugoslawien in Frieden und Einheit fortexistieren.248
Trotz der Unwirksamkeit dieser Appelle und ökonomischer Anreize, setzten die EG-Länder
im Mai und Juni nach wie vor auf diese Methoden, um die Einheit Jugoslawiens zu wahren.
Eine offizielle Erklärung der EG vom 9. Mai mahnte, daß Einheit, Frieden und Demokratie
241
242
243
244
245
246
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 32.
Vgl. REUTER Prioritäten, S. 16-17, 19.
Vgl. REUTER Prioritäten, S. 19 und GIERSCH / EISERMANN Die westliche Politik, S. 96.
Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 3-4.
Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 931.
Erklärung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) zu Jugoslawien vom 26.3.91, in:
Europa-Archiv. 21/1991, S. D527-D528.
247 Angeführt zu dieser Zeit von dem Außenminister Luxemburgs, Jacques Poos, zusammen mit den
Außenministern Italiens und der Niederlande.
248 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 8.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
45
in Jugoslawien nur durch den Dialog gesichert werden könnten.249 Trotz der damaligen
Hilflosigkeit von Premierminister Markoviæ, lobten Bundeskanzler Kohl und der französische
Präsident Mitterrand in einer gemeinsamen Erklärung die „mutigen Anstrengungen der
Zentralregierung, die Einheit Jugoslawiens zu erhalten.“250 Der deutsche Finanzminister Theo
Waigel hielt den „Föderalismus“ der EG als beruhigendes Beispiel für die jugoslawischen
Republiken hoch.251 Am 13. Mai entschloß sich der EG-Ministerrat unter Anregung von
Großbritannien, einen Konföderationsplan für Jugoslawien zu unterstützen.252 Trotzdem blieb
der Wille in Slowenien und Kroatien, ihre Unabhängigkeit von der SFRJ zu suchen, unangetastet, wie es unter anderem die Ergebnisse des Unabhängigkeitsreferendums sechs Tage später
in Kroatien deutlich vor Augen führten.
Während Ende Mai 1991 die USA ihre europäischen Partner für ihre Bemühungen
zugunsten des Erhalts eines einheitlichen jugoslawischen Staates lobten, versuchte die EG
noch mit den gleichen Mitteln (wirtschaftliche Anreize und Drohungen zusammen mit
Plädoyers) diesem Zweck zu dienen. Der italienische Außenminister DeMichelis warnte die
Slowenen, im Falle einer Sezession könnten sie 50 Jahre auf die EG-Mitgliedschaft warten;
auf dem Treffen der EG-Außenminister am 3. Juni in Dresden warnte Jacques Delors erneut,
daß Republiken, die die SFRJ verließen, Schwierigkeiten bei dem Erwerb von EG-Finanzhilfe
haben würden.253 Fünf Tage später betonte die EG nochmals ihre Unterstützung für das
Reformprogramm von Premierminister Markoviæ.254 Auch bei der Konferenz der KSZEAußenminister vom 19. bis 20. Juni in Berlin hielten die EG-Länder zusammen mit den USA
und anderen KSZE-Mitgliedstaaten am Erhalt der Einheit Jugoslawiens fest.255 Zwei Tage
nach Bakers Reise nach Belgrad entschlossen sich die EG-Außenminister am 23. Juni, die
erwarteten Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens nicht anzuerkennen.256
Einen Tag vor Verkündung der Unabhängigkeitserklärungen erklärte Delors in Belgrad noch
einmal: „Die Frage der Anerkennung einer einseitigen Abspaltung stellt sich nicht. Die Zwölf
249
250
251
252
253
254
255
256
46
Vgl. Erklärung der EPZ zu Jugoslawien vom 9.5.91, in: Europa-Archiv, 21/1991, S. D528.
Kohl und Mitterrand zitiert in ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 625.
Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 11.
Einzelheiten des Plans bei ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 626 und
EYAL Europe and Yugoslavia, S. 10.
Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 11, 13-14.
Vgl. Erklärung der EPZ zu Jugoslawien vom 8.6.91, in: Europa-Archiv, 21/1991, S. D528.
Der österreichische Außenminister Alois Mock plädierte nicht zum ersten Mal vergeblich für eine
Abfindung des Westens mit einer Auflösung Jugoslawiens. Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 934936, EYAL Europe and Yugoslavia, S. 6 und 11, und ALMOND Europe’s Backyard War, S. 48.
Vgl. ALMOND Europe’s Backyard War, S. 48.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
werden den Teilen eines zerfallenen Jugoslawiens keinerlei Finanzhilfe gewähren.“257 Am
gleichen Tag versprach die EG weitere Anleihen in Höhe von über eine Mrd. US$ bis 1995
für eine einheitliche SFRJ.258 An diesem Abend (des 24. Juni) telefonierte Außenminister
Genscher mit seinem jugoslawischen Amtskollegen Loncar, um ihn aufzufordern, seine Macht
zur Verhinderung eines JVA-Einsatzes in Folge der bevorstehenden Sezessionen Sloweniens
und Kroatiens einzusetzen.259
Der Umstand, daß Genscher am Abend vor den Unabhängigkeitserklärungen bemüht war,
die Zentralregierung in Belgrad von einer Gewaltanwendung abzubringen und nicht mehr
(wie die EG und die USA) einen letzten Versuch unternahm, die Verkündung des Austritts
Kroatiens und Sloweniens aus der SFRJ zu verhindern, ist möglicherweise ein weiteres
Zeichen für ein allmähliches Umdenken, das schon seit Mai 1991 in der deutschen Jugoslawienpolitik erste Wurzeln geschlagen hatte. In der ersten Maihälfte hatte der ehemalige
Bundeskanzler Willi Brandt die Schaffung einer europäischen Interventionsmacht vorgeschlagen, die den Frieden in Jugoslawien sichern sollte.260 Nach seiner Jugoslawienreise
hatte der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Norbert Gansel, am 23. Mai das
Recht der jugoslawischen Völker nach Selbstbestimmung betont und sich für die völkerrechtliche Anerkennung Sloweniens und Kroatiens nach deren erwarteten Unabhängigkeitserklärungen ausgesprochen.261 Zunehmende Sympathie für die zwei Republiken, die den
Fortbestand der SFRJ in Frage stellten, war nicht nur ein Phänomen innerhalb der SPD;262
eine Reihe von Faktoren bewegte deutsche Außenpolitiker aller Parteien weg von dem
westlichen Konsens, der Einheit Jugoslawiens höchste Priorität einzuräumen.
Eine in Deutschland vergleichsweise hohe Sensibilität für das Recht eines Volkes auf
Selbstbestimmung war einer dieser Faktoren. Weil das Selbstbestimmungsrecht eine wichtige
Rolle bei der Offenhaltung der deutschen Teilung und dann bei der Vereinigung Deutschlands
1990 gespielt hatte, war es für manche Deutsche schwer verständlich, daß dieses Recht den
Slowenen und Kroaten vorenthalten bleiben sollte.263
257 Delors zitiert in REUTER Die Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 346.
258 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 16 und ALMOND Europe’s Backyard War, S. 48.
259 Auch der italienische Außenminister DeMichelis sprach mit Loncar. Vgl. GENSCHER Erinnerungen,
S. 936-937.
260 Vor allem England lehnte diesen Vorschlag ab. Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 10 und 11.
261 Vgl. Zitat Gansels in GENSCHER Erinnerungen, S. 932.
262 Vgl. MAULL Germany, S. 122.
263 Vgl. MAULL Germany, S. 116-117 und MÜHLEN Die deutsche Rolle, S. 50. Auf die schwierige Frage
des Selbstbestimmungsrechts im Völkerrecht wird in Punkt 3.2 zurückzukommen sein.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
47
Die traditionell engen Beziehungen zwischen Deutschland und Kroatien, aber auch
Slowenien, spielten eine weitere Rolle bei deutschen Überlegungen hinsichtlich der Lage in
Jugoslawien. Diese Beziehungen reichen weiter zurück als der Zweite Weltkrieg (entgegen
den Behauptungen serbischer Propaganda); unter Slowenen und Kroaten im 19. Jahrhundert
war Deutsch die Sprache der Eliten.264 Handelsbeziehungen und ein reger deutscher
Tourismus in den beiden Republiken ermöglichten häufige Kontakte zwischen den Völkern.265
Die 600 - 700.000 jugoslawischen Gastarbeiter in Deutschland, überwiegend Kroaten, stellten
nicht nur eine weitere Verbindung dar, sie hatten vielmehr auch politischen Einfluß dadurch,
daß sie Druck auf die Bonner Jugoslawienpolitik ausüben konnten.266 Vielleicht am bedeutsamsten bei den traditionellen Beziehungen zwischen Deutschland und den zwei Republiken
ist die Tatsache, daß die Bevölkerungen Sloweniens und Kroatiens überwiegend katholisch
sind. Dies schuf eine Sympathie besonders in der CSU, aber auch in der CDU für ihre
Unabhängigkeitsbestrebungen.267
Durch die Zuneigung der Unionsparteien zu den beiden nordwestlichen Republiken
Jugoslawiens und die schon erwähnte Kritik aus der SPD an der westlichen Jugoslawienpolitik
gerieten die FDP (der Koalitionspartner der CDU/CSU) und Außenminister Genscher in eine
innenpolitisch zunehmend schwierige Lage: „Es scheint Genschers Alptraum gewesen zu sein,
daß sich die Unionsparteien und die Sozialdemokraten in einer zentralen außenpolitischen
Frage annäherten und daß die Annäherung nicht auf diesen Fall beschränkt bliebe.“268 Da die
Kritik der CDU/CSU an der einheitsfördernden Jugoslawienpolitik vor den Unabhängigkeitserklärungen vom 25. Juni zurückhaltend war, durfte der parteipolitische Druck auf Genscher
zu dieser Zeit, obwohl im Ansatz schon vorhanden, gering gewesen sein.
Die Berichterstattung in den deutschen Medien begann ebenfalls einen innenpolitischen
Druck zu erzeugen, der dem Konsens zwischen der EG und den USA in der Jugoslawienpolitik zuwiderlief. Durch die Medien kamen die besondere Sympathie der Deutschen für
das Selbstbestimmungsrecht und die engen Beziehungen zu Kroatien und Slowenien zum
Ausdruck. In Fernsehberichten lag die Betonung auf der Aggression der serbischen Führung
264 Vgl. AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 353.
265 Vgl. RAMET Yugoslavia, S. 327 und MÜLLER German Foreign Policy, S. 153.
266 Vgl. RAMET Yugoslavia, S. 327. Hanns Maull warnt dagegen vor einer unangemessen hohen Einschätzung des Einflusses ethnischer Gruppen auf die deutsche Politik. Vgl. MAULL (1995/1996)
Germany, S. 123.
267 Vgl. AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 353, MÜLLER German Foreign Policy, S. 153 und
MAULL (1995/1996) Germany, S. 122-123.
268 Vgl. AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 354.
48
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
in Belgrad und der Krajina sowie auf dem Opferstatus der abtrünnigen Republiken; dies galt
auch für die Presse, vor allem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Welt.269
Die amerikanische Rolle bei der Formulierung der westlichen Jugoslawienpolitik bis zu
den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens hatte Auswirkungen auf den
parteipolitisch und den durch die Medien vermittelten innenpolitischen Druck nach einer
Änderung der deutschen Jugoslawienpolitik, die sich in dieser Phase in der Bundesrepublik
zu entwickeln begann. Weil die USA lediglich eine „negative Führung“ in der Jugoslawienpolitik ausübten, hatten innenpolitische Faktoren um so größere Chancen, ihre Einflüsse auf
die deutsche Haltung geltend zu machen. Auch nachdem die Unterstützung für die Reformpläne von Ante Markoviæ und die Fortexistenz einer jugoslawischen Föderation längst
aussichtslos schienen, weigerte sich die Bush-Administration, Alternativen zu ihrer Einheitspolitik mitzugestalten; sie begnügte sich mit der Blockierung von westlichen Vorschlägen,
die das Primat der Einheit verletzten.
Indem die USA die Europäer aufforderten: „etwas“ gegen die Auflösung Jugoslawiens
zu unternehmen (solange dieses „etwas“ im Einklang mit der einheitsfördernden Politik stand),
stärkten sie das Gefühl, auch in der Bundesrepublik, daß Europa nun die Initiative ergreifen
sollte. Besonders nach dem Golfkrieg empfanden viele in Deutschland sowie in der ganzen
EG, daß sie nun angesichts der Krise in Jugoslawien gefragt waren, die Führung in der
Formulierung der westlichen Politik zu übernehmen. Die USA hatten infolge des Golfkriegs
Deutschland und die EG geradezu aufgefordert, eine größere Führungsrolle in Europa zu
spielen; Jugoslawien schien ein angemessener Testfall zu sein.270 Die „Lehre“, die die
Europäische Gemeinschaft aus dem Golfkrieg zog, war die Notwendigkeit einer Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik (GASP).271 In der frühen Phase der Jugoslawienkrise, sowie
auch später, ging es der EG teilweise eher darum, die Koordinierung ihrer Politik zu
demonstrieren als eine zumutbare Jugoslawienpolitik zu formulieren: „[...B]y June 1991 the
EC still had no clear plan of action. There was no flexibility in its position; policy was dictated
by considerations that had little to do with Yugoslavia, and the Community had few levers
to exert pressure on the protagonists and implement its strategy.“272 Zugleich sah sich
269 Vgl. AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 354 und MAULL Germany, S. 102. Mehr zur Rolle
der Medien bei der Bildung des Jugoslawienbilds der deutschen Öffentlichkeit unter Punkt 3.3.
270 Vgl. GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 35, SALMON Testing Times, S. 248, MAULL Germany, S.
117, HAFTENDORN Gulliver in der Mitte Europas, S. 149 und ASMUS Germany and America, S. 554556, 558.
271 Vgl. die Aussagen Genschers, Delors und Santers, in: Für eine gemeinsame Außenpolitik der EG, in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.4.91, S. 2.
272 MAULL Germany, S. 101. Beispiele für selbstlobende Momente der europäischen Jugoslawienpolitik
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
49
Deutschland nach seiner Vereinigung und nach dem Golfkrieg aufgefordert, eine größere
Führungsrolle innerhalb der EG zu spielen.273 Da Amerika in Jugoslawien den Weg zur
Konfliktlösung nicht vorzeichnen wollte (sie stellte lediglich die Bedingung, die Einheit der
SFRJ sollte unangetastet bleiben), wurde die Bundesrepublik ermutigt, über eine eigenständige
Haltung nachzudenken, für die sie dann Partner finden könnte.
Im Hinblick auf diese Faktoren stellt sich die Frage, warum die Bundesrepublik bis zu den
Unabhängigkeitserklärungen die Jugoslawienpolitik der USA und der EG mittrug.274 Zum
einen lag es daran, daß die oben erwähnten Einflüsse noch nicht voll entwickelt waren; wie
bereits gesagt, teilte Deutschland zum Beginn der Krise viele der Annahmen der BushAdministration, die auf eine einheitsfördernde Politik hinausliefen. Dazu kam die Ablenkung
durch die Vereinigung. Zum anderen gab es auch andere Faktoren, gleichfalls von der
amerikanischen Rolle in der Jugoslawienpolitik beeinflußt, die sich auf einen deutschen
Alleingang hemmend auswirkten.
Seit der Gründung der Bundesrepublik ist die Integration in westliche Institutionen für sie
unentbehrlich gewesen. Das schrittweise Erlangen der Souveränität, vollendet mit dem
Inkrafttreten des Vertrages über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland am
15. März 1991, wurde erst durch die von den westlichen Partnern geforderten (und von Bonn
gewollten) begleitenden Schritte zur Einbindung der Bundesrepublik in ein Netz westlicher
Institutionen ermöglicht. Als die Bundesrepublik ihre Souveränität nach und nach erhielt,
übertrug sie Teile dieser Souveränität an europäische Institutionen. Vor allem für die
europäischen Nachbarn (aber auch für die USA) war diese Strategie Ausdruck des geschichtlich bedingten Mißtrauens Deutschland gegenüber. Im Vorfeld der deutschen Einigung
1989/1990 stiegen die Sorgen vor einem gestärkten, ökonomisch übermächtigen Deutschland
in der Mitte Europas.275 Wie seit der Gründung der Bundesrepublik, blieb es für Deutschland
seit der Vereinigung weiterhin wichtig, seine nationale Interessen in multilateralen Foren zu
in dieser Phase der Krise bei EYAL Europe and Yugoslavia, S. 10-11. Vgl. auch GOMPERT How to
Defeat Serbia, S. 35.
273 Vgl. MAULL Germany, S. 117.
274 Almond deutet darauf hin, daß Deutschland trotz Bedenken jede Erklärung der EG unterschrieb. Vgl.
ALMOND Europe’s Backyard War, S. 51.
275 Robert J. Art bietet eine knappe Darstellung britischer und französicher Ängste vor einem vereinigten
Deutschland und die Konsequenzen, die beide Staaten für ihre Europapolitik zogen. Vgl. ART Why
Western Europe, S. 13-22. Dabei zitiert er Margaret Thatcher, die von dem erstaunlichen Maß an
Mißtrauen, das sie mit Francois Mitterrand hinsichtlich der deutschen Einigung teilte, berichtet. Vgl.
THATCHER Downing Street No. 10, S. 1094-1106.
50
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
verfolgen. Damit wurden Ängste vor einer aggressiven deutschen Außenpolitik (ob berechtigt
oder nicht) gemildert.276
Auch als Deutschland 1990/1991 allmählich die Krise in Jugoslawien erkannte, suchte es
Partner für eine gemeinsame Reaktion. Wegen des deutschen Willens auf die GASP
hinzuarbeiten, suchte die Bundesrepublik einen Konsens in der Jugoslawienpolitik im Rahmen
der EG zu finden. Die Ansichten der verschiedenen Mitgliedstaaten gegenüber der Krise
waren jedoch schwer miteinander zu vereinbaren.277 Historisch begründete Zuneigungen und
Abneigungen gegenüber den verschiedenen Völkern Jugoslawiens blieben in Erinnerung. Auch
unterschiedliche Haltungen zu Sezessionsbewegungen, begründet in den Erfahrungen des
jeweiligen EG-Mitglieds, führten zu divergierenden Auffassungen des Jugoslawienkonflikts.
Wie schon beschrieben, hatte Deutschland historische Bindungen zu Slowenien und Kroatien
(die weiter zurück reichten als die Weltkriege) und legte einen großen Wert auf das Selbstbestimmungsrecht. Dagegen hatte Frankreich aufgrund ihrer Allianz im Ersten und im Zweiten
Weltkrieg historische Bindungen zu den Serben. Außerdem hatte Frankreich ein anderes
Verständnis des Begriffs „Volk“ als Deutschland, bei dem Staat und Nation gleichkommen.
Wie auch Großbritannien und Spanien, wollte Frankreich die Sezessionsbewegungen in ihren
eigenen Ländern durch Wohlwollen gegenüber den abtrünnigen Republiken in Jugoslawien
nicht ermutigen.
Trotz dieser unterschiedlichen Auffassungen legten Deutschland und seine EG-Partner
Wert auf eine gemeinsame Politik in Jugoslawien. Gerade weil sie die Krise unterschiedich
wahrnahmen, gewann die Suche nach einer gemeinsamen Linie an Bedeutung. So erklärt
Außenminister Genscher: „Einigkeit in der Europäischen Gemeinschaft [...] war absolut
vordringlich, wenn man die alten Frontstellungen aus dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg
nicht neu beleben und so das neue Europa gefährden wollte.“278 Wegen dieser Priorität der
Einstimmigkeit mußte jede Jugoslawienpolitik der EG auf den kleinsten gemeinsamen Nenner
reduziert werden. In der Frühphase der Krise konnten sich die Mitgliedsländer lediglich auf
276 Vgl. MAULL A German Perspective, S. 67-68. Die Ängste der europäischen Partner wurden dadurch
jedoch nicht völlig aus dem Weg geräumt; z.B. gab es noch Sorgen vor einer deutschen Dominanz in
europäischen Gremien.
277 Hierzu liegt eine umfangreiche Literatur vor. Vgl. u.a. FERGUSON Europa Nervosa, S. 22-24,
NEWHOUSE Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens, S. 1190-1196,GIERSCH / EISERMANN
Die westliche Politik, S. 103-105, Reuter Jugoslawien, S. 336-337, VETSCHERA / SMUTEK-RIEMER
Signale zur Früherkennung, S. 325, ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik,
S. 622-629 und JOFFE The New Europe, S. 32-33.
278 Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 932.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
51
eine Status-quo-Politik einigen, die in Eintracht mit der amerikanischen Haltung stand. Im
Laufe der Zeit wuchs in Bonn jedoch die Unzufriedenheit mit dieser Politik.
Solange die übrigen Mitgliedsländer der EG nicht bereit waren, diese Position zu ändern,
konnte die Bundesrepublik ihre wahrgenommenen Interessen in Jugoslawien im Rahmen der
EG nicht befriedigen. Weil die Bush-Administration keine Alternativen zur Einheitspolitik
aufstellte und nicht auf Gespräche im Rahmen der NATO bestand, gab es geringe Chancen
für Deutschland, seine wahre Ansichten in einem multilateralen Forum zu vertreten. Auch
wenn eine amerikanische Führung zu diesem Zeitpunkt nicht mit der bevorzugten deutschen
Haltung übereinstimmend gewesen wäre, hätte sie ein Klima des Mißtrauens in der Jugoslawienpolitik unter den EG-Staaten verhindern können und dadurch eine offenere, sachbezogenere Debatte um den richtigen Kurs in Jugoslawien ermöglichen können. Ohne ein starkes
amerikanisches Engagement blieb viel Platz für Reminiszenzen früherer europäischer
Erfahrungen und Bündnisse auf dem Balkan, die es besonders für Deutschland erschwerten,
die europäische und westliche Jugoslawienpolitik mitzubestimmen. Die Zurückhaltung der
USA schränkte den Handlungsspielraum Deutschlands auf diese Weise ein.
Bis Ende Juni 1991 überwogen die Faktoren, die auf eine Zurückhaltung Deutschlands
hinausliefen. Mit den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens am 25. Juni279
und dem offenen Ausbruch von Kämpfen zwei Tage später, zogen sich die USA in der
Jugoslawienpolitik weiter zurück und überließen die Führung eindeutig den Europäern. Damit
einhergehend verschoben sich die Faktoren, welche die deutsche Jugoslawienpolitik beeinflußten und den Rahmen für den Handlungsspielraum der Bundesrepublik setzten.
3. Anerkennungsstreit
3.1. Amerikanische Zurückhaltung und deutsche Handlungen im Rahmen der EG,
KSZE und WEU bis März 1992
Wenige Tage vor den Unabhängigkeitserklärungen hatte das serbische Parlament unter der
Kontrolle von Slobodan Miloševiædie JVA zum Eingreifen in Slowenien aufgefordert.280 Ein
verfassungsmäßiger Einsatz der Armee war jedoch ohne einen amtierenden Vorsitz des
279 Vgl. Unabhängigkeitserklärung der Republik Slowenien vom 25. Juni 1991, in: Europa-Archiv,
21/1991, S. D528-D531 und Erklärung über die Schaffung der souveränen und unabhängigen
Republik Kroatien vom 25. Juni 1991. In: Europa-Archiv, 21/1991, S. D531-D534.
280 Vgl. REUTER Die Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 344. Miloševiæ war dafür bekannt, sein
aggressives Verhalten möglichst nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen.
52
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
jugoslawischen Präsidiums unmöglich. Nachdem Slowenien nicht nur die Unabhängigkeit
erklärte, sondern auch die Grenz- und Zollkontrollen übernahm und neue Grenzschilder mit
dem Namen „Republik Slowenien“ errichtete, war die Sezession vollzogen.281 Unter Druck
der JVA und verbittert wegen des Verhaltens Sloweniens unterschrieb Premierminister
Markoviæ den Einsatzbefehl.282
Die JVA rechnete mit wenig Widerstand, hatte wenig Munition und agierte zum Teil ohne
Schießbefehl; dazu hatten Slowenen im jugoslawischen Verteidigungsministerium sämtliche
Pläne für den Einsatz der Bundesarmee an Ljubljana weitergeleitet.283 Im Laufe der Gefechte
vermochte die JVA zwar die Grenzposten und den Flughafen zu erobern, konnte die
Slowenen jedoch nicht zum Einlenken bringen. Ihrerseits kämpfte die slowenische Territorialverteidigung effektiv gegen die schlecht vorbereitete JVA und genoß die Vorteile einer
geschickten Öffentlichkeitsarbeit gegenüber den westlichen Medien.284
Am 19. Juli fiel die Entscheidung des jugoslawischen Staatspräsidiums, die JVA aus
Slowenien zurückzuziehen.285 Im Hinblick auf das Ziel Ante Markoviæs und der Bundesarmee,
die Sezession Sloweniens zu verhindern und damit die Einheit der SFRJ zu wahren, war dieser
Rückzug der JVA unverständlich. Es war allerdings Slobodan Miloševiæ, der hinter dieser
Entscheidung stand, sein Ziel war nicht mehr der Zusammenhalt der SFRJ, sondern die
Errichtung eines Großserbiens.286 Weil Serben einen Anteil der slowenischen Bevölkerung
von unter einem Prozent bilden und weil Serbien keine gemeinsamen Grenzen mit Slowenien
teilte, war diese Republik für Miloševiævom geringen Interesse.287 Vielmehr galt der Einsatz
als ein Schachzug gegenüber Kroatien mit seiner serbischen Minderheit von 600.000 (12%
der kroatischen Bevölkerung). Da im Dezember 1990 Kroatien und Slowenien ein Abkommen
zur Koordinierung ihrer Verteidigung unterschrieben hatten, war Miloševiæ bestrebt, dieses
quasi Verteidigungsbündnis vor einem Einsatz der JVA in Kroatien zu entkoppeln. Zu diesem
Zweck hatte er Tudjman noch vor dem Einsatz in Slowenien versichert, es würde nicht zu
281 Vgl. REUTER Jugoslawien, S. 7.
282 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 143. Reuter vermutet, daß Miloševiæ „nicht nur
informiert, sondern ebenfalls eine treibende Kraft bei der Militäraktion“ war. Vgl. REUTER Jugoslawien, S. 8.
283 Vgl. REUTER Jugoslawien, S. 8.
284 Vgl. REUTER Jugoslawien, S. 8, ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 145 und GOW Deconstructing Yugoslavia, S. 308-309.
285 Vgl. REUTER Die Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 348. Die begrenzten Gefechte in Slowenien
forderten 56 Tote und 287 Verletzte.
286 Zu den Zielen der verschiedenen Akteure, vgl. GOW Military-Political Affiliatians, insbes. S. 16-20.
287 Vgl. RAMET War in the Balkans, S. 86, REUTER Die Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 348-349
und REUTER Jugoslawien, S. 8-9.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
53
einem Eingreifen der JVA in Kroatien kommen; Kroatien leistete deswegen keine Hilfe an
Slowenien als diese Republik unter Beschuß stand und konnte danach keine Hilfe aus
Ljubljana erwarten.288
Mit dem kurzen Krieg in Slowenien vollzog sich eine Wende in der amerikanischen
Jugoslawienpolitik. Allerdings betraf diese Wende weniger den Inhalt der Politik als die
Intensität des Engagements.
Nach den Unabhängigkeitserklärungen betrachtete die Bush-Administration Slowenien
und Kroatien weiterhin als maßgebliche Anstifter der Krise. Außenminister Baker bekräftigte:
„We are concerned that this separation will lead to violence. We will not reward unilateral
actions.“289 Über diplomatische Kanäle erging die Warnung an Slowenien und Kroatien, die
prekäre Lage nicht durch weitere einseitige Maßnahmen zu verschärfen.290 Doch die Slowenen
übernahmen dann die Grenz- und Zollposten. Daraufhin kritisierte die Administration dies
als eine Verletzung der Helsinki-Schlußakte.291 Indem die Administration (zusammen mit
der EG) bis zuletzt immer wieder das Primat der Einheit der SFRJ betonte, besonders bei
Bakers Belgrad-Reise am 21. Juni, äußern viele Beobachter die Kritik, Belgrad hätte dies
als „grünes Licht“ für ein militärisches Vorgehen für den Zusammenhalt Jugoslawiens
verstanden.292 David Gompert lehnt diese Kritik ab: „The Baker mission failed, but the
secretary gave no ,green light’ to the Serbs to use force to preserve Yugoslav unity. Had the
U.S. championed Slovenian and Croatian secession instead of urging restraint, the results
would hardly have been better.“293 Zimmermann stimmt mit dieser Ansicht überein, deutet
jedoch darauf hin, daß Baker Miloševiæ und der JVA auch kein „rotes Licht“ zeigte, da
Amerika nicht an eine militärische Intervention dachte.294
288 Vgl. RAMET War in the Balkans, S. 86. Zimmermann und Baker berichten, daß Tudjman kurz vor der
Unabhängigkeitserklärung Kroatiens tatsächlich einen Einsatz der JVA in Kroatien für unmöglich
hielt. Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 135 und BAKER The Politics of Diplomacy, S.
481-482.
289 Baker zitiert in BINDER United Yugoslavia Goal of U.S. Policy, in: The New York Times, 1.7.91, S.
A6.
290 Vgl. REUTER Die Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 347. Die Administration appellierte auch
an Belgrad, keine Gewalt gegen die abtrünnigen Republiken einzusetzen.
291 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 635.
292 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 16, ALMOND Europe’s Backyard War, S. 39-40 und GATI From
Sarajevo to Sarajevo, S. 77. Almond deutet in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der NATOOberbefehlshaber John Galvin in einem Gespräch mit der serbischen Zeitung Politika eine NATOIntervention in einem eventuellen Krieg in Jugoslawien auf jeden Fall ausschloß. Vgl. ALMOND
Europe’s Backyard War, S. 48. Newhouse zitiert zwei deutsche Diplomaten, die ebenfalls ein von
Serbien und der JVA wahrgenommenes „grünes Licht“ als Ergebnis der Belgrad-Reise Bakers
bemängeln. Vgl. NEWHOUSE Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens, S. 1192.
293 Vgl. GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 35.
294 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 137.
54
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Auch nach dem Ausbruch der Kämpfe änderte sich nichts an dem amerikanischen Bestehen
auf Jugoslawiens Einheit. Weiterhin betrachtete die Administration Jugoslawien als Vorbild
für eventuelle Ereignisse in der Sowjetunion und wollte daher keine ermutigende Signale an
Slowenien und Kroatien übermitteln.295 Es fand jedoch eine Akzentverlagerung in der
amerikanischen Haltung statt, indem die USA ihre Unterstützung nun für jede Staatsform
versprach, auf die sich die jugoslawischen Republiken friedlich und demokratisch einigen
könnten.296
Die größte Veränderung in der amerikanischen Politik nach dem 25. Juni 1991 war
allerdings die bewußte Entscheidung der Bush-Administration, keine Führung in der
Jugoslawienkrise zu übernehmen und sie den Europäern zu überlassen. Hierfür gab es mehrere
Gründe. Über die erwähnte Wahrnehmung des geringen Nationalinteresses in Jugoslawien
sowie die Ablenkung durch das Ende des Ost-West-Konflikts und die Lage im persischen
Golf hinaus, entstanden nun neue Faktoren für die Zurückhaltung der Administration. Zum
einen war James Baker persönlich entsetzt über die Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens
und Kroatiens, die nicht auf seine Appelle in Belgrad geachtet hatten.297 Diese nicht nur vom
Außenminister empfundene Enttäuschung wurde durch die vorherrschende Auffassung der
Administration verstärkt, Jugoslawienkonflikte wären nationalistischer Natur; weil sie als
uralte ethnische Stammeskonflikte galten, so die Auffassung, konnte kaum ein Außenseiter
Einfluß auf sie nehmen. So stellte Ralph Johnson (Deputy Assistant Secretary of State for
European and Canadian Affairs) fest: „The bottom line in this crisis […] is that the world
community cannot stop Yugoslavs from killing one another so long as they are determined
to do so.“298 Sofern außenstehende Akteure durch nichtmilitärische Maßnahmen auf die
Konfliktparteien hätten effektiv einwirken können, hätten die Europäer ohnehin größere
Erfolgschancen als die USA, weil sie mit Jugoslawien wirtschaftlich enger verflechtet
waren.299
Die Jugoslawienkrise entstand während Amerika und Europa eine Debatte über ihre
Beziehungen nach dem Ost-West-Konflikt führten und wurde zwangsläufig zum Bestandteil
dieser Debatte. James Baker erklärt:
295 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 48-49.
296 Vgl. GIERSCH / EISERMANN Die westliche Politik, S. 102. Lawrence Eagleburger erklärte: „[W]hat we
want is a new confederation.“ Eagleburger zitiert in: BINDER United Yugoslavia Goal of U.S. Policy,
in: The New York Times, 1.7.91, S. A6.
297 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 147 und 164.
298 Diese offizielle Aussage Johnsons vor dem Ausschuß für Auswärtige Beziehungen des US-Senats
zitiert in PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 38.
299 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 38.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
55
„Some Europeans – certain that political and monetary union was coming and would create
a European superpower – were headstrong about asserting a European defense identity in which
America’s role on the Continent was minimized. We had been fighting this for some time,
and trying to get them to recognize that, even with a diminished Soviet threat, they still needed
an engaged America. But our protestations were overlooked in an emotional rush for a unified
Europe. The result was an undercurrent in Washington, often felt but seldom spoken, that it
was time to make the Europeans step up to the plate and show that they could act as a unified
power. Yugoslavia was as good a first test as any.“300
Äußerungen führender europäischer Politiker in dieser Phase des Konflikts dürften zu der
Entscheidung beigetragen haben, diese von der Administration als fast aussichtslos betrachtete
Last nicht ohne Schadenfreude den Europäern zu überlassen.301
Wenn die Unabhängigkeitserklärungen und der Angriff der JVA auf Slowenien einen
Rückzug der USA aus einer aktiven Rolle in der Jugoslawienpolitik herbeiführten, dann schien
es zunächst so, als ob die Europäische Gemeinschaft durch ihre eindeutige diplomatische
Einsatzbereitschaft diese Lücke füllen konnte. Nach der Uneinigkeit der EG-Länder im
Golfkrieg stellte die Jugoslawienkrise eine zweite Chance für die Gemeinschaft dar, ihren
Zusammenhalt zu demonstrieren.302 Dies war um so wichtiger weil es nun um eine europäische
Krise ging und weil die Verhandlungen um die Europäische Union mit der vorgesehenen
GASP im Gange waren.
Dementsprechend zeigte auch die Bundesrepublik Deutschland großes Interesse an einer
europäischen Lösung. Bonn betrachtete den Ausbruch der Gewalt in Jugoslawien nicht nur
als eine Chance für die GASP, sondern auch als eine Möglichkeit anderer europäischen
Institutionen, sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts den neuen Gegebenheiten in
Europa anzupassen; die effektive Gestaltung der KSZE, der Westeuropäischen Union (WEU)
sowie der NATO lag im Interesse der Bundesrepublik an einer Vielfalt multilateralen
Organisationen, in deren Rahmen Deutschland seine Außenpolitik zum tragen bringen
300 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 636-637. Auf diese Debatte wird im Punkt 3.3. näher
eingegangen werden.
301 „Dies ist die Stunde Europas. Es ist nicht die Stunde der Amerikaner.“ Luxemburgischer Außenminister Poos zitiert in: RIDING, ALAN European Leaders Seek Common Line in Crisis, in: The New
York Times, 29.6.91, S. 4. „Washington is being kept informed but is not being consulted.“ Italienischer Außenminister DeMichelis, zitiert in PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 39. „We
do not interfere in American affairs; we trust that America will not interfere in European affairs.“
Jacques Delors, zitiert in MALCOLM The Case Against „Europe“, S. 68.
302 Vgl. REUTER Jugoslawien, S. 335 und GIERSCH / EISERMANN Die westliche Politik, S. 101-102.
56
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
könnte.303 Weil die NATO ohne ein amerikanisches Engagement in dieser neuen Phase der
amerikanischen Jugoslawienpolitik kaum eine Rolle spielte, war es Aufgabe der übrigen
europäischen Institutionen, eine Lösung zu finden.304 Hier spielte Bonn zunächst eine
herausragende Rolle. Daß die schon geschilderten Ausgangspositionen der verschiedenen
Mitgliedsländer der EG gegenüber Jugoslawien allerdings auseinander gingen, erschwerte
ihre Bemühungen erheblich. Dies galt erst recht für die KSZE.
Noch vor dem Angriff der jugoslawischen Bundesarmee auf Slowenien versuchte
Deutschland durch Appelle der neun Mitglieder der WEU am 26. Juni die KSZE durch den
neuen Dringlichkeitsmechanismus in die Krise einzuschalten.305 Am nächsten Tag, bei
Ausbruch der Kämpfe, setzte Österreich den KSZE-Krisenmechanismus in Gang, was
Jugoslawien dazu verpflichtete, seinen militärischen Einsatz zu erklären.306 Als die Staatsund Regierungschefs der EG-Staaten am 28. Juni für ihre Gipfelkonferenz des Europäischen
Rats in Luxemburg zusammentrafen, wurden Meinungsverschiedenheiten bezüglich
Jugoslawien schon deutlich. Während Bundeskanzler Kohl in der gemeinsamen Erklärung
zur Lage in Jugoslawien das Recht auf Selbstbestimmung betonen wollte, wurde dies von
Frankreich, Großbritannien, und Spanien blockiert mit dem Hinweis auf die Bedeutung der
territorialen Integrität.307 Sie konnten sich allerdings auf die Entsendung der AußenministerTroika nach Belgrad und Zagreb einigen.
Die Troika (bis zum Ende Juni unter Führung Jacques Poos) reiste direkt vom Gipfel nach
Belgrad und Zagreb, wo sie in Treffen mit Premierminister Markoviæ, dem slowenischen
Präsident Kuèan und dem kroatischen Präsident Tudjman den Rückzug der JVA in ihre
Kasernen, die Wahl Stipe Mesiæs zum Vorsitzenden des Staatspräsidiums und die Aussetzung
der Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens für einen Zeitraum von drei
Monaten forderte; gegenüber Markoviæ drohte sie mit einem Einfrieren aller EGWirtschaftshilfen an die SFRJ.308 Nachdem die Troika zunächst keinen Erfolg verbuchen
303 Vgl. in diesem Sinne MAULL Germany, S. 101.
304 In Juli fanden zwar Konsultationen bezüglich Jugoslawien im Rahmen der NATO statt, eine militärische Rolle für das Bündnis erwägte sie jedoch nicht. Vgl. STEINBERG The Role of European
Institutions, S. 13 und PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 41.
305 Vgl. E YAL Europe and Yugoslavia, S. 24-25. Der „KSZE-Mechanismus für Konsultation und
Zusammenarbeit in dringlichen Situationen“ wurde zwei Wochen früher auf dem KSZE-Außenminister Konferenz in Berlin beschlossen. Für eine gründliche Darlegung des Mechanismus, vgl.
LUCAS Minderheitenrechte, S. 101-102. Der Antrag der WEU-Staaten fand die Unterstützung der
USA, Österreich und Ungarn. (S. 102, F.N. #55).
306 Vgl. WEITZ The CSCE and the Yugoslav Conflict, S. 24-25. Dieser Mechanismus entstand auf dem
Pariser KSZE-Gipfel vom 21.11.1990.
307 Vgl. RIDING European Leaders Seek Common Line on Crisis, in: The New York Times, 29.6.91, S. 4.
308 Vgl. „EG droht Jugoslawien mit Sperrung der EG-Hilfe“, in: Süddeutsche Zeitung, 1.7.91, S. 1.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
57
konnte, gab Außenminister Genscher die einseitige Einstellung deutscher Finanzhilfe an
Jugoslawien bekannt.309 Zwei Tage später kehrte die Troika zurück nach Jugoslawien, wo
sie nun alle drei Forderungen durchsetzen konnte. Dieser vorläufige Erfolg wirkte ermutigend
auf die Gemeinschaft.310
Inzwischen setzte die KSZE ihre Vermittlungen fort. Der Ausschuß der Hohen Beamten
der KSZE traf im Rahmen des Dringlichkeitsmechanismus infolge des Antrags der WEUStaaten am 3. Juli in Prag zusammen. Die 35 Vertreter appellierten an die Konfliktparteien,
die von der EG-Troika ausgehandelten Bedingungen einzuhalten und beauftragten die EGStaaten mit der Organisierung einer Beobachtermission, um die Einhaltung des
Waffenstillstands zu überwachen.311 Strengere Maßnahmen seitens der KSZE waren
angesichts der Schwierigkeit, einen Konsens unter den Mitgliedern zu finden, nicht zu
erwarten. Dies erklärt die Bereitschaft der KSZE, die weiteren Schlichtungsbemühungen an
die EG zu delegieren.312
Bei dem Treffen des EG-Rats am 5. Juli konnten sich die Außenminister auf die
Verhängung eines Waffenembargos gegen Gesamtjugoslawien sowie die zeitweilige
Außerkraftsetzung der zweiten und dritten Finanzprotokolle mit der SFRJ einigen.313 Die
offizielle Erklärung betonte das Recht auf Selbstbestimmung als auch die territoriale
Unversertheit der Staaten. Diese Formulierung war Ausdruck des drohenden Risses in der
Gemeinschaft hinsichtlich der Anerkennungsfrage zwischen der Bundesrepublik einerseits
und hauptsächlich Frankreich, Großbritannien und Spanien andererseits. Auf der Sitzung
schlug Deutschland die völkerrechtliche Anerkennung Sloweniens und Kroatiens vor und
erhielt die Warnung, keinen Alleingang in dieser Angelegenheit zu begehen.314
Schon
am
1.
Juli
hatte
Bundeskanzler
Kohl
eine
Gewährleistung
des
Selbstbestimmungsrechts in Jugoslawien gefordert. Der außenpolitische Sprecher der
309 Vgl. „SPD: Unabhängigkeit anerkennen“, in: Süddeutsche Zeitung, 1.7.91, S. 6. Im Jahr 1990 betrug
deutsche Finanzhilfe an Jugoslawien um die 550 Mill. US $. Vgl. RAMET Yugoslavia, S. 327.
310 Allerdings war die Wahl von Stipe Mesiæzum Vorsitzenden des Staatspräsidiums ein „Scheinerfolg“
weil dieser nun ohne Beteiligung Sloweniens an der vormals achtköpfigen Präsidentschaft jederzeit
von dem „serbischen Quartett“ im Präsidium überstimmt werden konnte. Vgl. REUTER Die Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 347-348.
311 Vgl. Kommuniqué des Ausschusses Hoher Beamter im Rahmen des Krisenmechanismus der KSZE
über das Angebot einer Mission der Guten Dienste nach Jugoslawien, abgegeben am 3. Juli 1991 in
Prag, in: Europa-Archiv, 21, S. D534-D536. Vgl. dazu auch GENSCHER Erinnerungen, S. 941 und
REUTER Jugoslawien, S. 335.
312 Vgl. REUTER Jugoslawien, S. 335.
313 Vgl. EPZ-Erklärung zur Lage in Jugoslawien, Den Haag, 5. Juli 1991, in: Europa-Archiv, 21, S.
D536-D537.
314 Vgl. AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 352 und MAULL Germany, S. 103.
58
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers, hatte sich ausdrücklich für die Anerkennung
Sloweniens und Kroatiens geäußert. CDU-Generalsekretär Volker Rühe hatte die
Bundesregierung aufgefordert, im Rahmen der EG: „einen Prozeß einzuleiten um eine solche
Anerkennung herbeizuführen“ und hatte heftige Kritik an der bisherigen Jugoslawienpolitik
Bonns und der Gemeinschaft ausgeübt.315 Aus der SPD hatten Norbert Gansel und Karsten
Voigt nach einem Kurzbesuch am 1. Juli in Ljubljana die Anerkennung der zwei Republiken
gefordert; auch Parteivorsitzender Björn Engholm hatte diese befürwortet. Dagegen war
Außenminister Genscher und seine FDP der Meinung, daß es noch zu früh für einen derartigen
Schritt war. Bundeskanzler Kohl stand somit unter Druck seiner eigenen Partei, auf eine
Anerkennung hinzusteuern und Genscher sah sich mit seiner Haltung politisch zunehmend
isoliert; vor diesem Hintergrund ist der deutsche Vorschlag am 5. Juli auf der Haager
Außenministertagung zu verstehen.316
Am 7. Juli konnte die EG-Troika (nun unter Führung des niederländischen Außenministers
Hans van den Broek) sich mit Vertretern Jugoslawiens, Serbiens, Sloweniens und Kroatiens
in Brioni auf eine Deklaration einigen, wonach die Bedingungen für den dreimonatigen
Waffenstillstand,
die
dreimonatige
Aussetzung
der
Durchführung
der
Unabhängigkeitserklärungen, die Entsendung einer EG-Beobachtermission und die Aufnahme
von Verhandlungen bis spätestens 1. August festgelegt wurden.317 Am 15. Juli trafen die
ersten von 50 EG-Beobachter in Slowenien ein. Mit dem Beschluß des jugoslawischen
Staatspräsidiums vom 19. Juli, die JVA aus Slowenien abzuziehen, schienen die Vermittlungen
der Gemeinschaft erfolgreich. Die prekäre Lage in Kroatien drohte dennoch ein schwierigeres
Problem zu sein, das die EG vor eine weitaus größere Zerreißprobe stellte.
Zur Begründung des Abzugs der JVA aus Slowenien erklärte der serbische Vertreter im
jugoslawischen Staatspräsidium, Jovic, die Bundesarmee wollte nicht dort stationiert sein,
wo sie als Besatzer betrachtet wurde: „Diese Aussage klang angesichts der Tatsache zynisch,
daß zu diesem Zeitpunkt 70.000 Soldaten der Armee in Kroatien standen, die von der
315 Seine Bemerkungen lösten französische Bedenken um eine Rolle Deutschlands als „Schützmacht“ für
Slowenien und Kroatiens aus. Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 51, F.N. #6.
316 Zu den verschiedenen Haltungen, vgl. AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 351-352: „SPD:
Unabhängigkeit anerkennen“, in: Süddeutsche Zeitung, 1.7.91, S. 6, und „CDU-Kritik an Genschers
Jugoslawien-Kurs“, in: Süddeutsche Zeitung, 2.7.91, S. 1.
317 Slowenische Polizisten sollten die Grenzen Sloweniens kontrollieren, die Zölle sollten jedoch weiterhin an die Bundesbehörden fließen. Vgl. Gemeinsame Erklärung der Ministertroika der Europäischen
Gemeinschaft und der jugoslawischen Konfliktparteien über einen Friedensplan für Jugoslawien,
vereinbart in Brioni am 7. Juli 1991, in: Europa-Archiv, 21, S. D537-D539. Von den Konfliktparteien
wurde die Deklaration „angenommen“, jedoch nicht unterschrieben. Vgl. STEINBERG The Role of
European Institutions, S. 13.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
59
Bevölkerung dieser Republik ohne Zweifel als Besatzer angesehen wurden.“318 Jens Reuter
deutet auch darauf hin, daß der neue (kroatische) Vorsitzende des Präsidiums, Mesiæ, gegen
den Abzug der JVA aus Slowenien stimmte, weil er diesen als gefährlich für Kroatien
betrachtete.319 Das Parteiprogramm der SPS Miloševiæs vom 15. Juli hatte schließlich
ausdrückliche Gebietsansprüche gegenüber Kroatien erhoben.320
Seit den Unabhängigkeitserklärungen am 25. Juni hatten die sporadischen Gefechte
zwischen der kroatischen Nationalgarde und serbischen Freischärlern angedauert. Die JVA
war vorgeblich beteiligt an einem neutralen Einsatz in Kroatien, um den „Frieden“ dort zu
erhalten. Doch im Laufe der Zeit wurde es immer offensichtlicher, daß die Bundesarmee die
verschiedenen serbischen Freischärlergruppierungen unterstützte. Als der serbische Anteil
an der JVA zunahm (v.a. durch Austritte Nicht-Serben) verlagerte sich die Betonung ihres
Einsatzes immer mehr von dem „Zusammenhalt Jugoslawiens“ hin zu „alle Serben in einem
Staat“.321 Am 19. August griff die JVA schließlich direkt in die Kämpfe ein mit Artilleriefeuer
auf die Stadt Vukovar und eine Offensive ihrer in Bosnien stationierten Truppen auf Kroatien.
Während der ersten drei Monate war die kroatische Nationalgarde äußerst zurückhaltend
bei den Gefechten. Anders als Slowenien, war Kroatien kaum auf den Krieg vorbereitet.
Präsident Tudjman verfolgte eine Strategie, wonach Kroatien seinen Opferstatus hochspielen
sollte, um den Westen zu einer Anerkennung oder sogar zu einem Eingriff bewegen zu
können. Spät im August sagte er Warren Zimmermann, er rechne mit einem militärischen
Einsatz der USA.322 Auch im August war die JVA zum genau entgegengesetzten Schluß
gekommen; es würde weder einen Einsatz der USA, noch eine militärische Einmischung der
europäischen Staaten geben. Eine im Auftrag der JVA veröffentlichte Studie hielte einen
Einsatz der WEU für unmöglich ohne die Unterstützung der USA, die sich offensichtlich nicht
einmischen wollten; außerdem hielt die Armeeführung den bei dem UN-Sicherheitsrat für
eine Intervention nötigen Konsens für unwahrscheinlich:
318
319
320
321
Vgl. REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 8.
Vgl. REUTER Die Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 348.
Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 31.
Zu der Unterstützung der JVA für die serbischen Freischärler, vgl. REUTER Jugoslawien vor dem
Zerfall, S. 8-9. Zu der Beziehung zwischen der JVA und Slobodan Miloševiæ, vgl. REUTER Die
Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 344-346 und GOW Military-Political Affiliatians, S. 19-24.
Gow stellt auch die verschiedenen Milizen auf beiden Seiten des Krieges in Kroatien dar.
322 Trotz der Zusicherung Zimmermanns, daß es keineswegs dazu kommen würde, hielt Tudjman an
seiner Illusion fest. Vgl. Zimmermann, S. 154. Zu der „Opferstrategie“ Tudjmans, vgl. GOW MilitaryPolitical Affiliatians, S. 17.
60
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
„It judged that such a consensus was unlikely and could be made impossible by sowing doubt
and division in the international community. One of its primary tactics in this respect was the
invocation of the specter of Vietnam, in an attempt to play on the sensibilities of Western
political and military elites.“323
Die Annahme Tudjmans erwies sich als absolut falsch, der Schluß der JVA als wahr und ihre
daraus resultierende Strategie als effektiv.
Als Mitte Juli sich die Lage in Slowenien entschärfte und Kroatien nun im Mittelpunkt der
Ereignisse stand, erklärten die EG-Beobachter, Kroatien läge nicht in ihrem Auftrag; zudem
war es kein gutes Zeichen, daß sich Belgrad gegen die Entsendung der Beobachter nach
Kroatien stellte, nachdem diese auf einer Sitzung des EG-Rats der Außenminister am 29.
Juli in Brüssel beschlossen wurde.324 Hier schlug Frankreich zum ersten Mal einen friedenssichernden Einsatz der WEU in Jugoslawien vor. Trotz (und zum Teil wegen) des gezeigten
Interesses Genschers und des CDU-Generalsekretärs Rühe an dieser Idee, scheiterte sie am
Widerstand Großbritanniens und Hollands.325 Ein erneuter Vermittlungsversuch der Außenminister Troika am 3. und 4. August scheiterte an der Weigerung Serbiens, an Gesprächen
mit der Troika teilzunehmen und an verstärkter serbischer Opposition zu der Stationierung
der EG-Beobachter in umkämpften Gebieten Kroatiens. Am 4. August erklärte Hans van
den Broek: „There is nothing more we can do here.“326 Zwei Tage später in Den Haag
debattierten die zwölf Außenminister weiter über ihre Jugoslawienpolitik; Ergebnis war die
Errichtung einer Kommission, die eventuelle Wirtschaftssanktionen überprüfen sollte sowie
die Benachrichtigung des UN-Sicherheitsrats über die Vermittlungen der EG.327 Genscher
kündigte an, die Anerkennungsfrage müßte dann gestellt werden, wenn die Kämpfe über die
in Brioni verhandelte Frist (den 7. Oktober) hinaus andauerten:
„Die Bundesrepublik, machte ich klar, werde nur im Rahmen und in Übereinstimmung mit
der EG handeln. Wenn die Verhandlungen blockiert und der Krieg fortgesetzt wurden, dann
mußte geprüft werden, ob man nicht eine Internationalisierung des Konflikts durch An-
323 Vgl. GOW One Year of War in Bosnia and Herzegovina, S. 5-6. Obwohl Mitte Augus fertiggestellt
(vermutlich), wurde die Studie erst im Oktober 1991 in einer militärischen Zeitschrift veröffentlicht.
324 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 31, REUTER Die Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 349
und STEINBERG The Role of European Institutions, S. 16.
325 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 32-33.
326 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 33-34, STEINBERG The Role of European Institutions, S. 16 und
REUTER Die Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 349.
327 Vgl. EPZ-Erklärung zu Jugoslawien, Den Haag, 6. August 1991, in: Europa-Archiv, 21, S. D540D541. Die Erklärung verurteilte die „Versuche seitens einer Republik, den anderen Republiken mit
Gewalt Lösungen aufzuzwingen“, ohne jedoch Serbien beim Namen zu nennen.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
61
erkennung der beiden Republiken als letztes verbleibendes politisches Mittel nutzten müßte,
um das Blutvergießen und die Vertreibung zu beenden.“328
Am nächsten Tag in London trafen sich die Botschafter zur Sitzung der WEU, wo
Frankreich erneut auf eine Rolle der Organisation in Jugoslawien drängte.329 Am 8. und 9.
August trafen sich Vertreter der KSZE in Prag im Rahmen des Dringlichkeitsmechanismus,
konnten allerdings lediglich die Entsendung weiterer Beobachter nach Jugoslawien beschließen, um dort einen wackeligen Waffenstillstand zu unterstützen. Die SFRJ blockierte
einen britischen Vorschlag für eine jugoslawische Friedenskonferenz.330 Die Gefechte in
Kroatien eskalierten weiter.
Die USA hatten alle Vermittlungsversuche der Europäer rhetorisch unterstützt, darüber
hinaus jedoch keine Eigeninitiative in Jugoslawien ergriffen. Angesichts der mangelnden
Erfolge der EG, KSZE und WEU das Blutvergießen in Kroatien zu unterbinden, wuchs die
innenpolitische Kritik an der Zurückhaltung der Bush-Administration. So erklärte Senator
Dole:
„In my view, we have already waited too long. Too many people have died, too many people
are still suffering … All this while the European Community takes ,action’ - if that is the right
word - that has amounted to little more than diplomatic hand-wringing. And all the while the
United States watches, issues tepid statements of support for the EC’s meager efforts, and does
nothing else.“331
Zudem hatten auf Arbeitsebene im amerikanischen Außenministerium im Hinblick auf das
wiederholte Scheitern der Waffenstillstände und die Unwirksamkeit europäischer Vermittlungen die Sorgen um eine Ausdehnung des Konflikts zugenommen.332 US-Botschaften
zeigten sich besorgt um die enge Verbindung zwischen Athen und den Serben einerseits,
während sich die Türkei andererseits zunehmend um die Lage der bosnischen Muslime
kümmerte. Der andauernde Konflikt in Jugoslawien drohte nach Auffassung anderer
328 Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 945. Zu den Gesprächen in Den Haag, vgl. auch EYAL Europe and
Yugoslavia, S. 34.
329 Vgl. STEINBERG The Role of European Institutions, S. 17 und REUTER Die Entstehung der jugoslawischen Krise, S. 349.
330 Vgl. Kommuniqué des Ausschusses Hoher Beamter im Rahmen des KSZE-Krisenmechanismus,
verabschiedet auf seiner Sitzung vom 8. und 9. August 1991 in Prag, in: Europa-Archiv, 21, S. D541D542. Vgl. auch STEINBERG The Role of European Institutions, S. 17.
331 Dole zitiert in PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 43-44. Für eine Darstellung des Drucks
slowenischer und kroatischer Interessengruppen auf ein stärkeres amerikanisches Auftreten in
Jugoslawien, vgl. S. 44-45.
332 Folgende Darstellung aus EYAL Europe and Yugoslavia, S. 35-36.
62
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Diplomaten, die Stabilität der postkommunistischen Staaten zu gefährden. Vor dem Haager
Treffen der EG-Außenminister am 6. August, hatte das State Department daher europäische
Regierungen über private Wege wissen lassen, daß Amerika bereits wäre, sich aktiv im
Jugoslawienkonflikt zu engagieren, wenn die EG dies wollte. Trotz dem Interesse Großbritanniens und Hollands an diesem Angebot, stellte sich Frankreich dagegen.
Mit dem Augustputsch in Moskau schwand das neue Interesse Washingtons an Jugoslawien. So schreibt Baker: „Clearly, our central focus for months to come would be on
managing the peaceful dissolution of the USSR.“333 Weil der befürchtete Zerfall der Sowjetunion jetzt unumgänglich schien, verlor die Jugoslawienpolitik ihre Rolle als Vorbild für den
Zusammenhalt der UdSSR.334 Wenn der Putsch die Zurückhaltung Amerikas befestigte, so
ermutigte er auf diese Weise die Bundesrepublik mit neuem Nachdruck auf die völkerrechtliche Anerkennung Sloweniens und Kroatiens zu drängen. Nachdem Helmut Kohl zum großen
Ärgernis Frankreichs Tudjman am 12. Juli in Bonn empfangen hatte, waren Kohl und
Mitterrand am Ende des Monats bei ihrem Treffen in Bad Wiessee bestrebt, ein gemeinsames
Vorgehen in der Anerkennungsfrage zu zeigen und einigten sich auf die Formel, es sei noch
zu früh für die Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens.335 Angesichts
der offenen Beteiligung der JVA an der eskalierenden Gewalt und des gescheiterten Putsches
in Moskau drängte Deutschland nun auf eine neue außerordentliche Sitzung der EGAußenminister in Brüssel. Am 27. August beschloß der Rat eine Friedenskonferenz einzuberufen und stellte ein Ultimatum an Serbien:
„Wird bis zum 1. September 1991 keine Einigung über die Überwachung des Waffenstillstands und dessen Einhaltung sowie über die Friedenskonferenz erzielt, so werden die
Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten zusätzliche Maßnahmen prüfen, einschließlich
internationaler Schritte.“336
Trotz bisheriger mißlungener Vermittlungsversuche, zeigte sich Außenminister Genscher
Ende August 1991 zuversichtlich: „Eine Antwort kann nur eine europäische Antwort sein.
Nach meiner festen Überzeugung gibt es kein Problem in Europa, das nicht europäisch
beantwortet werden kann.“337
333
334
335
336
Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 637.
Vgl. MAULL Germany, S. 103.
Vgl. MAULL Germany, S. 103, RAMET Yugoslavia, S. 329 und EYAL Europe and Yugoslavia, S. 32.
EPZ-Erklärung zu Jugoslawien, Außerordentliche EPZ-Ministertagung, Brüssel, 27. August 1991, in:
Europa-Archiv, 21, S. D543-D544 .
337 Genscher zitiert in BUHL / SOMMER Die Welt ist von Grund auf verändert. Perspektiven westlicher
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
63
Für den Rest des Jahres hatte Europa die Chance, eine Antwort auf die Jugoslawienkrise
alleine zu suchen. Die Bush-Administration hielt weiterhin an der Rolle Amerikas als
Unterstützer der europäischen Vermittlungsversuche fest. Während sich die Kämpfe in
Kroatien intensivierten und sich eine Ausweitung des Krieges nach Bosnien-Herzegovina
abzeichnete, wuchs die Spannung in der Europäischen Gemeinschaft zwischen der deutschen
Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung Sloweniens und Kroatiens und dem Wunsch
im Vorfeld des Maastrichter Gipfels, eine einheitliche Jugoslawienpolitik der Mitgliedsstaaten
aufrechtzuerhalten.
Als Leiter der geplanten Friedenskonferenz in Den Haag, wählte die EG den früheren
britischen Außenminister und NATO Generalsekretär Lord Peter Carrington; sein Ruf als
„Atlantiker“ dürfte die Amerikaner beruhigt haben; dieses bestätigt ihre Nichteinmischung
in der europäischen Jugoslawienpolitik.338 Hans van den Broek handelte am 1. September
einen neuen Waffenstillstand aus, der zu den Vorbedingungen für die Konferenz zählte.339
Trotz des Wiederaufflammens der Kämpfe drei Tage später, entschied sich die EG mit der
Konferenz zu beginnen. Im Vorfeld der Konferenz kamen die unterschiedlichen Haltungen
der EG-Mitgliedstaaten erneut zum Ausdruck. Genscher warnte, daß wenn die Friedenskonferenz scheitern sollte, würde Bonn dann Slowenien und Kroatien anerkennen. Während
er zusicherte: „Deutschland würde beim Scheitern der Gespräche mit diesem Schritt nicht
alleine stehen“, warnte Spanien (zusammen mit der Tschechoslowakei) noch am gleichen
Tag vor einem deutschen Alleingang bei der Anerkennung.340 Die Konferenz begann am 7.
September und Carrington schien bereits am 17. September mit der Waffenstillstandsvereinbarung von Igalo (in Montenegro) einen ersten Erfolg verbucht zu haben, doch auch diese
konnte nicht halten.341 Kroatien war nun dreigeteilt und ein Drittel des kroatischen Staatsgebiets stand unter serbischer Kontrolle. Die EG konsultierte die NATO am Ende des Monats,
338
339
340
341
64
Politik nach dem Moskauer Putsch – ein Zeit-Interview mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich
Genscher, in: Die Zeit, 30.8.91, S. 5-6 (6).
Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 37-38.
Vgl. Abkommen über einen Waffenstillstand in Kroatien, unterzeichnet am 1. September 1991 in
Belgrad, in: Europa-Archiv, 21, S. D544-D555.
„Genscher droht Serbien mit Anerkennung Kroatiens“, in: Süddeutsche Zeitung, 7./8.91, S. 2. Vgl.
auch „Yugoslav Troops Split Croatia and Send its Forces Fleeing“, in: International Herald-Tribune,
5.9.91, S. 4.
Vgl. Erklärung zu einem Waffenstillstand in Jugoslawien, abgegeben vom EG-Beauftragten Lord
Carrington, dem Präsidenten der Republiken Kroatien und Serbien und dem jugoslawischen Verteidigungsminister in Igalo am 17. September 1991, in: Europa-Archiv, 21, S. D548. Vgl. auch EYAL
Europe and Yugoslavia, S. 39-40.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
aber ohne den entsprechenden amerikanischen Willen konnte diese Organisation keine aktive
Rolle übernehmen.
Am 19. September hatten sich die zwölf Außenminister auf eine Rolle für die WEU
geeinigt, wonach diese Möglichkeiten prüfen sollte, um: „die Aktivitäten der Beobachter zu
unterstützen, damit diese wirksamer zu den Bemühungen um die Wahrung des Friedens
beitragen können.“342 Dieser Auftrag ging zurück auf den Wunsch Frankreichs, die WEU
zum Verteidigungsarm der Europäischen Gemeinschaft zu machen, als solcher aber mußte
jede Rolle der WEU in Jugoslawien über den Prüfungsauftrag hinaus am Widerstand
Großbritanniens (und der Niederlände) scheitern. Zu dieser Zeit (Berichten in Bonn zufolge)
traf Großbritannien mit den USA eine Vereinbarung, daß wenn Amerika sich gegen einen
eventuellen Einsatz der WEU in Jugoslawien stellen sollte, würde England diesen im WEURat kategorisch ablehnen.343 Nicht zum ersten Mal sah sich die Bundesrepublik in der Mitte
eines Konflikts zwischen ihren wichtigsten Verbündeten. Angesichts innenpolitischer
Bedenken gegenüber einer Beteiligung der Bundeswehr an einer eventuellen Friedenstruppe
für Jugoslawien und eines (damals noch) vermeintlichen verfassungsrechtlichen Verbots einer
solchen Beteiligung, hatte Bonn zusätzliche Gründe, in dieser Frage zurückhaltend vorzugehen.344 Die Außen- und Verteidigungsminister der WEU tagten am 30. September in
Brüssel und konnten sich nicht einigen; damit waren Frankreichs Pläne für die WEU in
Jugoslawien endgültig gescheitert.345
Mit der Hinwendung der EG-Außenminister an die NATO und der Perspektive einer
aktiveren Rolle der USA in Jugoslawien zeigte Frankreich mehr Interesse an einer Einschaltung des UN-Sicherheitsrats in den Konflikt;346 am 25. September verhängte der
342 Vgl. EPZ-Erklärung zu Jugoslawien, Den Haag, 19. September 1991, in: Europa-Archiv, 21, S. D549D550(D550) .
343 Vgl. „Bonn will gemeinsame Haltung der Westeuropäer zu Kroatien herbeiführen“, in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 18.9.91, S. 2. Die Erfahrungen Englands in Nordirland wird als weiterer Grund
für die britische Skepsis gegenüber einem friedenserhaltenden Einsatz der WEU gesehen. Vgl.
SALMON Testing Times, S. 251 und GENSCHER Erinnerungen, S. 950.
344 Vgl. „Bonn will gemeinsame Haltung der Westeuropäer zu Kroatien herbeiführen“, in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 18.9.91, S. 2 und „Genscher fordert nachdrücklich Einhaltung des Waffenstillstands“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.9.91, S. 2, sowie GIERSCH / EISERMANN Die westliche
Politik, S. 108-109.
345 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 40 und GIERSCH / EISERMANN Die westliche Politik, S. 109.
Die Unterstützung Helmut Kohls für die deutsch-französische „Eurokorps“-Idee zwei Wochen später
(nach Konsultationen mit den USA aber nicht mit seinem eigenen Außenministerium) kann zum Teil
aus der Uneinigkeit in der WEU-Frage zurückverfolgt werden. Vgl. in diesem Sinne MÜLLER German
Foreign Policy, S. 155. Zu Eurokorps, vgl. ART Why Western Europe Needs the United States and
NATO, S. 25-26 und TREVERTON The New Europe, S. 107-108.
346 Vgl. ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 645.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
65
Sicherheitsrat ein Waffenembargo gegen Gesamtjugoslawien.347 Langsam zeichnete sich eine
Übergabe der Vermittlungsrolle von der EG an die Vereinten Nationen ab. In seiner Rede
vor dem Sicherheitsrat wies der amerikanische Außenminister Baker den Serben ausdrücklich
die Hauptschuld am Konflikt zu; obwohl behauptet wird, daß diese Rede ein Zeichen für eine
aktivere Rolle der USA in der Jugoslawienpolitik markierte, blieb die Eigeninitiative der BushAdministration vorerst auf die rhetorische Ebene beschränkt.348 Am 8. Oktober ernannte UNGeneralsekretär Pérez de Cuellar den ehemaligen amerikanischen Außenminister Cyrus Vance
als Sonderbeauftragten für Jugoslawien. Obwohl die Ansichten Vances in der Jugoslawienpolitik denen der Bush-Administration weitgehend entsprachen,349 war die Administration
gegenüber der neuen Rolle für die Weltorganisation skeptisch, da sie befürchtete, zu weit
in die Jugoslawienkrise hineingezogen zu werden.350 Zimmermann bekam zu hören, angesichts
des bevorstehenden präsidentiellen Wahljahres wollte Washington möglichst wenig mit dem
Thema Jugoslawien zu tun haben.351 Ende Oktober bestätigte das amerikanische Außenministerium erneut, die offizielle Politik der USA sei es, die Führung bei der Suche nach einer
Lösung im Jugoslawienkonflikt den Europäern zu überlassen.352
Bei den Vermittlungen der EG spielte die Anerkennungsfrage auf Wunsch Deutschlands
eine immer bedeutendere Rolle. Nachdem die vier serbisch-kontrollierten Mitglieder des
jugoslawischen Staatspräsidiums am 1. Oktober alle legislativen und exekutiven Befugnisse
der SFRJ für sich in Anspruch nahmen, verurteilten dies die Außenminister der EG zu Beginn
einer Tagung in Haarzuilens (Holland) und stellten nun fest, das Staatspräsidium könne nicht
länger als vertretend für Jugoslawien betrachtet werden.353 Am nächsten Tag vermochte
Genscher die Feststellung in eine weitere Erklärung einzubringen, daß „eine politische Lösung
im Hinblick auf die Anerkennung der Unabhängigkeit derjenigen Republiken, die dies
347 Vgl. Resolution 713 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen über ein bindendes Waffenembargo
gegen Jugoslawien, verabschiedet am 25. September 1991 in New York, in: Europa-Archiv, 21, S.
D550-D552. Das Embargo hatte später verheerende Folgen für Bosnien-Herzegovina; Zimmermann
bereut, daß die möglichen Auswirkungen für Bosnien zu dieser Zeit nicht berücksichtigt wurden. Vgl.
ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 155.
348 Dagegen betrachtet Paulsen die Rede Bakers als eine Zäsur in der amerikanischen Jugoslawienpolitik.
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 45.
349 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 638.
350 Vgl. „Genscher: Deutschland muß politische Alleingänge vermeiden“, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 21.9.91, S. 1. Vgl. auch PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 54-55.
351 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 170-171.
352 Die Aussage kam in Reaktion auf Bemühungen im Kongreß, auf eine aktivere Jugoslawienpolitik zu
drängen. Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 46-47.
353 Vgl. EPZ-Erklärung zu Jugoslawien, Informelle Tagung der Außenminister, Haarzuilens, 5. Oktober
1991, in: Europa-Archiv, 21, S. D555.
66
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
wünschen, gesucht werden sollte“, jedoch nur am Ende eines Verhandlungsprozesses.354 Am
10. Oktober erklärte van den Broek als Vertreter der EG-Präsidentschaft: „spätestens in zwei
Monaten wäre für die Zwölf der Zeitpunkt gekommen, über die Anerkennung derjenigen
Republiken zu entscheiden, die als Ergebnis eines demokratischen Prozesses den Wunsch
ausgedrückt haben, unabhängig zu werden.“355 Am 28. Oktober stellte die EG ein Ultimatum
an Serbien; wenn Serbien als einzige Konfliktpartei den zehn Tage früher von Carrington
vorgelegten Friedensplan noch bis zum 5. November ablehnte, dann sei die Anerkennungsfrage im Hinblick auf Slowenien und Kroatien zu stellen.356 Serbien lehnte den Plan weiterhin
ab und die Bundesrepublik lenkte die EG mit neuer Energie in Richtung Anerkennung.
Mit dem Scheitern der Haager Friedenskonferenz drängte Genscher am 8. November bei
einem Zusammentreffen der EG-Außenminister am Rande eines NATO-Gipfels in Rom erneut
auf die Anerkennung. Die EG blieb in der Frage uneinig und der Kompromiß lautete diesmal,
daß die Anerkennung „nur im Rahmen einer Gesamtlösung vorstellbar ist.“357 Wirtschaftssanktionen wurden gegen Jugoslawien verhängt und die unabhängigkeitsstrebenden Republiken wurden aufgefordert, Gesetze zum Schutz nationaler Minderheiten vorzubereiten.
Die Bush-Administration, noch gegen die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens gestimmt
und deshalb zunehmend über den deutschen Druck auf die EG alarmiert, diesen Kurs
einzuschlagen, begann eine Kampagne, um die Bundesrepublik und die Gemeinschaft von
dieser Maßnahme abzuhalten. Auf dem NATO-Gipfel plädierte Bush in einem Gespräch mit
Kohl darauf, mit der Anerkennung zu warten.358
In Jugoslawien eskalierten indessen der Krieg und die Brutalitäten weiter. Die andauernde
Beschießung Vukovars und Dubrovniks zeichnete eine neue Phase des Konflikts ab. Serbische
Truppen schossen weniger, um die Städte zu erobern, als vielmehr, um die nicht-serbische
Bevölkerung zu vertreiben.359 Dies war ein Beispiel von sogenannter „ethnischer Säuberung“,
ein Begriff, der im Laufe der kommenden vier Jahren zur Alltagssprache rund um die Welt
gehören würde. In Bosnien-Herzegovina schritt der Zerfallsprozeß weiter voran. Die serbische
und kroatische Bevölkerung wurde durch den Krieg in Kroatien zunehmend polarisiert; die
354 EPZ-Erklärung zu Jugoslawien, Informelle Tagung der Außenminister, Haarzuilens, 6. Oktober 1991,
in: Europa-Archiv, 21, S. D555-D556 (D556).
355 Van den Broek zitiert in GENSCHER Erinnerungen, S. 954.
356 Vgl. EPZ-Erklärung zur Lage in Jugoslawien, Brüssel, 28. Oktober 1991, in: Europa-Archiv, 3, S.
D117-D118.
357 Vgl. EPZ-Erklärung zu Jugoslawien, Rom, 8. November 1991, in: Europa-Archiv, 3, S. D118-D119.
358 Baker bezeichnet den Druck auf die Deutschen als stark; Zimmermann dagegen bereut, daß Bush
keinen starken Druck auf Kohl ausübte. Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 638 und ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 176-177.
359 Vgl. GOW One Year of War in Bosnia and Herzegovina, S. 6-7.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
67
bosnischen Muslime standen in der Mitte und versuchten die Republik zusammenzuhalten.360
Indessen berichtete im September eine unabhängige Belgrader Wochenzeitung, Miloševiæ
und der Präsident der SDS in Bosnien, Radovan Karadziæ, hätten sich getroffen, um einen
geplanten serbischen Angriff auf Bosnien miteinander zu koordinieren.361 Der bosnische
Präsident, Alija Izetbegoviæ, sah die beste Chance für das Überleben seiner Republik in dem
Fortbestand Jugoslawiens. Der deutsche Botschafter, Hansjörg Eiff, stimmte mit dieser
Lagebeurteilung überein und lieferte Izetbegoviæ für sein bevorstehendes Treffen im
November mit Kohl und Genscher Argumente, mit welchen er vor den Folgen einer
Anerkennung Kroatiens und Sloweniens für Bosnien warnen könnte; aus ungeklärten Gründen
machte Izetbegoviæ von dieser Vorbereitung keinen Gebrauch.362
Mit der Unterstützung aller Fraktionen im Bundestag schritt die Bundesregierung mit ihren
Bemühungen voran, die EG auf dem Anerkennungskurs zu vereinigen.363 Die Gemeinschaft
blieb jedoch in der Anerkennungsfrage weiterhin gespalten. Während Italien sich ab November
zusammen mit der Bundesrepublik und Dänemark für die Anerkennung aussprach, blieben
vor allem Frankreich, Großbritannien und Spanien bei ihrer ablehnenden Haltung.364 In diesem
Monat vor dem Maastrichter Gipfel, wo die GASP beschlossen werden sollte, wirkte die
weitere Uneinigkeit in einem zentralen europäischen Thema zunehmend peinlich. Der fehlende
Konsens sorgte für einen zusätzlichen Grund, die Verantwortung für die internationalen
Vermittlungen von der EG an die Vereinten Nationen weiterzugeben. Auch wenn London
und Paris diesen Schritt als Möglichkeit zur Verringerung des deutschen Drucks auf
Anerkennung betrachteten, blieb die von ihnen erwünschte Auswirkung aus. Helmut Kohl
wollte auch die Anerkennungsfrage vor dem Maastrichter Gipfel aus dem Weg räumen; er
hatte zu diesem Zweck allerdings einen Beschluß der Gemeinschaft für die Aussprechung
der Anerkennung noch vor Weihnachten im Sinne, was er am 27. November vor dem
Bundestag ankündigte.365 Die innere Zerrissenheit der EG in der Anerkennungsfrage war nicht
zu leugnen.366 Genscher und der französische Außenminister Dumas versuchten Einigkeit
360 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 89-92 und HAYDEN The Partition, S. 4-6.
361 Vgl. RAMET War in the Balkans, S. 86-87.
362 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 176 und NEWHOUSE Bonn, der Westen und die
Auflösung Jugoslawiens, S. 1196.
363 Vgl. Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP und die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen.
Zur Lage in Jugoslawien, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Bd. 437, Drucksache
1271591, 14.11.91. Genscher fand diese Unterstützung „außerordentlich hilfreich“ in seinen Verhandlungen mit den übrigen EG-Ländern. Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 958.
364 Vgl. MOORE Diplomatic Recognition, S. 12 und EYAL Europe and Yugoslavia, S. 43.
365 Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 955 und 958.
366 Vgl. MAULL Germany, S. 104 und EYAL Europe and Yugoslavia, S. 44.
68
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
am 29. November in Paris zu zeigen als sie erklärten, es gäbe keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und Frankreich in der Jugoslawienpolitik; Präsident Mitterrand
enthüllte zu dieser Zeit die Natur dieser Annäherung als er sagte: „[...W]enn Deutschland
darauf dringt, die Anerkennung auszusprechen, so ist Frankreich nicht gegen die Anerkennung. [...W]ir haben kein Interesse daran, daß Europa in tausend Stücke zerfällt.“367
Bei Besuchen von Kuèan und Tudjman Anfang Dezember in Bonn bekräftigte Kohl sein
Versprechen, Slowenien und Kroatien bis Weihnachten anzuerkennen, und zwar „zusammen
mit einer größtmöglichen Anzahl von Staaten in der Europäischen Gemeinschaft“.368 Die
Wideraufhebung der am 8. November gegen Jugoslawien verhängten Wirtschaftssanktionen
durch die Gemeinschaft am 2. Dezember für alle Republiken außer Serbien und Montenegro,
deutete die Bundesregierung als eine Annäherung der übrigen EG-Mitglieder an den
deutschen Anerkennungskurs; daß nach der Sperrung deutscher Flughäfen für die jugoslawische Fluggesellschaft die Niederlande den Flughafen Maastricht als Ausweichflughafen
anbot, sorgte allerdings für große Verärgerung in Bonn und war ein Zeichen für die andauernde Uneinigkeit der EG in der Jugoslawienpolitik.369 Großbritannien und Frankreich
machten im Dezember in Zusammenarbeit mit den USA und dem UN-Generalsekretär einen
letzten Versuch, Deutschland von der Anerkennungslinie abzubringen.370
Trotz der ablehnenden Haltung der Bush-Administration gegenüber einer Anerkennung
Kroatiens und Sloweniens und ihres neuen Einsatzes, diese möglichst zu verhindern, bot sie
keine Alternative an und zeigte kein positives Engagement in der Krise. In November hatte
der UN-Sicherheitsrat nach einem Antrag Rumpfjugoslawiens (Serbien und Montenegro)
und einem von Vance neu ausgehandelten Waffenstillstand die Entsendung einer friedenserhaltenden UN-Truppe nach Kroatien in Aussicht gestellt.371 Wegen der Gefahr, militärisch
in den Konflikt verwickelt zu werden und wegen der hohen Kosten eines eventuellen
Einsatzes blieb die Bush-Administration bis in den Dezember hinein gegenüber diesem
Konzept skeptisch.372 Vielmehr betrachtete sie die Weltorganisation noch als Mittel, die
367 Mitterrand zitiert in: „Mitterrand: Frankreich will in Maastricht den Erfolg“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.91, S. 1-2 (2).
368 „Kohl macht Kuèan Hoffnungen“, in: Süddeutsche Zeitung, 4.12.91, S. 5. Vgl auch „Die Frist läuft
ab“, in: Der Spiegel, 9.12.91, S. 25 und 27, sowie Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
(Hrsg.): Bulletin, Nr. 140, 10.12.91, S. 1144.
369 Vgl. „Kohl macht Kuèan Hoffnungen“, in: Süddeutsche Zeitung, 4.12.91, S. 5 und „Anerkennung
Kroatiens und Sloweniens spaltet die EG“, in: Süddeutsche Zeitung, 17.12.91, S. 1.
370 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 50-51.
371 Resolution 721 vom 27.11.91. Vgl. dazu SHOUP The UN Force, S. 17 und STEINBERG The Role of
European Institutions, S. 20.
372 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 55-56.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
69
deutsche Anerkennungspolitik zu blockieren. Vor allem auf Betreiben Eagleburgers hatten
die USA zusammen mit Großbritannien und Frankreich vor, eine Resolution des Sicherheitsrats durchzusetzen, die auf die Bundesrepublik gezielt war und gegen unilaterale Schritte
bei der Anerkennung jugoslawischer Republiken warnen sollte; eine aktive Telefondiplomatie
Genschers gegenüber den ständigen und nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats konnte
der Beschluß dieser Resolution allerdings erfolgreich verhindern.373 Resolution 724 vom 15.
Dezember enthielt lediglich eine indirekte Warnung vor der Anerkennung. Wichtiger war
die Billigung eines Vorauskommandos für eine UN-Friedenstruppe, United Nations Protection
Force (UNPROFOR), die nach Kroatien entsandt werden sollte, um den Vance-Friedensplan
zu implementieren.374 Die weitgehende Isolierung der Bundesrepublik in der Jugoslawienpolitik wandelte sich am nächsten Tag in eine Isolierung der USA um, als sich die Bundesrepublik auf einer Tagung der EG-Außenminister in Brüssel durchsetzen konnte, indem sie alle
anderen EG-Länder auf den Anerkennungskurs zu bringen vermochte.375
Schon auf der Sitzung des Ministerrats am 27. August hatte die EG einen Vorschlag
Frankreichs gebilligt, eine Schiedskommission zu bilden, die am Rande der Friedenskonferenz
völkerrechtliche Fragen klären konnte. Der Präsident des französischen Verfassungsgerichts,
Robert Badinter, sollte als Vorsitz der Kommission fungieren, der auch höchste Richter aus
Deutschland (damaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog), Italien,
Spanien und Belgien angehörten.376 Die Badinter-Kommission hatte Ende November und
Anfang Dezember drei Entscheidungen getroffen (eine auf Antrag Carringtons und zwei auf
Antrag Serbiens).377 Nun kam der Kommission auf der Tagung des EG-Ministerrats am 16.
und 17. Dezember eine neue Aufgabe zu.
Frankreich erkannte, daß die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch die Bundesrepublik nicht länger aufzuhalten war. Angesichts der auf dem Maastrichter Gipfel (am 9. und
10. Dezember 1991) beschlossenen GASP wäre es zudem untragbar gewesen, nicht
gemeinsam vorzugehen. Deshalb schlug Dumas vor „Richtlinien für die Anerkennung neuer
Staaten in Osteuropa und in der Sowjetunion“ als einen gesichtsbewahrenden Mechanismus
373 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 51 und „Ein großer Erfolg für uns“, in: Der
Spiegel, 23.12.91, S. 18-20 (19-20).
374 Der Vance-Plan sah die Errichtung von Schutzzonen in Kroatien, den Rückzug der kroatischen
Armee und der JVA aus diesen Zonen, sowie die Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Heimatorte vor.
Vgl. GIERSCH / EISERMANN Die westliche Politik, S. 118-119 und SHOUP The UN Force, S. 18-20.
375 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 53.
376 Weitere Informationen zur Bildung der Kommission bei PELLET The Opinions, S. 178 und GENSCHER
Erinnerungen, S. 946-947.
377 Zu den ersten drei Entscheidungen der Badinter-Kommission, vgl. PELLET The Opinions, S. 182-185.
70
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
einzurichten.378 Dafür stellte die Gemeinschaft fünf Kriterien auf; nicht nur für die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens, sondern für alle unabhängigkeitsstrebenden Republiken
Jugoslawiens und Osteuropas. Es sollten die Republiken anerkannt werden, die:
C Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte achteten;
C Minderheitenrechte garantierten;
C die Unverletzlichkeit der Grenzen achteten;
C Verpflichtungen bei der Abrüstung, nuklearer Nichtverbreitung, Sicherheit und
regionaler Stabilität nachkamen;
C und sich der Schlichtung regionaler Konflikte durch Vereinbarung bzw. Schieds-
verfahren verpflichteten.379
Bis zum 23. Dezember sollten die Republiken bekanntgeben, ob sie ihre Unabhängigkeit
wünschten und ob sie diese Bedingungen ihrer Anerkennung akzeptierten; dann sollten die
Republiken am 15. Januar 1992 von den EG-Staaten anerkannt werden, die nach Entscheidung der Badinter-Kommission alle Richtlinien erfüllten.380
Die Bundesregierung hatte jedoch die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens schon
versprochen. Der Bonner Völkerrechtler Christian Tomuschat hatte im Auftrag der Bundesregierung den Stand des Minderheitenschutzes in Kroatien geprüft und diesen für vorbildlich
erklärt.381 Dieses Gutachten war die Grundlage für einen Beschluß des Bundeskabinetts vom
11. Dezember (fünf Tage vor der Tagung der EG-Außenminister in Brüssel), wonach
Slowenien und Kroatien anerkannt werden sollten.382 Bei den zehnstündigen zähen Verhandlungen in Brüssel drängte Genscher auf eine gemeinsame Anerkennung durch die Zwölf noch
innerhalb von 24 Stunden, mußte aber wegen des großen Widerstands die Verschiebung der
Vereinbarung auf den 15. Januar hinnehmen. Doch damit die Bundesregierung ihrem
Versprechen treu bleiben konnte, die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens noch vor
Weihnachten zu vollziehen, kündigte Genscher an, die Bundesregierung würde die An-
378 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 46-48 und ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 630-631.
379 Vgl. Richtlinien für die Anerkennung neuer Staaten in Osteuropa und in der Sowjetunion, Brüssel,
16. Dezember 1991, in: Europa-Archiv, 3, S. D120-D121.
380 Vgl. Gemeinsamer Standpunkt im Hinblick auf die Anerkennung jugoslawischer Republiken, Brüssel,
16. Dezember 1991, in: Europa-Archiv, 3, S. D121.
381 Kroatien hatte am 4. Dezember ein Gesetz zum Schutz von Minderheiten verabschiedet. Vgl. dazu
EYAL Europe and Yugoslavia, S. 47 und GIERSCH / EISERMANN Die westliche Politik, S. 112. Zur
Arbeit Tomuschats, vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 961.
382 Vgl. „Bonn hat Anerkennung beschlossen“, in: Süddeutsche Zeitung, 16.12.91, S. 2.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
71
erkennung in den folgenden Tagen beschließen und am 15. Januar mit den übrigen EGMitgliedern die Anerkennung „umsetzen“.383 Die Bundesregierung beschloß endgültig die
Anerkennung am 19. Dezember und diese wurde vom Bundespräsident von Weizsäcker am
23. Dezember ausgesprochen. Bis zum 15. Januar wartete Deutschland lediglich, um
Botschafter mit den zwei neuen Staaten auszutauschen.384
In ihrem Bericht vom 15. Januar 1992 bescheinigte die Badinter-Kommission Slowenien
und Mazedonien die Erfüllung der von der EG aufgestellten Kriterien für die völkerrechtliche
Anerkennung. Nach Auffassung der Kommission wäre Kroatien erst nach einer weiteren
Verstärkung seines gesetzlichen Minderheitenschutzes annerkennungswürdig.385 Doch um
den Zusammenhalt der EG zu bewahren, erkannten die weiteren Mitgliedsstaaten Kroatien
und Slowenien am 15. Januar an. Großbritannien und Frankreich warteten nur mit der
Entsendung ihrer Botschafter bis die Kroaten ihre von der Badinter-Kommission gestellte
Auflage erfüllten.386 Griechenland konnte die Anerkennung Mazedoniens durch die EGStaaten verhindern; Athen betrachtete die von dieser Republik gebrauchten Bezeichnung
„Mazedonien“ als einen inhärenten Gebietsanspruch Skopjes gegenüber der griechischen
Region Mazedonien.387
Die USA weigerten sich weiterhin jugoslawische Republiken anzuerkennen. Obwohl die
Bush-Administration erkannte, daß dieser Schritt irgendwann gemacht werden mußte,
entschied sie sich, die amerikanische Anerkennung noch als einen diplomatischen Hebel
gegenüber Kroatien und Serbien einzusetzen. So sollte die kroatische Zusage zur Stationierung der UNPROFOR gesichert werden und die Aufteilung Bosnien-Herzegovinas durch
Serbien und Kroatien verhindert werden können.388 Ein von Vance ausgehandelter Waffenstillstand in Kroatien (die 15. Waffenruhe), von den Konfliktparteien am 2. Januar unterzeichnet,
schien die Vorbedingungen für den UNPROFOR-Einsatz zu erfüllen. Zwar stellte sich der
Serbenführer in Kroatien, Mate Babiæ, gegen den Einsatz; Miloševiæ gab jedoch seine
383 Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 960-962 und NEWHOUSE Bonn, der Westen und die Auflösung
Jugoslawiens, S. 1197-1198.
384 Vgl. Beschluß des Bundeskabinetts zur Anerkennung der jugoslawischen Republiken. In: Presse- und
Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bulleti,. Nr. 145, 21.12.91, S. 1183.
385 Vgl. Report of the European Community Arbitration Committee, in: Yugoslav Survey, 331, S. 121134. Für die Entscheidung bezüglich Kroatien, vgl. S. 126-127.
386 Vgl. MOORE Diplomatic Recognition, S. 9.
387 Für eine nationalistische griechische Darstellung der „mazedonischen Frage“, vgl. Giakoumis.
Unparteiische Darstellungen bei TROEBST Makedonische Antworten, REUTER Makedonien, PERRY
Macedonia, S. 35-45 und AXT Mazedonien.
388 Die Entscheidung der Administration erfolgte nach Absprache mit Cyrus Vance. Vgl. BAKER ADDISON The Politics of Diplomacy, S. 639.
72
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Zustimmung und schaltete Babic aus.389 Einigen Berichten zufolge billigte Miloševiæ die
Vereinbarung über den Kopf von Babic hinweg weil die Bush-Administration die amerikanische Zusage für den Status Rumpfjugoslawiens als Rechtsnachfolger der SFRJ zugesichert
hätte.390 Indessen übte die Bundesrepublik Druck auf Kroatien aus, weniger Bedingungen
für die Stationierung der UNPROFOR zu stellen.391
Nach der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens am 15. Januar war allerdings ein
deutlicher Rückgang an Engagement der EG im Jugoslawien-Konflikt festzustellen. Dies traf
besonders für die Bundesrepublik zu. Der UN-Sicherheitsrat beschloß am 21. Februar 1992
mit Resolution 743 die Einrichtung der vollen UNPROFOR.392 Während Frankreich, Belgien,
Luxemburg und Dänemark jeweils eine Bataillon und Großbritannien eine medizinische
Einheit zur UNPROFOR beitrugen, bildeten Nicht-EG-Länder die Mehrheit der 12.00013.000 Mann starken Friedenstruppe und diese wurde von einem Inder geführt.393 Bundeskanzler Kohl schloß eine Beteiligung der Bundeswehr an der UNPROFOR wegen der
historischen Belastung Deutschlands auf dem Balkan und eines vermeintlichen verfassungsrechtlichen Verbots einer solchen Beteiligung aus.394
Der Zerfallsprozeß der SFRJ war fast vollständig. Der längst bedeutungslos gewordene
Premierminister Ante Markoviæ war am 20. Dezember 1991 zurückgetreten nachdem das
serbisch kontrollierte Präsidium der SFRJ (nach Angaben Markoviæs) 81% der Haushaltsmittel für 1992 der JVA zugeteilt hatte.395 Anfang Januar hatten serbische Führer in Belgrad
eine neue jugoslawische Föderation proklamiert, die alle Serben einschließen sollte.396 Dieser
Prozeß des Zerfalls erfaßte immer stärker auch die multiethnische Republik BosnienHerzegovina. Die „Versammlung des serbischen Volkes“, bestehend aus den serbischen
Mitgliedern im bosnischen Parlament, kündigte am 21. Dezember 1991 die Gründung eines
serbischen Staats innerhalb von Bosnien an, sollte die Unabhängigkeit Bosniens erklärt
werden. Am 9. Januar rief die Versammlung die „Serbische Republik Bosnien-Herzegovina“
389
390
391
392
393
394
395
396
Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 160-161.
Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 58-59.
Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 59 und GENSCHER Erinnerungen, S. 964.
Vgl. Resolution 743 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur Einrichtung einer Schutztruppe
für den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, verabschiedet am 21. Februar 1992 in New York, in:
Europa-Archiv, 19, S. D578-D580.
Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 59, SHOUP The UN Force, S. 18-19 und STEINBERG The Role
of European Institutions, S. 48-49.
Vgl. STEINBERG The Role of European Institutions, S. 48.
Vgl. „Jugoslawischer Ministerpräsident tritt zurück“, in: Süddeutsche Zeitung, 21./22.12.91, S. 2.
Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 56.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
73
(„Republika Srpska“) aus, die sechs für autonom erklärte, nicht alle mehrheitlich serbisch
bewohnten Regionen umfaßte.397
Gemäß der Entscheidung der Badinter-Kommission vom 15. Januar bezüglich BosnienHerzegovina gab die neue portugiesische Präsidentschaft der EG Ende Januar bekannt, daß
wenn sich eine Mehrheit der Bosnier für die Unabhängigkeit bei einem Referendum aussprechen würde, so würde die EG diese Republik dann anerkennen.398 Lord Carrington nahm
seine Vermittlungen wieder auf und brachte die Führer der drei bosnischen Volksgruppen
für Gespräche am 22. und 23. Februar in Lissabon zusammen. Hier nahmen sie ein Dokument
an (ohne es zu unterzeichnen), das den Fortbestand der bosnischen Grenzen garantieren sollte
und das Prinzip der „Kantonisierung“ Bosniens nach Schweizer Modell zur Verhandlungsbasis
für weitere Gespräche machte.399 Trotz Bedenken an der Gerechtigkeit und den Verwirklichungschancen dieses Plans, der die heterogene, durchmischte Bevölkerung Bosniens
entlang ethnischer Linien aufteilen sollte, folgte Botschafter Zimmermann seinen Anweisungen
aus Washington und setzte sich gegenüber einem skeptischen Izetbegoviæfür diesen von dem
EG-Vermittler ausgehandelten Lösungsversuch ein.400 Im Vorfeld des Unabhängigkeitsreferendums spitzte sich die Lage in Bosnien weiter zu und die Vereinbarung von Lissabon
war zum Scheitern verurteilt. Die nationalistische Rhetorik in Bosnien dominierte die
politische Landschaft und nur Tage nach der Konferenz traf sich Karadziæ mit einem der
engsten Berater Tudjmans, um die Aufteilung Bosniens zwischen Serbien und Kroatien zu
besprechen.401 Das Referendum fand am 29.2 und am 1.3.1992 unter einem Boykott der
serbischen Bevölkerung statt. Bei einer Wahlbeteiligung von 63% stimmten 99,4% der
überwiegend muslimischen und kroatischen Wähler für die Unabhängigkeit.
Die gewaltsame Reaktion der radikalen bosnischen Serben erfolgte noch am 1. März mit
der Errichtung von Straßensperren um die bosnische Hauptstadt Sarajevo.402 Obwohl sich
die JVA in Bosnien überraschenderweise vorerst zurückhielt, sammelten sich aufgrund des
397 Vgl. ANDREJEVICH Bosnia and Herzegovina, S. 9-11, REUTER Prioritäten, S. 676-677 und CALIC
Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 92.
398 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 61.
399 Vgl. REUTER Die politische Entwicklung, S. 678, ANDREJEVICH More Guns, S. 10-12 und STEINBERG
The Role of European Institutions, S. 49. Kritisch dazu: CALIC Krieg und Frieden in BosnienHercegovina, S. 15-16 und EYAL Europe and Yugoslavia, S. 62.
400 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 189-190.
401 Zu den Besprechungen zwischen Karadziæund dem Tudjman-Berater, vgl. ZIMMERMANN Origins of
a Catastrophe, S. 189-190. Zu den sonstigen Ereignissen und zur Atmosphäre in Bosnien vor dem
Referendum, vgl. ANDREJEVICH More Guns, S. 11-17, ANDREJEVICH Bosnia and Herzegovina, S. 1014 und REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 11.
402 Vgl. REUTER Die politische Entwicklung, S. 677-678, REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 11-12
und ANDREJEVICH More Guns, S. 14.
74
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Rückzugs aus Kroatien immer mehr Soldaten der „Bundesarmee“ in Bosnien. Die Armeeführung hatte zudem Anfang 1992 begonnen nicht-serbische Soldaten von Bosnien abzutransportieren, um sie durch serbische Soldaten zu ersetzen. Das Ergebnis war die Existenz einer
80.000-90.000 Mann starken serbischen Truppe in Bosnien zum Auftakt des offenen Konflikts
im Frühjahr 1992.403
Mit der weiteren Eskalierung in Bosnien-Herzegovina und der zunehmenden Bedrohung
eines Gewaltausbruchs in dieser Republik begann die Bush-Administration ihr passives
Verhalten im Jugoslawien-Konflikt zu überdenken. Der Umstand, daß die amerikanische
Status-quo-Politik durch die völkerrechtliche Anerkennung Sloweniens und Kroatiens seitens
der EG-Staaten überholt war trug auch wesentlich zu der Entscheidung bei, die amerikanische
Jugoslawienpolitik mit der Europäischen Gemeinschaft zu koordinieren.404 Zimmermann,
Baker und Eagleburger kamen Anfang März zu dem Schluß, die Anerkennung Bosniens und
Mazedoniens böte die beste Chance, eine Ausweitung des Konflikts auf diese Republiken
zu verhindern.405 Während die Idee der Anerkennung Mazedoniens wegen des griechischen
Widerstands aufgegeben wurde, schlug die Administration in Verhandlungen mit den EGAußenministern einen Tausch vor: die amerikanische Anerkennung Sloweniens und Kroatiens
für eine koordinierte Anerkennung Bosnien-Herzegovinas.406 Das Ergebnis war eine
gemeinsame Erklärung der EG und USA am 10. März 1992, die eine Zäsur in der amerikanischen Jugoslawienpolitik darstellte.407 Das Festschreiben dieses Kompromisses zusammen
mit erneuten Warnungen der USA an Serbien vor einem militärischen Vorgehen in Kosovo
waren Zeichen für eine aktivere amerikanische Haltung in der Krise. Die Administration wollte
nicht länger vor die Entscheidung gestellt werden, europäische Entscheidungen hinzunehmen
oder abzulehnen, sondern zeigte nun Interesse, gemeinsame Positionen in Zusammenarbeit
mit der EG aktiv mitzugestalten.408
Auffallend war die deutsche Zurückhaltung in der Jugoslawienpolitik zwischen Mitte Januar
und Anfang März 1992. War die Bundesrepublik bis zum 15. Januar der aktivste Gestalter
der westlichen Haltung, so zeigte sie in der Zeit danach keine Eigeninitiative auf dem Balkan
403 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 161, 185-186 und 193.
404 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 59-60 und EYAL Europe and Yugoslavia, S. 62-63.
405 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 639-642 und ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S.
191-192.
406 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 642 und GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 36-37.
407 Vgl. Erklärung der EG und der Vereinigten Staaten zur Anerkennung der jugoslawischen Republiken.
(Brüssel, 10. März 1992), in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bulletin, Nr.
29, 19.3.92, S. 282.
408 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 60 und MOORE The International Relations, S. 3334.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
75
und gab sich zufrieden, die Politik der EG, eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners,
mitzutragen. Um diese deutliche Veränderung der deutschen Rolle bei der Formulierung der
westlichen Reaktion auf den Jugoslawien-Konflikt zu verstehen, ist es zunächst unabdingbar,
die Kritik an der aktiven deutschen Anerkennungspolitik darzulegen.
3.2. Kritik an der deutschen Anerkennungspolitik
Bevor die einzelnen Kritikpunkte an der deutschen Anerkennungspolik erläutert werden,
sollen die von der Bundesrepublik aufgebrachten Gründe für die völkerrechtliche Anerkennung Sloweniens und Kroatiens skizziert werden.
Das häufigste deutsche Argument für die Anerkennung war das Recht der jugoslawischen
Völker auf Selbstbestimmung. Stellvertretend für viele, erklärte der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe:
„Wir haben unsere Einheit gewonnen durch das Recht auf Selbstbestimmung. Wenn wir
Deutschen glauben, daß alles in Europa so bleiben kann, wie es war, wenn wir eine Status-quoPolitik verfolgen, und nicht das Recht auf Selbstbestimmung in Slowenien und Kroatien
anerkennen, sind wir moralisch oder politisch nicht glaubwürdig.“409
Obwohl zunächst zurückhaltend, machte sich Außenminister Genscher die Forderung nach
Selbstbestimmung zu eigen: „[...W]enn wir heute das Land sind, das sich am deutlichsten
zum Selbstbestimmungsrecht der Völker Jugoslawiens bekennt, so ist auch dies eine Politik
des guten Beispiels.“410 Dabei hielt Bonn die innerjugoslawischen Grenzen durch die
Übertragung der KSZE-Prinzipien auf den Konflikt in Jugoslawien für völkerrechtlich gegen
gewaltsame Änderungen abgesichert. „Dies entsprach der verfassungsrechtlichen Stellung
der Republiken im ehemaligen Jugoslawien sowie dem historischen und staatsrechtlichen
Charakter ihrer Grenzen.“411
Deutschland erwägte nicht nur die wichtige Tatsache, daß Slowenien und Kroatien mit
demokratischen Mitteln ihren Wunsch nach Sezession deutlich gemacht hatten, sondern auch
die Tatsache, daß Serbien über seine nicht verfassungsmäßige Kontrolle vier der acht Stimmen
409 Rühe schon in Juli 1991, zitiert in: GORDON Die deutsch-französische Partnerschaft, S. 48.
410 Genscher zitiert in BUHL / SOMMER Die Welt ist von Grund auf verändert. Perspektiven westlicher
Politik nach dem Moskauer Putsch – ein Zeit Gespräch mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich
Genscher, in: Die Zeit, 30.8.91, S. 5-6 (6).
411 Informationserlaß des Auswärtigen Amts vom 2. März 1993, in: Auswärtiges Amt (Hrsg.): Dokumente, 1949-1994, S. 902-904 (903).
76
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
in allen föderalen Einrichtungen eine Blockadepolitik betreiben konnte, wobei nur noch zwei
Republiken (Serbien und Montenegro) vertreten waren; Jugoslawien als eine Föderation hatte
nach deutscher Ansicht schon wegen serbischer Handlungen de facto aufgehört zu
existieren.412 Ferner, indem die KSZE, die Europäische Gemeinschaft, die Vereinten Nationen
und alle anderen Vermittler die Republiken in Verhandlungen als eigenständige Parteien
behandelt hatten, waren sie ohnehin schon de facto anerkannt: „So identifizierte und
akzeptierte die Staatengemeinschaft die jugoslawischen Teilrepubliken als die eigentlichen
Konfliktparteien und notwendigen Partner jeder einvernehmlichen Lösung.“413
Die Anerkennung sollte die Botschaft Slobodan Miloševiæ und anderen potentiellen
Aggressoren in Ost- und Südosteuropa vermitteln, daß der Westen keine gewaltsam
veränderten Grenzen anerkennen würde.414
Bei der Suche nach einer Friedenslösung erschien die völkerrechtliche Anerkennung für
Bonn nicht nur in symbolischer Hinsicht, sondern auch strategisch als wichtig. Jugoslawien
konnte nach deutscher Einschätzung nur noch mit Gewalt zusammengehalten werden und
eine fortgesetzte Einheitspolitik des Westens konnte daher nicht im Interesse des Friedens
liegen.415 Da Serbien die internationalen Vermittlungen ausnützte, um einen Angriffskrieg
gegen Kroatien weiterzuführen, wäre es aus der Sicht Bonns ein Fehler gewesen, den zwei
nordwestlichen Republiken die Anerkennung weiterhin vorzuenthalten und dadurch diese
Strategie Miloševiæs weiterhin funktionieren zu lassen. Vielmehr versprach man sich von der
Anerkennung eine Internationalisierung des Konflikts und eine damit verbundene Aufhebung
des völkerrechtlichen Gebots der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines
Staates (in diesem Fall der SFRJ); hierdurch gewannen internationale Akteure weitere
Handlungsmöglichkeiten, z.B. die Fähigkeit, Wirtschaftssanktionen gezielt gegen Serbien
zu verhängen, ohne daß andere Republiken die Schäden zu spüren bekämen.416 Schließlich,
weil sich kein westlicher Staat ernsthafte Gedanken über einen eventuellen militärischen
Eingriff in das Krisengebiet machte, stellte die Anerkennung für die Bundesrepublik das letzte
412 Vgl. MOORE Diplomatic Recognition, S. 12, CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 4041, SALMON Testing Times, S. 252 und REUTER Jugoslawien, S. 338.
413 Informationserlaß des Auswärtigen Amts vom 2. März 1993, in: Auswärtiges Amt (Hrsg.): Dokumente, 1949-1994, S. 902-904 (903).
414 Vgl. Auswärtiges Amt (Hrsg.): Dokumente, 1949-1994, S. 903 und MÜLLER German Foreign Policy,
S. 153-154.
415 Vgl. SALMON Testing Times, S. 252 und ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 628-629.
416 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 41, MOORE Diplomatic Recognition, S. 12,
MÜLLER German Foreign Policy, S. 154 und MORTIMER, EDWARD A Curious Role Reversal, in:
Financial Times, 18.12.91, S. 13.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
77
politische Mittel ihrer Jugoslawienpolitik dar. So schreibt Genscher: „Was, so fragte ich mich
immer wieder, kann das Blutvergießen beenden? Immer mehr erschien die Anerkennung
Sloweniens und Kroatiens und die daraus folgende Internationalisierung des Konflikts als
das einzige noch verbleibende politische Mittel.“417
Die Kritik an der deutschen Anerkennungspolitik läßt sich in zwei Kategorien unterteilen einerseits die Kritik an deutschen Motiven und andererseits die Kritik an der Vernunft der
Anerkennung zu diesem Zeitpunkt.
Die heftigste Kritik an deutschen Motiven bei der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens
kam aus Serbien. Belgrader Regierungszeitungen zeichneten Parallelen zwischen der
Bundesrepublik und dem Dritten Reich und konstatierten regelmäßig, die Unterstützung
Bonns für Kroatien sei mit der Rolle Hitlers bei der Ustasche in Kroatien zu vergleichen.418
Obwohl unfundierte Kriegspropaganda, fand sie gelegentlich ein Echo im Westen.
In den westeuropäischen Medien wurden manchmal in Zusammenhang mit dem deutschen
Drängen nach Anerkennung Befürchtungen einer neuen deutschen Machtpolitik geäußert.
Die Bundesrepublik zeige eine „Sehnsucht nach den noch gar nicht so lange vergangenen
Zeiten.“419 In Frankreich schrieb der Journalist Daniel Vernet: „Die Jugoslawien-Affäre läßt
darauf schließen, daß Deutschland die europäische Integration nicht mehr als Einbindung
seiner potentiellen Macht akzeptiert. Die deutsche Frage wird, mehr als je zuvor, nun zu einer
Priorität für die Politik Europas … und Frankreichs.“420 In London deutete The Times darauf
hin, daß es vor allem die ehemaligen Achsenmächte Deutschland, Italien und Ungarn waren,
die eine Anerkennung Kroatiens befürworteten, was Serbien zu Recht beunruhigen konnte.421
In den USA wies auch Außenamtssprecher Richard Boucher auf diese Parallele zum Zweiten
Weltkrieg hin.422 In der New York Times berichtete David Binder (irrtümlicherweise), Helmut
Kohl hätte die Anerkennung als einen „Sieg“ für Deutschland bezeichnet und zitierte die
Aussage eines amerikanischen Diplomats, Kohl hätte wohl den „ersten deutschen Sieg seit
1945 verkündet“.423
417 Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 956. Vgl. auch Informationserlaß des Auswärtigen Amts vom 2.
März 1993, in: Auswärtiges Amt (Hrsg.): Dokumente, 1949-1994. S. 902-904 (903-904).
418 Vgl. RAMET Yugoslavia, S. 327-329 und MOJASEVIC Die Vergangenheit stößt bitter auf. Warum hilft
Bonn bei der Zerschlagung Jugoslawiens? In: Die Zeit, 6.3.92, S. 51.
419 So Le Figaro vom 23.9.91, zitiert in HEINRICH Neue deutsche Außenpolitik, S. 1449.
420 Vernet zitiert in BERTRAM Eine Macht ohne Augenmaß? Im Ausland weckt die Bonner Jugoslawienpolitik alte Zweifel, in: Die Zeit, 2./3.1.92, S. 5.
421 The Times vom 17.1.92 zitiert in MOORE Diplomatic Recognition, S. 13.
422 Vgl. „Ein großer Erfolg für uns“, in: Der Spiegel, 23.12.91, S. 18-20 (19).
423 Vgl. BINDER As Bonn Talks Louder, Some in the U.S. Wince, in: The New York Times, 7.1.92, zitiert
in SCHÖLLGEN Deutschlands neue Lage, S. 128-129. Kohl bezeichnete die Anerkennung als „Erfolg“.
78
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Nicht nur im Ausland wurde die deutsche Anerkennungspolitik auf diese Weise kritisiert.
Auch in der Bundesrepublik konnte man Kritik an einer vermeintlichen neuen deutschen
Machtpolitik vernehmen. In Hinblick auf die Anerkennungspolitik schrieb beispielsweise
Rudolf Augstein: „Genau so haben sich die Feinde der deutschen Einheit die zukünftige
deutsche Prestigepolitik vorgestellt.“424 Eberhard Rondholz verglich die deutsche Schuldzuweisung an die Serben bei dem Zerfall der SFRJ mit antiserbischer Rhetorik aus dem NaziDeutschland und war der Auffassung, das wahre Ziel der Bundesrepublik mit der Anerkennungspolitik sei die Errichtung einer „Einflußsphäre“ auf dem Balkan: „die Formel vom
Selbstbestimmungsrecht auf den Lippen, Märkte und politische Vasallenstaaten im Sinn.“425
Die Tatsache, daß die Bundesrepublik bestrebt war mit der Anerkennung multilateral
vorzugehen und noch wichtiger, daß sie zu keinem Zeitpunkt während der Anerkennungsdebatte den Versuch unternahm, eine Einflußnahme anderer Staaten auf Kroatien zu
verhindern, widerlegt solche Behauptungen.
Wenn Kritiker die Anerkennungspolitik Bonns als ungeschickt ausgeführt bemängeln, so
ist dies durchaus nachvollziehbar. Die Art wie, und nicht die Frage warum die Bundesregierung Kohl/Genscher ihre Haltung in der EG durchsetzte (mit besonderem Hinblick auf
den 16./17. Dezember) wird mit der Begründung kritisiert, die Bundesrepublik hätte dadurch
die neu gegründete GASP aufs Spiel gesetzt.426 So ebnete erst das mangelnde Fingerspitzengefühl bei der Durchsetzung der Annerkennungslinie den Weg für die übertriebene
Behauptung, Deutschland betreibe in Jugoslawien eine Machtpolitik.
Andere Kritiker gehen davon aus, daß Deutschland in der Anerkennungsfrage aufgrund
des innenpolitischen Drucks agierte. Einige Vertreter dieser Auffassung meinen, die Bundesregierung habe so viel Druck auf Anerkennung seitens der Kirche, der Medien und der
Parteien gespürt, daß sie die Grundannahmen hinter dieser Politik unzureichend hinterfragte,
z.B., daß Serbien der Aggressor sei.427 Deutsche Handlungen, die auf innenpolitische
Überlegungen zurückgingen, wurden auch kritisiert, eben weil sie sich nicht in erster Linie
auf eine angemessene Politik gegenüber Jugoslawien ausrichteten.428 Auch von innen-
424 Vgl. AUGSTEIN „…sondern auch Wut und Haß“, in: Der Spiegel, 7.1.92, S. 23.
425 Vgl. RONDHOLZ Deutsche Erblasten, S. 838. Vgl. auch im Sinne der „Einflußsphäre“-Ansicht (jedoch
etwas gemäßigter) HEINRICH Neue deutsche Außenpolitik, insbes. S. 1450. Für den Vergleich
zwischen der Kritik an Serbien in der Bundesrepublik mit einer Aussage Hitlers, vgl. RONDHOLZ
Deutsche Erblasten, S. 830.
426 Vgl. auch AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 352 und SCHRÖDER Der deutsche Alleingang,
in: Süddeutsche Zeitung, 21./22.12.91, S. 4.
427 Vgl. auch PEEL Germans instinctively back self-determination. In: Financial Times. 16.12.91, S. 2.
428 Vgl. WAGNER Acht Lehren, S. 38.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
79
politischen Motiven hinter der deutschen Anerkennungspolitik ausgehend bemängeln andere,
daß dieser Schritt nicht aus Überlegungen deutscher Interessen hervorging:
„Was man […] nicht sagen konnte, war, daß dieser plötzliche Sinneswandel in der deutschen
Politik das Resultat einer nüchternen Bestandsaufnahme der nationalen Interessen gewesen
wäre. Es war eine hastige Überreaktion, und mehr eine Reaktion auf die öffentliche und vor
allem veröffentlichte Meinung als ein Beispiel von geistiger Führung.“429
Andere Kritiker bemängeln den Inhalt der Anerkennungspolitik, sowie den Zeitpunkt der
Anerkennung Sloweniens und Kroatiens.
Wesentlich ist das Argument, die Begründung der deutschen Anerkennungspolitik unter
Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht hätte die Problematik dieses Rechts übersehen.
Nach dieser Auffassung vernachlässigte Bonn die Tatsache, daß es im Völkerrecht „eine
inhärente und nicht aufhebbare Spannung gibt“ zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und
dem Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen.430 In multiethnischen Staaten könne das
Selbstbestimmungsrecht zu einer „Logik des Zerfalls“ - Selbstbestimmung ad absurdum führen: „[...I]nsbesondere dort, wo - wie im früheren Jugoslawien - zwei oder mehr Völker
in enger Siedlungsgemeinschaft zusammenleben, treten exklusiv verstandene Selbstbestimmungsrechte zwangsläufig in Konkurrenz zueinander.“431 Das besondere Konfliktpotential
in Jugoslawien, begründet in dem Umstand, daß die Siedlungsräume und politische Einheiten
der sechs Nationalitäten nie kongruent waren,432 blieb bei der Bonner Anerkennungspolitik
unberücksichtigt. Konkret kritisieren Beobachter die mangelnde Aufmerksamkeit der
Bundesregierung für den gesetzlichen Schutz der serbischen Bevölkerung in Kroatien.433
Es wird behauptet, durch die Drohung mit der Anerkennung schon seit dem Sommer 1991
sei die Gewalt in Kroatien zur Eskalation geführ wordent. So schreibt John Zametica: „Since
Germany had so helpfully talked of recognition unless the war in Croatia stopped, the bloodier
the conflict, the greater the chance of obtaining recognition.“434 Zu den Vertretern dieser
429 Vgl. GARTON ASH Im Namen Europas, S. 581. Vgl. im gleichen Sinne, SCHWARZ Die Zentralmacht
Europas, S. 156-157 und AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 357.
430 Vgl. AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 357. Eine nützliche Analyse des Selbstbestimmungsrechts auf die Jugoslawienkrise bezogen bietet Alexander Mühlen. Vgl. MÜHLEN Die deutsche
Rolle, S. 49-55.
431 Vgl. CALIC Die Logik des Zerfalls, S. 197. Vgl. auch COULMAS Das Problem des Selbstbestimmungsrechts, S. 85-92 und HASSNER Beyond Nationalism, S. 51.
432 Vgl. CALIC Die Logik des Zerfalls, S. 193.
433 Vgl. AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 355.
434 Vgl. ZAMETICA The Yugoslav Conflict, S. 19. John Zametica ist Autor einer breit zitierten Studie des
Jugoslawien-Konflikts, die 1992 von dem International Institute for Strategic Studies (IISS) ver-
80
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Haltung gehörte der niederländische Außenminister van den Broek.435 Andere behaupteten,
durch die deutschen Handlungen in Richtung Anerkennung, hätten die Serben einen
verstärkten Auftrieb bei dem Krieg in Kroatien bekommen, weil sie dadurch Grund gehabt
hätten, eine neue deutsch-kroatische Allianz zu befürchten.436
Ein zentraler Kritikpunkt ist das Argument, die völkerrechtliche Anerkennung sei kein
adäquates Mittel, solche nationalistischen Konflikte wie den in Kroatien zu lösen. Reuter sieht
die Anerkennung als diplomatisches Druckmittel als etwas spezifisch Deutsches, weil sie
jahrelang im Zentrum der bundesdeutschen Politik gegenüber der DDR stand.437 Da Slobodan
Miloševiæwillens war, eine internationale Isolierung hinzunehmen, konnte die Anerkennung
bzw. Nicht-Anerkennung allerdings nicht ausschlaggebend für sein Verhalten gewesen sein.
Nur ein militärischer Einsatz hätte ihn beeindrucken können; obwohl die Anerkennungsdrohung einen Einsatz militärischer Mittel zum Schutz des neuen völkerrechtlich anerkannten
Staates implizierte, war es klar, daß kein westlicher Staat in dieser Phase des Konflikts dazu
bereit war.438
Vor allem war es klar, daß Deutschland nicht in der Lage war, Slowenien und Kroatien
nach der Anerkennung beizustehen. Erstens beriefen sich (unter anderen) Kohl und Genscher
wiederholt auf die deutsche Geschichte auf dem Balkan, die für sie jede militärische Aktion
dort ausschloß. So erklärte Genscher in diesem Zusammenhang: „Wir können unserer
Geschichte nicht entfliehen.“439 Neben den Sorgen um eine anregende Wirkung eines solchen
Einsatzes auf die Serben, hatte Serbien den deutschen Soldaten, in Jugoslawien eventuell als
Teil einer Friedenstruppe stationiert, mit dem Tod gedroht.440 Darüber hinaus gab es keinen
innenpolitischen Konsens in Deutschland über einen Einsatz der Bundeswehr in Jugoslawien.
Kohl und Genscher beriefen sich ferner auf ein vermeintliches verfassungsrechtliches Verbot
der Teilnahme der Bundeswehr an NATO oder WEU-Einsätzen außerhalb der Gebiete dieser
435
436
437
438
439
440
öffentlicht wurde. Seitdem ist er zum Berater von hochrangigen bosnischen Serben (u.a. Ratko
Mladiæ) geworden, die vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagt worden
sind. (Dies wurde im Briefwechsel des Verfassers mit dem IISS bestätigt.) Seine Beurteilung des
Konflikts, und hier: der Anerkennung, soll mit dieser Kenntnis im Auge gewichtet werden.
Vgl. GARDNER Bonn’s Yugoslav Ambitions Sink in EC Fudge, in: Financial Times, 18.12.91, S. 3.
Vgl. RONDHOLZ Deutsche Erblasten, S. 834.
Vgl. REUTER Jugoslawien, S. 338.
Vgl. MAULL Germany, S. 105 und 119. Im späten September zog sich Karl Lamers (CDU) wegen
dieser Überlegung von seiner Unterstützung einer Anerkennung vorerst zurück. Vgl. „In der Unionsfraktion zeichnet sich eine Haltungsänderung zu Jugoslawien ab“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,
27.9.91, S. 2.
Genscher zitiert in: „Genscher fordert nachdrücklich Einhaltung des Waffenstillstands“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.9.91, S. 2.
Vgl. MAULL Germany, S. 112.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
81
Verteidigungsbündnisse.441 Deutsche Gesetze sowie das am 25. September von dem UNSicherheitsrat verhängte Waffenembargo verboten zudem deutsche Waffenlieferungen an
Kroatien, die eine effektivere Verteidigung der neu anerkannten Grenzen ermöglicht hätten.442
Weil Deutschland nicht dazu in der Lage war, zur Verteidigung der kroatischen Grenzen
beizutragen, wird die Bereitschaft der Bundesrepublik kritisiert, ihre Verbündeten vor diese
implizierte Aufgabe zu stellen: „The Germans favored standing up to the Serbs, knowing that
the responsibility would fall to others.“443 Christian Hacke stimmt dieser Kritik zu, bis auf
seine Behauptung, daß Deutschland durchaus in der Lage gewesen wäre, selber in Jugoslawien militärisch vorzugehen, entweder alleine oder im Rahmen der NATO oder WEU.444
James Baker behauptet, die Bush-Administration hätte schon längst die Hoffnungslosigkeit
des weiteren Zusammenhalts Jugoslawiens erkannt als sich die Bundesrepublik mit der
Anerkennung durchsetzte. Weil die Administration die völkerrechtliche Anerkennung als den
wichtigsten diplomatischen Hebel gegenüber den Konfliktparteien betrachtete, stellte sie sich
dagegen, als die Bundesrepublik diesen Hebel aus der Hand geben wollte.445 Vor allem hätte
Deutschland und der Westen gegenüber Kroatien bedeutendere Gegenleistungen auf dem
Gebiet des Minderheitenschutzes durch die Vorenthaltung der Anerkennung erlangen können;
diese Kritik kam keineswegs nur aus Amerika.446 Der frühere deutsche Botschafter in
Jugoslawien, Horst Grabert, befürwortete den Einsatz der Anerkennung als Druckmittel, um
Kroatien zum Verhandlungstisch zu zwingen.447 Wolfgang Wagner stellt fest, daß die
Anerkennung keine „moralische Pflicht“ sei: „sondern eine Frage der Opportunität.“448
Cyrus Vance betrachtete die Anerkennung Kroatiens zu diesem Zeitpunkt als: „eher eine
negative Angelegenheit als ein positiver Faktor“ und auch EG-Vermittler Peter Carrington
stellte sich dagegen.449 Daher wird das Vorgehen Bonns auch als eine Unterminierung
441 Hauptsächlich wurde dies entgegen der herrschenden Meinung deutscher Juristen von Genscher
konstatiert. Am 12.7.1994 wurde Genschers Position von dem Bundesverfassungsgericht widerlegt.
Vgl. HACKER Integration und Verantwortung, S. 257-266. Mehr zu dieser Problematik auf S. 111112.
442 Vgl. MAULL Germany, S. 64-65.
443 Vgl. GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 37. Vgl. auch GIERSCH / EISERMANN Die westliche Politik,
S. 115.
444 Vgl. HACKE Weltmacht wider Willen, S. 494.
445 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 638.
446 Vgl. Zitat eines englischen Diplomaten in NEWHOUSE Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens, S. 1193, sowie auch AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 355-356 und HEINRICH
Neue deutsche Außenpolitik, S. 1448.
447 Vgl. ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 632.
448 Vgl. WAGNER Acht Lehren, S. 37.
449 Vance zitiert in „Groß und arrogant“, in: Der Spiegel, 7.1.92, S. 22. Carrington beschwerte sich
später: „Die Anerkennung veränderte sämtliche Grundlagen. Ich hatte überhaupt keinen Hebel.“
82
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
laufender Verhandlungen kritisiert. Ein amerikanischer Diplomat erklärte, auch Washington
fühlte sich von der Bundesregierung betrogen:
„Wir drängten die Kroaten und Slowenen, durch Warren Zimmermann, zusammenzubleiben.
Später entdeckten wir, daß Genscher in täglicher Verbindung mit dem kroatischen Außenminister gestanden hatte. Er ermutigte die Kroaten, die Föderation zu verlassen und ihre
Unabhängigkeit zu erklären, während wir und unsere Verbündeten, einschließlich der
Deutschen, eine gemeinsame Position zu entwickeln versuchten.“450
Ferner wird der deutschen Anerkennungspolitik zur Last gelegt, daß sie die Beschlüsse der
von Bonn und Paris vorgeschlagenen Badinter-Kommission völlig außer Acht ließ. Erstens
gab die Bundesrepublik ihre Entscheidung für die Anerkennung bekannt bevor die Beschlüsse
der Schiedskommission gefaßt wurden. Zweitens wird darauf hingewiesen, daß die BadinterKommission die Anerkennung Sloweniens und Mazedoniens vorschlug; die Bundesrepublik
und die EG erkannten Slowenien und Kroatien an.451 Genscher soll sogar Druck auf Bulgarien
ausgeübt haben, um eine Anerkennung Mazedoniens durch Bulgarien zu verhindern, da
Griechenland sonst der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens nicht zugestimmt hätte.452
Letztendlich ist das wichtigste Argument zugunsten der Kritiker, daß die Schiedskommission
nur existierte, um die bereits bekannte (deutsche) Entscheidung mit einer gemeinsamen
europäischen Facade zu versehen: „Once Badinter rendered his report, the circle could be
squared: the EC would recognize new states without compromising its principles and, more
importantly, without appearing to have been pushed into the move by Germany.“453
Der wichtigste und umstrittenste Zweig der inhaltlichen Kritik an Bonns Anerkennungspolitik betraf die Folgen dieser Politik für den Verlauf des Jugoslawien-Konflikts. Zunächst
geht es um die Frage, ob die Anerkennung das Ende des Krieges in Kroatien herbeiführte.
Außenminister Genscher behauptet, die von Deutschland geforderte völkerrechtliche
Anerkennung Kroatiens hätte dort den Krieg beendet.
450
451
452
453
Zitiert nach NEWHOUSE Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens, S. 1199. Vgl. auch
ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 177.
Zitat in N EWHOUSE Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens, S. 1195. Baker erhebt den
gleichen Vorwurf, jedoch ohne Genscher beim Namen zu nennen. Vgl. BAKER The Politics of
Diplomacy, S. 638.
Vgl. CALIC Jugoslawien-Politik, S. 18.
Vgl. GARTON ASH Im Namen Europas, S. 580.
Vgl. E YAL Europe and Yugoslavia, S. 47. Vgl. auch S. 48-49 sowie im gleichen Sinne AXT Hat
Genscher Jugoslawien entzweit? S. 355-356 und ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 630-631. Rosefeldt hält die Kommission besonders für einen gesichtswahrenden
Mechanismus für Frankreich.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
83
„Die Aggression gegen und in Kroatien zu beenden, die Gefahr einer neuen Aggression gegen
Slowenien zu bannen, das mußte das oberste Ziel sein - und es wurde erreicht. Was gibt es
daran zu kritisieren? Die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens löste nicht Gewalt aus,
sondern sie beendete den von Belgrad zu verantwortenden ersten jugoslawischen Krieg.“454
Andere Beobachter betrachten die Anerkennung und die Bereitschaft Serbiens, einen
dauerhaften Waffenstillstand einzugehen, als eine „zufällige Koinzidenz“ ohne eine „kausale
Verknüpfung“.455 Als Slobodan Miloševiæ am 9. Januar 1992 in einem offenen Brief an den
Führer der Krajina-Serben, Milan Babic, den Krieg in Kroatien für beendet erklärte,
begründete er dies mit dem Hinweis, die kommenden 10.000 UNPROFOR-Truppen würden
für den Schutz der serbischen Minderheit sorgen (und unausgesprochen: serbische Territorialgewinne zementieren).456 Zudem waren die finanziellen Mittel für die Kriegführung Serbiens
knapp geworden und eine wachsende Friedensbewegung in Serbien sowie die rasch ansteigenden Zahlen serbischer Armeedeserteure drängten Miloševiæ den Krieg vorübergehend
zu deeskalieren.457 Die Bereitschaft Tudjmans, den UN-Einsatz zuzulassen während ein Drittel
Kroatiens besetzt war, führt Zametica hingegen zurück auf die weitere Weigerung der USA,
Kroatien die erwünschte Anerkennung auszusprechen.458
Die andere zentrale Frage um die Folgen der von Bonn durchgesetzten Anerkennung geht
um Bosnien-Herzegovina. Hat die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens den Krieg in
Bosnien ausgelöst? Bosnien und Mazedonien hatten beide Interesse an der Fortexistenz
Jugoslawiens und waren bis zuletzt die größten Verfechter der Konföderationsidee. Besonders
für Bosnien war der Erhalt Jugoslawiens wichtig, weil der serbische Bevölkerungsanteil in
der Republik ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachte; angesichts der Behauptung von
Miloševiæund Karadziæ, alle Serben hätten das Recht in einem Staat zu leben, erschien ein
Austritt Bosniens aus Jugoslawien höchst gefährlich. Manche Kritiker der deutschen
Anerkennungspolitik behaupten, Bonn und die EG hätten durch die Anerkennung Sloweniens
und Kroatiens ein falsches, ermutigendes Signal an den bosnischen Präsidenten Izetbegoviæ
gesendet, an dem Unabhängigkeitsbestreben festzuhalten und in diese Richtung zu handeln.459
454 Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 966. Sabrina Petra Ramet teilt diese Meinung. Vgl. RAMET
Yugoslavia, S. 331.
455 Vgl. REUTER Jugoslawien, S. 338-339.
456 Vgl. REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 10.
457 Vgl. REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 10 und MOORE Diplomatic Recognition, S. 10.
458 Vgl. ZAMETICA The Yugoslav Conflict, S. 19. Zu John Zametica, vgl. Fußnote 436.
459 Vgl. REUTER Die politische Entwicklung, S. 674, AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 356
und STEINBERG Turning Points, S. 7.
84
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Bosnien stand nach der Anerkennung vor der Wahl: entweder mußte die Republik in einem
von Serbien beherrschten Rest-Jugoslawien bleiben, in dem die muslimische (relative)
Mehrheit eine ähnliche Unterdrückung wie die Kosovo-Albaner befürchten müßte, oder sie
mußte unabhängig werden und einen Krieg riskieren. Eyal sieht die Ursache für das Unabhängigkeitsreferendum in Bosnien, das letztendlich zum Krieg führte, nicht in der Anerkennung per se. Vielmehr betrachtet er den Mechanismus der Badinter-Kommission (welche
Bosnien und Mazedonien aufforderte über die Unabhängigkeitsfrage abzustimmen) als
Auslöser des Krieges in Bosnien:
„Both republics tried for more than six months to avoid making such a decision, but both
ultimately had to face it, not so much because of developments on the ground, but because
the Community, for which Yugoslavia’s travails were always a side issue, could conceive of
no other way of placating the Germans without loss of face.“460
Mehrere Diplomaten warnten Bonn, daß die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens eine
Ausweitung des Krieges auf Bosnien-Herzegovina zur Folge haben könnte.461 Letztlich stellen
einige Kritiker der Bonner Anerkennungspolitik die Frage, warum die Bundesrepublik ein
multiethnisches Jugoslawien für nicht lebensfähig, ein multiethnisches Bosnien-Herzegovina
aber doch für lebensfähig hielte.462
3.3. Die Lehren aus dem Anerkennungsstreit
Die Ereignisse zwischen den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens Ende
Juni 1991 und der gemeinsamen Erklärung der Europäischen Gemeinschaft mit den Vereinigten Staaten am 10. März 1992, sowie die Kritik an dem deutschen Umgang mit der
Anerkennungsfrage sind aufschlußreich für die Untersuchung des deutschen Handlungsspielraums in einer bedeutsamen außenpolitischen Frage. Wieder spielte das Maß an
460 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 49-50. Vgl. auch ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs
Jugoslawienpolitik, S. 633.
461 Dazu gehörten UN-Generalsekretär Pérez de Cuéllar, Lord Carrington, der deutsche Botschafter in
Belgrad Eiff und das englische Außenministerium. Vgl. dazu AXT Hat Genscher Jugoslawien
entzweit? S. 356, ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 176, NEWHOUSE Bonn, der Westen und
die Auflösung Jugoslawiens, S. 1196: „Die Frist läuft ab“, in: Der Spiegel, 9.12.91, S. 25 und 27 und
GARDNER Bonn’s Yugoslav Ambitions Sink in EC Fudge, in: Financial Times, 18.12.91, S. 3.
462 Vgl. CALIC Jugoslawien-Politik, S. 15-16, ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 633 und EIFF Zur Entwicklung im früheren Jugoslawien, S. 137-138.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
85
amerikanischem Engagement gegenüber Jugoslawien eine wesentliche Rolle für die Reichweite deutscher Handlungsmöglichkeiten. Auf den ersten Blick mag diese Behauptung nicht
einleuchtend erscheinen. War die amerikanische Jugoslawienpolitik in diesem Zeitraum
konsequent in ihrer Zurückhaltung, so durchlief die deutsche Jugoslawienpolitik im gleichen
Zeitraum eine Phase als Vorreiter bei der Formulierung der westlichen Reaktion auf die Krise,
gefolgt von einer Phase der äußersten Zurückhaltung.
Der Rückzug der Bundesrepublik aus einer aktiven Rolle nach dem 15. Januar stand jedoch
in engem Zusammenhang mit der vorausgehenden aktiven Rolle. Er erfolgte mit der
Erkenntnis, daß Deutschland den Rahmen seines Handlungsspielraums überschritten hatte.
Die Behauptung, daß die Bundesrepublik angesichts mangelnder Führung aus den USA die
Führungsrolle in der Jugoslawienpolitik übernehmen könnte, hatte sich als ein Trugschluß
erwiesen. In diesem Abschnitt soll zunächst erläutert werden, warum die Bundesrepublik
außerhalb ihres Handlungsspielraums agierte. Dann soll untersucht werden, warum die
Vorreiterrolle Deutschlands nicht in seinem Handlungsspielraum lag und wie die amerikanische Passivität den akzeptierten Rahmen der deutschen Politik beschränkte.
Mit dem offenen Ausbruch der Gewalt in Slowenien und dann in Kroatien erzeugten die
schon dargestellten innenpolitischen Faktoren einen zunehmenden innenpolitischen Druck
auf deutsche Politiker, diese Republiken völkerrechtlich anzuerkennen. So gewannen
Forderungen nach Respektierung des Rechts der slowenischen und kroatischen Völker auf
Selbstbestimmung durch den Krieg an Aktualität.
Bei der deutschen Berichterstattung machte sich eine gewisse prokroatische und proslowenische Neigung unter Einfluß der Kirche verstärkt bemerkbar. Auch wenn diese Feststellung
nicht eine monokausale Erklärung für das Verhalten der Bundesrepublik bieten sollte, kann
sie auch nicht als eine „abgeschwächte Version serbischer Verschwörungstheorien“ abgeschrieben werden.463 Der Jugoslawien-Konflikt genoß größere Aufmerksamkeit bei den
deutschen Medien als beispielsweise in Großbritannien und wurde in der Bundesrepublik
vergleichsweise stärker unter moralischen Gesichtspunkten betrachtet.464 (Daß die kroatische
Politik bewußt auf eine solche Reaktion im Westen abzielte,465 relativiert allerdings nicht,
daß serbische Nationalisten in erster Linie für den Krieg verantwortlich waren.) Im Herbst
463 So wie dies Giersch und Eisermann tun. Vgl. GIERSCH / EISERMANN Die westliche Politik, S. 113114.
464 Vgl. die Feststellungen des Engländers Edward Mortimer, der durchaus Verständnis zeigte für die
deutsche Wahrnehmung des Konflikts. „A Curious Role Reversal“, in: Financial Times, 18.12.91, S.
13.
465 Vgl. REUTER Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 9-10.
86
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
1991 wurden die Forderungen in der deutschen Presse immer lauter; die Anerkennung
Kroatiens und Sloweniens wurde von manchen Journalisten zu einer moralischen Pflicht
erhoben, weil sie als bedeutendes Mittel zur Beendigung des Konflikts gesehen wurde. Aus
dieser Sicht erschien die Opposition einer Mehrheit der übrigen EG-Mitglieder als ein
unwesentliches Argument gegen die Anerkennung. So schrieb Bernt Conrad in Die Welt:
„Warum sollte nicht Bonn seinen zögernden EG-Partner vorangehen und schon jetzt in die
Wege leiten, was am Ende doch unausweichlich ist?“466 Besonders nach dem Augustputsch
in der Sowjetunion verlangten einflußreiche Meinungsmacher die Anerkennung, war doch
nun die Vorbildrolle des zerfallenden Jugoslawiens für die UdSSR weggefallen.467 Vielleicht
kam die schärfste und konsequenteste Kritik an der Nichtanerkennung Sloweniens und
Kroatiens von Johann Georg Reißmüller, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeine
Zeitung. „Die Bundesregierung scheut vor einem Fast-Alleingang zurück. Aber warum? Wenn
sie die Anerkennung erklärt, werden wahrscheinlich andere Regierungen folgen.“468
In Vergleich zu anderen Ländern der Gemeinschaft wurde der Jugoslawienkonflikt sowohl
in den deutschen Medien, als auch in der breiten deutschen Öffentlichkeit, verstärkt unter
dem moralischen Aspekt betrachtet.469 Wenn diese Betrachtungsweise vieler Deutscher
während des Golfkrieges auf eine Forderung der Nichteinmischung der Bundesrepublik
hinauslief, so ging sie in bezug der Jugoslawienkrise mit einem Verlangen nach einer aktiven
deutschen Politik einher, die den Konflikt aufhalten sollte.470 Nicht zuletzt ging diese stärkere
Reaktion der deutschen Öffentlichkeit auf eine engere geographische Nähe zum Kriegsschauplatz und eine durch den Tourismus entstandene größere Kenntnis der unter Beschuß
stehenden Völker zurück, als dies in den meisten anderen EG-Ländern der Fall war.471
Mit dem Anfang des Krieges in Jugoslawien entwickelte sich eine zusätzliche innenpolitische Sorge in der Bundesrepublik, nämlich vor einer Flüchtlingswelle aus der Krisenregion. So nannte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Hans
466 Vgl. CONRAD Bonn sollte vorangehen, in: Die Welt, 9.8.91, S. 2.
467 Vgl. beispielsweise STRÖHM Wie lange trödeln sie noch? In: Die Welt, 26.8.91, S. 2 und MEIERSlowenien fürchtet nach dem Versagen der EG neue Verwicklungen, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 18.9.91, S. 2.
468 So beispielsweise aus einem Beitrag der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.8.91, nachgedruckt
in REIßMÜLLER Der Krieg, S. 160-162 (162).
469 Diese stand fraglos in Wechselbeziehung zur ähnlichen Neigung in der deutschen Berichterstattung.
470 Vgl. SALMON Testing Times, S. 121 und MORTIMER A Curious Role Reversal, in: Financial Times,
18.12.91, S. 13.
471 Vgl. in diesem Sinne die Aussage eines deutschen Diplomats in NEWHOUSE Bonn, der Westen und
die Auflösung Jugoslawiens, S. 1195.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
87
Stercken, diese Sorge als eines der Motive der Bundesregierung für die Anerkennung.472 Auch
die Perspektive möglicher Konflikte zwischen den Vertretern verschiedener jugoslawischer
Völkern unter den Gastarbeitern in der Bundesrepublik erhöhte den innenpolitischen Druck.473
Die Grundannahme hinter diesen Überlegungen, wie bei den moralisch geprägten Plädoyers
der Presse, war, daß die Anerkennung ein für die Beruhigung des Konfliktes geeignetes Mittel
darstellte.
Dieser Glaube an die Fähigkeit der völkerrechtlichen Anerkennung, dem Blutvergießen
ein Ende zu setzen, hatte Vertreter über ein breites Spektrum der deutschen Parteienlandschaft. Der schon dargelegte parteipolitische Druck auf Außenminister Genscher, den
Anerkennungskurs zu eigen zu machen nahm somit gleichfalls mit der Gewaltsteigerung zu.
Die lauten Forderungen aus den Reihen der CDU/CSU und der SPD, Slowenien und Kroatien
anzuerkennen, erhöhten die Bereitschaft Kohls und Genschers, diese auch gegen den Willen
einer Mehrheit der EG-Partner durchzubringen.
„Sie nahmen immer häufiger das brisante A-Wort in den Mund und entschärften gleichzeitig
die Kriterien für seine Anwendung. Fühlte sich der Kanzler im Sommer an ,ein gemeinsames
Vorgehen der Europäischen Gemeinschaft gebunden’, so reichte ihm im Spätherbst eine
größtmögliche Zahl von Partnern, um zur Anerkennung zu schreiten.“474
Obwohl innenpolitischer Druck keineswegs alleine hinter der deutschen Anerkennungspolitik
stand, war dieser für die Bereitschaft der Bundesregierung, diese Linie entgegen den
Wünschen der meisten europäischen Partner, der USA und der Vereinten Nationen zu
verfolgen maßgeblich. Bonn war auf die innenpolitische Unterstützung für den Anerkennungskurs durchaus aufmerksam. So verwies beispielsweise Helmut Kohl bei einer Kabinettsitzung
in September 1991 auf die Stimmung in Deutschland zugunsten der Anerkennung.475
„Angesichts der großen Sensibilität der deutschen Öffentlichkeit fühlte sich die Bundesregierung in besonderer Weise gefordert, außenpolitische Aktivität gegenüber dem Krisenherd
Jugoslawien nachzuweisen. [...] Hätte die deutsche Außenpolitik die Gemeinsamkeit mit den
EG-Partnern favorisiert, hätte sie den Erwartungen der heimischen Öffentlichkeit nicht
entsprechen können.“476
472
473
474
475
Vgl. Zitat Sterckens in AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? F.N. #10, S. 359-360.
Vgl. MAULL Germany, S. 118.
Vgl. BUHL Lohn der Eile, in: Die Zeit, 20.12.91, S. 1.
Vgl. „Genscher fordert nachdrücklich Einhaltung des Waffenstillstands“, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 19.9.91, S. 2.
476 Vgl. AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 358.
88
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Für diesen innenpolitischen Einfluß auf die deutsche Jugoslawienpolitik blieb um so mehr
Platz übrig, da die USA auf eine aktive Rolle bei der Formulierung der westlichen Politik
verzichteten. Das daraus entstehende Führungsvakuum, obwohl es das deutsche Vorpreschen
begünstigte, hatte den deutschen Handlungsspielraum nicht erweitert, sondern eingeschränkt.
Die aktive deutsche Anerkennungspolitik ging jedoch von der umgekehrten, falschen
Annahme aus.
Deutschland, neu vereinigt, deshalb mit größerer Aufmerksamkeit hauptsächlich von den
europäischen Nachbarn und Verbündeten beobachtet und einem Konflikt in einer für
Deutschland geschichtlich belasteten Region gegenüberstehend, war nicht für die Führungsrolle in der umstrittenen Jugoslawienpolitik geeignet. Wenn dies schon vor dem Ausbruch
des Krieges zu vermuten war, so bestätigten die Erfahrungen in dem Zeitraum bis März 1992
diese Vermutung.
Die Kritik an den deutschen Motiven in Jugoslawien, obwohl überzogen und nicht
gerechtfertigt, zeigte, daß die Bundesrepublik noch nicht als „normaler“ Staat für die
Nachbarn und Verbündeten gilt. Die ungeschickte Handhabung der Anerkennungspolitik
durch die Bundesrepublik begünstigte nur das schon vorhandene Mißtrauen Deutschland
gegenüber.477 Indem die Bundesrepublik am Rande gemeinsamer Gremien agierte und ihre
Verbündeten vor vollendete Tatsachen stellte, war Platz für Zweifel an deutschen Motiven
geschaffen.478 Selbst innerhalb der Bundesrepublik wird noch um die „Normalität“ deutscher
Außenpolitik gestritten. Wie bereits dargestellt, leiteten viele aus den deutschen Verwicklungen in Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs den Verbot einer Führungsrolle der
Bundesrepublik in der Anerkennungsfrage ab.479 Zudem fehlte es an einem innenpolitischen
Konsens, der es erlaubt hätte, einen Führungsanspruch der Bundesrepublik mit militärischem
Gewicht zu untermauern. Auch die Bundesregierung nahm Bezug auf die Geschichte
Deutschlands auf dem Balkan und schloß ein militärisches Vorgehen aus.480 Daher war es
für Bonn unmöglich, die Konsequenzen seiner Anerkennungspolitik zu ziehen, was die
Glaubwürdigkeit dieser Politik bei den Konfliktparteien verletzte.
477 Vgl. GILLESSEN Genscher und die Verbündeten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.9.91, S. 1
und BERTRAM Eine Macht ohne Augenmaß? Im Ausland erweckt die Bonner Jugoslawienpolitik alte
Zweifel, in: Die Zeit, 2./3.1.92, S. 5.
478 Vgl. MEIERS Germany, S. 95 und SCHRÖDER Der deutsche Alleingang, in: Süddeutsche Zeitung,
21./22.12.91, S. 4.
479 Vgl. beispielsweise FISCHER Les Certitudes Allemandes, S. 1087-1088 und RONDHOLZ Deutsche
Erblasten, S. 829-830 und 836-838.
480 Vgl. MAULL A German Perspective, S. 67 und MEIERS Germany, S. 84-85.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
89
Nach Ende des Ost-West-Konflikts versuchte die Bundesrepublik ihre Rolle in der
internationalen Politik unter den neuen Bedingungen zu orten. Dabei argumentierte ein Lager
in dieser Debatte für eine größere Führungsrolle Bonns. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts
erklärte beispielsweise: „The times when Bonn was carrying out the so-called convoy role
of following others is over.“481 Nach dieser Sicht sei Deutschland „eine ganz normale
Demokratie [. ...] Die Verflechtung mit den Partnern ist zwar zu berücksichtigen, somit auch
deren Interessen. [...] Doch letztendlich dominiert in jedem Land das nationale Interesse, auch
in Deutschland.“482 Wenn der Jugoslawien-Konflikt die Grenzen einer strikt nichtmilitärischen
Politik zeigte und zu einem Nachdenken in der Bundesrepublik über die Annahmen hinter
ihrer Außenpolitik führte,483 so zeigte er auch einige Grenzen des deutschen Handlungsspielraums auf. Beobachter, die den Rückzug der Bundesrepublik aus der aktiven Jugoslawienpolitik nach dem 15. Januar 1992 auf einen mangelnden politischen Willen zurückführen,484 verkennen, daß es nicht im Ermessen Bonns lag, die Vorreiterrolle aufrechtzuerhalten.
Die Reaktion auf die aktive Anerkennungspolitik Bonns zeigte vielmehr die Gefahren für die
Beziehungen zwischen Deutschland und seinen Verbündeten auf, die dann entstehen, wenn
Bonn nicht multilateral vorgeht.485 Denn auch wenn die Kritik an deutschen Motiven bei der
Anerkennungspolitik überzogen und oft absurd war, war sie nicht wegzudenken. Die
Anfälligkeit der deutschen Außenpolitik für solche Kritik bildet de facto eine Grenze des
deutschen außenpolitischen Handlungsspielraums: „Die Außenpolitik der mit dem 3. Oktober
1990 größer gewordenen Bundesrepublik muß mit viel Augenmaß, Fingerspitzengefühl und
in Kenntnis historischer Belastungen agieren.“486
Das durch die Zurückhaltung Amerikas geschaffene Führungsvakuum in der Jugoslawienpolitik konnte auf Dauer von der Bundesrepublik nicht gefüllt werden. Aber auch die anderen
EG-Staaten vermochten nicht eine Führungsrolle zu übernehmen. Wie schon dargestellt,
hatten die verschiedenen Mitgliedsstaaten bereits vor dem offenen Ausbruch des Krieges
unterschiedliche Auffassungen von den Konfliktparteien und über die Natur des Konflikts.
Im Spätsommer und Herbst 1991, als sich der Krieg in Kroatien zuspitzte und sich der Zerfall
Bosniens abzeichnete, wuchs das Besorgnis aller EG-Länder. Eine gemeinsame Linie blieb
jedoch aus. Während Dänemark, später Italien und Belgien zusammen mit Deutschland die
481 Hanns Schumacher zitiert in: FISCHER In a New World Without a Script, Bonn Seeks the Right Role,
in: International Herald-Tribune, 19.9.91, S. 1.
482 Vgl. SCHWARZ Die Zentralmacht Europas, S. 79.
483 Vgl. ASMUS Germany and America, S. 558.
484 So wie Christian Hacke dies tut. Vgl. HACKE Weltmacht wider Willen, S. 493-494 und 502-503.
485 Vgl. MEIERS Germany, S. 96-97.
486 Vgl. HACKER Integration, S. 191. Vgl. auch in diesem Sinne EYAL Europe and Yugoslavia, S. 48-49.
90
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Anerkennung befürworteten, stellten sich Großbritannien, Frankreich, die Niederlande,
Spanien und Griechenland dagegen. Der Versuch, die unterschiedlichen nationalen Interessen
der EG-Mitglieder und die daraus abgeleiteten Stellungnahmen miteinander zu vereinbaren
lief auf eine Politik der kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus.487 Die höchste Priorität für
die EG war der eigene Zusammenhalt und nicht die Beendigung des Konflikts. So berichtete
Außenminister Genscher stolz: „Der Balkan hat die EG-Staaten nicht entzweit.“488 Auch wenn
dies angesichts der blutigen Geschichte West- und Mitteleuropas lobenswert sein mag, reichte
der Zusammenhalt der EG alleine nicht aus, um die Stabilität auf dem Balkan zu sichern.
Vielmehr bedürfte Europa gegenüber Jugoslawien einer gemeinsam getragenen klaren
außenpolitischen Linie.
Die Jugoslawienpolitik der Gemeinschaft war auch durch unverwandte Themen beeinflußt.
Wesentlich dabei waren die Verhandlungen im Vorfeld des Maastrichter Vertrages. So pochte
beispielsweise Großbritannien darauf, daß erst nach Abschluß des Maastrichter Gipfels eine
Entscheidung in der Anerkennungsfrage zu treffen war.489 Da Frankreich und später England
langsam erkannten, daß eine Anerkennung Sloweniens und Kroatiens auf Betreiben der
Bundesrepublik unausweichlich geworden war und weil die von Deutschland erwünschte
Stärkung des Europäischen Parlaments von diesen beiden EG-Partnern abgelehnt wurde,
entstand ein Junktim. Bonn nahm die Opposition aus Paris und London zur Stärkung der
politischen Union hin, im Tausch gegen die widerwillige Zusage Frankreichs und Großbritanniens zur Anerkennung.490 Die Bereitschaft Bonns, durch die Währungsunion die starke
D-Mark und strenge Bundesbank aufzugeben, begünstigte zusätzlich den Tausch mit
Frankreich. Die Maastrichter Verhandlungen hatten auch Einfluß auf die Haltung der EG
gegenüber Mazedonien. So wurde die Anerkennung dieser Republik durch Ängste verhindert,
Griechenland könnte den Vertrag von Maastricht ablehnen.491 Der Vertrag konnte im
Dezember 1991 erfolgreich abgeschlossen werden; dabei hatten die Verhandlungen im Vorfeld
des Gipfels einen Einfluß auf den Inhalt der europäischen Jugoslawienpolitik, der nicht unter
den Gesichtspunkten der geeignetsten Politik gegenüber dem Krieg auf dem Balkan erwogen
worden war.
487 Vgl. STEINBERG The Role of European Institutions, S. 34 und sehr kritisch dazu, MALCOLM The Case
Against „Europe“, S. 68.
488 Vgl. GENSCHER Erinnerungen, S. 968.
489 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 45.
490 Vgl. NEWHOUSE Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens, S. 1196-1197 und ROSEFELDT
Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 632.
491 Vgl. CALIC Jugoslawien-Politik am Wendepunkt, S. 17.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
91
Bei der Austragung der Meinungsverschiedenheiten unter den EG-Mitglieder bezüglich
der künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur spielte die Suche nach einem wirksamen
Ansatz zur Konfliktbeendigung in Jugoslawien gleichfalls eine untergeordnete Rolle. Vielmehr
wurde die Jugoslawienkrise instrumentalisiert, um die eigene Position in dieser Debatte zu
stärken: „In this wider diplomatic game, Yugoslavia ultimately counted for little.“492
Während Großbritannien eine Rolle der USA als aktiver Mitgestalter der europäischen
Sicherheit durch die NATO befürwortete, bevorzugte Frankreich das Engagement Amerikas
lediglich als Rückversicherer der europäischen Verteidigung.493 Paris war bemüht, die WEU
als alternative europäische Sicherheitsidentität zur NATO aufzubauen. Die Versuche
Frankreichs, die WEU in den Jugoslawienkonflikt einzuschalten, entstammten diesem
politischen Motiv und nicht dem Glauben, daß die WEU einen realistischen Beitrag zur
Konfliktlösung hätte leisten können.494
Integraler Bestandteil beider konkurrierender Sicherheitsvorstellungen war die Kontrolle
des politisch potentiell übergewichtigen Deutschlands. Während Paris diese durch die
Einbindung der Bundesrepublik in eine (von Frankreich geführte) engere Union bevorzugte,
strebte London danach, ein Gleichgewicht zu Deutschland durch die Fortsetzung der engen
Beziehungen zu den USA aufrechtzuerhalten.495 Bundeskanzler Kohl und Außenminister
Genscher, beide bekanntlich um eine eventuelle künftige Renationalisierung der europäischen
Sicherheit besorgt und zudem sich dessen bewußt, daß die Einbindung und der Ausgleich
deutscher Macht dem Abbau historisch bedingten Mißtrauens dienten, bevorzugten beide
Pläne.496 Damit stand Bonn vor einem Dilemma, weil die zwei Konzepte schwer miteinander
zu vereinbaren waren. In Jugoslawien unterstützte Bonn eine aktive Rolle für die WEU, um
Paris zu befriedigen, aber auch die von Großbritannien vorgeschlagenen engen Bedingungen
für die Entsendung einer solchen Truppe, die einen Einsatz so gut wie ausschloß.497 Der
492 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 33.
493 Vgl. STÜRMER Deutsche Interessen, S. 47. Großbritannien wird in der Regel von Dänemark, den
Niederlanden und Portugal unterstützt, während Belgien, Spanien und Italien eher der französischen
Vorstellung zuneigen.
494 Vgl. BRENNER Multilateralism, S. 147, ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 643, EYAL Europe and Yugoslavia, S. 32-33 und RÜHLE Eine strategische Schnapsidee.
Der Gedanke an eine eigene Eingreifstruppe der Europäer ist vorerst abwegig, in: Die Zeit, 26.9.91,
S. 5.
495 Vgl. ART Why Western Europe Needs the United States and NATO, S. 9-10.
496 Vgl. ART Why Western Europe Needs the United States and NATO, S. 22-27.
497 Vgl. „Genscher fordert nachdrücklich Einhaltung des Waffenstillstands“, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 19.9.91, S. 2.
92
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Versuch Bonns, einen Mittelgrund zwischen den französischen und britischen Positionen zu
finden, stellte weder Paris, noch London zufrieden.
Durch den bewußten Verzicht auf eine aktive Rolle in der Jugoslawienpolitik nach den
Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens instrumentalisierte auch die BushAdministration den Krieg auf dem Balkan, um die amerikanische Position in der Debatte um
die künftige europäische Sicherheitspolitik zu stärken. Washington war skeptisch, daß die
Europäer die Krise alleine beherrschen konnten; dieses sollte die Notwendigkeit der NATO
und damit verbunden des amerikanischen Engagements in Europa vor Augen führen sollte.498
Abgesehen von diesem zynischen Motiv hinter der Zurückhaltung der USA sprach der
Wunsch Washingtons nach einer größeren Lastenteilung in der europäischen Sicherheitspolitik
für den Verzicht Amerikas auf eine Führungsrolle im Jugoslawienkonflikt.499
Die Unterlassung der USA in der Jugoslawienpolitik eine führende Rolle zu übernehmen
hatte allerdings der Bundesrepublik keinen zusätzlichen Handlungsspielraum verliehen, der
es für die Deutschen ermöglicht hätte, auf Dauer eine größere Verantwortung auf dem Balkan
zu übernehmen. Im Gegenteil resultierte das Fernbleiben der Vereinigten Staaten in einer
Einengung des deutschen Handlungsspielraums. Dies erfolgte in diesem Zeitraum auf
dreifache Weise.
Erstens wurde durch die amerikanische Zurückhaltung die schon dargelegte Grenze des
deutschen Handlungsspielraums, welche durch die Anfälligkeit der Bundesrepublik für
Mißtrauen unter ihren europäischen Nachbarn und Verbündeten bedingt ist, restriktiver.
Schon seit ihrer Gründung war die Bundesrepublik durch die amerikanische Präsenz in Europa
kaum dem Verdacht ausgesetzt, daß sie in Europa zu dominieren versuchen könnte; ein
engagiertes Amerika machte die neue wirtschaftlich bedingte Macht Deutschlands für andere
europäische Staaten erträglicher.500 Auf gleiche Weise war die Unterstützung der BushAdministration unabdingbar bei dem Vollzug der deutschen Einheit angesichts des Widerstands aus London und Paris.501 Bei der Anerkennungspolitik agierte Bonn ohne amerikanische Rückendeckung. Somit war Deutschland für unangemessene Kritik an seinen Motiven
exponiert, was dauerhaft nicht erträglich war und den Rückzug Deutschlands aus der
Vorreiterrolle erzwang.
Die Uneinigkeit der EG in der Jugoslawienpolitik verstärkte gleichfalls die Exponiertheit
Deutschlands für Kritik. Politiker und Journalisten (auch in Amerika), die nicht mit der
498
499
500
501
Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 636-637.
Vgl. POND Germany, S. 119.
Vgl. HAFTENDORN Gulliver, S. 143-144 und POND Germany, S. 116.
Vgl. ART Why Western Europe Needs the United States and NATO, S. 13-14.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
93
Anerkennungslinie Bonns einverstanden waren, wenn auch aus legitimen sachbezogenen
Gründen, konnten die Bundesrepublik leicht zu einer Zielscheibe für überzogene Kritik
machen. Hätte Europa einen von allen vertretbaren Kompromiß getroffen und einen
gemeinsamen Kurs in der Jugoslawienpolitik verfolgt, ist zu vermuten, daß solche Kritik
ausgeblieben wäre. Doch kein Mitglied der Europäischen Gemeinschaft konnte einen solchen
Kompromiß herbeiführen, zumal Vorschläge immer wieder nach ihrer Bedeutung für
unverwandte Themen wie die Maastrichter Verhandlungen oder den NATO/WEU-Institutionenstreit gemessen wurden. Dadurch schränkte die Passivität der USA den deutschen
Handlungsspielraum auf eine zweite Weise ein: „daß nur die USA in der Lage gewesen wären,
die westliche Jugoslawien-Politik zumindest mit einer gemeinsamen Konzeption zu
versehen.“502 Die größere Entfernung vom Konflikt, die unbelastete Geschichte Amerikas
auf dem Balkan und in Westeuropa sowie die Neutralität der USA bei den Maastrichter
Verhandlungen hätten günstigere Bedingungen für die Führung bei der Schaffung eines
gemeinsamen Ansatzes dargestellt als dies bei den europäischen Staaten der Fall war.
Die amerikanische Zurückhaltung wirkte sich noch auf eine dritte Weise einschränkend
auf den deutschen Handlungsspielraum im Jugoslawien-Konflikt aus, indem zusätzliche
außenpolitische Maßnahmen vorenthalten wurden, über die Europa alleine nicht verfügte.
Wie schon gesehen, verfügte Deutschland nicht über die Fähigkeit, die logischen Konsequenzen seiner Anerkennungspolitik zu ziehen und den anerkannten Republiken einem militärischen Beistand zu leisten.503 Die Anerkennung an sich stellte kein adäquates Mittel zur
Konfliktbeilegung dar. Insofern war der Anerkennungsstreit eine Debatte zwischen zwei
falschen Alternativen. Weder die völkerrechtliche Anerkennung ohne ein militärisches Element
noch das Festhalten an der Illusion der jugoslawischen Einheit hätte Slobodan Miloševiæ
imponieren können.504 Auch das übrige Instrumentarium der EG, wie Wirtschaftssanktionen,
wirtschaftliche Anreize und Appelle nach Frieden, waren in diesem Konflikt nicht adäquat:
„Brüssel konnte den Ablauf der kriegerischen Ereignisse in Jugoslawien nur noch beobachten,
beklagen und verurteilen, jedoch nicht entscheidend beeinflussen.“505 Selbst wenn sich die
502
503
504
505
94
Vgl. HACKER Integration, S. 191. Vgl. im gleichen Sinne, BRENNER (Hrsg.) Multilateralism, S. 141.
Vgl. MAULL A German Perspective, S. 64-65.
Vgl. in diesem Sinne auch MAULL Germany, S. 105.
Vgl. REUTER Jugoslawien, S. 336. Vgl. auch S. 340, EYAL Europe and Yugoslavia, S. 28-29 und
CALIC Jugoslawien-Politik am Wendepunkt, S. 14. Erstaunlicherweise hatte Hans-Dietrich Genscher
bis zum Festschreiben seiner „Erinnerungen“ (erschienen 1995) diese eindeutige Lehre des
Jugoslawien-Konfikts noch nicht begriffen. So schrieb er: „Die Union verfügt hier über Möglichkeiten, wie sie keiner anderen Macht und keiner anderen Organisation zur Verfügung stehen. Das
Anerbieten, Europaverträge der EU mit den friedensbereiten Nachfolgerstaaten des früheren Jugoslawiens abzuschließen, das ist die europäische Antwort auf den Nationalismus, das den Krieg dort
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
damals neun Mitglieder der WEU auf einen Einsatz hätten einigen können, besaß diese
Organisation ohne Unterstützung der NATO nicht die erforderlichen organisatorischen und
militärischen Mittel für einen solchen Einsatz.506 Schon die bescheidenen Schritte der WEU
im Golfkrieg hatten die Anlehnung dieser Organisation an Amerika nachgewiesen.507 Da
weder die Bundesrepublik alleine, noch die Europäische Gemeinschaft, noch die WEU (und
erst recht nicht die KSZE) über ausreichende Mittel verfügten, die den Einsatz effektiver
Maßnahmen zur Aufhaltung des Konflikts ermöglicht hätten, bedeutete die Zurückhaltung
der USA zwangsläufig eine Einschränkung der Möglichkeiten der Jugoslawienpolitik. Dies
galt allerdings nicht nur für Deutschland, sondern auch für alle übrigen europäischen Länder.
Auch im Rahmen der Vereinten Nationen konnte kein Land Maßnahmen ergreifen ohne
Billigung der USA als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat.508
Bonn schien mit dem 15. Januar 1992 erkannt zu haben, daß die aktive Anerkennungspolitik den Rahmen des deutschen Handlungsspielraums gesprengt hatte: „Der deutsche
Alleingang […] blieb […] letztlich ohne positives Ergebnis, weil die deutsche Außenpolitik
fortan deutliche Zurückhaltung üben mußte. Der Dezember 1991 wurde so etwas wie ein
deutsches Trauma.“509
Im Gegensatz dazu zog Amerika nur zögernd die logischen Schlußfolgerungen der
gescheiterten westlichen Jugoslawienpolitik. Angesichts des amerikanischen Willens, die
NATO als primäre Sicherheitsorganisation in Europa aufrechtzuerhalten,510 mußte die
Zuschauerrolle der NATO gegenüber der Jugoslawienkrise unzulänglich erscheinen.
Tatsächlich mußte sich die NATO fragen lassen, welche Begründung es für ihre Fortexistenz
nach dem Ende des Ost-West-Konflikts noch gab, wenn sie nun nicht für solche Krisen
zuständig sein sollte.511 Mit der Entscheidung von März 1992, sich erstmals seit dem
Kriegsausbruch an der Gestaltung der westlichen Jugoslawienpolitik zu beteiligen, gab die
bestimmt.“ S. 966.
506 Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 40, ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 644, BECHER Nationalitätenkonflikte, S. 141 und RÜHLE, HANS Eine strategsche Schnapsidee. Der Gedanke an eine eigene Eingreiftruppe der Europäer ist vorerst abwegig, in: Die Zeit,
26.9.91, S. 5.
507 Vgl. STEINBERG The Role of European Institutions, S. 7.
508 In dieser Phase des Konflikts hatte die Bundesrepublik ohnehin keinen Sitz im Sicherheitsrat und war
darauf angewiesen, daß die ständigen Mitglieder Großbritannien oder Frankreich, oder das nichtständige Mitglied Belgien ihre Anliegen im Sicherheitsrat ansprachen.
509 Vgl. AXT Hat Genscher Jugoslawien entzweit? S. 354.
510 Vgl. beispielsweise „Amerika befürchtet seine Ausgrenzung“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,
9.4.91, S. 5.
511 Vgl. WILLIAMS / HAMMOND / BRENNER Atlantis Lost, S. 11 und GOMPERT How to Defeat Serbia, S.
36.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
95
Bush-Administration den Anschein, daß sie die Bedeutung des amerikanischen Engagements
für die Eindämmung des Konflikts und die Aufrechterhaltung des amerikanischen Mitspracherechts in der europäischen Sicherheitspolitik begriffen hatte. Doch bis Ende der Amtszeit
von George Bush und weit in die erste Amtszeit Bill Clintons hinein war die amerikanische
Jugoslawienpolitik durch Halbmaßnahmen und durch lediglich punktuelle Führung bei
weitgehender Zurückhaltung gekennzeichnet: „In Yugoslavia’s case, almost every failure
was repeated a couple of times.“512
4. Führungsschwäche der USA und begrenzte Möglichkeiten der deutschen
Balkanpolitik
4.1. Inkonsequente Führung der Bush-Administration
Bis zum Ende seiner Administration am 20. Januar 1993 war die Politik von Präsident Bush
sowohl von Faktoren, die den Druck nach Zurückhaltung in dem ehemaligen Jugoslawien
aufrechterhielten bestimmt, als auch von Faktoren, die auf eine aktivere Jugoslawienpolitik
hinausliefen. Weil die Administration nicht an einer einheitlichen Konzeption zum
Jugoslawien-Konflikt festhielt, vollzog ihre Jugoslawienpolitik deutliche Schwankungen als
Ergebnis dieser entgegengesetzten Einflüssen.513
Gegen eine amerikanische Führungsrolle auf dem Balkan sprach nach wie vor die
Auffassung der Administration, daß der Konflikt keine vitalen Interessen der USA tangiere.514
Auch der Wahlkampf im Vorfeld der Präsidentenwahl am 3. November 1992 wirkte sich auf
eine Weise hemmend auf eine aktivere Haltung der Regierung Bush aus (obwohl, wie später
erklärt, gab der Wahlkampf im Herbst 1992 auch einen neuen Impuls für eine engagiertere
amerikanische Jugoslawienpolitik). Angesichts des Vorwurfs, Bush widme sich zu sehr der
Außenpolitik und vernachlässige die Innenpolitik, sowie des Risikos, vor den Wahlen mit
einem potentiell verlustreichen militärischen Einsatz in den Konflikt verwickelt zu werden,
blieb die Administration gegenüber eskalierenden Schritten skeptisch.515
512
513
514
515
96
Vgl. EYAL Europe and Yugoslavia, S. 60.
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 103-104.
Vgl. GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 42.
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 72-73, 101-102 und SCHILD Die USA und der
Bürgerkrieg, S. 25-26.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung und eine Entschuldigung für diese Zurückhaltung
zugleich, stellte die Meinung der Administration dar, daß der Konflikt ein Bürgerkrieg sei,
der aufgrund uralter ethnischer Animositäten entstanden sei und sich nicht durch äußere
Akteure beeinflussen lassen würde. So wie auch die JVA im Herbst 1991 festgestellt hatte,
sollte diese Wahrnehmung des größtenteils als Aggressionskrieg zu verstehenden Konflikts516
innenpolitische Forderungen im Westen nach einer militärischen Intervention entschärfen.
Folglich äußerte sich, stellvertretend für viele, der Verteidigungsminister Richard Cheney:
„The ultimate question is: How many Yugoslavs are you willing to kill to stop Yugoslavs
from killing other Yugoslavs?“517 Nach Aussagen von Mitgliedern der Administration im
folgenden Jahr entsprach diese Sicht der Lage durchaus nicht der herrschenden Meinung in
der Bush-Regierung oder im State Department. Vielmehr stellte diese wiederholte Schilderung
des Krieges eine bewußte Entscheidung dar, dem innenpolitischen Druck nach einem
amerikanischen militärischen Einsatz entgegenzuwirken.518
Auf ähnliche Weise spielte im Laufe des Jahres 1992 die häufige Opposition Rußlands,
Frankreichs und Großbritanniens gegenüber Initiativen der Bush-Administration im ehemaligen Jugoslawien eine Doppelrolle. Einerseits war diese Opposition ein Hindernis für manche
von Amerika bevorzugte Maßnahmen; andererseits erlaubte sie der Bush-Administration
öffentlichkeitswirksame, härtere Initiativen vorzuschlagen, ohne diese durchführen zu
müssen.519
Gemäß der gemeinsamen Erklärung vom 10. März 1992 erkannte die Europäische
Gemeinschaft Bosnien-Herzegovina am 6. April an. Am nächsten Tag erkannten auch die
USA Bosnien zusammen mit Slowenien und Kroatien an. Doch die schweren Kämpfe in
Bosnien hatten schon am 5. April 1992 begonnen. Somit hatte sich zum zweiten Mal
erwiesen, daß die Anerkennung bzw. Nicht-Anerkennung jugoslawischer Republiken als
diplomatischer Hebel gegenüber Slobodan Miloševiæund nun Radovan Karadziæunzulänglich
war. Binnen kurzer Zeit eroberten die weit über 100.000 Mann starke Truppen der JVA und
serbischer Freischärler zahlreiche Städte und Dörfer in Kämpfen gegen ungefähr 3.500
516 Hat Serbien doch die Kämpfe in dem ab dem 6.4.1992 international anerkannten Bosnien und
Herzegovina mit Personal, Munition, technischer Unterstützung und weitgehender politischer
Führung betrieben.
517 Cheney (im September 1992) zitiert in: MOORE Endgame, S. 5.
518 Vgl. GLYNN See No Evil, S. 23-29.
519 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 77, 102-103 und GLYNN Not Bush, S. 10.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
97
schlecht ausgerüstete bosnische Regierungstruppen.520 In weniger als zwei Wochen waren
über 150.000 hauptsächlich muslimische und kroatische Bosnier auf der Flucht.521
Während der UN-Sicherheitsrat am 7. April 1992 die Entsendung der vollen UNPROFOR
nach Kroatien beschloß, appellierte er angesichts der Kämpfe in Bosnien-Herzegovina vorerst
lediglich an die Parteien die Kämpfe einzustellen.522 Trotz des Scheiterns des Ende Februar
von der EG in Lissabon ausgehandelten Kantonisierungsplans für Bosnien, setzte die
Gemeinschaft mit ihren Vermittlungen in dieser Republik fort. Am 18. März in Sarajevo
schien EG-Vermittler Joao Cutilhiero einen Erfolg verbucht zu haben, als sich Repräsentanten
der drei ethnischen Parteien Bosniens auf Prinzipien für die künftige Ordnung Bosniens
entlang ethnischer Linien einigten.523 Diese Einigung scheiterte allerdings Ende März auf dem
Folgetreffen in Lissabon an der Unzufriedenheit der Kroaten mit der Größe der ihnen
zugeteilten Kantone, sowie an dem Festhalten Izetbegoviæan der multiethnischen Grundlage
Bosniens.524 Trotz weiterer Vermittlungen der EG im April gingen diese nun, angesichts der
schweren Kämpfe, weniger um die Aushandlung eines Friedensplans als um die Herstellung
einer Waffenruhe. Die EG-Verhandlungen um eine Neuordnung Bosniens wurden schließlich
am 1. Mai suspendiert.525
Im Frühjahr 1992 mußte sich die internationale Gemeinschaft nicht nur Sorgen um die
Aufrechterhaltung des Waffenstillstands in Kroatien und den blutigen Krieg in BosnienHerzegovina machen, sondern auch um eine Ausweitung des Krieges auf andere Republiken
bzw. Provinzen und Nachbarstaaten. Die Lage in Kosovo blieb unter der Fortsetzung der
serbischen Repressionspolitik gegenüber der albanischen Mehrheit der Provinz gespannt
Infolge eines von Serbien verbotenen Referendums im September 1991, bei dem sich eine
überwiegende Mehrheit der Kosovo-Albaner für die Gründung eines unabhängigen Staates
aussprach, fanden in Mai 1992 gleichfalls verbotene Wahlen für Parlament und Präsident
Kosovos statt. Nur Tirana erkannte die „Republik Kosova“ an und ein größerer Konflikt
520 Zu den Kampfhandlungen zu Beginn des Krieges in Bosnien und zur Rolle der JVA, vgl. GOW One
Year of War, S. 7-10 und ANDREJEVICH Bosnia and Herzegovina, S. 2-4. Die bosnische Regierungsarmee, bestehend überwiegend aus Muslime, aber auch aus loyalen Serben und Kroaten, konstituierte
sich erst am 14. Mai 1992. Vgl. dazu CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 100-101.
521 Vgl. MOORE The International Relations, S. 35.
522 Vgl. Resolution 749 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur Dislozierung der Schutztruppe
UNPROFOR im ehemaligen Jugoslawien, verabschiedet am 7. April 1992 in New York, in: EuropaArchiv, 19, S. D580-D581.
523 Vgl. EC Proposal on Future Constitutional Organization of Bosnia and Herzegovina, in: RFE/RL
Research Report, Nr. 23, 5.6.1992, S. 6-7, ANDREJEVICH Bosnia and Herzegovina, S. 5 und CALIC
Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 189.
524 Vgl. HAYDEN The Partition, S. 7.
525 Vgl. HAYDEN The Partition, S. 7-8 und ANDREJEVICH Bosnia and Herzegovina, S. 5 und 8.
98
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
zwischen Serbien, Montenegro und möglicherweise Mazedonien einerseits gegen Kosovo,
Albanien und möglicherweise die Türkei andererseits schien denkbar.526 Die Sanžzak-Region,
die an der serbisch-montenegrischen Grenze liegt und zum großen Teil von Muslimen
bevölkert ist, galt auch als möglicher Kriegsschauplatz. Hier sorgten einerseits muslimische
Separatisten mit engen Verbindungen zu den bosnischen Muslimen und andererseits die
strategische Bedeutung der Region für Serbien und Montenegro, sowie die von Serbien
betriebene Repressionspolitik für reichlichen Konfliktstoff.527 Auch die Lage Mazedoniens
schien im Frühjahr 1992 äußerst prekär. Die Betrachtung Mazedoniens durch serbische
Nationalisten als Teil des herzustellenden Großserbiens, die unsicheren Verhältnisse zwischen
den albanischen, bulgarischen, türkischen und slawischen Bevölkerungsanteilen, und die
durchaus schlechten Beziehungen zu Griechenland hatten einen eventuellen Angriff Serbiens
auf diese labile Republik (oder sogar die von Miloševiæ vorgeschlagene Aufteilung Mazedoniens zwischen Serbien und Griechenland) nachvollziehbar gemacht. In dem Fall wäre auch
eine Einmischung der Türkei, Albaniens und Bulgariens gut möglich gewesen.528
Die Perspektive eines erweiterten Krieges, insbesondere in Kosovo und Mazedonien, der
möglicherweise zwei NATO-Partner (Griechenland und die Türkei) hätte mit einbeziehen
können, war im Frühjahr 1992 ein Beweggrund für eine aktivere Haltung der Bush-Administration.529 Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise der Besuch Warren Zimmermanns
in März 1992 in Kosovo zu verstehen, bei dem er den serbischen „Kolonialismus“ in den
Provinz beklagte und dafür plädierte, Kosovo zum Thema der Brüsseler Friedenskonferenz
zu machen.530 Andere Anreize hinter dem gestiegenen amerikanischen Engagement im
ehemaligen Jugoslawien waren der Rücktritt Ante Markoviæs im Dezember 1991, das Ende
der Sowjetunion am 21. Dezember 1991 (womit die Lage im ehemaligen Jugoslawien den
letzten Rest seines Vorbildcharakters für die UdSSR verlor), und eine Sympathie für Bosnien-
526 Auch eine Einmischung Griechenlands und Bulgariens war nicht auszuschließen. Vgl. zur KosovoProblematik in diesem Zeitraum MOORE The „Albanian Question“, S. 7-15, MOORE Kosovo Could
Spark, S. 18-20, MOORE Islamic Aspects, S. 38-41, ZANGA Albania Afraid of War, S. 20-23 und
REUTER Die politische Entwicklung, S. 18-30.
527 Vgl. ANDREJEVICH Bosnia and Herzegovina, S. 26-30.
528 Vgl. GLENNY Heading off War, S. 102-104 und PERRY Macedonia, S. 35-45. In der ehemalig
autonomen Provinz Vojvodina war die Lage auch gespannt, besonders weil serbische Flüchtlinge aus
Kroatien und Bosnien mit Unterstützung der serbischen Regierung Angehörige der kroatischen und
ungarischen Minderheiten vertrieben und ihre Häuser übernahmen. Eine Ausweitung des Krieges auf
Vojvodina blieb allerdings unwahrscheinlich. Vgl. dazu POULTON Rising Ethnic Tension, S. 21-27
und OLTAY Hungarians, S. 43-48.
529 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 73-74.
530 Vgl. MOORE The International Relations, S. 34-35.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
99
Herzegovina (eine Republik, die zusammen mit den USA versucht hatte, Jugoslawien
zusammenzuhalten).531
Das Ergebnis dieser Überlegungen war eine diplomatische Offensive der Administration
ab Mitte April 1992. Am 13., 14. und 15. April verurteilte das State Department die serbische
Aggression sowohl in Bosnien als auch in Kosovo.532 Außenminister Baker empfing den
bosnischen Außenminister Haris Silajdziæam 14. April in Washington. In einem emotionalen
Treffen gelang es Silajdziæ, Baker von der Not seines Staats zu überzeugen; dies löste eine
Telefondiplomatie des amerikanischen Außenministers aus, bei der Baker in Gesprächen mit
dem britischen Außenminister Hurd, Außenminister Genscher und dem portugiesischen
Außenminister (und damaligen Vertreter der EG-Präsidentschaft) Joao de Deus Pinhiero
mögliche Schritte zur internationalen Isolierung des Rumpfjugoslawiens besprach.533 Am 15.
April drohte der amerikanische KSZE-Botschafter John Kornblum mit dem Ausschluß
Rumpfjugoslawiens aus der Organisation.534 Als das erste amerikanische C-130 Transportflugzeug am 18. April mit humanitärer Hilfe in dem belagerten Sarajevo eintraf, waren
Botschafter Zimmermann und Ralph Johnson, ein Vertreter des Außenministeriums im
Auftrag Bakers, an Bord. In Sarajevo trafen sie sich mit Izetbegoviæ, mußten ihm allerdings
ausrichten, daß es keine äußere Militärintervention zugunsten Bosniens geben würde. Am
nächsten Tag in Belgrad drohten sie erneut mit der Isolierung Restjugoslawiens, sollte
Miloševiæ die JVA nicht aus Bosnien zurückziehen und seine Unterstützung für Radovan
Karadziæ beenden.535
Nachdem zunächst im Mai 1992 die amerikanische Jugoslawienpolitik erneut in eine
zurückhaltende Phase zu geraten schien, setzte Washington eine diplomatische Offensive,
mit dem Ziel der Isolierung der am 27. April von Serbien und Montenegro gegründeten
„Bundesrepublik Jugoslawiens“ fort.536 Auf Drängen der USA gaben die EG-Mitgliedsländer
am 11. Mai den Rückzug ihrer Botschafter aus Belgrad bekannt; am nächsten Tag kündigte
531
532
533
534
535
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 62-64.
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 61 und MOORE The International Relations, S. 34.
Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 643-644.
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 61.
Zu den Treffen mit Izetbegoviæ und Miloševiæ, vgl. Zimmermann, S. 196-199. Miloševiæ beteuerte
trotz der schweren Beweislast wiederholt seine Unschuld an den Ereignissen in Bosnien. Um seine
Behauptung zu erleichtern, spaltete sich Ende April die JVA in die „Serbische Armee in Bosnien“
(später umbenannt in das „Militär der Serbischen Republik“) und das „Militär Jugoslawiens“. Der
Oberbefehlshaber der bosnischen Serben, General Ratko Mladiæ, stand jedoch weiterhin in täglicher
Verbindung mit sowohl dem jugoslawischen als auch dem serbischen Verteidigungsministerium in
Belgrad; zudem bekam die „Serbische Armee in Bosnien“ weiterhin Lieferungen aus Serbien. Vgl.
hierzu, GOW One Year of War, S. 9-10.
536 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 66-67.
100
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
das amerikanische Außenministerium den Rückzug Warren Zimmermanns an.537 Am 12. Mai
gelang es der USA, die Suspendierung Jugoslawiens aus der KSZE durchzusetzen.538
Frustriert durch die mangelnde Bereitschaft der EG, weitere Sanktionen zu beschließen
(wegen der zögernden Haltungen Frankreichs und Griechenlands), ging Washington am 20.
und 22. Mai unilateral vor. Die Landerechte der jugoslawischen Fluggesellschaft (JAT) in
den USA wurden ausgesetzt, Baker gab die Weigerung Amerikas bekannt, die „Bundesrepublik Jugoslawien“ als Rechtsnachfolger der SFRJ anzuerkennen, sowie den endgültigen
Rückzug Zimmermanns, eine weitere Verringerung des Botschaftspersonals in Belgrad, den
Abbruch der Beziehungen zum jugoslawischen Militär und die Schließung von zwei
jugoslawischen Konsulaten in Amerika.539 Um die Handlungsbereitschaft der EG für weitere
Maßnahmen anzuspornen, kritisierte Baker die zwei widerwilligen EG-Mitglieder vor der
Presse nach einer Geberkonferenz für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) am
24. Mai in Lissabon (ohne jedoch Frankreich und Griechenland beim Namen zu nennen):
„Anyone who is looking for reason not to act, or arguing somehow that action in the face of
this kind of nightmare is not warranted at this time, is on the wrong wavelength. […] Clearly
none of us should try to find reasons not to seek measures to end what is truly a humanitarian
nightmare in the heart of Europe.“540
Diese bewußt scharfe Kritik Bakers erzielte die erwünschte Wirkung. Am 27. Mai verhängte
die Gemeinschaft weitere Wirtschaftssanktionen gegen Belgrad und drei Tage danach billigte
der UN-Sicherheitsrat die Resolution 757, die ein fast vollständiges Wirtschaftsembargo,
einschließlich eines Ölembargos, beabsichtigte.541
Weil mit der Resolution des Sicherheitsrats vom 30. Mai fast alle nichtmilitärischen
Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft ausgeschöpft waren, standen u.a. auch die USA
vor der schwierigen Entscheidung, ob sie angesichts des unveränderten Verhaltens Serbiens
537 Diese Maßnahme bedeutete allerdings noch nicht den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu
Jugoslawien. Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 67 und ZIMMERMANN Origins of a
Catastrophe, S. 204.
538 Ein permanenter Ausschluß scheiterte am Widerstand Rußlands. Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 67 und BAKER The Politics of Diplomacy, S. 645.
539 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 67-68 und BAKER The Politics of Diplomacy, S.
645-646.
540 Baker zitiert in: „Baker Tells Europeans to Take Lead Against Serbs“, in: International Herald
Tribune, 25.5.1992, S. 1,6 (1). Vgl. auch PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 68 und BAKER
The Politics of Diplomacy, S. 646-647.
541 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 69.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
101
und der bosnisch-serbischen Führung militärische Mittel zum Tragen bringen sollten.542 In
der Bush-Administration herrschte bei der Frage eines militärischen Einsatzes zum Krieg in
Bosnien einen weitgehenden Konsens (im Gegensatz zum Kongreß). Zwar plädierte Warren
Zimmermann nach seiner Rückkehr nach Washington immer lauter für militärische Maßnahmen gegen Serbien, die führenden Mitglieder der Administration stellten sich aber fast
alle dagegen.543 Die einzige Ausnahme auf der höchsten Ebene der Administration war die
Bereitschaft Außenminister Bakers, eine militärische Teilnahme an der Vollstreckung der
Sanktionen gegen Restjugoslawien, sowie zur Sicherung humanitärer Hilfe für Bosnien zu
erwägen. Aber auch er lehnte militärische Mittel über diese begrenzte Ebene hinaus ab.544
Der größte Widerstand gegen jeglichen militärischen Einsatz kam von Verteidigungsminister
Cheney, dem Vorsitzenden des Vereinten Stabschefs Colin Powell und anderen führenden
Militärs. Cheney und Powell sahen in Bosnien Parallelen zu Vietnam und Libanon und damit
einhergehend die Gefahr eines schleichenden Militäreinsatzes ohne klare Ziele und ohne große
Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung.545
Die Abneigung der Administration gegenüber dem Einsatz militärischer Mittel, um den
Druck auf Miloševiæund Karadziæzu erhöhen, hatte somit in Juni eine erneute Zurückhaltung
in der amerikanischen Jugoslawienpolitik zur Folge. Auch wegen des Vorwahlkampfs, bei
dem Bush einen Schwenk nach rechts im Rennen gegen den isolationistischen (und relativ
erfolgreichen) Patrick Buchanan vollzog, schwand nicht nur die Bereitschaft der Administration, ein militärisches Vorgehen in Betracht zu ziehen, sondern auch die Bereitschaft,
finanzielle Mittel für internationale Konfliktlösungsversuche in Bosnien zu stellen. Mitte Mai
hatte Bush dem UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali ausgerichtet, daß die USA bis
zu den Wahlen im November keine weitere Zahlungen an die Weltorganisation machen
würden; alleine schon aus diesem Grund war bis November eine eventuelle UN-Friedenstruppe für Bosnien nicht möglich.546
Doch der Handlungsdruck auf die Bush-Administration wuchs erneut Ende Juni 1992. Der
weitere blutige Verlauf des Konflikts, die damit zusammenhängenden Forderungen aus dem
542 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 70 und BAKER The Politics of Diplomacy, S. 648.
543 Zur Haltung Zimmermanns, vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 215-218. Seine Meinung
wurde durch Plädoyers des früheren Außenministers Schulz gestärkt.
544 Zur Haltung Bakers, vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 648-651 und SCHILLER Sterben für
Sarajevo? In: Die Zeit, 19.7.1992, S. 10.
545 Zur Haltung Cheneys, vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 649-650 und ZIMMERMANN Origins
of a Catastrophe, S. 218-219. Colin Powell legte seine Ansichten zu den richtigen Bedingungen für
militärische Intervention in einem Aufsatz in Foreign Affairs dar. Vgl. POWELL U.S. Forces, insbesondere S. 35-41.
546 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 72-73.
102
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Kongreß nach zusätzlichen Maßnahmen, erneute Sorgen um ein Übergreifen des Krieges auf
andere Gebiete und die späte Erkenntnis der Administration, daß eine aktivere amerikanische
Führungsrolle im ehemaligen Jugoslawien für die Aufrechterhaltung des amerikanischen
Führungsanspruchs in Europa über die NATO notwendig war, trugen alle zu einem wiederholten Pendeln in der Jugoslawienpolitik der USA bei.547 Der Umstand, daß Bush am Ende des
Monats nicht länger unter dem gleichen Druck des republikanischen Herausforderers
Buchanan stand, dürfte zudem eine Rückkehr zu einer aktiveren Politik erleichtert haben.
Am 23. Juni kündigte Außenminister Baker die Ausweisung des jugoslawischen Botschafters und die Schließung des letzten jugoslawischen Konsulats in den USA (in Chicago),
sowie weitere Versuche der Vereinigten Staaten, Rumpfjugoslawien aus internationalen
Organisationen auszuschließen an.548 Unter anhaltendem Druck aus dem Kongreß und den
Medien wurden nun auch militärische Mittel zur Durchsetzung der Wirtschaftssanktionen,
zum Schutz der UN-Hilfskonvois in Bosnien und zur Eröffnung des Sarajevo Flughafens für
Hilfslieferungen von der Bush-Administration in Betracht gezogen. Am 4. Juni in Oslo hatten
sich die NATO-Außenminister erstmals zu Einsätzen außerhalb des Vertragsgebiets bereit
erklärt und die Allianz begann Ende Juni entsprechende Eventualpläne zur Durchsetzung
westlicher humanitärer Ziele in Bosnien zu erstellen.549 Die Planung der NATO wurde
allerdings erst durch einen auf Anordnung Bakers vom State Department erstellten Vorschlag
für begrenzte militärische Maßnahmen ermöglicht. Es gelang Baker, die Zustimmung des
Präsidenten für diesen Plan gegen den Widerstand Cheneys und Powells zu gewinnen.550
Vorgesehen war eine amerikanische militärische Präsenz in der Adria, eine Blockade
montenegrischer Häfen und die Drohung mit Luftangriffen, um die Lieferung humanitärer
Hilfe zu ermöglichen. Der Entwurf schloß jegliche Beteiligung amerikanischer Bodentruppen
aus, setzte ein Mandat des UN-Sicherheitsrats oder der KSZE voraus, das den Einsatz „aller
notwendigen Mitteln“ zur Durchsetzung humanitärer Hilfe billigte und sollte unter Beteiligung
der europäischen Verbündeten durchgeführt werden.551
Der UN-Sicherheitsrat konnte sich am Ende Juni vorerst lediglich auf eine Entsendung
weiterer UNPROFOR-Truppen zur Sicherung des Flughafens Sarajevo einigen; Rußland,
Frankreich und Großbritannien hatten Bedenken gegen eine Billigung „aller notwendigen
547 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 73-74.
548 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 648 und „Bush Expands Sanctions Against Serbians“, in:
Congressional Quarterly, 27.6.1992, S. 1898.
549 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 75-76.
550 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 648-650.
551 Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 648-649 und PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S.
76-77.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
103
Mittel“ zur Sicherung der Hilfslieferungen.552 Die begrenzte Bereitschaft, militärische Mittel
einzusetzen, zeigte begrenzte Erfolge. Zwar überwachten UNPROFOR-Truppen ab Anfang
Juli den Flughafen in Sarajevo und die NATO in Zusammenarbeit mit der WEU patrouillierte
vor der Küste Montenegros (allerdings ohne Befugnis, Schiffe zu untersuchen oder aufzuhalten)553, aber der Krieg setzte sich ungeachtet dessen auf brutalste Weise fort.
Die Praxis der sogenannten „ethnischen Säuberung“ hatten serbische Truppen schon
während des Krieges in Kroatien eingesetzt. In Bosnien-Herzegovina war die ethnische
Säuberung großer Gebiete von bosnischen Muslimen und Kroaten (sowie von anderen
nichtserbischen Bevölkerungsgruppen) ein zentrales Ziel Serbiens und der bosnisch-serbischen
Führung in ihrer Hochburg Pale. Durch Mord, Vergewaltigung, Terror, Hunger, Raub und
Gewaltandrohungen sollten unerwünschte ethnische Gruppen vertrieben werden, um ein
ethnisch homogenes, zusammenhängendes Gebiet aus der multiethnischen Gemengelage
Bosniens zu schaffen, das ein Bestandteil Großserbiens bilden sollte. Es ging den serbischen
Nationalisten auch um die Zerstörung der nationalen Identität v.a. der bosnischen Muslime
durch die Zerstörung von Moscheen, Bibliotheken, Friedhöfen, Kulturzentren, Archiven und
anderen Kulturdenkmälern, sowie von Symbolen des multikulturellen Zusammenlebens; somit
enthielt der Begriff ethnische Säuberung auch den Aspekt des Ethnozids.554 Ziel und Praxis
der ethnischen Säuberung trugen wesentlich dazu bei, daß nach Angaben der UNHCR (United
Nations High Commissioner for Refugees) bis Ende Juli 1992 die Anzahl der Vertriebenen
in Bosnien auf 2,5 Millionen gestiegen war.555
Mitte Juli 1992 erschienen in den westlichen Medien die ersten Berichte von serbischen
Konzentrationslagern und Massentötungung in Bosnien. Anfang August gingen weitere
Berichte von serbischen Konzentrationslagern, sowie Fotos von extrem abgemagerten
Gefangenen, die an Holocaust erinnerten, rund um die Welt. Untersuchungen von KSZEund UN-Gesandten bestätigten die Berichte; obwohl alle Kriegsparteien Haftanlagen
unterhielten, wurden in den serbischen Anlagen nicht nur Kriegsgefangene gehalten, sondern
552 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 77.
553 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 82-84.
554 Zu den Methoden und Zielen der ethnischen Säuberung in Bosnien, vgl. CALIC Krieg und Frieden in
Bosnien-Hercegovina, S. 123-133 und BELL-FIALKOFF A Brief History, S. 118-120. Obwohl Kroaten
und manchmal auch bosnisch-muslimische Truppen ethnische Säuberung praktizierten (Das bedeutendste Beispiel hierfür ist das brutale Vorgehen der von kroatischen Nationalisten am 3.7.1992
gegründete „Herceg-Bosna“ gegen die muslimische Bevölkerung Mostars.) fehlte bei ihnen die breit
angelegte systematische Planung und Durchführung dieser Strategie, so wie sie bei den regierenden
serbischen Extremisten vorkam. Vgl. MAZOWIECKI Serbien trägt die größte Schuld, in: Die Zeit,
11.12.1992, S. 12.
555 Vgl. BELL-FIALKOFF A Brief History, S. 118 und MOORE Ethnic Cleansing, S. 4.
104
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
mehrheitlich Zivilisten: Männer wie Frauen, Kinder wie Erwachsene.556 Berichte von
Massenvergewaltigungen und sogar Vergewaltigungslagern ließen sich wegen der Natur des
Verbrechens schwerer bestätigen, obwohl deutlich wurde, daß Vergewaltigung als Methode
der ethnischen Säuberung durchaus Anwendung fand.557
Die erschreckenden Nachrichten aus Bosnien sorgten im Westen für eine wesentlich
größere Aufmerksamkeit gegenüber dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Besonders
bemerkenswert war die starke Reaktion der jüdischen Gemeinschaft in Amerika und
anderswo. Hatte diese früher im Konflikt keine eindeutige Haltung vertreten (auch weil
Serben in der Nazi-Ära Opfer des kroatischen Faschismus waren) so gehörte sie nun zu den
stärksten Befürwortern von Militärschlägen gegen serbische Stellungen.558 Auch von anderen
Seiten spürte die Bush-Administration im August einen größeren Druck, zusätzliche
Maßnahmen gegen die Serben zu ergreifen. Mit einer 12 zu 4 Mehrheit plädierte am 6. August
der Ausschuß für Auswärtige Beziehungen im US-Senat für den Einsatz aller notwendigen
Mittel, einschließlich militärischer, um die UN-Hilfskonvois zu schützen und die schwere
Artillerie aller Konfliktparteien unter UN-Aufsicht zu stellen.559 Am 11. August verabschiedeten der Senat und das Repräsentantenhaus Resolutionen, die den militärischen Schutz der
Hilfskonvois, eine Untersuchung der Haftanlagen, die Erwägung der Aufhebung des
Waffenembargos gegen Bosnien durch den UN-Sicherheitsrat und die Errichtung eines
Kriegsverbrechertribunals nach Nürnberger Vorbild forderten.560 Die Kritik des Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei, Bill Clinton, an der amerikanischen Bosnienpolitik erhöhte zusätzlich den Handlungsdruck auf die Bush-Administration.561 Schon im Juli
hatte Clinton verschärfte Wirtschaftssanktionen gegen Serbien, eine völkerrechtliche Anklage
gegen Miloševiæ und eine Sicherung von Hilfslieferungen eventuell durch Luftangriffe,
556 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 133-134 und MOORE Ethnic Cleansing, S.
1-2.
557 Im Sommer 1992 wurde die Zahl der mehrheitlich muslimischen Vergewaltigungsopfer auf 12.000 bis
60.000 geschätzt. Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 135-139 und BELLFIALKOFF A Brief History, S. 119-120.
558 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 84-85 und MOORE Ethnic Cleansing, S. 4.
559 Vgl. DOHERTY Reports of Serbian Atrocities Intensify Calls for Force, in: Congressional Quarterly,
8.8.1992, S. 2374.
560 Vgl. MOORE Ethnic Cleansing, S. 5-6. Ein Bericht des Ausschusses für Auswärtige Beziehungen im
Senat, vorgelegt am 18. August, lieferte eine weitere Bestätigung für die Existenz von serbischen
Konzentrationslagern. Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 89.
561 Die Kritik traf Bush in einem Gebiet, das allgemein als sein stärkstes wahrgenommen wurde und galt
im Wahlkampf als taktisch klug. Vgl. hierzu GLYNN Closing the Loop, S. 23. Clintons Vizepräsidentkandidat Al Gore und der Berater (und später Nationaler Sicherheitsberater) Anthony Lake standen
auch hinter einer härteren Haltung gegenüber den Serben. Zu Gore, vgl. GLYNN Closing the Loop, S.
23; zu Lake vgl. HEILBRUNN Lake Inferior, S. 34-35.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
105
gefordert; er warnte allerdings auch vor einer militärischen Einmischung der USA in Bosnien,
die amerikanische Truppen immer mehr einbeziehen könnte.562 Mit dem Bekanntwerden der
serbischen Konzentrationslager forderte Clinton im August dringlicher nach westlichen
Luftangriffen: „History has shown us that you can’t allow the mass extermination of people
and just sit by and watch it happen. [...] I would begin with air power against the Serbs to
try to restore the basic conditions of humanity.“563 Er befürwortete erneut, eine Aufhebung
des Waffenembargos gegen die bosnischen Muslime in Betracht zu ziehen.564
Die Bush-Administration reagierte verwirrt auf den gestiegenen Druck. Die Hauptursache
dafür war die für die Administration zum Primat gewordene Meidung jeglicher Aktion in
Bosnien, die zur Verwicklung amerikanischer Bodentruppen führen könnte.565 Ausdruck des
Willens der Administration, den neuen Forderungen zu entsprechen ohne einen Bodentruppeneinsatz zu riskieren, waren widersprüchliche Aussagen bezüglich der Ernsthaftigkeit der
Menschenrechtsverletzungen in den serbischen Lagern sowie hinsichtlich der Bereitschaft
der Administration, militärische Maßnahmen aus der Luft zu erwägen. So bestätigte
Außenamtssprecher Richard Boucher am 3. August, daß nach eigenen Berichten Folter, Mord
und andere schwere Menschenrechtsverletzungen in serbischen Haftanlagen stattfanden.566
Die heftige öffentliche Reaktion auf diese Bestätigung überraschte die Administration und
erweckte in ihr Ängste, daß Forderungen nach einem Eingreifen in Bosnien würden überwältigend werden können; aus dieser Überlegung heraus, sprach sich am nächsten Tag vor einem
Unterausschuß des Repräsentantenhauses der stellvertretende Außenminister für Europäische
und Kanadische Angelegenheiten, Thomas Niles, deutlich zurückhaltender aus, indem er eine
offizielle Bestätigung der Berichte von Konzentrationslagern für verfrüht hielt.567 Noch am
gleichen Tag forderten das State Department und der UN-Sicherheitsrat (nach einem Vorstoß
562 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 85-86.
563 Clinton zitiert in: DOHERTY Reports of Serbian Atrocities Intensify Calls for Force, in: Congressional
Quarterly, 8.8.1992, S. 2374.
564 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 89.
565 Ein weiterer bedeutender Grund für die hektische Reaktion der Administration auf die neuen Forderungen, dürfte die Tatsache sein, daß Außenminister Baker und seine Sprecherin Margaret Tutwiler
zu dieser Zeit beide im Urlaub waren. Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 87.
566 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 84 und DOHERTY Reports of Serbian Atrocities
Intensify Calls for Force, in: Congressional Quarterly, 8.8.1992, S. 2374. Nach Aussagen einiger
ehemaliger Beamten des Außenministeriums, war die Existenz serbischer Haftanlagen dem State
Department bereits in April und Mai 1992 bekannt. Bis Ende Juni 1992 soll das State Department
schon von voll funktionierenden serbischen Konzentrationslagern gewußt haben. Ihnen zufolge waren
diese Informationen von der Öffentlichkeit zurückgehalten, um weitere Forderungen nach miltärischen Schlägen zu verhindern. Vgl. dazu GLYNN See No Evil, S. 26.
567 Vgl. GLYNN See No Evil, S. 26 und PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 86-87.
106
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
der USA) den internationalen Zugang zu allen Haftanstalten in Bosnien. Am 5. August
wiederholten die Vereinigten Staaten diese Forderung, zusammen mit einer Forderung nach
einer Untersuchung eventueller Kriegsverbrechen und einer neuen Einbeziehung der EG,
Rußlands, der KSZE und des UN-Sicherheitsrats in die Bosnienpolitik.568 Ohne zusätzliche
Maßnahmen gegen Serbien und die bosnischen Serben zu ergreifen, konnte die Administration
durch diese Forderungen nach Untersuchungen und weiteren Konsultationen das Image einer
aktiven Politik erzeugen. Allerdings schien diese Politik wegen der widersprüchlichen
Aussagen orientierungslos, so daß sich Präsident Bush gezwungen sah, sich zum Bosnienkrieg
am 6., 7. und 8. August zu äußern.569 Aber auch er erweckte den Eindruck einer widersprüchlichen Politik. Während er am 6. August eine härtere Linie durch die Erwähnung eines
möglichen Bodentruppeneinsatzes zur Sicherung der Hilfskonvois vertrat,570 warnte er am
nächsten Tag vor einer amerikanischen Einmischung in einem „Guerillakrieg“: „I do not want
to see the United States bogged down in any way into some guerrilla warfare.“571
Das Bekanntwerden der systematischen, schweren Menschenrechtsverletzungen in Bosnien
und laufende Untersuchungen, die diese Berichte erhärteten, erzeugte nicht nur in den USA
einen erhöhten Handlungsdruck. Weil dieser Druck auch in anderen Ländern zunahm, konnten
internationale Organisationen neue Maßnahmen ergreifen. So beauftragte der UNHCR auf
einer Tagung am 13. und 14. August in Genf den ehemaligen polnischen Premierminister,
Tadeusz Mazowiecki, um Menschenrechtsverletzungen in Bosnien zu untersuchen.572 Die
USA konnten am 13. August auch den Widerstand Rußlands, Großbritanniens und
Frankreichs im UN-Sicherheitsrat überwinden und deren Akzeptanz für die Resolution 770
gewinnen, die „alle erforderlichen Maßnahmen“ billigte, um die Hilfslieferungen in Bosnien
zu erleichtern.573 Am gleichen Tag traf sich in Brüssel der Militärausschuß der NATO, um
einen Eventualplan auszuarbeiten, wonach 6.000 bis 11.000 NATO-Truppen die UNHilfskonvois schützen sollten.574
568 Vgl. MOORE Ethnic Cleansing, S. 5.
569 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 87.
570 Bush kündigte auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Bosnien-Herzegovina, Slowenien
und Kroatien an und forderte die Entsendung internationaler Beobachter in andere instabile Gebiete
des ehemaligen Jugoslawiens, einschließlich Kosovo und Sandžak. Vgl. MOORE Ethnic Cleansing, S.
5.
571 Bush zitiert in DOHERTY Reports of Serbian Atrocities Intensify Calls for Force, in: Congressional
Quarterly, 8.8.1992, S. 2374.
572 Vgl. MOORE Ethnic Cleansing, S. 6.
573 Vgl. Resolution 770 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur Erleichterung der Auslieferung
humanitärer Güter nach Sarajevo, verabschiedet am 13. August 1992 in New York, in: EuropaArchiv, 19, S. D581-D582. Vgl. auch PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 88-89.
574 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 90.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
107
Im August 1992 schien die Jugoslawienpolitik der Bush-Administration trotz
Inkonsequenzen allgemein engagierter als in den Monaten zuvor. Auch wenn die Kritik Bill
Clintons eine Ursache für die neue Aktivität der Administration gewesen sein dürfte, führten
die bevorstehenden Wahlen auf zweifache Weise zu einer erneuten Zurückhaltung Präsident
Bushs. Zum einen machte die schon beschriebene Furcht der Administration vor einem
verlustreichen Bodentruppeneinsatz aus, die wegen des Wahljahrs um so größer war und
zum anderen wegen der personellen Frage.
Am 13. August gab Bush bekannt, daß er James Baker mit der Leitung seines in
Schwierigkeiten geratenen Wahlkampfes beauftragen würde. Der am 23. August vollzogene
Schritt machte Lawrence Eagleburger zum geschäftsführenden Außenminister. Mit dem
Rücktritt Bakers als Außenminister, der in der Administration als einer der stärksten
Befürworter härterer Maßnahmen gegen serbische Aggression galt und dem Aufstieg
Eagleburgers, der sich regelmäßig gegen eine militärische Rolle der USA im ehemaligen
Jugoslawien ausgesprochen hatte, entstand eine neue Hürde zu einer amerikanischen
Führungsrolle in der internationalen Jugoslawienpolitik.575 Ein Beispiel für die bremsende
Rolle Eagleburgers sehen einige Beobachter in seinen öffentlichen optimistischen
Einschätzungen der Chancen für den neuen Premierminister der „Bundesrepublik
Jugoslawien“, Milan Paniæ, Frieden in Bosnien herbeizusteuern. Paniæ, ein gebürtiger Serbe,
besaß die amerikanische Staatsangehörigkeit und war ein erfolgreicher Geschäftsmann in
Kalifornien. Seine Berufung zum Premierminister durch die „Föderale Versammlung“ der
„Bundesrepublik Jugoslawien“ wurde (nicht zuletzt durch amerikanische Geheimdienste und
die Arbeitsebene des State Departments) als ein Ablenkungsmanöver Miloševiæs bewertet,
das dem Westen weiterhin Grund zur Hoffnung auf eine diplomatische Lösung geben sollte,
während serbische Truppen ihre Gebietseinnahmen und ethnischen Säuberungen fortsetzen
konnten. Obwohl Paniædurchaus gesprächswillig war und ein Ende des Krieges versprach,
besaß er keinerlei Macht, um seine Politik umzusetzen; diese lag ganz in den Händen von
Slobodan Miloševiæund Radovan Karadziæ.576 Der überraschende Rücktritt von George D.
Kenney, dem Abteilungsleiter für das ehemalige Jugoslawien im amerikanischen
Außenministerium, am 24. August ging mit weiterer scharfer Kritik am Eagleburger sowie
an der ganzen Administration einher. Kenney warf Eagleburger u.a. vor, die Ernsthaftigkeit
575 Margaret Tutwiler, die auch eine härtere Linie gegenüber Serbien vertrat als in der Administration
üblich, folgte Baker zum Wahlkampf. Vgl. zu Baker, Eagleburger und Tutwiler: PAULSEN Die
Jugoslawienpolitik der USA, S. 90-95.
576 Zu Milan Paniæund seine Ermutigung durch Eagleburger, vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der
USA, S. 82-83, ANDREJEVICH What Future for Serbia? S. 10-13 und GLYNN See No Evil, S. 26.
108
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
grober Menschenrechtsverletzungen in den serbischen Konzentrationslagern gegenüber
Präsident Bush heruntergespielt zu haben und behauptete, die Bush-Administration betreibe
eine klassische Beschwichtigungspolitik gegenüber einem von Serben betriebenen
Völkermord. Die bevorstehende internationale Jugoslawienkonferenz sah er als eine
Fortsetzung der bisherigen amerikanischen Jugoslawienpolitik, die auf ineffektive
diplomatische Aktivität setzte, während serbische Truppen ihren Krieg samt ethnischer
Säuberung weiterführten.577
Die Londoner Jugoslawienkonferenz unter gemeinsamer Schirmherrschaft der EG und UN
vom 26. und 27. August 1992 stand schon zum Beginn unter keinem guten Zeichen. Kurz
vor der Eröffnung trat EG-Vermittler Carrington unter Protest von seinem Amt zurück und
am ersten Tag der Verhandlungen stand Sarajevo unter dem bisher stärksten serbischen
Artilleriefeuer.578 Es erwies sich jedoch als vorteilhaft, sowohl Vertreter aller Konfliktparteien
als auch Vertreter aller bedeutenden internationalen Akteure an einem Ort versammelt zu
haben, damit die letzteren von den ersteren nicht gegeneinander ausgespielt werden konnten.
Außer der UN und EG, waren die KSZE, das Rote Kreuz, die Islamische
Konferenzorganisation und 24 Nationen (darunter die USA und Rußland) vertreten.579 Die
Konfliktparteien einigten sich u.a. auf einen Waffenstillstand, die Einhaltung von
Menschenrechten (einschließlich des Endes der ethnischen Säuberung und der Schließung
von Haftanlagen), den internationalen Zugang zu den Lagern und die Stellung der schweren
Artillerie unter UN-Kontrolle. Ferner sollten sechs Arbeitsgruppen unter der Aufsicht von
UN-Vermittler Cyrus Vance und dem neuen EG-Vermittler David Owen (einem ehemaligen
britischen Außenminister), auf eine politische Lösung der Konflikte hinarbeiten. Ihre Arbeit
sollte als Fortsetzung der Konferenz verstanden werden und als ständiges Organ der UN
etabliert werden.580 Obwohl die Vereinbarungen von London verheißungsvoll schienen,
scheiterten sie alle in der Folgezeit an ihrer Nichteinhaltung durch Serbien und der bosnischserbischen Führung in Pale. Weder im Westen noch im UN-Sicherheitsrat wurden
Maßnahmen ergriffen, um die Respektierung der Vereinbarungen zu erzwingen. Nicht zuletzt
lag dies an der Weigerung der Bush-Administration, Luftschläge zu erwägen.581
577 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 94-97, GLYNN See No Evil, S. 23-29 und MOORE
The London Conference, S. 5.
578 Die Nationale Bibliothek wurde an diesem Tag zerstört. Vgl. MOORE The London Conference, S. 2.
579 Vgl. MOORE The London Conference, S. 2.
580 Vgl. MOORE The London Conference, S. 2-4 und Erklärungen zum Abschluß der internationalen
Jugoslawien-Konferenz in London vom 26. und 27. August 1992, in: Europa-Archiv, 19, S. D584D590.
581 Vgl. GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 38-39. Sorgen aus London und Paris um ihre UNPROFOROsteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
109
Die USA waren auf der Londoner Jugoslawienkonferenz durch Lawrence Eagleburger
vertreten, dessen vorsichtige Linie weitgehend die Ergebnisse der Konferenz prägte.582 Seine
Haltung prägte gleichfalls die amerikanische Jugoslawienpolitik bis zum Ende der Amtszeit
von George Bush am 20. Januar 1993. Die Folge war eine weiterhin zurückhaltende Politik,
die punktuell aktivere Phasen durchlief als der Handlungsdruck zunahm. Als der Krieg mit
unverminderter Härte weiterging und die serbische ethnische Säuberung Muslime und Kroaten
um die Stadt Banja Luka erfaßte, beschloß der UN-Sicherheitsrat am 14. September die
Verstärkung der UNPROFOR in Bosnien um 6.000 meist westeuropäische Truppen
(zusätzlich zu den schon in Bosnien stationierten 1.500 UNPROFOR-Soldaten). Obwohl
sie die Hilfskonvois schützen sollten, bekamen sie lediglich die Befugnis, Waffengewalt zur
Selbstverteidigung einzusetzen. Der UN-Oberbefehlshaber für Hilfslieferungen lehnte jedes
Durchbrechen serbischer Straßensperren strikt ab.583 Unter Druck der USA billigte der UNSicherheitsrat am 6. Oktober die Errichtung einer Kommission, um Kriegsverbrechen zu
untersuchen.584 Schwieriger durchzusetzen, sowohl innerhalb der Bush-Administration, als
auch im Sicherheitsrat, war die Schaffung einer Flugverbotszone über Bosnien. Das Ergebnis
war eine für die internationale Jugoslawienpolitik üblich gewordene Halbmaßnahme, die den
Anschein von Aktivität gab, ohne die verantwortlichen Kriegsparteien beeindrucken zu
können. Unter den verschiedenen Streitkräften im ehemaligen Jugoslawien besaß nur die
serbische Seite eine Luftwaffe, die sie einsetzte, um bosnische Dörfer und Städte zu
bombardieren. Für die internationale Gemeinschaft war dies zudem ein Problem geworden,
weil die serbischen Flugzeuge im Radar-Schatten von Maschinen flogen, die sich an den
Hilfslieferungen beteiligten.585 In der Bush-Administration befürwortete sogar Eagleburger
die Errichtung einer Flugverbotszone über Bosnien nach dem Vorbild Nordiraks. Obwohl
Colin Powell selbst diese Idee ablehnte (und öffentlich Stellung dagegen nahm) gewann
Eagleburger Anfang Oktober die Unterstützung von Präsident Bush für den Plan. Aber
582
583
584
585
110
Soldaten im Falle von westlichen Luftangriffen verstärkte die schon vorhandene Zurückhaltung der
Bush-Administration.
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 93-94.
Vgl. MOORE The First Month, S. 3.
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 98 und Resolution 780 des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen zur Sammlung von Informationen über Verletzungen des humanitären Rechts im
ehemaligen Jugoslawien, verabschiedet am 6. Oktober 1992 in New York, in: Europa-Archiv, 7, S.
D146.
Vgl. MOORE The First Month, S. 3-4. Im Rahmen der Londoner Vereinbarungen hatten die Serben
ein sofortiges Ende militärischer Flüge versprochen, dieses aber nicht eingehalten. Vgl. Erklärungen
zum Abschluß der internationalen Jugoslawien-Konferenz in London vom 26. und 27.August 1992,
in: Europa-Archiv, 19 , S. D584-D590 (D585).
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
angesichts anhaltender Bedenken Frankreichs, Großbritanniens und des UN-Genralsekretärs
Boutros Boutros-Ghali um die Sicherheit der UNPROFOR-Truppen in Bosnien, einigte sich
am 9. Oktober der Sicherheitsrat auf ein Flugverbot, das jedoch nicht militärisch durchgesetzt
werden sollte.586 Damit setzte der Sicherheitsrat für den Erfolg des Verbots auf die
Gehorsamkeit Serbiens und der bosnischen Serben gegenüber Forderungen der internationalen
Gemeinschaft, die sich wiederholt als nicht existent erwiesen hatte.
Im Herbst 1992 wurden Forderungen in den USA nach einer Aufhebung des
Waffenembargos gegen Bosnien lauter. Die CIA berichtete, daß Bosnien angesichts der
militärischen Überlegenheit Serbiens stärker unter dem Embargo leide, weil es die ungleichen
militärischen Verhältnisse festige. Diese Berichte veranlaßten den Senat, eine Resolution zu
verabschieden, die Bemühungen der Administration verlangte, die Aufhebung des
Waffenembargos gegen Bosnien im Sicherheitsrat anzustreben und für den Fall einer
Aufhebung $50 Millionen für die Rüstung der Bosnier zu billigen.587 Innerhalb der
Administration waren zwei hohe Beamten des Verteidigungsministeriums, Paul Wolfowitz
und Zalmay Khalilzad, die stärksten Verfechter einer Aufhebung des Embargos.588 Die
Befürworter einer Aufhebung argumentierten, daß es alleine eine Entscheidung der Regierung
in Sarajevo sein solle, ob Bosnien weiterkämpfen oder eine Niederlage hinnehmen sollte.
Ferner wurde oft behauptet, das Waffenembargo verstieße gegen das in Artikel 51 der UNCharta verankerte Recht auf Selbstverteidigung. Aus rein taktischen Gründen wurde auch
konstatiert, daß Frieden durch ein ausgeglichenes militärisches Verhältnis schneller zustande
kommen und eine Pattsituation herbeiführen könnte, die die Serben zum Verhandlungstisch
zwingen würde.589 Innerhalb der Bush-Administration galt Eagleburger als vehementer Gegner
der Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien.590 Er und andere Gegner des Plans
behaupteten, eine Aufhebung würde den Krieg nur verlängern, die Hilfslieferungen
erschweren, die UNPROFOR-Truppen gefährden und weitere Verhandlungen der
Kriegsparteien verhindern.591 Während Präsident Bush diese Ansicht noch im Herbst 1992
vertrat, änderte er nach seiner Wahlniederlage im November seine Meinung. Ein Grund für
seine geänderte Haltung dürfte die Wiederkehr einer „normaleren“ außenpolitischen
586 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 98-100 und Resolution 781 des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen über ein Verbot militärischer Flüge im Luftraum über Bosnien-Herzegovina,
verabschiedet am 9. Oktober 1992 in New York, in: Europa-Archiv, 7, S. D147-D148.
587 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 100 und GLYNN Balking, S. 21
588 Vgl. GLYNN See No Evil, S. 29.
589 Vgl. GLYNN See No Evil, S. 29, GLYNN Closing the Loop, S. 21 und HACKER Integration, S. 189.
590 Vgl. GLYNN See No Evil, S. 29.
591 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 100 und GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 38.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
111
Risikobereitschaft nach den Wahlen gewesen sein; darüber hinaus stand Bush unter starkem
Druck aus arabischen Ländern auf eine Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien
hinzuarbeiten. Daher schickte Bush im Dezember Außenminister Eagleburger nach Europa,
um Unterstützung für diesen Schritt bei den Verbündeten zu werben. Der ohnehin starke
Widerstand Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands war allerdings nicht durch die
halbherzige Werbung Eagleburgers zu überwinden.592
Wenn der von den USA begrenzte Einsatz diplomatischer Druckmittel auf die anderen
wichtigsten Staaten der internationalen Gemeinschaft nicht ausreichte, eine Aufhebung des
Waffenembargos zu erreichen, so konnte er im November allerdings eine begrenzte
militärische Vollstreckung der Wirtschaftssanktionen gegen Restjugoslawien durchsetzten.
Am 16. November billigte der UN-Sicherheitsrat die Resolution 787, welche die
Staatengemeinschaft aufforderte, entweder „einzelstaatlich oder über regionale Einrichtungen
oder Abmachungen“, angemessene Schritte zur Kontrolle der Seetransporte vor der Küste
Montenegros anzuwenden.593 Die NATO und die WEU einigten sich folglich drei Tage später
darauf, mit der am 22. November beginnenden „Operation Maritime Guard“, diese Aufgabe
anzugehen. Weil die meisten Verstöße gegen die Sanktionen jedoch auf der Donau
stattfanden, konnte dieser Schritt nur eine mäßige Erhöhung des Drucks auf Serbien und
Montenegro haben.594
Am Ende des Jahres 1992 schien es, als wären strengere amerikanische Maßnahmen gegen
Serbien und die bosnischen Serben nicht zu erwarten. Es gibt jedoch Anzeichen, daß Bush
am Ende seiner Amtszeit den Bedarf nach einem größeren amerikanischen Engagement in
der Welt sah. Auch um sein außenpolitisches Vermächtnis zu sichern und die „neue
Weltordnung“ nicht als völlig leeren Begriff zu hinterlassen, zeigte Bush im Dezember neue
amerikanische Aktivität auf der Weltbühne, einschließlich in der Jugoslawienpolitik. Die
Entsendung Eagleburgers nach Europa, um für eine Aufhebung des Waffenembargos zu
plädieren, dürfte vor diesem Hintergrund zu verstehen sein. Zusätzlich warnte Präsident Bush
Ende Dezember Slobodan Miloševiæ ausdrücklich vor einem militärischen Übergriff auf
Kosovo; in diesem Fall müsse Belgrad mit einem amerikanischen militärischen Einsatz
rechnen.595
592 Vgl. GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 38 und GLYNN See No Evil, S. 29.
593 Resolution 787 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen über die Durchsetzung der wirtschaftlichen
Sanktionen gegen Rest-Jugoslawien, verabschiedet am 16. November 1992 in New York, in: EuropaArchiv, 7, S. D148-D151 (D150).
594 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 100-101.
595 Vgl. STEINBERG Turning Points, S. 8-9.
112
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Dieses neue Engagement blieb allerdings begrenzt. Erstens wirkte das Miloševiæ-Regime
am Ende des Jahrs plötzlich labil. Angesichts bevorstehender Wahlen, einer miserablen
Wirtschaftslage und einer großen Antikriegsbewegung mußte Miloševiæ um sein politisches
Überleben kämpfen.596 Für die Bush-Administration, die einem militärischen Einsatz in
Bosnien äußerst skeptisch gegenüberstand, war die Hoffnung auf den Sturz Miloševiæs ein
zusätzlicher Grund, diese Eventualität untätig abzuwarten.597 Ferner besaß Präsident Bush
kein politisches Mandat, um auf einen härteren Ansatz in der Jugoslawienpolitik hinzusteuern.
Hatte er bisher die Merkmale des Bürgerkriegs in dem Konflikt betont und wiederholt auf
die Gefahren einer militärischen Einmischung in einem neuen Vietnam bzw. Libanon
hingedeutet, so wäre ein Kurswechsel des Präsidenten nach seiner Wahlniederlage kaum
glaubwürdig gewesen.
Für diejenigen, die eine amerikanische Führungsrolle im ehemaligen Jugoslawien
erwünschten, gab es aufgrund seiner Wahlrhetorik eine neue Hoffnung in der kommenden
Administration von Bill Clinton.
4.2. Fortführung der halbherzigen Politik unter Clinton
4.2.1. Sechs-Punkte-Plan Clintons
Während des Wahlkampfs 1992 bezeichnete Bill Clinton Slobodan Miloševiæ als einen
brutalen Diktator und einen Kriegsverbrecher. Er beschuldigte die Bush-Administration, die
Stabilität über die Freiheit gestellt zu haben und verlangte amerikanische Luftangriffe gegen
serbische Stellungen, um die UN-Hilfskonvois zu schützen. Mit seiner Amtsübernahme am
20. Januar 1993 mußte sich Clinton jedoch überlegen, wie eine konkrete Jugoslawienpolitik
seiner Wahlkampfrhetorik gerecht werden könnte.598 Zum Beginn seiner Amtszeit überprüften
Clinton und seine neue Regierungsmannschaft die Lage in Jugoslawien und die Möglichkeiten
für eine neue Politik.
Zu Beginn des Jahres 1993 waren die Aussichten des bosnischen Staates sowie anderer
Gebiete des ehemaligen Jugoslawiens düster. Die Militärallianz, die seit dem 16. Juni 1992
596 Zur Lage in Serbien vor den Wahlen, vgl. SHOUP Serbia at the Edge, S. 7-14 und ANDREJEVICH What
Future for Serbia? S. 13-17. Miloševiæ wurde am 20. Dezember mit Hilfe seines fast kompletten
Medienmonopols wiedergewählt. Die radikalen Nationalisten unter Führung von Vojislav Seselj
schnitten als zweitstärkste Fraktion nach Miloševiæs SPS bei den Parlamentswahlen ab. Vgl. zu den
Wahlergebnissen, ANDREJEVICH The Radicalization, S. 14-24.
597 Vgl. GLYNN Balking, S. 20.
598 Vgl. CLARKE Rhetoric, S. 5-6.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
113
zwischen Kroatien und Bosnien existiert hatte, war im Herbst 1992 brüchig geworden und
die beiden nominellen Verbündeten hatten bei einzelnen Schlachten gegeneinander gekämpft.
Diese Schwächung der Allianz stärkte die Hand der serbischen Truppen und erlaubte es ihnen
zusätzliches Territorium zu erobern und dort ethnische Säuberung zu betreiben.599 Im Januar
1993 kam es auch wieder zu Gefechten zwischen Kroatien und kroatischen Serben. Kroatien
startete eine Offensive, um strategisch wichtige Gebiete zurückzuerobern, welche von den
Serben während des Krieges im Jahr 1991 eingenommen und seitdem von der UNPROFOR
überwacht wurden. Kroatische Truppen erreichten ihre begrenzte Ziele innerhalb weniger
Tage, aber die Kämpfe dauerten an als die kroatischen Serben schwere Artillerie von der
Aufsicht der UNPROFOR zurückerlangten und auf kroatische Zivilziele schossen. Ein
erneuter voller Ausbruch des Krieges in Kroatien schien Anfang 1993 möglich.600
Die Vermittlungen der EG und UN unter der Führung von Cyrus Vance und David Owen
in Genf dauerten seit der Londoner Jugoslawienkonferenz im August 1992. Sie versuchten
die bosnischen Muslime, Serben und Kroaten in der Frage der Staatsform Bosnien und
Herzegovinas auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Während die Muslime einen
zentralistischen Staat mit wenig Befugnissen für die Regionen bevorzugten, plädierten die
bosnischen Serben für eine Aufteilung Bosniens in drei Staaten entlang ethnischer Linien und
die bosnischen Kroaten vertraten eine Position zwischen diesen beiden Vorstellungen (aber
näher zur serbischen). Vance und Owen versuchten daher eine künftige Verfassungsordnung
für Bosnien auszuarbeiten, die für alle drei Konfliktparteien (sowie für Kroatien und Serbien,
die gelegentlich auch an den Verhandlungen teilnahmen) akzeptabel gewesen wäre.601 Ein
Zwischenergebnis stellten die beiden Vermittler im Oktober 1992 und das Endergebnis im
Januar 1993 vor. Der Vance-Owen-Plan für Bosnien-Herzegovina sah eine Unterteilung des
Staats in zehn Regionen vor, die durch eine schwache Zentralregierung in Sarajevo verbunden
wären aber große Autonomie besitzen würden. Der Entwurf setzte sich zum Ziel, die
Beendigung der ethnischen Vertreibungen mittels der multiethnischen Zusammensetzung der
Regionen (obwohl in den meisten vorgesehenen Provinzen ein Volk eine deutliche Mehrheit
besaß), den Erhalt der staatlichen Einheit Bosniens und die Verhinderung einer Aufteilung
des Staats zwischen Kroatien und Serbien.602 Trotz dieser Zielsetzung sahen viele Kritiker
599 Vgl. MOORE Endgame, S. 19-20 und CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 208.
600 Vgl. MOORE The Shaky Truce, S. 46-47 und MOORE War Returns, S. 40-43.
601 Vgl. HAYDEN The Partition, S. 9-10 und CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 190192.
602 Vgl. Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Butros Butros Ghali, vom 2. Februar 1993
über die Genfer Friedenskonferenz (Auszug: Vance-Owen-Abkommen zu Bosnien-Herzegowina vom
30. Januar 1993), in: Europa-Archiv, 18, S. D360-D366. Vgl. auch CALIC Krieg und Frieden in
114
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
in dem heftig umstrittenen Plan eine Bestätigung der ethnischen Säuberungen, eine Anregung
für weitere Vertreibungen und die Basis für die Aufteilung Bosniens entlang ethnischer
Linien.603
Bei diesem Stand des Konflikts und in dieser Phase der internationalen Vermittlungen
begann die Clinton-Administration, ihr Konzept für die Jugoslawienpolitik zu entwickeln.
Einbezogen in die Überprüfung der amerikanischen Möglichkeiten auf dem Balkan waren
die Außen- und Verteidigungsministerien sowie der Nationale Sicherheitsrat und die CIA.604
Das Meinungsspektrum zu einem militärischen Vorgehen in Bosnien war innerhalb der
Clinton-Administration wesentlich breiter, als dies in der Bush-Administration der Fall
gewesen war. Die größten Verfechter eines militärischen Ansatzes der USA in Bosnien waren
Vizepräsident Al Gore (sowie sein Berater für nationale Sicherheit, Leon Fuerth) und UNBotschafterin Madeleine Albright. Albright erkannte auch die Schlüsselrolle einer
amerikanischen Führung für eine aktivere internationale Jugoslawienpolitik: „I must say that
I have watched with some amazement the fact that the Europeans have not taken action on
this. […] The coalition is very important to us, but we have to lead it.“605 Weitere Befürworter
amerikanischer militärischer Maßnahmen in Bosnien waren Nationaler Sicherheitsberater
Anthony Lake, sein Stellvertreter Samuel R. Berger, die Abteilungsleiterin für Europa im
Nationalen Sicherheitsrat, Jenonne Walker, sowie der stellvertretende Außenminister Strobe
Talbott.606 Außenminister Warren Christopher und Verteidigungsminister Les Aspin waren
gegenüber militärischen Schritten skeptisch eingestellt.607 Die größte Ablehnung eines
amerikanischen militärischen Ansatzes im ehemaligen Jugoslawien stammte nach wie vor von
dem Vorsitzenden des Generalstabschefs, Colin Powell. Der Einfluß Powells auf die
Jugoslawienpolitik der Clinton-Administration war für sein Amt unangemessen groß. Weil
Clinton nicht im Vietnamkrieg gedient hatte, die Beendigung der Diskriminierung gegen
Homosexuelle beim Militär anstrebte und Kürzungen im Verteidigungshaushalt zum Ziel
Bosnien-Hercegovina, S. 192-196.
603 Vgl. stellvertretend für viele, HAYDEN The Partition, S. 10-14.
604 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 105.
605 Albright zitiert in: DOHERTY Among Global Trouble Spots, Albright Focuses on Bosnia, in: Congressional Quarterly, 23.1.1993, S. 183. Zu der Haltung Gores, vgl. GLYNN Not Bush, S. 11 und
PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 125.
606 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 124, HEILBRUNN Lake Inferior, S. 34-35 und LANE
The Master, S. 28.
607 Vgl. GLYNN Not Bush, S. 11, PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 110 und BARNES You’re
Fired, S. 13.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
115
setzte, war sein Verhältnis zu dem beliebten General ohnehin angespannt und er suchte eine
weitere Belastung dieser Beziehung zu verhindern.608
Neben den Haltungen einzelner Mitglieder der Clinton-Administration spielten auch andere
Faktoren eine Rolle bei der Umgestaltung der amerikanischen Jugoslawienpolitik Anfang
1993. Clinton hatte während des Wahlkampfs die Betonung deutlich auf innenpolitische
Themen gesetzt und seine höchsten Prioritäten beim Amtsantritt lagen im innenpolitischen
Bereich. Während die Behauptung, Präsident Clinton hätte bis zum Amtsbeginn kein
außenpolitisches Konzept entwickelt, nicht stimmt, kann jedoch festgestellt werden, daß die
Betonung der Innenpolitik unter Clinton die Einsatzbereitschaft der Administration für eine
aktivere und damit riskantere Jugoslawienpolitik hemmte.609 Auch aus diesem Grund wollte
der neue Präsident einen Einsatz amerikanischer Bodentruppen im ehemaligen Jugoslawien
möglichst verhindern.610
Ein weiterer Faktor bei den Überlegungen nach einer neuen Jugoslawienpolitik stellte die
weitgehende Skepsis der Administration gegenüber dem Vance-Owen-Plan dar. Schon die
Bush-Regierung hatte Zweifel an dem Plan geäußert, aber die Rhetorik Clintons hinsichtlich
Bosnien legte einen größeren Wert auf die moralischen Gesichtspunkte einer Konfliktlösung
(beispielsweise die Weigerung, Ergebnisse von ethnischer Säuberung anzuerkennen) und
erschwerte es um so mehr für die neue Administration, Unterstützung für den umstrittenen
Plan aufzubringen. Neben Bedenken an der Belohnung serbischer Aggression hatte Außenminister Christopher auch Zweifel an der Durchführbarkeit des Plans.611 Da der Entwurf von
Vance und Owen die Unterstützung Frankreichs, Großbritanniens, Rußlands, der EG und
Boutros Boutros-Ghalis genoß, stand die Clinton-Administration unter Druck eine eigene
Initiative vorzustellen.612
608 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 109. Auch Warren Zimmermann sah in Colin
Powell eins der Haupthindernisse für amerikanische Luftangriffe gegen serbische Stellungen während
der Bush- und Clinton-Administrationen. Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 223.
609 Clintons außenpolitisches Konzept legte den größten Wert auf die wirtschaftliche Globalisierung. Vgl.
dazu COX U.S. Foreign Policy, S. 22 und SCHWEIGLER Die Außenpolitik, S. 554-555. Zur hemmenden Wirkung des innenpolitischen Agendas Clintons auf seine Einsatzbereitschaft in Bosnien, vgl.
PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 105 und sehr kritisch dazu, JUDIS The Foreign Unpolicy, S. 11-12.
610 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 105 und 108.
611 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 105-106 und CLARKE Rhetoric, S. 6-7. Die
Distanzierung Clintons von dem Plan sorgte für außerordentlich angespannte Verhältnisse zwischen
der Administration und den beiden Vermittlern, besonders David Owen. Vgl. COHEN Peace In His
Time, S. 34 und GLYNN Not Bush, S. 11.
612 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 106 und GLYNN Not Bush, S. 11.
116
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Das Ergebnis der langen Überprüfung der amerikanischen Jugoslawienpolitik war ein
Sechs-Punkte-Plan, vorgestellt vom Außenminister Christopher am 10. Februar 1993. Er
war allerdings nicht als Alternative zum Vance-Owen-Plan gedacht, sondern als Ergänzung.613
Insgesamt stellte der Sechs-Punkte-Plan eine vorsichtige Mischung aus diplomatischen und
wirtschaftlichen Maßnahmen dar, mit Aussicht auf militärische Maßnahmen, sollten mehrere
eingrenzende Bedingungen erfüllt werden. Die sechs vorgesehenen Schritte waren:614
C eine direkte und dauerhafte Beteiligung der USA an den Verhandlungen zwischen den
Kriegsparteien durch einen neuen Sonderbeauftragten, Reginald Bartholomew (ehemals
Botschafter in Libanon und Spanien und zu der Zeit US-Botschafter bei der NATO);
C ein Appell an die Kriegsparteien ernsthaft zu verhandeln sowie eine Absichtserklärung,
keine Konfliktlösung den Kriegsparteien aufzuzwingen;
C verschärfte Wirtschaftssanktionen gegen Serbien und Maßnahmen, die eine Ausbreitung
des Konflikts verhindern sollten (eine erneute Warnung an Serbien vor einem Angriff
auf Kosovo sowie eine verstärkte Präsenz internationaler Truppen in Mazedonien);
C Maßnahmen zur Linderung bzw. Verhinderung der Menschenrechtsverletzungen in
Bosnien (angekündigte Anstrengungen zur militärischen Durchsetzung der Flugverbotszone, zusätzliche humanitärische Hilfeleistungen und eine Forderung nach der baldigen
Errichtung eines UN-Kriegsverbrechertribunals);
C die neue Bereitschaft der USA, im Rahmen der NATO und UN an der Durchsetzung
einer Friedenslösung teilzunehmen, sollte diese von allen Konfliktparteien akzeptiert
werden;
C und eine enge Konsultation mit Rußland sowie mit den europäischen Verbündeten,
um die internationale Zusammenarbeit bei der Suche nach einer Friedenslösung
anzukurbeln.
Zusätzlich zu den humanitären Interessen Amerikas im ehemaligen Jugoslawien, die auch
immer wieder von der Bush-Administration beteuert wurden, stellte Christopher strategische
Interessen der USA auf dem Balkan fest, die durch den Konflikt gefährdet wären. Erstens
betonte er die Gefahren eines Übergriffs des Krieges auf weitere Gebiete, insbesondere
Albanien, Griechenland und die Türkei. Zweitens deutete er auf einen Vorbildcharakter
613 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 106.
614 Vgl. Presseerklärung des amerikanischen Außenministers, Warren Christopher, über die diplomatischen Bemühungen der Vereinigten Staaten im Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, abgegeben in
Washington am 10. Februar 1993, in: Europa-Archiv, 7, S. D158-D161.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
117
Jugoslawiens für weitere ethnische Konflikte Osteuropas, v.a. in den ehemaligen sowjetischen
Republiken an. Ein entschiedenes Auftreten der internationalen Gemeinschaft wäre erforderlich, um potentiellen Aggressoren zu vermitteln, daß sich Angriffskriege nicht lohnen.615
Christopher brachte den Versuch der Administration zum Ausdruck, die fortgesetzte Vorsicht
gegenüber militärischen Maßnahmen mit einer neu wahrgenommenen Notwendigkeit nach
einem größeren Engagement im ehemaligen Jugoslawien miteinander zu vereinbaren:
„Die Vereinigten Staaten sind nicht der Weltpolizist. Wir können unsere Streitkräfte nicht
entsenden, um jeden bewaffneten Konflikt auf der Welt zu beenden. Dennoch sind wir die
Vereinigten Staaten von Amerika. Wir haben beispiellos Macht und Einfluß. Wir haben uns
der Stabilität Europas verpflichtet. Unsere Werte und Interessen geben uns Grund, zur
Sicherung internationaler Normen für die faire Behandlung von Minderheiten beizutragen.
Daher haben wir Grund, uns aktiv an diesen Bestrebungen zu beteiligen.“616
Der Sechs-Punkte-Plan stieß auf eine große Zustimmung im US-Kongreß, weil er sich vom
Inhalt des im Kongreß allgemein unbeliebten Vance-Owen-Plans distanzierte. Die meisten
Kongreßabgeordneten hatten strengere Maßnahmen gegen die Serben gefordert und begrüßte
nun das angekündigte größere amerikanische Engagement. Es gab jedoch auch erhebliche
Bedenken unter den Abgeordneten an der eventuellen Beteiligung amerikanischer Bodentruppen zur Durchsetzung eines einvernehmlichen Friedensabkommens. Diese Skepsis
spiegelte die Meinung der amerikanischen Öffentlichkeit wider.617
Die neue, vorsichtige Einsatzbereitschaft in der amerikanischen Jugoslawienpolitik kam
kurz nach der Bekanntgabe des Sechs-Punkte-Plans erneut zum Vorschein. Serbische
Freischärler hatten insbesondere in Ostbosnien UN-Hilfskonvois als Teil der ethnischen
Säuberung lange Zeit verhindert. Als Protest gegen die Blockade sowie gegen die Hilflosigkeit
der internationalen Gemeinschaft, hatten sich die Einwohner Sarajevos für zehn Tage die
Annahme von benötigten UN-Hilfslieferungen geweigert. Der UNHCR gab daraufhin am
17. Februar die Suspendierung aller Hilfslieferungen nach Bosnien bekannt.618 Angesichts
der sich verschärfenden humanitären Krise in Ostbosnien überlegte die Clinton-Administration
einen Versorgungsplan, der dem Sechs-Punkte-Plan entsprechend, die Bosnier ermutigen
und eine Signalwirkung auf die Serben haben sollte.
615 Vgl. Europa-Archiv, 7, S. D158-D159.
616 Warren Christopher zitiert in Europa-Archiv, 7, S. D160.
617 Vgl. DOHERTY Clinton on Diplomatic Tightrope With New Policy on Bosnia, in: Congressional
Quarterly, 13.2.1993, S. 322-325 und PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 108-110.
618 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 112 und GLYNN Not Bush, S. 10.
118
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Geplant war der Abwurf humanitärer Güter (Lebensmittel und Arzneimittel) aus amerikanischen Transportflugzeugen über die von serbischen Truppen abgeschnittenen muslimischen
Enklaven. Dieser Vorschlag stieß auf weitgehende Ablehnung bei UN-Generalsekretär
Boutros-Ghali, Frankreich und Großbritannien, die sich nach wie vor Sorgen um die in
Bosnien stationierten UNPROFOR-Truppen machten. Ihnen zufolge hätten die Serben den
Plan als eine Parteinahme im Konflikt verstehen können und als Gegenschlag die UNPROFOR
angreifen. Zudem entwickelte sich ein Streit zwischen der Administration und Boutros-Ghali
in der Frage nach der Notwendigkeit einer UN-Autorisierung für den Plan sowie nach dem
Oberkommando bei dessen eventueller Durchführung.619 Nach getrennten Treffen im Weißen
Haus mit dem britischen Premierminister John Major und dem UN-Generalsekretär konnte
Präsident Clinton eine Einigung erzielen. Es wurde beschlossen, die Transportflugzeuge ohne
Begleitung durch Kampfflugzeuge über Bosnien zu schicken, wo sie ihre Ladungen aus einer
Höhe von über 3.000 Metern abwerfen sollten. Diese ungewöhnliche Höhe für Abwürfe sollte
nicht nur dem Schutz der Transportflugzeuge dienen, sondern durch die größere Ungenauigkeit der Abwürfe, den humanitären Aspekt der Lieferungen betonen, da Serben eventuell
auch davon profitieren konnten.620
Die Abwürfe begannen am 28. Februar 1993 und waren ein taktischer und politischer Erfolg
für die amerikanische Jugoslawienpolitik und für die Clinton-Administration. Nach anfänglicher Ungewißheit konnte bestätigt werden, daß die meisten abgeworfenen Pakete ihren
Zielen sehr nah kamen.621 Auf dreifache Weise war die Luftbrücke für Amerika und die
Administration erfolgreich. Erstens genoß sie eine breite Zustimmung im Kongreß und in
der amerikanischen Öffentlichkeit, obwohl es weiterhin Bedenken um eine schleichende
amerikanische militärische Einmischung in Bosnien gab.622 Zweitens bewirkte die Luftbrücke
619 Clinton sah in Resolution 770 vom August 1992 die Autorisierung für einen solchen Einsatz als schon
gegeben und wollte das Oberkommando in amerikanischer Hand behalten, während Boutros-Ghali
entgegengesetzte Positionen einnahm. Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 112-113 und
HODGE Slimy Limeys, S. 22.
620 Zudem wurde vereinbart, daß die USA zwar das Oberkommando behalten würde, jedoch den Einsatz
in enger Absprache mit der UN durchführen würde. Vgl. DOHERTY Clinton’s Proposal on Bosnia Aid
Prompts Support, Some Fears, in: Congressional Quarterly, 27.2.1993, S. 470. Auch bei der Bekanntgabe der Durchführung des Plans betonte Clinton den humanitärischen Aspekt. Vgl. Erklärung des
amerikanischen Präsidenten, Bill Clinton, über die Errichtung einer humanitären Luftbrücke nach
Bosnien-Herzegowina, abgegeben am 3. März 1993 in Washington, in: Europa-Archiv, 7, S. D164.
621 Vgl. TOWELL Critics Begin To Question Clinton’s Handling of War, in: Congressional Quarterly,
6.3.1993, S. 530-531. Zwischen dem 28. Februar und dem 22. Juni 1993 waren über 4.700 metrische
Tonnen humanitärer Hilfe durch die Abwürfe angekommen. Vgl. HODGE Slimy Limeys, S. 22.
622 Vgl. DOHERTY Clinton’s Proposal on Bosnia Aid Prompts Support, Some Fears, in: Congressional
Quarterly, 27.2.1993, S. 470 und TOWELL Critics Begin To Question Clinton’s Handling of War, in:
Congressional Quarterly, 6.3.1993, S. 530-531.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
119
eine zusätzliche Begünstigung der humanitären Hilfslieferungen, indem die bosnischen Serben
ihre Blockade der Hilfskonvois etwas lockerten.623 Drittens verschaffte das bisher größte
amerikanische Engagement in Bosnien einen größeren Einfluß der USA bei den JugoslawienVermittlungen in Genf und New York.624
Während NATO-Vorbereitungen für einen eventuellen Einsatz zur Sicherung eines
Friedensplans für Bosnien im Frühjahr 1993 weiterliefen, schien die dafür vorausgesetzte,
von den Kriegsparteien einhellig angenommene Friedenslösung weit entfernt.625 Zwar
unterzeichnete der bosnische Präsident Izetbegoviæ den militärischen Teil des Vance-OwenPlans am 3. März und den Rest des Plans am 25. März, so daß nach der vorangegangenen
Zusage der Kroaten nur noch die Zustimmung der bosnischen Serben fehlte. Aber eben diese
schien unwahrscheinlich.626
Angesichts anhaltender serbischer Angriffe in Bosnien, einschließlich solcher gegen die
umzingelte Enklave Srebrenica, bemühten sich die USA um eine militärische Vollstreckung
der Flugverbotszone über Bosnien, dem Sechs-Punkte-Plan Clintons entsprechend. Am 31.
März 1993 konnten sich die Vereinigten Staaten mit der Resolution 816 im UN-Sicherheitsrat
durchsetzen. Die Resolution billigte „alle notwendigen Maßnahmen“, um die Einhaltung des
Flugverbots zu erzwingen und bereitete somit den Weg für die „Operation Deny Flight“ den ersten NATO-Einsatz außerhalb des Vertragsgebiets und im Auftrag der Vereinten
Nationen. Der Einsatz begann am 12 April 1993, vermochte allerdings aufgrund seiner
begrenzten Zielsetzung keine wesentlichen Änderungen im Kriegsgeschehen herbeizuführen.627
Als die bosnischen Serben den Vance-Owen-Plan als einzige Kriegspartei weiterhin ablehnten
und die Angriffe und ethnische Säuberung fortsetzten, überlegte die Clinton-Administration
Schritte über den Sechs-Punkte-Plan hinaus, die eine Wende in dem belagerten bosnischen
Staat hätten erzielen können.
623 Vgl. GLYNN Not Bush, S. 10.
624 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 114. Konnten Paris und London bisher auf die
fehlende Einsatzbereitschaft der USA im ehemaligen Jugoslawien verweisen, um unbeliebte amerikanische Vorstellungen abzuwerten, so fiel diese Hürde nun teilweise weg.
625 Zu den Vorbereitungen der NATO, vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 109-112.
626 Izetbegoviæ unterzeichnete den Vance-Owen-Plan trotz großer Bedenken an dessen Inhalt zum Teil
wegen der zugesicherten amerikanischen Beteiligung an seiner Umsetzung. Vgl. PAULSEN Die
Jugoslawienpolitik der USA, S. 114-115.
627 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 115-116.
120
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
4.2.2. Lift and Strike
Alia Izetbegoviæhatte den Vance-Owen-Plan erst unterschrieben, als er die Zusicherung der
USA erhielt, daß im Falle der weiteren Ablehnung des Friedensplans durch die bosnischen
Serben, Amerika eine Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien anstreben würde.
Präsident Clinton wirkte persönlich entsetzt, daß das Recht des bosnischen Staats auf
Selbstverteidigung diesem vorenthalten blieb.628 Vor allem wegen der anhaltenden serbischen
Belagerung Srebrenicas und der erschreckenden Fernsehbilder aus dieser Stadt, erhöhte sich
im April 1993 die Aufmerksamkeit der amerikanischen Öffentlichkeit für die laufende
Tragödie in Bosnien-Herzegovina. Diese erneute Beachtung erzeugte einen entsprechenden
Handlungsdruck auf die Administration, zusätzliche militärische Maßnahmen gegen die Serben
zu erwägen. Innerhalb der Administration drängte vor allem die UN-Botschafterin Madeleine
Albright mit Unterstützung der Arbeitsebene im Außenministerium wiederholt auf eine
Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien.629 Ein wichtiger Faktor, der die Entscheidung
der Administration für ein härteres Vorgehen gegen die Serben komplizierte, war die Rolle
Rußlands im ehemaligen Jugoslawien. Seit dem Beginn der Krise hatte sich Rußland oft gegen
verschärfte antiserbische Maßnahmen gestellt.
„Einflußreiche russische Politiker innerhalb wie außerhalb des Jelzin-Lagers behaupten, eine
historische Solidarität in den russisch-serbischen Beziehungen festgestellt zu haben, die als
Basis für ein modernes russisch-serbisches Bündnis dienen soll. Dies bedeutet, daß Rußland
zumindest jede Anstrengung unternehmen soll, Serbien gegen Militäraktionen des Westens
unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zu schützen, maximal aber eine russischserbische Entente gegen Verwestlichung, innen- wie außenpolitisch herstellen soll.“630
Dieser „Panslawismus“ wurde russischerseits allerdings hauptsächlich von Kommunisten und
Nationalisten beteuert, nicht zuletzt als eine Basis für scharfe Kritik an der Außenpolitik Boris
Jelzins. Diese Sicht entsprach weder der Mehrheitsansicht unter der russischen Elite noch
unter der russischen Bevölkerung.631 Von Beginn der Clinton-Administration an war es
deutlich, daß der Erfolg demokratischer und marktwirtschaftlicher Reformen in Rußland für
sie die höchste außenpolitische Priorität besaß. Daraus ergab sich ein zurückhaltender Einfluß
auf die amerikanische Politik gegenüber Serbien und den bosnischen Serben, da stärkere
628
629
630
631
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 115, Schild, S. 27 und BARNES , S. 12.
Vgl. BARNES, A Star is Born, S. 12-13.
Vgl. LYNCH / LUKIC Rußland, S. 81.
Vgl. LYNCH / LUKIC Rußland, S. 80-85, LANE Slav Story, S. 6, CROW Reading Moscow’s Policies, S.
16-19 und CROW Russia, S. 1-6.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
121
antiserbische Maßnahmen als Nahrung für Jelzins Gegner betrachtet wurden.632 Auf dem
Gipfeltreffen zwischen Clinton und Jelzin am 4. und 5. April 1993 in Vancouver, Kanada
setzten sich die beiden Präsidenten intensiv mit der Lage im ehemaligen Jugoslawien
auseinander. Obwohl Präsident Jelzin keinerlei Sympathie für die serbische Führung empfand,
stand er kurz vor einem Referendum (am 25. April), bei dem über seine Präsidentschaft
entschieden werden sollte und vor diesem Datum wollte er auf jeden Fall neue internationale
Maßnahmen gegen Serbien verhindern.633
Trotz Bedenken wegen möglicher Auswirkungen auf Rußland, schien Präsident Clinton
in April 1993 zunächst bereit eine Strategie („Lift and Strike“) zu verfolgen, die eine
Aufhebung des Waffenembargos gegen die bosnische Regierung mit Luftangriffen gegen
serbische Stellungen verbunden hätte, sollten die Serben den Vance-Owen-Plan weiterhin
ablehnen und den Krieg fortsetzen. Wegen der kritischen Lage in Srebrenica setzten sich die
USA schon am 17. April im UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 820 durch, welche ein
Ultimatum an die Serben stellte; sollten die bosnischen Serben nicht innerhalb von neun Tagen
den Vance-Owen-Plan unterzeichnen, dann würden weitere Wirtschaftssanktionen gegen
Restjugoslawien in Kraft treten. Weil die regierenden serbischen Extremisten mit Ablauf der
Frist dem Friedensplan immer noch nicht zugestimmt hatten, wurden verschärftn Sanktionen
verhängt und die Idee von „Lift and Strike“ erhielt einen neuen Impuls.634
Obwohl der US-Sonderbeauftragter für Bosnien, Reginald Bartholomew, schon Mitte April
ausdrücklich mit „Lift and Strike“ drohte, als die Serben kurz vor einem grausamen Sieg in
der Flüchtlingsstadt Srebrenica zu stehen schienen, war diese Strategie kein Bestandteil der
offiziellen amerikanischen Jugoslawienpolitik.635 „Lift and Strike“ wurde zu dieser Zeit
innerhalb der Administration und im Kongreß heftig debattiert, zumal Präsident Clinton sich
nicht entschieden hinter den Plan gestellt hatte. Im Senat sprachen sich vor allem Minderheitsführer Bob Dole (R), sowie Senatoren Joe Biden (D), Richard Lugar (R) und John Kerry
632 Vgl. zur Bedeutung der russischen Reformen für die Clinton-Administration, COX U.S. Foreign
Policy, S. 55-58; zu den Auswirkungen dieser Priorität auf die amerikanische Jugoslawienpolitik, vgl.
LYNCH / LUKIC Rußland, S. 86-87 und PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 114-115.
633 Vgl. BARNES, A Star is Born, S. 12-13. Miloševiæ hatte während des Moskau-Putsches im August
1991 die Putschisten unterstützt und unterhielt sich „intensiv mit kommunistisch-nationalistischen
Kräften in Rußland […], um die Aussichten für eine liberale Regierung in Rußland zu unterminieren
und dadurch eine solidere Grundlage für eine russisch-serbische Partnerschaft zu legen […]“ So
LYNCH / LUKIC Rußland, S. 81; vgl. auch S. 82-83.
634 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 119. Weil Rußland mit seinem Veto im Sicherheitsrat drohte, entstand die Frist von neun Tagen. Damit traten die Sanktionen erst nach dem
Referendum in Rußland in Kraft. Vgl. dazu BARNES , S. 13.
635 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 119 und DOHERTY linton’s Policy of Diplomacy
Comes Under Heavy Fire, in: Congressional Quarterly, 17.4.1993, S. 960-962 (960).
122
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
(D) für einen solchen Ansatz aus; im Repräsentantenhaus war Frank McCloskey (D) einer
der größten Unterstützer militärischer Maßnahmen gegen die serbischen Truppen, um die
schweren Menschenrechtsverletzungen aufzuhalten.636 Sie sahen ihre Position gestärkt, als
eine von Präsident Clinton Ende Februar ernannte Sonderkomission zur Einschätzung der
humanitären Lage Bosniens, bestehend überwiegend aus Beamten des Außenministeriums,
bei ihrem vorläufigen Abschlußbericht in April militärische Schläge vorschlug.637 Ein
dramatischer Appell des Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel in Anwesenheit Präsident
Clintons am 21. April bei der Eröffnungszeremonie für das Holocaustmuseum in Washington
D.C. steigerte den Druck: „Lift and Strike“ durchzuführen: „We cannot tolerate the
excruciating sights of this old new war. Mr. President, this bloodshed must be stopped. It
will not stop unless we stop it.“638 Innerhalb der Administration erhielt die Strategie Rückhalt
durch die Unterstützung Vizepräsident Gores sowie durch ein Memorandum von UNBotschafterin Albright an den Präsidenten.639 Auch unter den Befürworter von „Lift and
Strike“ herrschte jedoch der Konsens, daß keine amerikanischen Bodentruppen an einem
Einsatz teilnehmen sollten. Vielmehr sollten Waffen an die bosnischen Regierungstruppen
geliefert werden, während Luftangriffe der NATO auf serbische Nachschublinien und schwere
Artillerie zielen sollten. Dadurch sollten die Chancen für die bosnischen Regierungstruppen
ausgeglichen und der Verhandlungsdruck auf die Serben gesteigert werden. Bei der Durchführung des Plans sollten die europäischen Verbündeten über die NATO einbezogen
werden.640
Während die Ereignisse in Bosnien einerseits den Handlungsdruck auf Präsident Clinton
erhöhten, hatte die Diskussion um „Lift and Strike“ in der Administration andererseits die
Gegner dieser Strategie auf den Plan gerufen. Am vehementesten lehnte nach wie vor Colin
Powell ein militärisches Vorgehen in Bosnien ab. In Aussagen vor dem Kongreß betonte
Powell seine Sorge um einen Einsatz, der Amerika immer weiter in den Konflikt hineinziehen
würde. Sein Stellvertreter, Admiral David Jeremiah, äußerte seine Zweifel vor der Presse,
ob Luftschläge gegen serbische Stellungen effektiv sein könnten und betonte die Gefahr
636 Zu den Haltungen der Senatoren, vgl. DOHERTY Democrats Become More Vocal In Urging U.S. To
Take Action, in: Congressional Quarterly, 24.4.1993, S. 1031-1032 und BARNES, A Star is Born, S.
12-13. Zu McCloskey, vgl. DOHERTY The Making of a Hawk, in: Congressional Quarterly,
17.4.1993, S. 961.
637 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 124-125 und DOHERTY Clinton’s Policy of
Diplomacy Comes Under Heavy Fire, in: Congressional Quarterly, 17.4.1993, S. 960-962.
638 Wiesel zitiert in PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 125.
639 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 125.
640 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 120-121.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
123
abgeschossener amerikanischer Piloten hervor. Diese weitverbreitete Skepsis im Verteidigungsministerium wurde allerdings weder vom Verteidigungsminister Aspin noch vom
Generalstabschef der Luftwaffe Merrill McPeak geteilt.641 Auch im Kongreß gab es Bedenken
an „Lift and Strike“; u.a. gehörten die Senatoren John McCain (R), John Warner (R) und
Robert Toricelli (D) zu den Gegnern der Idee. Außer Zweifeln an der Effektivität des Plans
und den Gefahren einer immer tieferen Einmischung in dem Konflikt, argumentierten die
Gegner, daß die Aufhebung des Waffenembargos in Verbindung mit NATO-Luftschlägen
eine Verschärfung des Krieges, eine Gefährdung der UNPROFOR-Truppen und eine Spaltung
der NATO-Allianz zur Folge haben könnten.642 Außenminister Christopher äußerte sich auch
sehr zurückhaltend gegenüber „Lift and Strike“. Es war jedoch Christopher, den Präsident
Clinton nach Europa schickte, um die Meinungen der Alliierten und Rußlands zu der „Lift
and Strike“-Strategie auszuloten.643
Obwohl Präsident Clinton „Lift and Strike“ nicht als seine offizielle Politik dargestellt hatte,
erklärte er am 1. Mai in einem Telefongespräch mit Senator Dole diese Vorgehensweise zu
seinem bevorzugten Plan. Christopher und der Nationale Sicherheitsberater Lake erarbeiteten
einen Entwurf zur Aufhebung des Waffenembargos und Durchführung von Luftangriffen,
der bei einem Treffen am 1. Mai im Weißen Haus scheinbar die Zustimmung des Präsidenten
bekam. Weil Clinton nicht ohne die NATO-Verbündeten vorgehen wollte, begann Christopher
seine Europareise. Währenddessen erfuhren die Serben, daß zum ersten Mal in der Krise die
USA tatsächlich bereit seien, militärisch in dem Konflikt zu intervenieren. Knapp 24 Stunden
nach dem Treffen im Weißen Haus unterzeichnete Radovan Karadziæ unter massivem Druck
von Miloševiæ den Vance-Owen-Plan in Athen.644
641 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 122-123. McPeak widersprach Powell und
Jeremiah vor einem Ausschuß des Senats als er aussagte, daß die Durchführung von Luftangriffen in
Bosnien einfach wäre.
642 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 122-123, ROSIN Speak No Evil, S. 28 und DOHERTY Democrats Become More Vocal In Urging U.S. To Take Action, in: Congressional Quarterly,
24.4.1993, S. 1031-1032.
643 Christopher war um Rückschläge gegen die UNPROFOR-Truppen im Falle von NATO-Luftangriffe
gegen die Serben besorgt. Er stand der Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien jedoch etwas
offener gegenüber. Vgl. DOHERTY Democrats Become More Vocal In Urging U.S. To Take Action,
in: Congressional Quarterly, 24.4.1993, S. 1031-1032.
644 Zum Telefongespräch zwischen Clinton und Dole, vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S.
126-127. Zum Treffen im Weißen Haus, vgl. BARNES, S. 13. Karadziæ unterschrieb den VanceOwen-Plan auf einem Treffen am 1. und 2. Mai in Athen, das von den zwei Vermittlern berufen
wurde. Außer Karadziæwaren Miloševiæ, Tudjman, Izetbegoviæund Boban (der Führer der bosnischen
Kroaten) anwesend. Vgl. dazu sowie zum Druck Miloševiæs auf Karadziæ, ANDREJEVICH Serbia’s
Bosnian Dilemma, S. 15-16 und REUTER Jugoslawien, S. 341.
124
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Weil die bosnischen Serben ihre Zustimmung zum Friedensplan von der Billigung ihres
„Parlaments“ in Pale abhängig machten, erörterte Christopher mit den Alliierten und Rußland
noch den amerikanischen Entwurf, aber nun auch die eventuelle Entsendung einer Implementierungstruppe für den Vance-Owen-Plan.645 Von den europäischen Verbündeten
zeigten nur Deutschland und die Niederlanden eine positive Haltung zu „Lift and Strike“.
Bei den Treffen Christophers in London, Paris und Moskau stieß der Entwurf allerdings auf
Ablehnung. Großbritannien und Frankreich waren vor allem um ihre in Bosnien stationierten
UNPROFOR-Kontingente besorgt. Anstatt den Europäern „Lift and Strike“ schmackhaft
zu machen, tauschte Christopher mit seinen Gesprächspartner lediglich Meinungen aus. Als
NATO-Generalsekretär Manfred Wörner am 6. Mai dem amerikanischen Außenminister
anbot, sich bei den übrigen Allianz-Mitglieder für „Lift and Strike“ einzusetzen, lehnte dies
Christopher ab.646 Während einige Beobachter die halbherzige Vertretung der amerikanischen
Strategie durch Christopher auf seine Abneigung dem Plan gegenüber zurückführen, deuten
andere auf den mangelnden Rückhalt für den Plan bei der Administration hin, sowie auf die
große Skepsis im Kongreß und in der amerikanischen Öffentlichkeit.647
Schon während der Christopher-Reise begann die Clinton-Administration ihren Rückgang
von der „Lift and Strike“-Initiative. Zunächst spielte dabei die abneigende Haltung der meisten
europäischen Verbündeten eine Rolle, insofern als sich Clinton ihre Unterstützung erhofft
hatte, um seine Überzeugungsarbeit im Kongreß und bei der amerikanischen Öffentlichkeit
zu erleichtern. Dazu kam die Sorge Clintons und einiger seiner Berater, daß die Durchsetzung
der Strategie zu viel an politischem Kapital kosten würde und den innenpolitischen Reformprogramm Clintons überschatten könnte.648 Schließlich entschied sich Präsident Clinton am
8. Mai 1993 „Lift and Strike“ aufzugeben und den Europäern die Führung in der Jugoslawienpolitik zu überlassen.649
Die Diskussion um eine härtere westliche Politik hatte durchaus Einfluß auf die Ereignisse
in Bosnien. Wie schon dargestellt unterschrieb Karadziæ den Vance-Owen-Plan als die
Clinton-Administration entschlossen hinter militärischen Maßnahmen zu stehen schien.
645 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 127.
646 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 126-128 und SCHILD Die USA und der Bürgerkrieg, S. 27.
647 Vgl. SCHWEIGLER Die Außenpolitik, S. 558, GLYNN See No Evil, S. 29 und PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 128 und 133-134.
648 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 129-132, 135 und BARNES A Star is Born, S. 1314.
649 Am 10. Mai lehnten die EG-Außenminister in Brüssel die amerikanische Initiative öffentlich ab. Vgl.
PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 129.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
125
Slobodan Miloševiæwollte auf eine Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Restjugoslawien hinarbeiten, mußte jedoch in dem amerikanischen Vorschlag ein weiteres Abrücken
von diesem Ziel erkennen. Folglich setzte er die bosnischen Serben unter Druck, die
Friedenslösung anzunehmen.650 Vor der Abstimmung des bosnisch-serbischen „Parlaments“
über die Annahme des Vance-Owen-Plans am 6. Mai, plädierte Miloševiæfür dessen Billigung;
dabei gab er die bisherige Beteiligung Restjugoslawiens an dem Krieg in Bosnien zu (was
er gegenüber westlichen Diplomaten sonst immer leugnete): „[Y]ou have to understand that
I can’t help you anymore.“651 Am 6. Mai (als der Rückgang Clintons von „Lift and Strike“
schon erkennbar war) lehnten die bosnisch-serbischen „Parlamentarier“ den Friedensplan ab,
überließen die endgültige Entscheidung allerdings einem Referendum, das am 15. und 16.
Mai stattfand, mit gleichem Ergebnis. Damit war der Vance-Owen-Plan endgültig
gescheitert.652
Mit dem Aufgeben von „Lift and Strike“ und der Fortsetzung des brutalen Krieges, griff
die Clinton-Administration auf zwei Methoden ihrer Vorgänger zurück, um Schuldzuweisungen zu deflektieren. Erstens betonte vor allem Warren Christopher nun die Aspekte des
Bürgerkriegs in Bosnien unter der Vernachlässigung der Aspekte des Angriffskriegs sowie
bei Verwischung der Unterscheidung zwischen Opfer und Täter. Nach seiner Europareise
stellte der US-Außenminister fest, daß bei allen drei Kriegsparteien, die Vereinigten Staaten
schwere Menschenrechtsverletzungen dokumentieren konnten. In einem Memorandum
(erhalten von der New York Times) erinnerte ihn sein geschäftsführender stellvertretender
Sekretär für Menschenrechte, daß von allen dokumentierten Greueltaten im Jugoslawienkonflikt nur 6% von den bosnischen Muslime begangen waren. Ferner gäbe es keine Hinweise,
daß diese von der bosnischen Regierung bzw. den obersten bosnischen Militärkommandeuren
befohlen worden waren (im Gegensatz zu den Serben und in einem gewissen Ausmaß zu den
Kroaten).653
650 Zu den Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen auf Serbien, vgl. DYKER / BOJICIC The Impact, S.
50-54.
651 Miloševiæ zitiert in ANDREJEVICH Serbia’s Bosnian Dilemma, S. 15-16. Auch der Präsident der
„Bundesrepublik Jugoslawien“, Dobrica Cosiæ, gab deren Beteiligung während seiner Aussprache für
die Annahme des Friedensplans zu: „We cannot continue fighting this war.“ Zitiert in ANDREJEVICH
Serbia’s Bosnian Dilemma, S. 16.
652 Eine absolute Korrelation zwischen der amerikanischen Haltung zu militärischen Maßnahmen und
dem Verhalten der Serben nachzuweisen wäre unmöglich; sie liegt aber nahe, zumal sie sich in den
folgenden 2-3 Jahren wiederholt zeigte. Jens Reuter gehört zu denen, die in den Handlungen von Mai
1993 diese Korrelation feststellen. Vgl. REUTER Jugoslawien, S. 341. Zweifel an einer Korrelation hat
hingegen David Gompert. Vgl. GOMPERT How to Defeat Serbia, S. 40-41.
653 Vgl. WOHLSTETTER Creating a Greater Serbia, S. 11 und GLYNN See No Evil, S. 29.
126
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Die andere Praxis, welche sich die Clinton-Administration nun zu eigen machte, war die
Ablehnung strengerer Maßnahmen gegen die Serben durch die europäische Verbündeten als
Ausrede für die eigene Untätigkeit auszunutzen. Hierbei konnte Clinton nominell noch für
eine Aufhebung des Waffenembargos in Verbindung mit Luftangriffen plädieren ohne das
politische Kapital für die Durchsetzung dieser Linie aufbringen zu müssen.654 Die Kritik aus
der Administration und aus dem Kongreß an der europäischen Ablehnung des amerikanischen
Entwurfs stieß in den europäischen Hauptstädten (v.a. in Paris) auf eine scharfe Reaktion.655
Ein Argument der Gegner von der „Lift and Strike“-Initiative in den USA war, daßihre
Durchsetzung die transatlantischen Beziehungen zu sehr belastet hätte. Als der Krieg in
Bosnien-Herzegovina andauerte und Amerika auf die Führung in der westlichen Jugoslawienpolitik erneut verzichtete, waren diese Beziehungen trotz der Aufgabe des Plans äußerst
angespannt
4.2.3. Gemeinsamer Aktionsplan, begrenzte NATO-Luftangriffe und Bosnien-Kontaktgruppe
Mit dem Verzicht Clintons auf „Lift and Strike“ begann eine lange Phase der amerikanischen
Jugoslawienpolitik, die von Schwankungen zwischen Tätigkeit und Untätigkeit gekennzeichnet, in ihrer mangelnden Führung jedoch konstant war. Wie Präsident Bush vor ihm
verfolgte Clinton in dieser Phase eine Politik, die den Handlungsdruck für ein Engagement
in Bosnien entgegenzuwirken versuchte. Wenn dies nicht gelang, versuchte die Administration
Forderungen nach Aktion in Bosnien möglichst zufriedenzustellen ohne einen Einsatz
amerikanischer Bodentruppen zu riskieren und ohne Bosnien einen zentralen Platz in ihrer
Tagesordnung einräumen zu müssen. Dabei unterlag die Clinton-Administration weitgehend
den gleichen Einflüssen für und gegen eine aktivere Jugoslawienpolitik, welche ihre Handlungen bei dem Sechs-Punkte-Plan und „Lift and Strike“ geprägt hatten. Weil die amerikanische Haltung gegenüber dem ehemaligen Jugoslawien in dieser Phase fast ausschließlich
reaktiver Natur war, schwankten die Ausmaße der einzelnen Einflüssen. In diesem Abschnitt
sollen die wichtigsten Stationen dieser inkonsequenten Politik und einige ihrer Auswirkungen
dargestellt werden: die Fortführung des Krieges und der Greueltaten in Bosnien, der Verlust
an Glaubwürdigkeit des Westens und die Anspannung der Verhältnisse zwischen den NATOPartnern.
654 Vgl. ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 225.
655 Vgl. GORDON Die deutsch-französische Partnerschaft, S. 63-64, insbes. F.N.#119 und PAULSEN Die
Jugoslawienpolitik der USA, S. 129-132.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
127
Weil die Unstimmigkeiten und Schuldzuweisungen zwischen den Verbündeten im Mai 1993
unhaltbar geworden waren, nahm der Druck auf die Clinton-Administration zu, eine
Beruhigung der transatlantischen Beziehungen anzustreben. Die Folge dessen war eine Politik,
der nicht die unveränderte amerikanische Lagebeurteilung zugrunde lag, sondern auf eine
Versöhnung mit den europäischen Verbündeten ausgerichtet war.656 Während die Administration den v.a. von Paris ausgehenden Vorschlag für die Errichtung von UN- „Schutzzonen“ für Muslime in April noch mit der Begründung abgelehnt hatte, daß diese serbische
Gebietseroberungen de facto anerkennen würde und amerikanische Bodentruppen in Bosnien
verwickeln könnte, stimmten die USA am 6. Mai 1993 nun einer entsprechenden Resolution
im UN-Sicherheitsrat zu. Allerdings bot Amerika keine Truppen zum Schutz der Zonen an.657
Erkannte die Administration im Februar 1993 wichtige strategische Interessen in Bosnien,
so konnte sie nun lediglich Interessen humanitärer Art verfolgen sowie die Verhinderung der
Ausbreitung des Konflikts ausmachen. Folglich stellte Christopher am 18. Mai vor dem
Ausschuß für Auswärtigen Beziehungen im Senat fest: „At heart, this is a European
problem.“658 Der Schwenk in der amerikanischen Jugoslawienpolitik hatte auch eine
veränderte Zielsetzung zur Folge. Bisher hatte sich die Administration für eine gerechte
Lösung für die bosnischen Muslime ausgesprochen; nun schien sie bereit eine Dreiteilung
des Landes unter Berücksichtigung der von serbischen Truppen geschaffenen Tatsachen
hinzunehmen.659
Um weitere Einigung mit den europäischen Verbündeten zu erzielen, bereitete Außenminister Christopher einen Dokument des kleinsten gemeinsamen Nenners vor. Nachdem die
EG ihre Unterstützung für einen vom russischen Außenminister Kozyrew vorgelegten Plan
ausdrückte, einigten sich die USA und Rußland am 20. Mai 1993 auf einen für beide tragbaren
Entwurf. Am 22. Mai stellten die USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und Spanien
ihren „Gemeinsamen Aktionsplan“ vor.660 Die wichtigsten der dreizehn Punkte des Plans
beinhalteten eine Aufforderung an den Sicherheitsrat, die Stationierung von UNPROFOR-
656 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 137.
657 Vgl. zur früheren Ablehnung des Konzepts durch die Administration, PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 118-119. Vgl. auch BARNES A Star is Born, S. 13-14 und Resolution 824 des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen über die Einrichtung von Sicherheitszonen in BosnienHerzegowina verabschiedet am 6. Mai 1993 in New York, in: Europa-Archiv, 18(1993), S. D371D373. Die sechs Zonen waren um Sarajevo, Tuzla, Zepa, Gorazde, Bihac und Srebrenica.
658 Christopher zitiert in BARNES A Star is Born, S. 14. Vgl. auch PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der
USA, S. 139-140.
659 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 217 und PAULSEN Die Jugoslawienpolitik
der USA, S. 140-141.
660 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 138 und BARNES A Star is Born, S. 14.
128
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Truppen in den „Schutzzonen“ zu billigen (was am 4. Juni 1993 mit Resolution 836 geschah),
die Festhaltung an dem toten Vance-Owen-Plan und eine Warnung vor dem Übergreifen des
Konflikts auf Mazedonien. Die einzige Erwähnung eventueller amerikanischer militärischer
Macht in dem Dokument war entweder zum Schutz der UNPROFOR-Truppen oder als Teil
einer internationalen Präsenz in Mazedonien.661
Tatsächlich entsandte Clinton im Sommer 1993 300 US-Truppen für den UN-Einsatz in
Skopje, um dort als Stolperdraht zu funktionieren und dadurch die serbischen Truppen vor
einem Übergriff auf Mazedonien abzuschrecken. Die CIA hatte in April erneut vor einer
Einbeziehung der NATO-Partner Griechenland und die Türkei in einem breiteren Krieg
gewarnt, sollte Serbien in Mazedonien militärisch vorgehen. Die Stationierung wirkte ebenfalls
den britischen und französischen Unmut gegenüber der Nichtbeteiligung amerikanischer
Bodentruppen in Bosnien entgegen.662 Doch trotz des „Gemeinsamen Aktionsplans“ und der
Stationierung amerikanischer Truppen in Mazedonien, sorgte der Fortgang des Krieges für
eine Aufrechterhaltung der Spannung zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen
Verbündeten. Die Clinton-Administration ärgerte Europa durch ihre anhaltende Befürwortung
von „Lift and Strike“ ohne die Durchsetzung dieser Linie anzustreben. Die lediglich verbale
Unterstützung des aufgegebenen Entwurf sollte die USA scheinbar vor Vorwürfe der
Untätigkeit schützen.663 Dazu hielten die französischen Anschuldigungen gegenüber der
Nichtbeteiligung der USA an der UNPROFOR im Juli an.664 Unterdessen bereitete sich die
NATO in Juli auf den Schutz der UNPROFOR aus der Luft gemäß Resolution 836 des UNSicherheitsrats vor. Der Plan, der am 22. Juli umgesetzt wurde, hielt etwa 60 Flugzeuge (zur
Hälfte amerikanisch) bereit, um im Notfall durch Luftangriffen angeschossene UNPROFORTruppen zu beschützen.665
Über diesen begrenzten Plan hinaus, gewann jedoch ein erneuter amerikanischer Vorstoß
für eine weiterreichende Drohung mit Luftangriffen an Konturen. Ausschlaggebend dafür
661 Vgl. Gemeinsame Erklärung von fünf Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats über ein Aktionsprogramm
zur Befriedung Bosnien-Herzegowinas, veröffentlicht am 22. Mai 1993 in Washington, D.C., in:
Europa-Archiv, 18, S. D373-D374. Zur Billigung der Stationierung von UNPROFOR-Truppen in den
„Schutzzonen“, vgl. Resolution 836 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen über die Erweiterung
des Mandats von UNPROFOR in Bosnien-Herzegowina, verabschiedet am 4. Juni 1993 in New York,
in: Europa-Archiv, 18, S. D374-D377.
662 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 142-143.
663 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 146-147.
664 Vgl. GORDON Die deutsch-französische Partnerschaft, S. 58, insbes. F.N. #104.
665 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 148-149 und Presseerklärung des Generalsekretärs
der NATO, Manfred Wörner, nach der Sondertagung des Nordatlantikrats über die Lage in BosnienHerzegowina am 2. August 1993 in Brüssel, in: Europa-Archiv, 7, S. D214-D215.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
129
war ein Umdenken Warren Christophers. Da serbische Truppen ihre Positionen in den Bergen
um Sarajevo verbesserten und die Hauptstadt immer enger umzingelten, und wegen den
Warnungen vor einer humanitären Katastrophe in Bosnien in dem bevorstehenden Winter,
zog Christopher nun die bereits angedrohten Luftangriffe vor. Zusammen mit Albright und
Lake plädierte der Außenminister für strengere Maßnahmen, um die Erdrosselung Sarajevos
aufzuheben. Dabei ließen sie die US-Militärs nichts von ihren Bemühungen erfahren, damit
Colin Powell und andere Gegner einer Intervention den Vorschlag nicht unterminieren
konnten.666 Daß Präsident Clinton am 31. Juli den Plan zu eigen machte und um Unterstützung
der Verbündeten dafür warb, dürfte auch an der Zustimmung der amerikanischen Öffentlichkeit für multilaterale Luftangriffe gegen serbische Stellungen um Sarajevo gelegen haben.667
Zunächst nur von Deutschland, den Niederlanden, der Türkei und Island unter den NATOAlliierten unterstützt, wurde der amerikanische Entwurf zu einer Verhandlungsbasis für die
Ausarbeitung eines von allen NATO-Partnern tragbaren Plans. Durch Zugeständnisse der
USA, die vor allem auf eine enge Absprache aller eskalierenden Schritte mit den Vereinten
Nationen hinausliefen, kam es am 9. August zu einer Einigung des NATO-Rats.668 Die NATO
forderte die serbische Führung auf, die Belagerung Sarajevos zu beenden und beschloß
„geeignete Maßnahmen“ in Absprache mit der UN zu treffen, sollte dies nicht eingehalten
werden.669 Fünf Tage später erklärten die Serben, daß ihre Einheiten von den Bergen um
Sarajevo zurückgezogen waren. Damit hatte die NATO-Initiative Wirkung gezeigt, indem
sie den möglichen Sturz der bosnischen Hauptstadt verhindert hatte. Allerdings, aufgrund
der begrenzten Zielsetzung vermochte die Initiative weder eine Milderung des Krieges im
restlichen Bosnien-Herzegovina herbeizuführen, noch die Bedingungen für die Verteidigung
des bosnischen Staats zu begünstigen. Da die Politik der USA und des Westens lediglich um
Schadensbegrenzung bemüht war und die Bereitschaft zeigte, eine Aufteilung des bosnischen
Staats gegen den Willen der bosnischen Muslime hinzunehmen, traten im Laufe des Monats
666 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 150-151.
667 60% der amerikanischen Bevölkerung befürwortete diese Idee, während unilaterale Luftangriffe von
einer Mehrheit abgelehnt wurden. Vgl. SCHWEIGLER Die Außenpolitik, S. 558-559 und F.N. # 14.
Auch weil Colin Powell dem Ende seiner Karriere näherte, dürfte Clinton weniger Sorgen um den
Widerstand des Generals zu militärischen Maßnahmen gehabt haben.
668 Frankreich legte großen Wert auf eine enge Beteiligung der UN bei den militärischen Entscheidungen, weil Paris nicht an der integrierten Kommandostruktur der NATO teilnahm und im UN-Sicherheitsrat ein Vetorecht genoß. Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 151-154.
669 Allerdings müßte eine Entscheidung für Luftangriffe eine komplizierte Befehlskette durchlaufen,
einschließlich der Zustimmung des UN-Generalsekretärs. Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der
USA, S. 154, 156-157 und Beschlüsse des Nordatlantikrats zu den Genfer Verhandlungen und zu
Bosnien-Herzegowina, am 9. August 1993 in Brüssel verabschiedet, in: Europa-Archiv, 7, S. D216D217.
130
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
August 1993 mehrere Diplomaten des State Departments unter Protest zurück.670 Die
Zurückhaltung der Clinton-Administration bei ihrer Jugoslawienpolitik dauerte trotzdem an.
Präsident Clinton wollte sich im Herbst 1993 auf seine Initiative für Gesundheitsreform sowie
auf die Ratifizierung des North American Free Trade Agreements (NAFTA) im Senat
konzentrieren. Somit hatte er wenig Zeit und wenig politisches Kapital für einen energischeren
Vorstoß in der internationalen Jugoslawienpolitik übrig.671 Die Administration schien damit
zufrieden zu sein, die Ergebnisse der von EG-Vermittler David Owen und dem neuen UNVermittler Thorwald Stoltenberg geleiteten Verhandlungen in Genf abzuwarten.
Der Owen-Stoltenberg-Plan ging zurück auf einen im Juni 1993 von Slobodan Miloševiæ
und Franjo Tudjman verfaßten Entwurf, der auf dem Kopenhagener Gipfeltreffen der EG
im gleichen Monat als Verhandlungsbasis widerwillig angenommen wurde. Der im August
1993 von Owen und Stoltenberg vorgelegte vorläufige Friedensentwurf spiegelte die
Kriegsverhältnisse wider, indem die bosnischen Serben beispielsweise 52% des Territoriums
erhalten sollten und dadurch, daß der Anschluß der drei vorgesehenen Teilstaaten an
Nachbarrepubliken nach einer Übergangsfrist erlaubt werden sollte.672 Der Plan scheiterte
allerdings an der Ablehnung durch das bosnische Parlament am 29. September. Präsident
Clinton, trotz seiner Untätigkeit bei der Suche nach einer Friedenslösung, welche die
Ergebnisse der ethnischen Säuberungen und des Aggressionskriegs nicht anerkannt hätte,
zeigte Verständnis für die bosnische Ablehnung des Owen-Stoltenberg-Plans.673 Allerdings
zeigte Clinton nach einigem Zögern zumindest verbale Unterstützung für die „Kinkel-JuppéInitiative“ im Herbst 1993, die versuchte, durch Zuckerbrot und Peitsche die bosnische
Regierung doch noch zu der Annahme des Owen-Stoltenberg-Plans zu bewegen. Aber auch
diese Initiative vermochte es nicht, das Ende des Krieges in Bosnien näher zu bringen.674
Weil der Krieg und die Greueltaten in Bosnien-Herzegovina andauerten, hielten auch die
Unstimmigkeiten unter den NATO-Verbündeten an. Auf dem NATO-Gipfel am 10. und 11.
Januar 1994 in Brüssel drängte Paris auf ein größeres Engagement Washingtons im Jugoslawienkonflikt, während die USA das Thema Bosnien nicht besprechen wollten. Es gelang
den Staats- und Regierungschefs schließlich, eine Einigung zu erzielen, die jedoch auf eine
Drohung mit Luftangriffen im Falle einer erneuten serbischen Umzingelung Sarajevos und
670
671
672
673
674
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 159-160.
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 159-160.
Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 196-199 und MOORE Endgame, S. 17-19.
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 160.
Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 160-161 und CALIC Krieg und Frieden in BosnienHercegovina, S. 199-201. Mehr zur „Kinkel-Juppé-Initiative“ unter Punkt 4.3.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
131
eine Untersuchung weiterer militärischer Maßnahmen begrenzt blieb.675 Als Außenminister
Christopher am Ende des Monats nach Frankreich reiste, warf der französische Außenminister
Alain Juppé den Vereinigten Staaten vor, daß sie durch ihre Zurückhaltung gegenüber den
europäischen Friedensbemühungen den bosnischen Muslimen Hoffnung auf eine Intervention
gemacht hätten. Nach Ansicht Juppés verlängerte diese Ermutigung der bosnischen Regierung
den Krieg. Während die Clinton-Administration die Vorwürfe vehement ablehnte, bekräftigte
Christopher, daß die USA weiterhin bis zu einer von allen Kriegsparteien akzeptierten
Friedenslösung keine Bodentruppen nach Bosnien entsenden würden und keine Führung bei
eventuellen Luftangriffen gegen serbische Stellungen ausüben wollten.676
Wie schon mehrmals zuvor, bedürften die USA und andere westliche Länder eines blutigen,
fernsehwirksamen Vorfalls in Bosnien, um die Empörung der Öffentlichkeit auszulösen, bevor
energische Schritte in der Jugoslawienpolitik gemacht werden konnten. Dieses Mal war es
der Einschlag einer serbischen Mörsergranate auf dem zentralen Marktplatz in Sarajevo am
5. Februar 1994, bei dem 68 Menschen starben und über 200 verletzt wurden, der die
internationale Gemeinschaft aufrüttelte. Zunächst schien sich bei der Entschlossenheit
Präsident Clintons von einer aktiveren Rolle in der Jugoslawienpolitik abzusehen, wenig
geändert zu haben. So charakterisierte er den Krieg am 7. Februar erneut als Stammeskonflikt,
was implizierte, daß Außenseiter wenig Einfluß auf das Geschehen haben konnten: „Solange
diese Leute nicht müde werden, sich nacheinander umzubringen, werden weiterhin schlimme
Sachen passieren.“677 Auch seine Weigerung, die bosnischen Serben als die verantwortliche
Kriegspartei für das Massaker anzuerkennen war Ausdruck seines Willens, Forderungen des
Kongreß und der Öffentlichkeit nach Vergeltungsschlägen der NATO entgegenzuwirken.678
Dagegen drängten Außenminister Christopher, UN-Botschafterin Albright und der Nationale
Sicherheitsberater Lake auf Luftangriffe gegen die bosnischen Serben. Der energische
französische Einsatz für ein Ultimatum an die Serben, welches die Belagerung Sarajevos
beenden sollte, und wiederholt das Engagement der USA in der Jugoslawienpolitik forderte,
675 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 161.
676 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 161-163.
677 Clinton zitiert in: „Washington will die NATO für Luftangriffe in Bosnien gewinnen“, in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 9.2.1994, S. 1-2 (1).
678 Radovan Karadziæbehauptete, die Muslime hätten auf sich selbst geschossen, um NATO-Luftangriffe
gegen die Serben auszulösen. Daß seine These keine Glaubwürdigkeit besaß, hätte nicht zuletzt daran
ersichtlich sein müssen, daß die bosnischen Serben zu dieser Zeit auch die „Schutzzone“ Tuzla
wiederholt beschossen. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.2.1994, S. 1 und zur Behauptung
Karadziæs: „Nach dem Massaker von Sarajevo Rufe nach Schlägen gegen die serbischen Belagerer“,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.2.1994, S. 1-2 (1).
132
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
trug auch zu einer Neuorientierung der Clinton-Administration bei.679 Am 8. Februar einigten
sich Frankreich und die USA für die am folgenden Tag stattfindende Dringlichkeitssitzung
des NATO-Rats auf eine gemeinsame Position zu Luftangriffen gegen die Serben. Binnen
24 Stunden stimmten die bosnischen Serben dem Abzug ihrer schweren Artillerie aus der
Umgebung Sarajevos zu. Um den Abzug zu sichern, setzten sich Washington und Paris auf
der Sitzung des NATO-Rats am 9. Februar, entgegen Bedenken aus Kanada, Großbritannien
und Griechenland mit einem Ultimatum an die bosnischen Serben durch.680 Demnach sollten
nach zehn Tagen schwere Waffen aller Parteien, die sich noch in einem Umkreis von 20 km
von Sarajevo befänden und nicht der Kontrolle der UNPROFOR unterstellt wären, durch
Luftschläge der NATO zerstört werden.681 Nun schaltete sich Rußland in die Verhandlungen
ein und trotz einer ablehnenden Haltung zum NATO-Ultimatum, forderte Präsident Jelzin
Miloševiæ und Karadziæ auf, ihre schweren Waffen von Sarajevo abzuziehen. Durch eine
versprochene Verlegung von 400 russischen UNPROFOR-Soldaten von Kroatien nach
Sarajevo, gab Moskau den Serben eine gesichtsbewahrende Gelegenheit, dem NATOUltimatum nachzukommen.682 Beim Ablauf der Frist am 21. Februar 1994 bestätigte NATOGeneralsekretär Manfred Wörner, daß alle schweren Waffen um Sarajevo entweder zurückgezogen waren oder unter Aufsicht der UNPROFOR standen.683
Präsident Clinton beteuerte nunmehr, daß die USA doch strategische Interessen im
ehemaligen Jugoslawien hätten: die Verhinderung einer Ausweitung des Konflikts, die
Eindämmung von Flüchtlingsströmen, humanitäre Interessen und die Glaubwürdigkeit der
NATO als „Friedensmacht in Europa“ nach dem Kalten Krieg.684 Die stärkere Einbeziehung
Rußlands in die internationalen Bemühungen um eine Lösung des Konflikts, sprach auch für
ein stärkeres Engagement der USA.685 Vor allem auf Druck der Franzosen, kündigte Clinton
679 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 163-164 und Erklärung des französischen Außenministers, Alain Juppé, nach der EU-Ratstagung am 7. Februar 1994 in Brüssel vor der Presse zu
Bosnien-Herzegowina (Auszüge). In: Europa-Archiv. 7, S. D227-D229.
680 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 164-165.
681 Vgl. Beschluß des Nordatlantikrats vom 9. Februar 1994 über ein Ultimatum zum Abzug aller
schweren Waffen von Sarajevo, in: Europa-Archiv, 7, S. D229-D230, insbesondere Punkte 6 und 10.
682 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 166-167, Erklärung des russischen Außenministeriums zur Lage im Bosnien-Konflikt vom 17. Februar 1994, in: Europa-Archiv, 7, S. D231-D232 und
ANDREJEVICH, S. 10-11.
683 Vgl. Presseerklärung des Generalsekretärs der NATO, Manfred Wörner, nach dem Auslaufen des
NATO-Ultimatums zum Abzug schwerer Waffen aus dem Raum um Sarajevo am 21. Februar 1994 in
Brüssel, in: Europa-Archiv, 7, S. D232-D233.
684 Clinton zitiert in WIELAND Clintons neue Doppelstrategie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,
12.2.1994, S. 10.
685 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 169-170.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
133
die Bereitschaft der Vereinigten Staaten an, bei den Friedensverhandlungen in Genf eine
größere Rolle zu spielen und zum ersten Mal den Verhandlungsdruck auf die bosnische
Regierung zu erhöhen sowie eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen gegen Restjugoslawien bei Verhandlungsfortschritten zu erwägen.686
Die serbische Führung hatte nach zwei Jahren des Krieges in Bosnien-Herzegovina gelernt,
daß die gemeinsame Befürwortung militärischer antiserbischer Maßnahmen durch die
beteiligten Staaten wegen Unstimmigkeiten und mangelnder Führung in der interntionalen
Gemeinschaft nie von langer Dauer war. Erst eine Woche nach dem Rückzug ihrer schweren
Waffen um Sarajevo stellten die Serben die Entschlossenheit der NATO erneut vor eine
Zerreißprobe. Am 28. Februar starteten sechs serbische Jagdbomber von der Krajina, um
Angriffe in Bosnien zu fliegen. Zwei amerikanische F16-Jäger schossen vier der sechs
serbischen Flugzeuge ab, gemäß der UN-Flugverbotszone über Bosnien. Rußland übte keine
Kritik an dem ersten bewaffneten Einsatz der NATO seit ihrer Gründung; vielmehr gab das
russische Außenministerium Radovan Karadziæ während eines fünftägigen Besuchs Anfang
März in Moskau zu verstehen, daß die Serben nicht den automatischen Rückhalt Rußlands
genossen.687
Der Druck auf die bosnischen Serben nahm im Frühjahr 1994 weiter zu, als unter der
Führung von Vizepräsident Gore Verhandlungen zwischen der bosnischen Regierung, den
bosnischen Kroaten und Kroatien stattfanden, um engere Bindungen zwischen Muslime und
Kroaten zu schaffen. Am 1. März 1994 unterzeichneten Vertreter der drei Parteien ein
Rahmenabkommen in Washington, das die Errichtung einer Föderation zwischen den
Muslimen und Kroaten in Bosnien und einer Konföderation zwischen Bosnien-Herzegovina
und Kroatien vorsah. Am 18. März unterzeichneten Tudjman und Izetbegoviæ das endgültige
Washingtoner Abkommen, das den bosnischen Serben ausdrücklich offen blieb.688 Die
686 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 165-166 und WIELAND Clintons neue Doppelstrategie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.2.1994, S. 10.
687 Vgl. MOORE The Croatian-Muslim Agreements, S. 22, CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 182 und Kommuniqué über den Aufenthalt des Anführers der bosnischen Serben, Radovan
Karadziæ, vom 28. Februar bis 3. März 1994 in Moskau, in: Europa-Archiv, 21, S. D606.
688 Vgl. MOORE The Croatian-Muslim Agreements, S. 20-24, Glenny, S. 101-102, PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 167-168 und Rahmenabkommen zwischen der bosnischen Regierung und
den bosnischen Kroaten sowie zwischen der Bosnischen Föderation und der Republik Kroatien,
unterzeichnet am 1. März 1994 in Washington, in: Europa-Archiv, 7, S. D239-D248. Trotz des
Abkommens blieben die Spannungen zwischen Muslime und Kroaten in der herzegovinischen Stadt
Mostar weiterhin angespannt, als die extrem nationalistischen Kroaten Herzegovinas (im Gegensatz
zu der gemäßigten Mehrheit der Kroaten in Zentralbosnien) einem Zusammenleben mit den Muslimen widerstrebten. Vgl. MOORE Endgame, S. 20, CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina,
S. 211-212 und NEUDECK Menschenrechtstragödien, S. 37.
134
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Vereinbarung, die v.a. unter massivem amerikanischem Druck auf Kroatien (vermittelt durch
Gore, den neuen US-Sonderbeauftragten für Bosnien, Charles Redman und den US-Botschafter in Zagreb, Peter Galbraith) zustande kam, bereitete den Weg für einen weiteren
Schritt der amerikanischen Diplomatie vor, der den Druck auf die Serben verschärfen sollte,
ohne den Einsatz amerikanischer Bodentruppen zu riskieren.
In April 1994 schlug Präsident Tudjman Galbraith und Redman vor, daß der Iran über
Kroatien Waffen an die bosnische Regierung schicken könnte.689 Der Nationale Sicherheitsberater Lake besprach die Idee mit Präsident Clinton und dem stellvertretenden Außenminister
Strobe Talbott. Clinton traf die Entscheidung, daß Galbraith und Redman dem kroatischen
Präsidenten ausrichten sollten, sie hätten „keine Anweisungen“ aus Washington erhalten. Dies
ist ein diplomatischer Ausdruck, der „grünen Licht“ gleichkommt. Die darauffolgenden
geheimen iranischen Waffenlieferungen, welche die Streitkräfte Bosniens und Kroatiens
stärkten (Kroatien nahm einen großen Anteil der Waffen ab), dauerten bis 1996 an. Die
Bereitschaft Clintons in April 1994 einen Streit mit den Verbündeten und einen Zugang Irans
nach Europa für verbesserte militärische Chancen der bosnischen Regierung zu riskieren,
deutet auf die große Bedeutung einer Beilegung der Jugoslawienkrise für die Administration
hin. Sie war jedoch weiterhin nicht bereit, die Führung des Westens bei eigenen durchgreifenden militärischen Maßnahmen zu übernehmen. Auch dies kam in April 1994 zum
Vorschein.
Nach dem Abschuß der vier serbischen Flugzeuge Ende Februar forderten die bosnischen
Serben die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft in April erneut heraus. Die
schweren Waffen, die sie von Sarajevo zurückgezogen hatten, richteten sie nun auf die UN„Schutzzone“ Gorazde in Ostbosnien.690 Als die entsetzlichen Bilder von Zivilisten unter
Beschuß wieder in den westlichen Medien erschienen, kam es erneut zu Beratungen um
mögliche Luftangriffe der NATO. Innerhalb der Clinton-Administration herrschte Uneinigkeit.
Während der neue Verteidigungsminister William Perry in einem Interview am 3. April eine
militärische Intervention zur Verhinderung des Falls der „Schutzzone“ scheinbar ausschloß
und John Shalilkashvili (der Colin Powell ersetzt hatte) am nächsten Tag feststellte, daß „die
Bedingungen in Gorazde zum jetzigen Zeitpunkt einen Luftwaffeneinsatz nicht ratsam
erscheinen lassen“, widersprach ihnen Anthony Lake am 7. April: „Lassen Sie mich deutlich
sein. Weder der Präsident noch seine Berater schließen den Einsatz der Luftwaffe aus, um
689 Zur folgenden Darstellung, vgl. RISEN / MCMANUS Clinton Approved Deal With Iran to Arm
Bosnians, in: International Herald Tribune, 6./7.4.1996, S. 2 und DEVROY U.S. Did Nothing Improper About Arms for Bosnia, Clinton Insists, in: International Herald Tribune, 11.4.1996, S. 3.
690 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 182-183.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
135
zu helfen, Angriffe wie jene auf Gorazde zu stoppen.“691 Bei Fortdauer der Beschießung der
Schutzzone billigte UN-Generalsekretär Boutros-Ghali einen Einsatz der NATO. Die sehr
begrenzten Luftangriffe auf serbische Panzer um Gorazde erfolgten am 10. und 11. April.
Als Rußland den Einsatz stark kritisierte und London und Paris Sorgen um die Sicherheit
ihrer UNPROFOR-Truppen äußerten, wußten die bosnischen Serben die Spaltungen in der
internationalen Gemeinschaft zu vertiefen. So stellten sie in den folgenden Tagen 150
UNPROFOR-Soldaten und -Beobachter unter „Hausarrest“ und General Mladiæ kündigte
an, daß bei weiteren NATO-Einsätzen die bosnisch-serbische Armee auf die Flugzeuge
schießen würde.692 Am 15. April lehnte Präsident Clinton einen Einsatz der NATO ab: „um
der einen oder anderen Seite Vorteile zu verschaffen“.693 Dieses „grüne Licht“ an die
bosnischen Serben fiel mit einem verschärften Angriff auf Gorazde zusammen. Weitere
NATO-Luftangriffe scheiterten an der aufwendigen Befehlshierarchie der Vereinten Nationen
und serbische Panzer rollten am folgenden Tag in die „Schutzzone“.694 Der NATO-Rat
beschloß schließlich am 22. April 1994, die bosnischen Serben ultimativ aufzufordern, ihre
schwere Waffen von Gorazde zurückzuziehen; zusätzlich erklärte er seine Bereitschaft,
militärische Maßnahmen zum Schutz der übrigen „Sicherheitszonen“ durchzuführen.695 Weil
der UN-Sonderbeauftragte für Bosnien, Akashi, nach dem Ablauf der Frist zwei Tage später
Hinweise für den Abzug der Serben erkannte, kam es nicht zu NATO-Luftangriffen.
Indessen verlagerten sich die Vermittlungen weg von der EU und UN. Bereits auf einem
internationalen Treffen zur Koordinierung der Jugoslawienpolitik am 22. Februar 1994 in
Bonn, fanden, trotz der Vertretung aller EU-Staaten, die wesentlichen Gespräche unter den
Repräsentanten von fünf Ländern statt: den USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und
Deutschland.696 Am 25. April einigten sich diese Länder nach einem russischen Vorstoß auf
die Gründung einer „Bosnien-Kontaktgruppe“, deren Ziel es sein sollte, eine Friedenslösung
auf den Verhandlungsweg herbeizuführen. Damit stellte sie einen deutlichen Schritt weg von
691 Lake und Shalikashvili zitiert in: „Landesweite Waffenruhe wird nicht eingehalten“, in: Süddeutsche
Zeitung, 9./10.4.1994, S. 2. Vgl. auch das Zitat Perrys in: DOHERTY U.S. Policy on Use of Force
Puzzles Many Lawmakers, in: Congressional Quarterly, 16.4.1994, S. 906.
692 Vgl. „Serben setzen Angriffe auf Gorazde fort. Panzer stoßen in des Stadtgebiet vor“, in: Süddeutsche
Zeitung, 18.4.1994, S. 1.
693 Clinton zitiert in JOFFE Eine Studiengruppe für Gorazde, in: Süddeutsche Zeitung, 19.4.1994, S. 4.
694 Vgl. JOFFE Eine Studiengruppe für Gorazde, in: Süddeutsche Zeitung, 19.4.1994, S. 4 und „Serben
setzen Angriff auf Gorazde fort. Panzer stoßen in das Stadtgebiet vor“, in: Süddeutsche Zeitung,
18.4.1994, S. 1.
695 Vgl. Entscheidung des NATO-Rates vom 22. April 1994 in Brüssel zu Gorazde, in: Europa-Archiv,
21, S. D626-D627 und Entscheidung des NATO-Rates vom 22. April 1994 in Brüssel zum Schutz der
UN-Schutzzonen in Bosnien-Herzegowina. In: Europa-Archiv, 21, S. D627-D629.
696 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 169.
136
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Überlegungen einer militärischen Intervention dar.697 Die Kontaktgruppe hatte jedoch den
Vorteil, daß die Präsenz der wichtigsten internationalen Akteure im Jugoslawien-Konflikt
an einem Tisch, den Kriegsparteien erschwert hatte, diese gegeneinander auszuspielen.698
Anders als bei den früheren Entwürfen für eine umfassende Friedenslösung im ehemaligen
Jugoslawien, entstand der Plan der Kontaktgruppe vom 5. Juli 1994 ohne Beteiligung der
Kriegsparteien. Der Plan war an einen „friedlichen Ultimatum“ geknüpft, welches ein Katalog
von Anreizen und Strafen im Falle der Annahme bzw. der Ablehnung des Plans durch die
bosnische Regierung und die bosnischen Serben darstellte. Beispielsweise wurde Wiederaufbauhilfe für die bosnische Regierung bei der Akzeptanz und ein Verlust an internationaler
Unterstützung bei einer Ablehnung des Plans vorgesehen; für die bosnischen Serben waren
entsprechende Maßnahmen beispielsweise eine schrittweise Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegenüber Restjugoslawien bzw. die eventuelle Aufhebung des Waffenembargos
gegenüber der bosnischen Regierung bei Abzug der UNPROFOR. Die Kriegsparteien
erhielten zwei Wochen von der Kontaktgruppe, um ihre Entscheidungen zu treffen.699
Der Entwurf hielt an der territorialen Integrität Bosnien-Herzegovinas fest, obwohl
aufgeteilt zwischen der muslimisch-kroatischen Föderation (51%) und den bosnischen Serben
(49%). Einzelheiten der vorgesehenen verfassungsrechtlichen Ordnung wurden nicht
festgelegt. Sarajevo sollte vorübergehend unter UN-Verwaltung und Mostar unter EUVerwaltung stehen. Während die Kroaten dem Plan sofort zustimmten und die Muslime ihn
widerwillig annahmen, lehnten die bosnischen Serben den Plan strikt ab (vor allem weil die
ihnen zugewiesenen 49% des Territoriums nicht den 70% entsprach, die sie erobert hatten).700
Angesichts der serbischen Ablehnung des Entwurfs, besprach die Bosnien-Kontaktgruppe
am 30. Juli, welche Konsequenzen sie ziehen sollte. Die Vertreter der fünf Länder konnten
sich allerdings lediglich auf ein schwaches Kommuniqué einigen, das die Verschärfung schon
vorhandener Sanktionen gegen Restjugoslawien versprach und alte Warnungen wiederholte.701
Weil die Serben jedoch Ende Juli wiederholt schwere Artillerie in die UN-„Schutzzonen“
697 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 201 und MOORE Bosnian Partition Plan,
S. 1.
698 Vgl. NEVILLE-JONES Dayton, S. 46.
699 Vgl. Kommuniqué des Außenministertreffens der Kontaktgruppe zu Bosnien-Herzegowina am 5. Juli
1994 in Genf, in: Europa-Archiv, 21, S. D634-D636 und Erklärung des russischen Außenministers,
Andrej Kozyrew, auf der Pressekonferenz zu den Ergebnissen des Treffens der Kontaktgruppe am 5.
Juli 1994 in Genf, in: Europa-Archiv, 21, S. D636-D637.
700 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 202-206 und MOORE Bosnian Partition
Plan, S. 1-2.
701 Vgl. Kommuniqué des Treffens der Jugoslawien-Kontaktgruppe am 30. Juli 1994 in Genf, in: EuropaArchiv, 21, S. D638-D639 und Moore , S. 2-5.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
137
bewegten, flog die NATO am 5. August erneut einen begrenzten Angriff auf ein serbisches
Ziel.702 Die bosnischen Serben lenkten daraufhin vorübergehend ein, aber ohne den Willen,
durchgreifende militärische Maßnahmen gegen die bosnischen Serben einzuleiten, war die
führungslose internationale Gemeinschaft nicht in der Lage, das Ende des Krieges und der
Brutalitäten herbeizuführen.
4.2.4. Scheitern der westlichen Jugoslawienpolitik
Die Führungslosigkeit in der internationalen Jugoslawienpolitik dauerte ein weiteres Jahr an.
Der Zeitraum bis Spätsommer 1995 war entsprechend durch gegenseitige Schuldzuweisungen
unter den NATO-Partnern und einen erheblichen Verlust an der Glaubwürdigkeit der USA,
der NATO und der UN gekennzeichnet, als in Bosnien ein neues Ausmaß an Greueltaten
erreicht wurde.
Unterschiedliche Haltungen gegenüber einer Aufhebung des Waffenembargos trugen
wiederholt zu den transatlantischen Spannungen bei. In dieser Frage stand die ClintonAdministration unter erheblichem Druck durch den US-Kongreß. Bei der Bestimmung des
Verteidigungshaushalts für 1995 mußte die Administration im August 1994 auf einem
Kompromiß eingehen, wonach sie auf eine Aufhebung des Waffenembargos bei der UN
hinarbeiten sollte, wenn die Serben den Friedensplan der Kontaktgruppe weiterhin ablehnten.
Wenn der UN-Sicherheitsrat bei Fortführung des Krieges bis zum 15. November das
Waffenembargo gegen die bosnische Regierung nicht aufgehoben hätte, dann hätte die
Administration die amerikanische Teilnahme an der Vollstreckung des Waffenembargos über
die NATO einstellen müssen.703 Als die Clinton-Administration dieser Anweisung dann Mitte
November folgte, stieß der Schritt auf heftige Kritik Großbritanniens und Frankreichs. London
und Paris sahen in dem amerikanischen Rückzug aus dem gemeinsamen NATO/WEU-Einsatz
in der Adria eine Gefahr für ihre UNPROFOR-Truppen, da die Serben daran eine Parteinahme
des Westens im Konflikt sehen und Vergeltungsschläge auf die UNPROFOR ausführen
könnten. Zudem mißfiel ihnen die unilaterale Natur des Rückzugs, den sie auch für strategisch
702 Vgl. MOORE Bosnian Partition Plan, S. 3.
703 Der Vorsitzende des Streitkräfteausschußes im Senat, Sam Nunn (D) war Hauptautor der Kompromißformel. Das Repräsentantenhaus hatte im Juni eine unilaterale Aufhebung des Waffenembargos
verbunden mit Waffenlieferungen an die bosnische Regierung verlangt. Vgl. 1994 Congressional
Quarterly Almanac, S. 448-449 und Brief des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton, vom 10.
August 1994 an Senator Sam Nunn über eine mögliche Aufhebung des Waffenembargos gegen
Bosnien-Herzegowina, in: Europa-Archiv, 21, S. D639-D640.
138
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
falsch hielten, weil sie der Meinung waren, daß zusätzliche Waffen in Bosnien den Krieg nur
verschärfen würden.704 Die Beendigung der amerikanischen Teilnahme an der Vollstreckung
des Waffenembargos gegen Bosnien hatte somit eine Bedeutung über den JugoslawienKonflikt hinaus. Die Episode entsprach weder dem Führungsanspruch der Vereinigten Staaten
in der NATO, noch der von Washington verfochtenen Vorrangstellung der Allianz in der
europäischen Sicherheit.
Im November 1994 kam es auch wieder zu einem NATO-Luftangriff. Die bosnischen
Serben in Zusammenhang mit kroatischen Serben und den Anhängern von Fikret Abdic (einem
Muslim, der im September 1993 eine separatistische Bewegung im Nordwesten Bosniens
geführt hatte und enge Beziehungen zu den bosnischen Serben unterhielt) eine Offensive
gegen die „Schutzzone“ Bihac.705 Während das Ausmaß der humanitären Katastrophe in der
Enklave sich über mehrere Wochen verschärfte, konnten sich die UNPROFOR und NATO
nicht auf militärische Maßnahmen einigen. Nachdem die NATO schließlich am 21. November
einen begrenzten Luftangriff auf einen Militärflughafen der Serben in Kroatien flog, nahmen
die bosnisch-serbischen Truppen unter General Mladiæ über 100 UNPROFOR-Soldaten als
Geiseln fest und forderte die Einstellung der NATO-Luftangriffe. Trotz des anfänglichen
amerikanischen Drucks auf verstärkte Rückschläge, konnten London und Paris nicht überredet
werden und die NATO und UN gaben nach; die „Schutzzone“ Bihac blieb den bosnischen
Serben ausgeliefert. Die CIA warnte in diesem Zusammenhang US-Verteidigungsminister
Perry: „Wir riskieren nicht nur den Verlust Bosniens, sondern auch der NATO.“706
Das Versagen der NATO und der Vereinten Nationen in Bihac löste eine neue Runde der
transatlantischen Schuldzuweisungen aus:
„[…T]he mutual recriminations that were exchanged across the Atlantic late in 1994 grew
out of the frustrations engendered by policies that were virtually guaranteed to fail to produce
a negotiated settlement. The ,discussion’ of the disaster in Bosnia has been conducted in terms
that aggravate rather than mitigate the severity of the crisis for NATO.“707
Nach einem Bericht der New York Times warfen (unbekannte) Mitglieder der ClintonAdministration Paris und London vor, sie hätten auf eine Niederlage der bosnischen Regierung
704 Vgl. COX U.S. Foreign Policy, S. 78-79.
705 Vgl. VOLLMER Dayton, S. 4 und SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 98-99. Zu Fikret Abdiæ,
vgl. (außer Schönfeld): ANDREJEVICH The Bosnian Muslim Leader, S. 16-20.
706 Bericht der CIA zitiert in: VOLLMER Dayton, S. 5. Vgl. auch SCHULTE Former Yugoslavia, S. 23.
707 So SLOAN U.S. Perspectives, S. 226.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
139
in Bihac gehofft, damit die Muslime ihre Territoriumsverluste hinnehmen würden. Der
französische Außenminister Juppé warf den USA vor, daß sie die bosnische Regierung mit
Waffen belieferten.708 Auszüge eines Memorandums von dem Nationalen Sicherheitsberater
Lake Ende November (veröffentlicht in der New York Times ) stellten die Unglaubwürdigkeit
von NATO-Drohungen wegen des Widerstands Großbritanniens und Frankreichs fest. Lake
schlug eine Wende der amerikanischen Politik zurück zu rein diplomatischen Mitteln vor,
die der Administration dann tatsächlich vollzog.709 Auf einem Gipfeltreffen der KSZE Anfang
November in Budapest zeigte Präsident Clinton Einigkeit mit den NATO-Verbündeten in
der Bosnienpolitik.710 Die Administration war damit zufrieden, die Ergebnisse eines privaten
Vermittlungsversuchs des ehemaligen Präsidenten Jimmy Carters Ende Dezember abzuwarten,
als Raketen der bosnischen Serben weiterhin in der „Schutzzone“ Bihac explodierten. Die
von Carter vermittelte Feuerpause scheiterte allerdings binnen weniger Tage.711
Das Einlenken Clintons konnte angesichts der anhaltenden Kämpfe und den ethnischen
Säuberungen in Bosnien-Herzegovina den Streit mit den Verbündeten nur wenig entschärfen,
zumal die amerikanische Kritik aus dem US-Kongreß an Paris und London auf schärfste Weise
anhielt. Vor allem Bob Dole (seit dem Beginn des Jugoslawienkonflikts ein konsequenter
Verfechter des Rechts der bosnischen Regierung auf Selbstverteidigung) attackierte die
britische und französische Haltung. Er forderte nach wie vor eine Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien, notfalls unilateral. Seit den Kongreßwahlen am 8. November 1994
als die Republikanische Partei die Kontrolle beider Kammern des Kongresses von den
Demokraten erobert hatte, war der Einfluß Doles als vorgesehener Mehrheitsführer im Senat
gestiegen. Im Vorfeld seiner Präsidentschaftskandidatur reiste Dole im November nach
Europa, wo er die Jugoslawienpolitik Großbritanniens und Frankreichs (sowie Clintons)
öffentlich kritisierte. Der britische Verteidigungsminister, Malcolm Rifkind, reagierte mit
erneuter Kritik an der Nichtbeteiligung Amerikas an der UNPROFOR: „It ill becomes people
in countries who have not provided a single soldier on the ground to make that kind of
criticism.“712 Weil Dole eine Abstimmung des Senats zur einseitigen Aufhebung des Waffe-
708 Vgl. SCHILD Die USA und der Bürgerkrieg, S. 28-29.
709 Vgl. SCHILD Die USA und der Bürgerkrieg, S. 28 und TOWELL / DOHERTY Republicans Lay Siege To
Clinton’s Policy, in: Congressional Quarterly, 3.12.1994, S. 3452-3453.
710 Vgl. SCIOLINO Clinton’s Hope Meets Harsh Yeltsin Reply, in: International Herald Tribune,
6.12.1994, S. 1-8.
711 Carter war auf Einladung Karadziæs nach Bosnien gereist. Vgl. SCHÖNFELD Auf dem Wege nach
Dayton, S. 99-100 und „Erster Hoffnungsschimmer für Bosnien. Carter vermittelt eine Feuerpause“,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.12.1994, S. 1-2.
712 Rifkind zitiert in: TOWELL / DOHERTY Republicans Lay Siege To Clinton’s Policy, in: Congressional
Quarterly, 3.12.1994, S. 3452-3453 (3453). Vgl. auch LANE The Last Interventionist, S. 19-20.
140
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
nembargos versprach und weil die Truppen der Vereinten Nationen von den bosnischen
Serben zunehmend belästigt wurden, begannen Gespräche über den möglichen Abzug der
UNPROFOR aus Bosnien.713
Schon im Frühjahr 1994 hatte die NATO angefangen, Eventualpläne für die Sicherung eines
Rückzugs der UNPROFOR zu treffen.714 Unter den neuen Bedingungen begannen im
Dezember die britischen und französischen Außenminister öffentlich über einen Abzug zu
sprechen, und Präsident Clinton erklärte seine Bereitschaft bis zu 25.000 Soldaten für diesen
Fall einzusetzen.715 Am 12. Januar 1995 erhielten Gedanken an einem solchen Einsatz neuen
Auftrieb durch die Mitteilung Präsident Tudjmans, daß nach Ablauf des UNPROFORMandats für die Präsenz in Kroatien am 31. März, dieses von Zagreb nicht verlängert werden
würde. Durch Druck aus den USA konnte Tudjman allerdings dazu gebracht werden, gegen
den entsprechenden Beschluß des kroatischen Parlaments sein Veto einzulegen.716
Der Zeitraum von Mai bis einschließlich Juli 1995 markierte den Tiefpunkt der amerikanischen und internationalen Jugoslawienpolitik. Die „Nadelstich“-Luftangriffe der NATO
in Absprache mit der UNPROFOR zeigten keine politische Wirkung mehr. Die Ereignisse
in Gorazde und Bihac hatten der NATO ihre Glaubwürdigkeit bei den bosnischen Serben
gekostet.
Ende April sperrten die bosnischen Serben den Flughafen Sarajevos für die Vermittler der
UN und der Kontaktgruppe. In Mai setzten sie ihre schweren Angriffe auf die „Schutzzonen“,
einschließlich Sarajevo, fort. Auf Drängen der USA konnten Ende Mai wieder begrenzte
Luftangriffe der NATO gebilligt werden; am 25. und 26. Mai zerstörten NATO-Flugzeuge
Munitionsdepots der bosnischen Serben in der Nähe von Pale.717 Daß diese einzelnen
Bombardierungen in kleinem Umfang ihre Wirkungslosigkeit verloren hatten, konnten an der
Reaktion der bosnischen Serben deutlich erkannt werden. Sie töteten daraufhin 70 Zivilisten
mit einem Granatenangriff auf die „Schutzzone“ Tuzla, und nahmen 300-400 UNPROFOR-
713 Vgl. KOSOVA Get Out, S. 10 und MEIERS Germany, S. 88.
714 Vgl. „Bundeswehr-Einsatz steht nicht auf der Tagesordnung“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,
14.12.1994, S. 1-2.
715 Vgl. FITCHETT Security Talks End in Disarray Over Bosnia War, in: International Herald Tribune,
7.12.1994, S. 1 und 6. Das Angebot Clintons galt nur für einen Einsatz unter Führung der NATO.
Frankreich wollte, daß die UN den Oberbefehl bei einer solchen Operation behalten würde. Vgl.
SCHULTE Former Yugoslavia, S. 24 und „Bundeswehr-Einsatz steht nicht auf der Tagesordnung“, in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.12.1994, S. 1-2.
716 Wegen des bevorstehenden Falls von Bihac, der eine Vereinigung der bosnisch- und kroatischserbischen selbstproklamierten Staaten erlauben könnte, wollte Kroatien den Abzug der UNPROFOR
aus der Krajina, um dort militärisch vorzugehen. Vgl. dazu SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton,
S. 99-100 und „Zwischen allen Fronten“, in: Der Spiegel, 30.1.1995, S. 72-73.
717 Vgl. VOLLMER Dayton, S. 11-12 und SCHILD Die USA und der Bürgerkrieg, S. 29.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
141
Soldaten als Geiseln fest. Die NATO-Luftangriffe wurden folglich eingestellt, als sich die
UNPROFOR vor weiteren serbischen Feindseligkeiten zurückschreckte und die transatlantischen Beziehungen erneut unter Schuldzuweisungen litten; Paris und London warfen
den USA vor, sie würden durch ihre Forderungen nach Luftschlägen der NATO die
UNPROFOR-Geiseln gefährden und Washington bemängelte die Vorkehrungen der Europäer
für den Schutz ihrer eigenen Truppen.718
Die wiederholte Zwangslage der UNPROFOR führte erneut zu Gespräche über ihren
eventuellen Abzug. Beispielsweise erklärte der britische Premierminister John Major: „If the
fighting escalates to a degree where it is impossible to do the job at an acceptable risk, they
should withdraw.“719 Auch der neue französische Präsident, Jacques Chirac und (nun
Premierminister) Alain Juppé zogen einen Rückzug ihrer Truppen aus Bosnien in Betracht.
Am 31. Mai erklärte Präsident Clinton seine Bereitschaft, amerikanische Truppen vorübergehend nach Bosnien zu entsenden, entweder um eine Reorganisierung der UNPROFOR
(mit einer Stärkung durch schwere Waffen) oder deren Abzug zu decken. Weil Clinton die
starke negative Reaktion des Kongresses auf seine Ankündigung offenbar unterschätzt hatte,
relativierte Clinton sein Angebot drei Tage später durch die Verknüpfung eines möglichen
amerikanischen Einsatzes an mehrere restriktive Bedingungen.720 Das Angebot zielte nicht
zuletzt auf eine Beruhigung der Europäer bezüglich der Gefahren für ihre Soldaten. Durch
eine Zusage an amerikanischer Hilfe, erhoffte sich Clinton aus eigenem Interesse eine
Fortsetzung des UN-Einsatzes: „President Clinton seemed frozen between his fear that
Sarajevo would fall on his watch and his fear that bombing, and hostage-taking, would trigger
Britain and France to pull out - leaving Clinton without the U.N. fig leaf he needed to cover
his own lack of a policy.“721
Der Verbleib der UNPROFOR in Bosnien wurde Anfang Juni durch die Schaffung eines
„schnellen Eingreifverbands“ (RRF – „Rapid Reaction Force“) weiter begünstigt. Eine
Initiative Frankreichs und Großbritanniens (und später von den Niederlanden mitgetragen),
stellte die RRF eine schwer bewaffnete Streitkraft dar, die im Notfall die UNPROFOR
718 Vgl. SCHILD Die USA und der Bürgerkrieg, S. 29, VOLLMER Dayton, S. 12 und LANE National
Insecurity, S. 16-17.
719 Major zitiert in: CLARK UN, NATO Raise Stakes Over Bosnia, in: Financial Times, 27./28.5.1995, S.
1.
720 Der Abschuß eines amerikanischen Flugzuegs am 2. Juni trug zu Ängsten im Kongreß vor einer
vertieften amerikanischen Verwicklung bei. Vgl. SCHILD Die USA und der Bürgerkrieg, S. 29-30 und
DOHERTY Bosnian War Propels Congress, Clinton Toward Own Battle, in: Congressional Quarterly,
3.6.1995, S. 1587.
721 So LANE National Insecurity, S. 17. Georg Schild teilt diese Einschätzung. Vgl. SCHILD Die USA und
der Bürgerkrieg, S. 29-30.
142
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Unterstützung bieten sollte. Die Existenz der RRF sollte ferner ein gewisses Abschreckungspotential gegenüber den bosnischen Serben haben. In Zusammenhang mit der Schaffung der
RRF (vom UN-Sicherheitsrat am 15. Juni gebilligt) sollte eine größere räumliche Konzentrierung der UNPROFOR ihre Sicherheit verbessern.722 Obwohl die neuen Maßnahmen dem
Schutz der UNPROFOR dienten, standen die „Schutzzonen“ nach wie vor unter schwerem
Beschuß.
Nach den Geiselnahmen der UNPROFOR-Truppen in Mai und Juni 1995 signalisierten
Beamte der Vereinten Nationen, daß es keine weitere NATO-Luftangriffe zum Schutz der
„sicheren Zonen“ geben würde. Der am 3. Juni von dem bosnisch-serbischen „Außenminister“
bekanntgegebene Quid pro quo der UN für die Freilassung ihrer Geiseln schien von der
Weltorganisation akzeptiert zu sein (trotz anderslautender offizieller Beteuerungen). Dazu
sicherte der UN-Sonderbeauftragte Yasushi Akashi nach der Billigung der RRF von dem UNSicherheitsrat dem Serbenführer Karadziæ zu, daß diese vermeintlich robustere Truppe den
gleichen Spielregeln wie die UNPROFOR unterlag.723 Damit war das „grüne Licht“ für die
schwerwiegendsten Verbrechen des Konflikts gegeben. Der Sonderberichterstatter der UNMenschenrechtskommission Mazowiecki berichtete später:
„Die Bombardierung der Enklave von Srebrenica begann in vollem Umfang am Donnerstag,
den 6. Juli, und an dem darauffolgenden Donnerstag hatten die bosnisch-serbischen Truppen
die Stadt erreicht. Zu diesem Zeitpunkt waren Tausende von Frauen und Kindern auf der Suche
nach Schutz im UNPROFOR-Lager angekommen. In dieser Menge befanden sich nur wenige
Männer. Das Lager, das von Menschen wimmelte, wurde am Nachmittag mit Granaten
beschossen.“724
Die holländischen UNPROFOR-Truppen, stationiert in Srebrenica, hatten am 8. Juli schwere
NATO-Luftangriffe gegen die attackierenden serbischen Truppen angeordnet, aber Akashi
722 Vgl. Abgestimmte Zusammenfassung des Vorschlags Frankreichs, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 8, S. 1013, Resolution 998
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 15. Juni 1995, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 8, S. 1014-1015, die Aussage von US-Verteidigungsminister Perry vor dem Streitkräfteausschuß
des Senats am 7.6.1995 in: Defense Issues. (Im Internet:
http://www.defenselink.mil/pubs/di_index.html).Vol. 10, Nr. 60 und NEVILLE-JONES Dayton, S. 4748.
723 Vgl. LANE National Insecurity, S. 18.
724 Bericht des Sonderberichterstatters der UN-Menschenrechtskomission, Tadeusz Mazowiecki, zur Lage
der Menschenrechte im ehemaligen Jugoslawien vom 22. August 1995, in: Internationale Politik, 12,
S. 94-103 (94).
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
143
und der Oberbefehlshaber der UNPROFOR in Bosnien, General Bernhard Janvier, billigten
lediglich „Nadelstich“-Luftangriffe, die erst am 11. Juli erfolgten. Srebrenica fiel am gleichen
Tag. In der Folge wurden 38.000 bis 42.000 Muslime von Srebrenica vertrieben; die Männer
im wehrpflichtigen Alter wurden jedoch von dem Rest der Gruppe abgetrennt. Nachdem sie
zu einem Fußballplatz gebracht wurden (wo General Mladiæ selbst anwesend war), brachten
sie bosnisch-serbische Truppen auf umliegende Felder, wo sie systematisch erschossen
wurden.725 Mehrere Massengräber fielen amerikanischen Spionenflugzeugen sofort auf; bis
März 1996 hatten Analytiker 32 möglichen Massengräber um Srebrenica ausgemacht.726
Das fatale Scheitern der bisherigen westlichen Jugoslawienpolitik bestätigte sich wenige
Tage nach dem Fall Srebrenicas mit dem Fall der „Schutzzone“ Zepa. Die bosnischen Serben
zeigten sich zuversichtlich. So erklärte Radovan Karadziæ: „Unsere Souveränität ist das
Minimum. Ob die Welt es will oder nicht - unsere Vereinigung mit Serbien ist nur eine Frage
der Zeit.“ Ratko Mladiæ erklärte ferner: „Bis zum Herbst erobern wir Gorazde, Bihac und
schließlich Sarajevo und beenden den Krieg in Bosnien.“727
Seit dem Beginn des Jugoslawienkonflikts, hatten die Vereinigten Staaten zu verschiedenen
Zeiten ihre humanitären Interessen in Bosnien hervorgehoben. Mehrmals wurde auch
bekräftigt, daß Änderungen der völkerrechtlichen Grenzen Bosnien-Herzegovinas nicht
akzeptabel wären, da dies unter anderem ein falsches Signal an mögliche Aggressoren um
die Welt geben würde. Dazu betonten die USA wiederholt ihre Interessen an der Aufrechterhaltung der Rolle der NATO als primärer Garant der europäischen Sicherheit und als Basis
für das amerikanische Engagement in Europa. Am Ende Juli 1995 mußte die ClintonAdministration alle diese Ziele als höchst gefährdet erkennen. Die westliche Welt hatte
zugeschaut als Bosnien nach und nach zerstückelt wurde; Völkermordsvorgänge hatte sie
hingenommen und die Glaubwürdigkeit der NATO stand in Frage als die „Verbündeten“
gegenseitige Schuldzuweisungen austauschten.728
Weil die USA sich als Führer der transatlantischen Allianz verstanden, trugen sie die
Hauptverantwortung für das Scheitern der westlichen Jugoslawienpolitik. Der mangelnde
725 Vgl. Internationale Politik, 12, S. 95-96, SPASOVSKA Flüchtlingsdrama, S. 182-183, LANE The Fall,
S. 14-17 und LANE National Insecurity, S. 16-18. Zu Berichten, daß die USA im Voraus von den
befohlenen Massenhinrichtungen wußten sowie daß Belgrad dahinter stand, vgl. „Befahl Belgrad
Massaker in Srebrenica?“ In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.1995, S 2.
726 Einschätzungen der Anzahl der Todesopfer bei dem Fall Srebrenicas liegen zwischen 6.000-8.000.
Vgl. ATKINSON NATO and the Valley of Death, in: International Herald Tribune, 12.3.1996, S. 7.
727 Karadziæund Mladiæzitiert in: REUTER Interessenlage, S. 5.
728 Zum Scheitern der westlichen Jugoslawienpolitik, vgl. AJAMI Beyond Words, S. 15-17, BRZEZINSKI
After Srebrenica, S. 20-21, CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 246-247 und
VOLLMER Dayton, S. 6-11.
144
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
politische Wille der Bush- und Clinton-Administrationen adäquate Mittel zur Erfüllung einer
Politik, die den von ihnen konstatierten amerikanischen Interessen im ehemaligen Jugoslawien
entsprachen, endete in einer Blamage.729 Bei den anderen NATO-Partnern mangelte es auch
an politischem Willen. Da sie jedoch nicht mit den USA vergleichbare politische und
militärische Mittel besaßen und daher nicht in der Lage gewesen wären eine gemeinsame Linie
gegenüber Jugoslawien in der Allianz durchzusetzen, sollen ihre Anteile an der Verantwortung
für die gescheiterte Politik niedriger eingestuft werden. Vor allem die Bundesrepublik
Deutschland hatte bis Ende Juli 1995 wenige Einflußmöglichkeiten in der Jugoslawienpolitik.
Dazu trug die mangelnde Führung der Vereinigten Staaten wesentlich bei.
4.3. Enge Grenzen deutscher Balkandiplomatie zwischen März 1992 und August 1995
In einer Hinsicht war die deutsche Jugoslawienpolitik zwischen März 1992 und August 1997
äußerst erfolgreich; sie vermied Vorwürfe seitens deutscher Nachbarn und Verbündeten, daß
die Bundesrepublik auf dem Balkan zu aggressiv vorgehe. Deutschland hatte aus dem
Anerkennungsstreit gelernt und hielt seine Jugoslawienpolitik in diesem Zeitraum innerhalb
der Grenzen seines Handlungsspielraums. Die dargestellte Führungsschwäche der Vereinigten
Staaten in dieser langen Phase des Jugoslawien-Konflikts trug auf dreifache Weise dazu bei,
daß dieser Handlungsspielraum eng definiert war.
In diesem Abschnitt soll diese Korrelation nachgezeichnet werden. Es wird gezeigt, daß
die deutsche Jugoslawienpolitik, die weitgehend an multilateralen Ansätze gebunden sein
mußte, oft nicht der von der Bundesrepublik bevorzugten internationalen Vorgehensweise
in Jugoslawien entsprach. Weil die USA der engagierten Politik fernblieb, gab es wenigere
Vorschläge für die Herbeiführung einer Friedenslösung, welchen sich die Bundesrepublik
hätte anschließen können. Damit mußte Bonn oft Initiativen widerwillig mittragen, die
deutschen Vorstellungen nicht entsprachen. Außerdem wirkte sich die Zurückhaltung der
USA auf die deutsche Jugoslawienpolitik insofern einschränkend aus, als löste der anhaltende
Krieg transatlantische Auseinandersetzungen aus. Bei den Spannungen zwischen den USA
einerseits und Frankreich und Großbritannien andererseits, blieb Bonn oft in einer unangenehmen Zwischenposition. Die dritte Art und Weise betraf die innenpolitische Debatte in der
Bundesrepublik um die Rolle der deutschen Streitkräfte in der Außenpolitik nach dem Ende
des Ost-West-Konflikts. Weitverbreitete geschichtlich begründete deutsche Hemmungen
gegenüber militärischen Mitteln als Werkzeuge der Diplomatie wurden durch die Abwesenheit
729 Vgl. NERLICH Neue Sicherheitsfunktionen, S. 667.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
145
Amerikas als die Führungsmacht in der NATO nicht herausgefordert. Damit war eine
übertriebene Selbsteinschränkung des deutschen Handlungsspielraums begünstigt.
Als Bestätigung der dargelegten drei Argumente werden episodenhafte Ansätze zu einer
Führungsrolle Amerikas in diesem Zeitraum untersucht. Beispielsweise bei den Bemühungen
James Bakers im Frühjahr 1992, bei der „Lift and Strike“-Initiative Präsident Clintons im
Frühjahr 1993 und bei den Verhandlungen zwischen Muslime und Kroaten ein Jahr später
unter der Führung von Vizepräsident Gore soll gezeigt werden, daß zu diesen Zeiten neue
deutsche Handlungsmöglichkeiten entstanden. Allerdings schwanden sie mit der jeweiligen
kurzfristigen Führungsbereitschaft der USA wieder.
Zunächst sollen jedoch die Tätigkeiten der Bundesrepublik dargestellt werden, die nicht
an den Grenzen ihres Handlungsspielraums lagen, sondern im mittleren Bereich. Im Bereich
der humanitären Hilfe sowie bei der Aufnahme von Flüchtlingen spielte Bonn eine herausragende Rolle. Zwischen Juli 1991 und Februar 1993 hatte die Bundesrepublik etwa 8%
(knapp DM 660 Millionen) der westlichen humanitären Hilfe geleistet und stand damit an
zweiter Stelle unter den einzelnen Geberländern nach den USA. Die EG deckte im gleichen
Zeitraum ein Drittel aller Kosten für die humanitäre Hilfe.730 Von ungefähr 3,5 Millionen
Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien hatte Deutschland bis Februar 1994 fast
340.000 aufgenommen. Diese Anzahl entsprach einem Drittel aller Flüchtlinge außerhalb des
Gebiets der ehemaligen SFRJ.731 Weil Deutschland unter den Ländern der EG bzw. EU einen
unverhältnismäßig großen Anteil der Flüchtlinge aufnahm, suchte Bonn eine bessere
Verteilung der Last mit den anderen Mitgliedsstaaten zu vereinbaren. Da die Bundesrepublik
jedoch nicht (bzw. später, nicht maßgeblich) an der internationalen militärischen Präsenz im
ehemaligen Jugoslawien beteiligt war, konnte diese Aufnahme der Flüchtlinge als Ausgleich
betrachtet werden.732
Wie schon bei Punkten 2 und 3 dargestellt, hatten unterschiedliche Ansichten gegenüber
den Konfliktsparteien im ehemaligen Jugoslawien die Suche nach einer gemeinsamen Haltung
der EG erheblich erschwert. Als Großbritannien und Frankreich, die beide den Krieg in
Bosnien-Herzegovina als Bürgerkrieg mit Schuldigen auf allen Seiten betrachteten, die
größten Kontingente für die UNPROFOR aufbrachten, gewannen ihre Ansichten an Gewicht.
Mit leicht bewaffneten Soldaten in potentiell gefährlichen Lagen fühlten sie eine Verant-
730 Vgl. MAULL Germany, S. 108.
731 Vgl. MAULL Germany, S. 108 und SCHMIDT The Former Yugoslavia, S. 47-50. Zu den einzelnen
Flüchtlingswellen und ihre Auslöser, vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 121123 und SPASOVSKA Flüchtlingsdrama, S. 182-187.
732 Vgl. ROSEFELDT Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik, S. 647-649.
146
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
wortung, jede vorgeschlagene härtere Linie gegen die Serben abzulehnen. Von den wichtigsten NATO-Partnern, waren es die USA und die Bundesrepublik Deutschland, die den Krieg
eher unter moralischen Gesichtspunkten betrachteten und Serbien bzw. die bosnischen Serben
als die Hauptschuldigen hervorhoben. Ironischerweise waren es ausgerechnet diese zwei
Staaten, die keine Bodentruppen in das ehemalige Jugoslawien entsandten.733 Während die
Nichtbeteiligung Deutschlands an der UNPROFOR geschichtlich verständliche und (bis zum
12. Juli 1994) vermeintlich verfassungsrechtliche Gründe hatte, war es im Falle Amerikas
Mangel an politischem Willen, der militärische Maßnahmen entsprechend den eigenen
Vorstellungen des Konflikts verhinderten.
Weil es die USA versäumten, bei der Suche nach einer Lösung im Jugoslawienkonflikt die
Führungsrolle einzunehmen, gewannen die Ansichten Frankreichs und Großbritanniens in
der westlichen Jugoslawienpolitik die Oberhand .734 Ihr bevorzugtes unparteiisches Vorgehen
in einem Krieg mit einem eindeutigen Aggressor hatte nicht nur fatale Konsequenzen für
Bosnien-Herzegovina (was spätestens im Juli 1995 auch in London und Paris erkannt wurde),
sondern entsprach auch nicht den Ansichten Bonns. Weil die USA jedoch nicht willens war,
ein Alternativkonzept konsequent durchzusetzen, mußte die Bundesrepublik oft diese
unparteiische Politik vertreten, an die sie nicht glaubte.
Schon im August 1992 auf der Londoner Jugoslawienkonferenz, äußerte sich die deutsche
Delegation besorgt, daß die Konferenz unter Leitung der EG und UN einen Frieden in
Bosnien auf Kosten der bosnischen Muslime anstrebte.735 Bonn zeigte auch wenig Vorliebe
für den Vance-Owen-Plan, der im Januar 1993 als Ergebnis der weiteren Verhandlungen unter
dem Dach der EG und UN entstand. In der Bundesrepublik stieß der Entwurf auf Ablehnung,
weil er als Hinnahme der serbischen Aggression und ethnischen Säuberung gesehen wurde.
Trotzdem genoß er die formale Unterstützung der Regierung Kohl/Kinkel: „The German
government had given its support to the Vance-Owen-Plan unenthusiastically, but saw no
alternative.“736
Als sich Präsident Clinton im Mai 1993 auf den „Gemeinsamen Aktionsplan“ einließ, war
sein Ziel die Aussöhnung mit Großbritannien, Frankreich und Rußland und nicht mehr die
Schaffung ausgeglichener militärischer Verhältnisse für die bosnische Regierung. Der Plan
nahm serbische Gebietseroberungen hin und im Gegensatz zu Clintons vorausgehender „Lift
733
734
735
736
Vgl. ART Why Western Europe Needs the United States and NATO, S. 35.
Vgl. GORDON Die deutsch-französische Partnerschaft, S. 60-61.
Vgl. MOORE The London Conference, S. 4.
Vgl. MAULL Germany, S. 106.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
147
and Strike“-Initiative wurde Deutschland kaum konsultiert.737 Die Bundesrepublik mußte nicht
nur zusehen, wie ihr der bevorzugte Plan wegen eines diplomatischen Rückzugs der USA
entzogen wurde, sondern wenig später wies Außenminister Christopher die Schuld für den
Krieg in Bosnien den Deutschen zu:
„There were serius mistakes made in the whole process of recognition of the
independence of the former Yugoslav states of Croatia and Slovenia and the Germans
bear a particular responsibility in persuading their colleagues and the European
Community […]. Many serious students of the matter think the beginning of the
problems we face here today stem from the recognition of Croatia and thereafter of
Bosnia.“738
Nach dem Scheitern des Vance-Owen-Plans durch die Ablehnung der bosnischen Serben,
drängten Frankreich und Großbritannien auf eine „Korrektur“ des Entwurfs, der den
serbischen Forderungen entgegenkommen sollte und welche auf eine Dreiteilung Bosniens
hinauslaufen würde. Weil kein Alternativentwurf in Sicht war und die Clinton-Administration
sich bereit zeigte, die Ergebnisse der ethnischen Säuberung mitanzuerkennen, stimmte
Deutschland in den Worten von Klaus Kinkel: „zähneknirschend und traurig“ dem Prinzip
hinter dem späteren Owen-Stoltenberg-Plan auf dem Kopenhagener Gipfeltreffen der EG
im Juni 1993 zu.739 Nachdem das bosnische Parlament den Owen-Stoltenberg-Plan Ende
September 1993 ablehnte, lenkte Bonn bei anhaltender amerikanischer Zurückhaltung weiter
den Vorstellungen seiner europäischen Partner ein. Die „Kinkel-Juppé-Initiative“, am Ende
November 1993 von der EU angenommen, stellte eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen
gegen Restjugoslawien in Aussicht, im Tausch für die Bereitschaft der Serben, den OwenStoltenberg-Plan mit Verbesserungen zugunsten der bosnischen Muslime zu akzeptieren.
Kinkel äußerte im Februar 1994 die Hoffnung, daß durch Einbeziehung der USA und der
NATO, der Verhandlungsdruck auf die bosnischen Serben erhöht werden könnte. Weil das
737 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 139 und GORDON Die deutsch-französische
Partnerschaft, S. 60.
738 Zitat Christophers aus der International Herald Tribune vom 19.6.1993, nachgedruckt in PAULSEN
Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 143. Vgl. auch S. 144-145 für die deutsche Reaktion, sowie:
„Trübungen zwischen Bonn und Washington. Kohl und Kinkel verwahren sich“, in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 19.6.1993, S.1-2 und „Christophers Sündenbock“. In: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 19.6.1993, S. 1.
739 Vgl. MEIER Die „ethnische Teilung“ ist jetzt völkerrechtlich sanktioniert, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 21.6.1993, S. 3.
148
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
vorgesehene Gebiet für die Muslime jedoch nur bei etwa einem Drittel Bosnien-Herzegovinas
lag, entschied sich die bosnische Regierung lieber weiterzukämpfen.740
Die Bosnien-Kontaktgruppe hatte trotz der Zusammenarbeit Bonns mit den vier wichtigsten
Partnern Deutschlands kaum Auswirkungen auf den deutschen Handlungsspielraum bei der
Jugoslawienpolitik. Die Beteiligung Amerikas an der Kontaktgruppe im Frühjahr 1994 stellte
eine Wende in der Politik der USA dar, weg von ihrer Bereitschaft, militärische Mitteln zum
Schutz der „Sicherheitszonen“ einzusetzen, die von Deutschland befürwortet worden war.
Deutschland war am Verhandlungstisch zwar gut vertreten, doch ohne amerikanische
Führungsrolle waren Verhandlungen mit der Option militärischer Sanktionen, so wie die
Bundesrepublik dies wünschte, nicht möglich. Mit der Ablehnung des Plans der Kontaktgruppe im Juli 1994 wurden keine nennenswerte Schritte gegen die Serben eingeleitet, weil
sich Rußland, Frankreich und Großbritannien dagegen stellten und Washington keinen
politischen Willen dazu zeigte.741
Die Bundesrepublik zeigte sich wiederholt an einer Aufhebung des Waffenembargos gegen
Bosnien interessiert. Bundeskanzler Kohl sprach sich schon im Januar 1993 dafür aus. Eine
unilaterale Aufhebung des Embargos durch die Bundesrepublik war u.a. wegen der historischen Belastung Deutschlands auf dem Balkan, sowie wegen strenger Gesetze gegen deutsche
Waffenlieferungen in Kriegsgebiete nicht denkbar. Um diese von ihr bevorzugte Politik
durchzuführen, hätte Bonn im multilateralen Rahmen vorgehen müssen. Die USA strebten
zeitweise auch eine Aufhebung des Embargos an, übten allerdings keine konsequente Führung
für die Verwirklichung dieser Maßnahme aus. Damit waren die Möglichkeiten für Bonn
begrenzt, an der Durchsetzung dieser Linie mitzuarbeiten. Zumal London und Paris eine
Aufhebung des Embargos wegen der damit verbundenen potentiellen Gefahren für ihre
UNPROFOR-Truppen vehement ablehnten, hatte Bonn ohne amerikanische Führung keine
Chance die Aufhebung zu realisieren.742
740 Vgl. Erklärung des deutschen Außenministers, Klaus Kinkel, zur Juppé-Kinkel-Initiative für den
Bosnien-Konflikt vom 18. Novmber 1993, in: Europa-Archiv, 7, S. D221-D222, CALIC Krieg und
Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 199-201, PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 160-161,
MAULL Germany, S. 107 und „Deutschland ist nicht nur Zuschauer“, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 11.2.1994, S. 12.
741 Vgl. MAULL Germany, S. 107-108, 115 und MOORE Bosnian Partition Plan, S. 2-3.
742 Vgl. v.a. GORDON Die deutsch-französische Partnerschaft, S. 60-61, insbes. F.N.#110, sowie MAULL
Germany, S. 109, 124. Als der US-Kongreß im Februar 1995 eine unilaterale Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien erwägte, plädierte Bundeskanzler Kohl allerdings gegen diesen Schritt.
Dies soll jedoch vor dem Hintergrund gesehen werden, daß ein Abzug der UNPROFOR nach einer
Aufhebung zu erwarten gewesen wäre. Damit zusammenhängend wären die Anforderungen der
NATO nach einer deutschen Beteiligung an der militärischen Deckung des Rückzugs dringlicher
geworden. Dies hätte die innenpolitische Debatte um eine Beteiligung der Bundeswehr in Jugoslawien
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
149
Wie bereits dargestellt, war die amerikanische Jugoslawienpolitik zwischen 1992 und Ende
Juli 1995 überwiegend durch Halbmaßnahmen gekennzeichnet, die den Eindruck außenpolitischer Aktivität erzeugen sollten, ohne dabei politische Risiken einzugehen. Es waren
allerdings risikobehaftete durchgreifende Maßnahmen, welche die internationale Jugoslawienpolitik für die Herbeiführung einer von allen Seiten akzeptierten Friedenslösung dringend
benötigte. Wie in den Punkten 4.1. und 4.2. gesehen, sorgte die Fortdauer des Krieges immer
wieder für Spannungen unter den NATO-Verbündeten, auch zu den Zeiten, als ihre Jugoslawienpolitik eindeutig die Aussöhnung untereinander zur höheren Priorität stellte als eine
Friedenslösung für Bosnien. Besonders zwischen den USA einerseits und Frankreich und
Großbritannien andererseits kam es immer wieder zu Schuldzuweisungen. Die Unstimmigkeiten zwischen den Verbündeten waren durch die amerikanische Führungsschwäche
verstärkt, da nur die Vereinigten Staaten in der Lage gewesen wären, eine wirksame
Friedenslösung im ehemaligen Jugoslawien durchzusetzen, welche den Schuldzuweisungen
ein Ende gesetzt hätte. Der anhaltende Streit zwischen ihren engsten Partnern zwang die
Bundesrepublik in eine Mittellage, in der sie weniger Handlungsspielraum in der Jugoslawienpolitik genoß.
Bei den erwähnten Bemühungen um eine Aufhebung des Waffenembargos, fand sich Bonn
auch in einer unangenehmen Lage zwischen ihren Verbündeten. Als sich Präsident Bush am
Ende seiner Amtszeit für eine Aufhebung des Waffenembargos aussprach, ohne jedoch eine
Führungsrolle zur Verwirklichung des Plans einzunehmen,743 setzte sich Bundeskanzler Kohl
ebenfalls für eine Aufhebung ein. Nach Protesten aus Großbritannien und Frankreich hielte
sich Bonn bei unveränderter Ansicht vorerst von weiteren Forderungen in dieser Frage
zurück.744 Ab Mai 1993 war die Aufhebung des Embargos für Präsident Clinton nur noch
Lippenbekenntnis. Trotzdem schrieb er im Juni an Bundeskanzler Kohl einer Bitte des
türkischen Präsidenten Demirel entsprechend: „Ich würde eindringlich bitten, daß Sie, wenn
Sie morgen (in Kopenhagen) mit ihren Kollegen zusammentreffen, eine Aufhebung des
Embargos unterstützen.“745 Als Kohl bei dem EG-Gipfel in Kopenhagen gemäß dieser
Aufforderung für eine Aufhebung des Waffenembargos plädierte, stieß er auf heftige Kritik
vor allem aus Großbritannien und Frankreich. Ein Mitarbeiter im Weißen Haus erklärte
verschärft, die auch innerhalb der Bundesregierung schon Meinungsverschiedenheiten hervorgehoben
hatten. Vgl. MEIERS Germany, S. 86-90, insbes. S. 88.
743 Dies wäre nach der verlorenen Wahl für Bush erheblich schwieriger gewesen.
744 Vgl. GORDON Die deutsch-französische Partnerschaft, S. 60, F.N. #110 und MAULL Germany, S. 109.
745 Clinton zitiert in: „Clintons Brief an Kohl zum Balkankrieg stiftet neue Verwirrung“, in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 24.6.1993, S. 1-2 (1).
150
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
gegenüber der New York Times: „Wir erwarteten nicht, daß die Europäer irgendwelche
Maßnahmen ergreifen würden. Sollte Kohl sie aber dazu bringen können, etwas zu unternehmen, dann wäre das o.k.“746 Auch wegen der Unterstützung der Clinton-Administration für
Luftschläge der NATO, ohne dabei die nötigen diplomatischen Mitteln gegenüber den
europäischen Verbündeten für einen durchgreifenden Einsatz einzusetzen, blieb Bonn in einer
schwierigen Lage. Die Bundesrepublik unterstützte die Luftangriffe, mußte aber auch
Rücksicht auf Paris und London nehmen.747
Die Abneigung Deutschlands gegenüber dem Einsatz eigener militärischer Mittel als
Werkzeug der Diplomatie definierte auch in dieser Phase des Jugoslawien-Konflikts im
wesentlichen Maße den deutschen Handlungsspielraum. Wie schon im Punkt 3. beschrieben,
sprachen sowohl deutsche Handlungen auf dem Balkan während des Zweiten Weltkriegs und
die aus ihnen entstandene historische Last, als auch eine zweifelhafte Auslegung des deutschen
Grundgesetzes seitens des Koalitionspartners FDP, gegen eine deutsche Beteiligung an
militärischen Maßnahmen im ehemaligen Jugoslawien.748 Diese Zurückhaltung im militärischen
Bereich schlug sich ferner in eine Eingrenzung sonstiger Handlungsmöglichkeiten der
Bundesrepublik: „[…I]n situations such as the one in the former Yugoslavia, political
influence will crucially depend on the willingness and ability to take risks. Germany could
take no risks, and its arguments could not expect to carry any weight.“749 Dennoch vergrößerte sich der deutsche Handlungsspielraum im militärischen Bereich erheblich im Verlauf
des Jugoslawien-Konflikts. Dies lag vor allem an der Beseitigung des verfassungsrechtlichen
Vorwands gegen Bundeswehreinsätze außerhalb der Vertragsgebiete der NATO und WEU
durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994. Danach konnte sich die
Bundeswehr im Rahmen der NATO, WEU, UN und KSZE an Auslandseinsätzen mit der
Zustimmung einer einfachen Mehrheit im Bundestag voll beteiligen.750
Die Bundesrepublik war zunächst (ab Juli 1992) an dem gemeinsamen Einsatz der WEU
und NATO in der Adria mit einem Schiff beteiligt.751 Die Bundeswehr nahm an den Hilfs-
746 Zitiert in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.6.1993, S. 1-2 (1). Vgl. auch PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 145-147.
747 Vgl. MAULL Germany, S. 110-111.
748 Auch die SPD und Die Grünen teilten eine enge Sicht der vom Grundgesetz erlaubten Einsätze.
749 So MAULL Germany, S. 120.
750 Vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Auslandseinsatz der Bundeswehr vom 12. Juli 1994,
in: Auswärtiges Amt (Hrsg.): Dokumente, 1949-1994. S. 1071-1080. Vgl. auch die Behandlung des
Inhalts der Entscheidung und der Reaktionen in: HACKER Integration, S. 257-270.
751 Auch wenn die Kriegsschiffe zu dieser Zeit Verletzungen der Wirtschaftssanktionen lediglich
beobachten sollten, klagte die SPD gegen die deutsche Beteiligung. Diese Anklage wurde zusammen
mit anderen vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 betroffen. Vgl. MAULL
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
151
flügen nach Sarajevo, die Überwachung der Flugverbotszonen über Bosnien, sowie an
Planungen für eine Evakuierung der UNPROFOR teil.752 Neue Schritte lösten immer wieder
heftige innenpolitische Debatten aus, obwohl sie immer von den Verbündeten als Lastenteilung gefordert waren. Insbesondere der AWACS (Airborne Warning and Control System)Einsatz (zunächst nur zur Überwachung der Wirtschaftssanktionen und ab April 1993 zur
Überwachung der Flugverbotszone) und die NATO-Planungen zur Deckung eines eventuellen
Abzugs der UNPROFOR, bei denen die Teilnahme von sechs deutschen Tornado-Jagdbombern vorgesehen war, waren in der Bundesrepublik äußerst umstritten.753 Auch nach der
Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen am 12. Juli 1994 gab es große Bedenken unter
der deutschen Bevölkerung, unter der Opposition im Bundestag und sogar in der Bundesregierung (besonders bei Außenminister Kinkel) gegenüber zusätzlichen deutschen militärischen Maßnahmen im ehemaligen Jugoslawien.754 Hierbei spielte die historisch bedingte
grundlegende Abneigung gegen militärische Gewalt als Mittel der Politik eine zentrale Rolle.
Die deutsche Öffentlichkeit blieb auch nach dem 12. Juli 1994 gegen deutsche Einsätze und
Kinkel hatte beispielsweise Bedenken, daß der erste Kampfeinsatz der Tornados ausgerechnet
auf dem Balkan und gegen Serben gerichtet sein sollte.755
Wegen der großen innenpolitischen Hemmungen in Deutschland gegenüber militärischen
Einsätzen, spielten die Verbündeten eine wichtige Rolle bei der Erweiterung deutscher
Handlungsmöglichkeiten im militärischen Bereich. Weil sich Frankreich und Großbritannien
meistens gegen verschärfte antiserbische Maßnahmen stellten (einschließlich verschärfter
Sanktionen zum Beginn des Krieges in Bosnien und der militärischen Durchsetzung der
Flugverbotszone bei ihrer Schaffung im Oktober 1992), erzeugten sie auch weniger Druck
auf Deutschland, sich an der militärischen Durchsetzung solcher Maßnahmen zu beteiligen.
Bei Zurückhaltung der USA, die generell eine härtere Linie befürworteten, blieb dieser Druck
auf die Bundesrepublik entsprechend niedriger.
Germany, S. 108-109.
752 Vgl. MAULL Germany, S. 111 und GORDON Die deutsch-französische Partnerschaft, S. 58-59.
753 Der AWACS-Einsatz löste eine Anklage der SPD und FDP aus, die gleichfalls am 12. Juli 1994 vom
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückgewiesen wurde.
754 Franz-Josef-Meiers hat die deutsche Zurückhaltung gegenüber den Anforderungen der NATO nach
einer Beteiligung deutscher Tornados im Falle des Abzugs der UNPROFOR gründlich dokumentiert.
Vgl. Meiers, S. 84-92. Vgl auch: „Bonn reagiert zurückhaltend auf die Anfrage der NATO“, in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.12. 1994, S. 1: „Bundeswehr Einsatz steht nicht auf der Tagesordnung“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.12.1994, S. 1 und „Einsatz ins Ungewisse“, in: Der
Spiegel, 30.1.1995, S. 68-79.
755 Vgl. MEIERS Germany, S. 84-86.
152
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Die drei eben dargestellten Arten, auf welche die amerikanische Führungsschwäche
zwischen März 1992 und dem Ende Juli 1995 den Handlungsspielraum der Bundesrepublik
Deutschland einengte, machten sich auch umgekehrt evident. In diesem Zeitraum gab es
gelegentlich Ansätze zu einer Führungsrolle der USA in der Jugoslawienpolitik. Wenn diese
nun untersucht werden, können sie die drei Auswirkungen bestätigen.
Erstens boten die punktuellen Führungserschienungen Washingtons neue Anhaltspunkte
für die Bundesrepublik, eine von ihr bevorzugte härtere Linie gegen die serbische Aggression
zu verfolgen. Schon während der Geberkonferenz für die GUS am 24. Mai 1992 kam eine
kurzlebige amerikanische Führungsrolle in der Jugoslawienpolitik für den deutschen
Handlungsspielraum zum tragen. Bonn unterstützte zu der Zeit die Einführung stärkerer
Wirtschaftssanktionen gegen Serbien durch die EG und UN, aber Frankreich und Griechenland lehnten diese ab. Mit dem Anerkennungsstreit frisch in Erinnerung konnte Deutschland
schwer auf seine Linie pochen. Bei dem ersten Treffen zwischen US-Außenminister Baker
und dem damals neuen deutschen Außenminister Kinkel, drängte Baker auf deutsche
Unterstützung für die auch von Amerika erwünschten Sanktionen. Kinkel erwiderte, daß seine
Regierung die amerikanische Haltung zwar teile und begrüße, Frankreich und Griechenland
würden aber große Schwierigkeiten bereiten.756 Wie schon beschrieben bewirkte die scharfe
Kritik Bakers an Frankreich und Griechenland auf der abschließenden Pressekonferenz das
Nachgeben dieser Länder, das wenige Tage später scharfe Wirtschaftssanktionen der EG und
UN erlaubte.757
Wie schon gesehen, entsprach der Vance-Owen-Plan nicht der von Deutschland bevorzugten Jugoslawienpolitik, da er serbische Gebietseroberungen anerkannte. Weil es jedoch
zunächst keinen Alternativplan gab, der den deutschen Vorstellungen entsprach, gab die
Bundesrepublik dem Vance-Owen-Plan ihre widerwillige formale Unterstützung. Als Warren
Christopher den Sechs-Punkte-Plan Clintons im Februar 1993 vorstellte, befürwortete
Bundeskanzler Kohl die neue Initiative sofort.758 Auch wenn der Plan nicht als Ersatz für den
Vance-Owen-Plan dienen sollte, markierte er eine neue Einbindung der USA in die Verhandlungen, was angesichts der Wahlkampfrhetorik Clintons bezüglich Bosnien, für Bonn
verheißungsvoll scheinen müßte. Die Bundesrepublik unterstützte auch die „Lift and Stike“Initiative trotz des großen Widerstands ihrer europäischen Verbündeten.759 Nachdem
756
757
758
759
Vgl. BAKER The Politics of Diplomacy, S. 646-647.
Siehe Punkt 4.1.
Vgl. MAULL Germany, S. 106.
Vgl. MAULL Germany, S. 109, GORDON Die deutsch-französische Partnerschaft, S. 60-61 und
PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 131.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
153
Präsident Clinton jedoch keinen ernsthaften Versuch zur Umsetzung seines Plans unternahm,
verschwand wieder die Möglichkeit für Bonn, auf eine Aufhebung des Waffenembargos gegen
Bosnien hinzuarbeiten.
Als die USA am Anfang August 1993 um Unterstützung bei den übrigen NATO-Mitgliedern für eventuelle Luftschläge gegen serbische Stellungen um die belagerte bosnische
Hauptstadt warb, gewann die Bundesrepublik wieder die Gelegenheit, sich für ihre favorisierte
Politik einzusetzen. Gegen den Widerstand Frankreichs und Großbritanniens gelang es den
Befürwortern von Luftschlägen, das NATO-Ultimatum vom 9. August 1993 durchzusetzen.760
Ohne den Vorstoß aus Washington wäre weder das Ultimatum noch eine deutsche Mitarbeit
an der Formulierung dieser, gegenüber den Serben härtere Linie möglich gewesen.
Die zweite Art und Weise, auf welche die nur ansatzweise vorhandene Führung der USA
in der Jugoslawienpolitik den Handlungsspielraum der Bundesrepublik Deutschland erweiterte, war die dadurch geschaffene Einigkeit unter den westlichen Verbündeten. Gerade
der Beschluß der NATO vom 9. August 1993 war für die einzigartige Durchsetzungskraft
der Vereinigten Staaten in der Allianz beispielhaft. Selbst Frankreich, dessen Ansichten in
der Jugoslawienpolitik wesentlich von denen der USA abwichen, lernte dies im Verlauf des
Jugoslawien-Konflikts zu schätzen. Hatte Paris während des Krieges im 1992 in Kroatien
alles versucht, um die Rolle der WEU zuungunsten der NATO (und damit der USA)
hervorzuheben, mußten die Franzosen nun erkennen, daß ohne ein Engagement Amerikas
und der NATO keine Einigung in der Jugoslawienpolitik zu erzielen war.761 Paris kam zu dem
Schluß, daß ohne eine Einigung keine effektive Maßnahmen im ehemaligen Jugoslawien
ergriffen werden konnten. So erklärte der französische Außenminister Alain Juppé im Februar
1994:
„Wir möchten die Vereinigten Staaten und Rußland in […] den laufenden diplomatischen Prozeß eng miteinbeziehen. Wie Sie wissen, fordert Frankreich dies seit langem
und ganz besonders seit einigen Wochen, weil es festgestellt hat, daß die Abwesenheit
Amerikas und Rußlands keinen Erfolg zugelassen hat, trotz der Bemühungen, die
wir unternommen haben.“762
760 Vgl. PAULSEN Die Jugoslawienpolitik der USA, S. 151-152 und MAULL Germany, S. 110.
761 Vgl. ART Why Western Europe Needs the United States and NATO, S. 34 und LARRABEE Western
Strategy, S. 14.
762 Erklärung des französischen Außenministers, Alain Juppé, nach der EU-Ratstagung am 7. Februar
1994 in Brüssel vor der Presse zu Bosnien-Herzegowina (Auszüge), in: Europa-Archiv, 7, S. D227D229 (D227-D228). An Juppés weiteren Bemerkungen ist es auch ersichtlich, daß angesichts der von
Serben ausgeübten Brutalitäten im Verlauf des Krieges, diese bei der französischen Regierung jede
Sympathie verloren hatten.
154
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Ein Monat zuvor war der britische Außenminister Douglas Hurd nach Washington gereist,
um eine aktive amerikanische Rolle bei den Bosnien-Verhandlungen in Genf zu fordern.763
Eine amerikanische Führungsrolle in der Jugoslawienpolitik brachte jedoch Haltungen in den
Mittelpunkt der Debatte mit sich, die von den Ansichten Großbritanniens und Frankreichs
abwichen. Weil dies von Paris und London als Preis für eine gemeinsame Haltung der Allianz
in Kauf genommen wurde, hatte Deutschland größere Freiheit, seine bevorzugten Positionen
in der Jugoslawienpolitik zu vertreten.
Durch die Herausforderung der deutschen Zurückhaltung gegenüber der Beteiligung an
militärischen Maßnahmen wirkte die punktuelle Führung der USA auf den Handlungsspielraum der Bundesrepublik im ehemaligen Jugoslawien auf eine dritte Art erweiternd. Weil
die USA strengere Maßnahmen gegen die serbische Aggression forderten als Frankreich und
Großbritannien, kam es in Perioden amerikanischer Führung eher zu Beschlüssen für den
Einsatz militärischer Mittel und damit einhergehend eher zu Aufforderungen an die Bundesrepublik, sich dabei zu beteiligen.764 Deutschland war beispielsweise an den Abwürfen von
Hilfsgütern über Ostbosnien beginnend in Februar 1993 beteiligt, die auf Initiative der ClintonAdministration zustande kamen.765 Der AWACS-Einsatz der Bundeswehr ging gleichfalls
auf Initiativen der USA zurück - die Schaffung der Flugverbotszone im Oktober 1992 und
die militärische Vollstreckung der Flugverbotszone, durchgesetzt am Ende März 1993. Zudem
ermutigte der US-Kongreß die Bundesrepublik mehrmals im Laufe des Konflikts auch
militärisch eine größere Rolle zu spielen. Beispielsweise stimmte der Senat im Februar 1994
mit 96 zu 1 Stimmen für eine Resolution, die Deutschland aufforderte, an Bemühungen zur
Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der internationalen Sicherheit und internationalen
Frieden voll teilzunehmen.766 Schon im Juni 1992 pochte Senator Biden (D) auf eine
763 Vgl. NEVILLE-JONES Dayton, S. 46.
764 Eine Ausnahme waren die Planungen der NATO Ende 1994 für den eventuellen Abzug der UNPROFOR. Zu dieser Zeit amerikanischer Zurückhaltung erging die Forderung der NATO an die
Bundesrepublik nach einer Beteiligung Deutschlands an dem möglichen Einsatz mit sechs TornadoFlugzeugen ein. Allerdings waren es auch in diesem Falle die USA, die ein besonders großes Interesse
an einer deutschen Mitwirkung zeigten. Im US-Kongreß machte die künftige republikanische Führung
eine deutsche Beteiligung sogar zur Bedingung für die eventuelle amerikanische Teilnahme an dem
Einsatz. (Clinton hatte dem Kongreß ein de facto Vetorecht in der Frage eingeräumt.) Vgl.
„Bundeswehr-Einsatz steht nicht auf der Tagesordnung“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,
14.12.1994, S. 1-2.
765 Vgl. GORDON Die deutsch-französische Partnerschaft, S. 58.
766 Vgl. MEIERS Germany, S. 83.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
155
Beteiligung Deutschlands und Frankreichs im Falle einer westlichen Intervention gegen die
Serben. Allerdings erkannte er, daß dies ohne amerikanische Führung nicht erfolgen könnte.767
Eine konsequente amerikanische Führung in der Jugoslawienpolitik blieb bis Ende Juli 1995
jedoch aus. Damit verbunden blieb der deutsche Handlungsspielraum in engen Grenzen.
Während die Bundesrepublik keine durchgreifende Maßnahmen einsetzen konnte, lag die
Zurückhaltung der USA an einem mangelnden politischen Willen, der zwei Präsidentschaften
überschnitt. Die tragischen Folgen der von den Vereinigten Staaten verfolgten Beschwichtigungspolitik in Bosnien erreichten ihren Höhepunkt mit den Grausamkeiten von Srebrenica.
Die öffentliche Empörung mußte mit anderen Faktoren kombiniert werden, um ein „Fenster
der Gelegenheit“ für eine Wende in der internationalen Jugoslawienpolitik zu schaffen.768
Präsident Clinton ergriff diese Gelegenheit.
5. Rückkehr einer konsequenten amerikanischen Führungsrolle auf dem Balkan und
neue deutsche Einflußmöglichkeiten
5.1. Umdenken der Clinton-Administration und Durchsetzung einer diplomatischen
und militärischen Offensive
Nach den Ereignissen in Bosnien-Herzegovina zwischen Mai und Ende Juli 1995, entstand
ein immenser innenpolitischer Druck auf Bill Clinton. Wenn auch die Schreckensbilder aus
Bosnien ihre Wirkung mehrmals zuvor zeigten, war sie dieses Mal einmalig. Die UNPROFOR
hatte den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit in Srebrenica und Zepa verloren. Die leicht
bewaffnete Truppe war zur Zielscheibe der bosnischen Serben geworden, während diese sie
zugleich instrumentalisiert hatten, um Luftschläge der NATO abzuwenden. Mit der zunehmenden Bereitschaft Frankreichs und Großbritanniens, ihre Kontingenten aus Bosnien zurückzuziehen, schien ein Abzug der UNPROFOR unvermeidlich. Präsident Clinton sah sich mit
der Wahrscheinlichkeit konfrontiert, daß er im Rahmen des geplanten NATO-Einsatzes zur
Deckung des Abzugs 20.000-25.000 amerikanische Soldaten nach Bosnien entsenden
mußte.769 Dazu kam, daß die Empörung in der amerikanischen Öffentlichkeit sowie des US-
767 Vgl. die Bemerkungen Bidens in: TOWELL Senators Broach Using Military to Quiet Bosnia-Herzegovina, in: Congressional Quarterly, 13.6.1992, S. 1714-1715.
768 Vgl. in diesem Sinne, CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 242-243 und ZIMMERMANN Origins of a Catastrophe, S. 231-232.
769 Vgl. RUDOLF Bosnien, S. 67-68, DAALDER Anführer, S. 10 und SCHILD Die USA und der Bürgerkrieg, S. 30-31.
156
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Kongresses nach dem Fall der „Schutzzonen“ groß war. Im Kongreß schlug diese in
Unterstützung für einen Gesetzentwurf um, der Clinton gezwungen hätte, das Waffenembargo
gegen die bosnische Regierung einseitig aufzuheben. Der Präsident legte sein Veto gegen
eine solche bindende Resolution ein, es zeichneten sich aber 2/3-Mehrheiten in beiden
Kammern ab, die dieses Veto überstimmt hätten. Eine unilaterale Aufhebung des Embargos
durch die USA hätte nicht nur die NATO vor eine schwere Zerreißprobe gestellt, sondern
auch den Abzug der UNPROFOR und damit den Einsatz amerikanischer Bodentruppen um
so wahrscheinlicher gemacht.770 Somit stand Clinton vor einer Entscheidung, die durch das
bevorstehende Wahljahr an Bedeutung gewann. Er mußte entweder bei einer Fortführung
der halbherzigen Jugoslawienpolitik eine Niederlage in der Embargofrage hinnehmen und
Bodentruppen nach Bosnien zur Deckung des Abzugs der UNPROFOR entsenden, oder einen
neuen Weg in der Jugoslawienpolitik einschlagen.771
Auch wenn das innenpolitische Motiv für die Veränderung der amerikanischen Rolle in
Jugoslawien von großer Bedeutung war, soll nicht außer Acht gelassen werden, daß es auch
weitere wichtige Gründe gab, die dafür sprachen:
„Die Auffassung mancher Kritiker, das Dayton-Abkommen sei primär zustandegekommen wegen Clintons Interesse an seiner Wiederwahl 1996, greift zu kurz. Die
Führungsrolle und die Sicherheitsinteressen der USA sowie das Schicksal der NATO
standen in Bosnien auf dem Spiel; die bisherige Diplomatie war am Ende; der Krieg
drohte, Interessensgegensätze mit den Europäern, in der NATO und mit Rußland
bedrohlich werden zu lassen.“772
Zusätzlich belastete die wachsende Überzeugung der islamischen Staaten, daß Amerika
Bosnien deshalb nicht retten wolle, weil es um Muslime ging, die amerikanischen Beziehungen
zu diesen Staaten und bedrohte die amerikanische Nahost-Politik.773
„Beyond Europe, the entire Islamic world, from Morocco to Indonesia, is watching
to see how events unfold in Bosnia. Muslims are watching to see whether or not their
770 Vgl. KOSOVA Get Out, S. 10, RUDOLF Bosnien, S. 68 und DAALDER Anführer, S. 10.
771 Vgl. RUDOLF Bosnien, S. 68, Raffone, S. 235, DAALDER Anführer, S. 10 und SCHILD Die USA und
der Bürgerkrieg, S. 18.
772 So VOLLMER Dayton, S. 18. Raffone gehört zu denen, die wahltaktische Gründe alleine hinter der
Wende in der Bosnien-Politik der Administration sehen. Vgl. RAFFONE Der Weg nach Dayton, S.
235.
773 Vgl. SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 105.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
157
co-religionists in Bosnia will be accorded the same rights and protections as other
Europeans.“774
Über die politischen Interessen Clintons und die gefährdeten sicherheitspolitischen und
moralischen Interessen der USA hinaus, waren bis Ende Juli 1995 Bedingungen entstanden,
die das Umdenken der Clinton-Administration begünstigten. Erstens stellte die schon
erwähnte größere Akzeptanz Frankreichs für die NATO als primäre sicherheitspolitische
Organisation in Europa dar. Besonders aktiv in der Jugoslawienpolitik zeigte sich im Sommer
1995 der neue französische Präsident Jacques Chirac.775 Das französische Eintreten für
verschärfte antiserbische Maßnahmen und die neue Akzeptanz aus Paris für die Rolle der
NATO erleichterten es der USA eine Führungsrolle in der Jugoslawienpolitik einzunehmen.
Zweitens war das gewachsene militärische Potential der bosnischen und kroatischen
Regierungen von ausschlaggebender Bedeutung für die gesteigerten Chancen einer Konfliktbeilegung. Schon am Anfang 1994 wurde deutlich, daß die Truppen der bosnischen
Regierung wesentlich stärker waren als zu Beginn des Konflikts.776 Auch im Mai 1995 hatte
die kroatische Armee ihre neue Stärke demonstriert, als sie das serbisch kontrollierte
Westslawonien schnell überrannte.777 Damit verbunden stieg der Verhandlungsdruck auf die
Serben. Der Abzug der UNPROFOR-Truppen aus den übrigen „Schutzzonen“ nach dem Fall
Srebrenicas und Zepas, nahm den Serben die Gelegenheit, diese Soldaten weiterhin als Geiseln
zu behandeln.778 Damit stieg unter den Briten und den Franzosen die Akzeptanz für stärkere
Angriffe gegen die Serben erheblich an.
Die verstärkten Interessen sowie die günstigen Bedingungen veranlaßten Präsident Clinton
einen grundlegenden Wandel in der amerikanischen Jugoslawienpolitik durchzusetzen.779 Zum
774 So Stellvertretender Außenminister Strobe Talbott. Vgl. „American Eagle or Ostrich: American
Engagement in the post-Cold War World. Remarks by Deputy Secretary of State Strobe Talbott.
Milwaukee Town Hall Meeting. Pabst Theater, Milwaukee, Wisconsin. September 12, 1995.“ (Im
Internet).
775 Vgl. RÜHL Die NATO, S. 46. Nach dem Fall Srebrenicas verglich Chirac die internationale Bosnienpolitik mit der Beschwichtigungspolitik Chamberlains und Daladiers gegenüber Hitler in 1938. Vgl.
VOLLMER Dayton, S. 5.
776 Vgl. MOORE A New Stage, S. 33-34.
777 Hier setzten die kroatischen Truppen die ethnische Säuberung ein und vertrieben sämtliche Serben
von dem Gebiet. Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 244-245.
778 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 245.
779 Im Dezember 1995 behauptete Verteidigungsminister Perry, die Jugoslawienpolitik Clintons sei
konstant geblieben: „[…T]he Administration has consistently stood by its policy for the past two and
a half years.“ Perry zitiert in: Remarks as Prepared for Delivery by William J. Perry, Secretary of
Defense, Chicago, Illinois, Dezember 11, 1995, in: Defenselink [im Internet]. Reference Number 65395.
158
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
ersten Mal seit dem Beginn des Jugoslawien-Konflikts sollte Amerika eine starke und
dauerhafte Führungsrolle übernehmen.
Auf einer neuen Londoner Konferenz am 21. Juli 1995 unter Beteiligung der NATO, UN,
EU, Rußland, den USA und anderen, wurde die Krise in der internationalen Jugoslawienpolitik erörtert. Wenngleich die Konferenz zunächst als weiterer Mißerfolg erschien,780 kam
es in London zu zwei wichtigen Entscheidungen: Warren Christopher und sein britischer
Amtskollege konnten sich auf eine gemeinsame Haltung zur Verteidigung der „Schutzzone“
Gorazde einigen und der UN-Sonderbeauftragte für Bosnien Akashi wurde auf Drängen der
USA aus der Entscheidungskette für NATO-Luftangriffe ausgeschaltet. Am 26. Juli gab UNGeneralsekretär Boutros-Ghali entsprechend einer Aufforderung der NATO-Botschafter auch
seine Entscheidungsbefugnis bei Luftschlägen auf.781
Am 22. und 23. Juli brachten US-Vermittler die bosnischen und kroatischen Präsidenten
in der kroatischen Stadt Split zusammen, um dort eine enge militärische Kooperation der
zwei Staaten in einem Beistandsabkommen festzulegen.782 Als Folge dieser Vereinbarung
gelang es den bosnischen und kroatischen Armeen zusammen innerhalb weniger Wochen die
belagerte „Schutzzone“ Bihac zu befreien und das von den bosnisch-serbischen Truppen
kontrollierte Territorium von 70% auf 50% Bosnien-Herzegovinas zu reduzieren. Damit
entsprachen die militärischen Verhältnisse in Bosnien zum ersten Mal in etwa dem Plan der
Bosnien-Kontaktgruppe.783 Auch Anfang August startete Kroatien eine Offensive, um die
Krajina zurückzuerobern. Die überforderten serbischen Streitkräfte gaben innerhalb weniger
Tage auf. Dabei vertrieb die kroatische Armee nicht nur die serbischen Besatzungstruppen,
sondern die ganze serbische Bevölkerung, die seit Jahrhunderten in der Krajina siedelte. Die
brutale ethnische Säuberung durch die Kroaten forderte zwar eine Mahnung des UNSicherheitsrats heraus,784 schuf allerdings vollendete Tatsachen und begünstigte auf eine
perverse Weise die Bedingungen für Friedensverhandlungen. Hatte sich Tudjman bislang
780 Die Bemerkungen des Vorsitzenden der Konferenz deuteten auf keine wesentliche Änderungen der
bisherigen Politik hin. Vgl. Pressekonferenz des Vorsitzenden der Konferenz zu Jugoslawien, des
britischen Außenministers Malcolm Rifkind, am 21. Juli 1995 in London über die Ergebnisse der
Konferenz (gekürzt), in: Internationale Politik, 12, S. 84-86.
781 Vgl. VOLLMER Dayton, S. 12, SCHILD Die USA und der Bürgerkrieg, S. 30 und CALIC, S. 245-246.
782 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 244, VOLLMER Dayton, S. 12 und SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 102.
783 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 244, VOLLMER Dayton, S. 12, SCHÖNFELD
Auf dem Wege nach Dayton, S. 109-110 und RAFFONE Der Weg nach Dayton S. 235-236.
784 Vgl. Resolution 1009 des UN-Sicherheitsrates über die Offensive der kroatischen Streitkräfte gegen
serbisch kontrollierte Gebiete in Kroatien vom 10. August 1995. In: Internationale Politik. 12(1995
), S. 91-92.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
159
geweigert einen eventuellen Frieden in Bosnien ohne eine Regelung für die schwierige
Krajina-Frage anzunehmen, so existierte diese Hürde jetzt nicht mehr. Darüber hinaus konnte
Kroatien nun seine Opposition zu der Forderung der bosnischen Serben aufgeben, eine
Sonderbeziehung zu Serbien unterhalten zu können, da diese Regelung nicht mehr als Vorbild
für die Krajina-Serben befürchtet werden mußte. „Nachdem die Krajina-Frage ,gelöst’ war,
konnten die USA es sich plötzlich leisten, einen pragmatischen Ansatz für eine territoriale
Lösung in Bosnien zu wählen.“785
Entsprechend der Vereinbarung zwischen Christopher und Rifkind auf der Londoner
Konferenz vom 21. Juli, beschloß der NATO-Rat am 25. Juli, die „Schutzzone“ Gorazde
gegen Angriffe der bosnischen Serben zu verteidigen. Sollten die Serben unter Karadziæ und
Mladiæ die Zone angreifen oder auch nur Vorbereitungen für einen Angriff treffen, dann
würde die NATO entschlossen und rasch Luftangriffe durchführen. Jetzt ging es auch nicht
mehr um lediglich nadelstichartige Luftschläge. NATO-Generalsekretär Willy Claes erklärte:
„Unter den Bündnispartnern wird mit Nachdruck die Ansicht vertreten, daß derartige
Operationen, wenn sie erst einmal in die Wege geleitet worden sind, nicht ohne weiteres
wieder eingestellt werden.“786 Am 1. August erweiterte der NATO-Rat die gleiche Warnung
zum Schutz Tuzlas, Sarajevos und Bihacs.787
Am 14. August 1995 beauftragte Präsident Clinton Richard Holbrooke mit der Aufgabe,
sich um die Aushandlung einer Friedenslösung zwischen den Kriegsparteien zu bemühen.
Holbrooke war US-Botschafter in Bonn, bevor er am Ende 1994 zum Staatssekretär für
europäische und kanadische Angelegenheiten ernannt wurde. Im Frühjahr 1995 nannte er
in einem Beitrag in Foreign Affairs Bosnien als „[…] the greatest collective security failure
of the West since the 1930s[…]“788 und im Oktober 1995 bezeichnete er die UNPROFOR
als „[...] the most disastrous operation I can think of its sort ever [...]“789 Schon Ende 1994
bemühte sich Holbrooke das Waffenembargo gegen die bosnische Regierung durch Waffenlieferungen aus dritten Staaten zu umgehen. Sein Entwurf wurde jedoch von Anthony Lake
und Warren Christopher abgelehnt, weil er die transatlantischen Beziehungen zu sehr bedroht
785 So BRENNER Das Finale, S. 5. Vgl. auch CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 247248, Schönfeld , S. 101-103 und RAFFONE Der Weg nach Dayton, S. 235-236.
786 Presseerklärung des Generalsekretärs der NATO, Willy Claes, zu Gorazde, abgegeben im Anschluß
an die Tagung des Nordatlantikrats vom 25. Juli 1995, in: Internationale Politik, 12, S. 87-88 (87).
787 Dies war kurz vor der Befreiung von Bihac durch die bosnischen und kroatischen Regierungstruppen.
Vgl. Presseerklärung des Generalsekretärs der NATO, Willy Claes, nach dem Treffen des Nordatlantikrats am 1. August in Brüssel, in: Internationale Politik, 12, S. 88-89.
788 Vgl. HOLBROOKE America, S. 40.
789 „Bosnia Proximity Peace Talks: Briefing by Assistant Secretary of State Richard Holbrooke, Bureau
of European and Canadian Affairs. October 30, 1995.“ (Im Internet).
160
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
hätte.790 Auch wenn dieser Versuch scheiterte, demonstrierte er den großen Wert, den
Holbrooke auf die militärische Untermauerung der Diplomatie legte. Bis Spätsommer 1995
hatte diese Untermauerung mit tragischen Konsequenzen gefehlt.
Weil dieses Element in der westlichen Jugoslawienpolitik so lange gefehlt hatte, beschossen
die bosnischen Serben Ende August Sarajevo erneut mit schwerer Artillerie. Zum ersten Mal
in dem Konflikt reagierte das Bündnis entschlossen. „Operation Deliberate Force“ begann
am 30. August 1995 und umfaßte u.a. schwere Luftangriffe gegen Luftabwehrpositionen,
Kommunikationssysteme, Munitions- und Nachschublager und Führungseinrichtungen der
bosnischen Serben. Währenddessen konnten die Truppen der bosnischen Regierung vorrükken.791 Damit stieg der Verhandlungsdruck auf die bosnischen Serben weiter an. Roland
Schönfeld deutet mit Recht auf zusätzliche wichtige Voraussetzungen für erfolgreiche
Verhandlungen, die bis zu dieser Zeit erfüllt worden waren:792
C
die engen Kontakte mit Rußland in der Jugoslawienpolitik seit dem Frühjahr 1994
reduzierten die Gelegenheiten für die Konfliktparteien, Rußland und die westlichen Staaten gegeneinander auszuspielen. Moskau duldete beispielsweise
„Operation Deliberate Force“ entgegen den Hoffnungen der bosnischen Serben;
C
das schon beschriebene Abkommen von März 1994 zur Schaffung einer Föderation zwischen den bosnischen Muslime und Kroaten sowie zur Schaffung einer
Konföderation zwischen Bosnien-Herzegovina und Kroatien;
C
und die Spaltung zwischen Slobodan Miloševiæund Radovan Karadziæ, vollzogen
im August 1994 unter dem Druck der Wirtschaftssanktionen gegen Restjugoslawien.
Trotz dieser Interessengegensätze zwischen Karadziæund Miloševiæ, erntete das entschiedene
militärische Vorgehen der NATO rasch diplomatische Früchte. Schon am ersten Tag nach
dem Beginn der Luftschläge zeigte MiloševiæRichard Holbrooke eine Vereinbarung zwischen
den bosnischen Serben und der „Bundesrepublik Jugoslawien“, wonach letztere eine
gemeinsame Delegation bei künftigen internationalen Verhandlungen leiten würde.793
790 Vgl. SCIOLINO Holbrooke and Arms: A Tangled Web, in: International Herald Tribune, 27./28.4.
1996, S. 5.
791 Vgl. SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 103-106 und CALIC Krieg und Frieden in BosnienHercegovina, S. 246.
792 Vgl. SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 106-107.
793 Vgl. „Bosnia Proximity Peace Talks: Briefing by Assistant Secretary of State Richard Holbrooke,
Bureau of European and Canadian Affairs. October 30, 1995.“ (Im Internet).
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
161
Als der NATO-Einsatz noch anhielt, lud Holbrooke am 8. September die Außenminister
Restjugoslawiens, Bosniens und Kroatiens zu Gesprächen in Genf ein.794 Gegenüber den
Kriegsparteien besaß Holbrooke wichtige Hebel, welche die früheren internationalen
Vermittler in Bosnien nie genossen hatten. Sollten die Serben nicht ernsthaft verhandeln,
drohte Holbrooke mit „Lift and Strike“ - die Aufhebung des Waffenembargos gegen die
bosnische Regierung verbunden mit NATO-Luftangriffen zur Unterstützung der Truppen
der Föderation. Sollte die bosnische Regierung nicht ernsthaft verhandeln, drohte Holbrooke
mit einer Aufhebung des Waffenembargos gegen alle Kriegsparteien und der Einstellung der
voraussichtlichen Hilfe zum Wiederaufbau in Bosnien („Lift and Leave“).795 Die Teilnehmer
einigten sich auf mehrere Grundprinzipien, einschließlich: die territoriale Integrität BosnienHerzegovinas, die Existenz von zwei Einheiten innerhalb Bosniens (die „Föderation BosnienHerzegovina“ und die „Republika Srpska“), die Zulassung besonderer Beziehungen zu
Nachbarländern (unter Respektierung der territorialen Integrität Bosniens) und die Einhaltung
von Menschenrechten.796
Mit den ersten Vereinbarungen stellte die NATO die Luftangriffe ein. Am 14. September
vereinbarten die bosnischen Serben mit der UNPROFOR den Rückzug ihrer schweren Waffen
aus Sarajevo. Am 5. Oktober einigten sich in New York die Außenminister Bosniens,
Kroatiens und Restjugoslawiens nach zähen Verhandlungen und unter starkem Druck der
USA auf einen zweimonatigen Waffenstillstand, der am 10. August 1995 in Kraft trat; in
diesem Zeitraum sollte eine Friedenslösung für Bosnien-Herzegovina ausgehandelt werden.
Der Weg nach Dayton war somit geebnet.
5.2. Abkommen von Dayton und seine Implementierung
Durch die konsequente Führung der USA schien das Ende des Krieges in greifbarer Nähe.
Die bosnisch-serbische Führung in Pale hatte es seit Anfang 1992 verstanden, die Widersprüchlichkeit und Schwäche der westlichen Jugoslawienpolitik auszunutzen. Nun erkannte
sie den Wandel. So erklärte der „Außenminister“ der bosnischen Serben am 4. Oktober 1995:
794 Mit amerikanischer Unterstützung übernahm Miloševiæ die Kontrolle für die Verhandlungen im
Namen der bosnischen Serben. Vgl. SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 104, 107-109.
795 Vgl. DAALDER Anführer, S. 10, SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 110 und CALIC Krieg
und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 248-249.
796 Vgl. Grundprinzipien zwischen Bosnien-Herzegovina, Kroatien und Jugoslawien unter der Ägide der
Kontaktgruppe am 8. September 1995 in Genf vereinbart, in: Internationale Politik, 12 , S. 104-105.
162
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
„Wenn die Vereinigten Staaten […] entschieden haben, den Krieg zu beenden, dann werden
sie das auch tun.“797
Die Verhandlungen auf dem Militärstützpunkt Wright-Patterson in Dayton (Ohio) begannen
am 1. November 1995. Nach dem Konzept von Richard Holbrooke sollten die Präsidenten
Serbiens, Bosniens und Kroatiens zusammen mit westlichen Vermittlern verhandeln, bis es
zu einer einvernehmlichen Friedenslösung kommen würde. Alle fünf Länder der Kontaktgruppe sowie EU-Vermittler Carl Bildt waren durch Verhandlungsmannschaften vertreten;
die Führung lag jedoch eindeutig in amerikanischer Hand. Die Vertreterin Großbritanniens
in Dayton, Pauline Neville-Jones, beschrieb später die komplizierte Verhandlungsstruktur:
„The Russian negotiator, Deputy Minister Igor Ivanov, was accorded a status on par with Bildt
and both he and Bildt were in theory equal to US negotiatior Richard Holbrooke – but only
in theory. This elaborate American construction enabled the US negotiator, supported by a
very large team, to organise the agenda and run the negotiation as he wished, with the
acquiescence of the rest. They were informed but not consulted, and their primary role was
to assist so far as needed, witness and ratify the outcome. But they were not to interfere.“798
Mit dem Entwurf der Bosnien-Kontaktgruppe von 1994 als Grundlage gab es vier Leitlinien
für die Gespräche: zunächst einmal die 51%-49%-Formel für die Aufteilung Bosniens in die
Föderationseinheit und die serbische Einheit, weiterhin die Voraussetzung, daß die zwei
Einheiten geographisch jeweils zusammenhängen, dann Sarajevo als eine ungeteilte Hauptstadt und schließlich möglichst wenige Abweichungen von den Frontlinien bei dem Inkrafttreten des Waffenstillstands vom 10. Oktober.799 Ferner galt es besonders für die USA als
unabdingbar, daß die Einheit Bosnien-Herzegovinas in seinen international anerkannten
Grenzen gewahrt bleibe.800 Diese Prinzipien waren Bestandteil der Pläne, welche die fünf
Mitgliedsländer der Bosnien-Kontaktgruppe vor dem Beginn der Verhandlungen in Dayton
untereinander koordinierten.801
Um den Erhalt Bosniens zu sichern, zielte Holbrooke auf eine Stärkung der wackeligen
bosnisch-kroatischen Föderation. Nach der Unterzeichnung des Washingtoner Abkommens
797 „Außenminister“ Buha zitiert in: „Eine kleine Hoffnung für Bosnien. Ernsthaftes Angebot aus
Sarajevo“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.10.1995, S. 1.
798 Vgl. NEVILLE-JONES Dayton, S. 48.
799 Vgl. NEVILLE-JONES Dayton, S. 49.
800 Vgl. SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 111.
801 Vgl. „Bosnia Proximity Peace Talks: Briefing by Assistant Secretary of State Richard Holbrooke,
Bureau of European and Canadian Affairs. October 30, 1995.“ (Im Internet).
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
163
vom 1. März 1994 zwischen der bosnischen Regierung, den bosnischen Kroaten und Kroatien,
folgte am 6. Juli 1994 ein „Verständigungsmemorandum“ (Memorandum of Understanding)
zur Wiedervereinigung der geteilten herzegovinischen Stadt Mostar.802 Trotz dieser Vereinbarung und der von dem EU-Verwalter Hans Koschnick geleisteten Arbeit in Mostar waren
die beiden Gemeinschaften der Stadt nach der langen und blutigen Belagerung der muslimischen Ostseite Mostars durch die Kroaten unversöhnt geblieben. Die vielen nationalistischen Kroaten der Westseite Mostars hatten starke Verbindungen zu Kroatien aufgebaut,
u.a. durch Gebrauch der kroatischen Währung, und hatten die junge bosnische Föderation
zu unterminieren versucht. Während viele Muslime der Stadt ein multikulturelles Bosnien
weiterhin befürworteten, gab es nun innerhalb der SDA auch Unterstützung für einen
muslimischen Nationalstaat.803 Das Gewaltpotential in Mostar gefährdete den Frieden
zwischen Bosnien und Kroatien und damit den Zusammenhalt der bosnischen Föderation.
Ein instabiles Bosnien wäre nach amerikanischer Auffassung einfach zwischen Serbien und
Kroatien aufzuteilen. Eine stärkere bosnische Föderation hingegen wäre lebensfähiger und
würde eine verstärkte Abschreckung erzeugen gegenüber eventuellen Versuchen, den
bosnischen Staat aufzuteilen. Daher galt seine Stärkung als Vorbedingung eines umfassenden
Friedensabkommens für Bosnien-Herzegovina. „For a settlement to endure, the Federation
must be functioning and strong.“804
Am 10. November kam es in Dayton zu einem Durchbruch in diesem Bereich, als Tudjman
und Izetbegoviæein Abkommen unterzeichneten, das die Föderation neu beleben sollte. Zu
den wichtigsten Bestimmungen gehörten die Abschaffung der „Kroatischen Republik HerzegBosna“, Regelungen zur künftigen Vereinigung der Stadt Mostar sowie die Festlegung der
Rollen und Ämter zwischen den Regierungen der Föderation und der Republik BosnienHerzegovina.805
802 Das Verständigungsmemorandum wurde von den Präsidenten der Republik Bosniens und der bosnischen Föderation, den muslimischen und kroatischen Bürgermeistern der Stadt Mostar und einem
Repräsentanten der bosnischen Kroaten unterzeichnet. Vgl. CALIC Krieg und Frieden in BosnienHercegovina, S. 264.
803 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 264-266 und STRÖHM Scheitert Koschnicks Mission in Mostar? In: Die Welt, 4.11.1995.
804 So Außenminister Christopher am 10.11.1995. „Statement by Secretary of State Warren Christopher
at the Signing of Agreement Implementing the Federation of Bosnia and Herzegovina.“ U.S. Department of State, Office of the Spokesman, November 10, 1995. (Im Internet).
805 Vgl. SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 111, CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 251, VOLLMER Dayton, S. 13, Abkommen über die Verwirklichung der Föderation BosnienHerzegovina, unterzeichnet am 10. November 1995 in Dayton (Ohio), in: Internationale Politik, 1, S.
72-78 und „Bosnien und Kroatien erweitern Kooperationspakt“, in: Die Welt, 11.11.1995.
164
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Eine weitere Voraussetzung für einen umfassenden Friedensvertrag für Bosnien war eine
Regelung für Ostslawonien in Kroatien. Im Jahre 1991 hatte die JVA dieses Gebiet besetzt
und seitdem wurde es zusammen mit Westslawonien und der Krajina von separatistischen
kroatischen Serben verwaltet. Die Serben hatten daraufhin etwa 80.000 Kroaten aus dem
Gebiet vertrieben. Kroatien hatte nach der Stationierung der UNPROFOR in dieser Region
ab dem Frühjahr 1992 immer vehementer die Wiedereingliederung West- und Ostslawoniens
sowie der Krajina gefordert.
Nach der Rückeroberung Westslawoniens im Mai und der Krajina im August 1995 durch
kroatische Regierungstruppen mußten die Serben Ostslawoniens erkennen, daß Slobodan
Miloševiæsie aufgrund der Sanktionen nicht verteidigen würde. Daher waren sie gezwungen,
nun mit Kroatien verhandeln.806 Am 12. November in Dayton einigten sich die kroatische
Regierung und Vertreter der kroatischen Serben auf eine Regelung für Ostslawonien bei
besonders starkem Engagement Holbrookes. Danach sollte die UN das serbisch besetzte
Gebiet Kroatiens ein bis zwei Jahre lang verwalten, bevor es zurück an Kroatien fallen sollte;
Flüchtlinge sollten repatriiert und die Region entmilitarisiert werden.807
Auch mit dem Abschluß dieser beiden wichtigen Abkommen erwies sich eine Einigung
über eine Friedenslösung für Bosnien und Herzegovina als erheblich schwieriger zu erreichen.
Die schon erwähnte Genfer Vereinbarung vom 8. September stellte zusammen mit einer
weiteren Vereinbarung vom 26. September in New York den Rahmen für die weiteren
Verhandlungen über einen umfassenden Friedensvertrag dar. Die Kriegsparteien, mit der
Bundesrepublik Jugoslawien als Vertreter der bosnischen Serben, hatten sich vor Dayton
auf die folgenden Grundprinzipien geeinigt:808
C
die territoriale Integrität Bosnien-Herzegovinas;
C
die Existenz von zwei Einheiten in Bosnien-Herzegovina (die Föderation sowie
die Republika Srpska) entsprechend der 51-49% Formel der Kontaktgruppe;
806 Vgl. SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 107-109 und WOEHREL / KIM CRS Issue Brief
91089: Bosnia – Former Yugoslavia and U.S. Policy. 20.12.1996 (Im Internet:
http://www.fas.org/man/crs/91-089.htm).
807 Einzelheiten bei CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 249-251, SCHÖNFELD Auf dem
Wege nach Dayton, S. 111 und WOEHREL, STEVEN J. / KIM, JULIE CRS Issue Brief 91089: Bosnia –
Former Yugoslavia and U.S. Policy. 20.12.1996 (Im Internet: http://www.fas.org/man/crs/91089.htm). Zur Rolle Holbrookes bei dieser Frage, vgl. NEVILLE-JONES Dayton, S. 49.
808 Vgl. Grundprinzipien zwischen Bosnien-Herzegovina, Kroatien und Jugoslawien unter der Ägide der
Kontaktgruppe am 8. September 1995 in Genf vereinbart, in: Internationale Politik, 12 , S. 104-105
und „Further Agreed Basic Principles. New York, 26 September 1995.“ (Im Internet:
http:www.ohr.int/ docu/d950926b.htm).
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
165
C
die Zulassung „besonderer Beziehungen“ der Einheiten zu Nachbarländern, soweit
diese mit der Integrität Bosniens vereinbar seien;
C
die Respektierung der internationalen Verpflichtungen Bosniens durch beide
Einheiten;
C
freie, demokratische Wahlen in Bosnien, sobald die OSZE die sozialen Bedingungen dafür als akzeptabel erklärte;
C
Bewegungsfreiheit und Redefreiheit für alle Bosnier;
C
und den Rahmen für eine künftige Staatsordnung, einschließlich einem Parlament,
einer Präsidentschaft und einem Verfassungsgericht.
Trotz dieser Punkte der Übereinstimmung blieben hartnäckige Streitthemen übrig, die
durchaus ein Ende des Waffenstillstandes hätten herbeiführen können. Während die Partei
Izetbegoviæs eine stärkere, multikulturelle zentrale Regierung bevorzugte, drang die serbische
Führung in Pale auf einen kleinstmöglichen Kompetenzbereich für die zentralen Institutionen.
Kroatische Nationalisten sahen Möglichkeiten in beiden Vorstellungen: entweder eine enge
Anbindung eines zentralistischen bosnischen Staats an Kroatien mittels der bosnischkroatischen Konföderation oder eine Abtrennung eines Teils Bosniens getreu der serbischen
Vorliebe für schwache zentralistische Institutionen auf dem Weg zu einer Teilung Bosniens.809
Die umstrittensten Themen bei den Verhandlungen in Dayton waren jedoch die Form der
künftigen Landkarte sowie der Status Sarajevos. Insbesondere die Auseinandersetzungen
um den Posavina Korridor und die Stadt Brcko im Nordwesten Bosniens drohten die
Verhandlungen zum Scheitern zu bringen.810 Bei diesen Fragen und bei den heiklen Gesprächen über die Bedingungen zur Aufhebung der Sanktionen gegen Serbien und Montenegro
verhandelte nur die amerikanische Delegation mit den Kriegsparteien.811
Nicht nur Richard Holbrooke leitete die Verhandlungen. Außenminister Christopher
mischte sich in der Schlußphase direkt ein und als die Konferenz zu scheitern drohte,
telefonierte Präsident Clinton am 20. November mit jedem der drei Balkanpräsidenten.812 Am
21. November 1995 paraphierten Izetbegoviæ, Miloševiæ und Tudjman schließlich das
809 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 257-259 und NEVILLE-JONES Dayton, S.
49.
810 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 262, NEVILLE-JONES Dayton, S. 49 und
SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 110-111.
811 Vgl. NEVILLE-JONES Dayton, S. 49.
812 Vgl. SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 110.
166
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
„Allgemeine Rahmenübereinkommen für den Frieden in Bosnien-Herzegovina“, das dann
am 14. Dezember in Paris förmlich unterschrieben wurde.813 (Siehe Karte auf Seite 124.)
Das Vertragswerk umfaßte etwa 150 Seiten mit 102 Landkarten. Zu den wichtigsten
Bestimmungen zählten:814
C
die Verpflichtung zur Achtung internationaler Menschenrechtsstandarde;
C
den Erhalt Bosnien-Herzegovinas in seinen bestehenden Grenzen;
C
die Verwirklichung der 51%-49%-Formel;
C
die Einheit Sarajevos als Bestandteil der Föderation;
C
Srebrenica und Zepa als Teil der Republika Srpska;
C
Gorazde als Teil der Föderation;
C
die Zulassung „besonderer Beziehungen“ zu Nachbarstaaten;
C
die gegenseitige völkerrechtliche Anerkennung aller Nachfolgerstaaten der SFRJ;
C
ein gemeinsames Parlament, ein dreiköpfiges Präsidium, eine gemeinsame
Zentralregierung, eine Zentralbank sowie ein Verfassungsgericht;
C
Verteidigungskompetenz bei den Einheiten;
C
das Recht aller Flüchtlinge, in ihre Heimat zurückzukehren;
C
der Ausschluß aller als Kriegsverbrecher Angeklagten von politischen und
militärischen Positionen;
C
die Verpflichtung zur Mitarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag;
C
demokratische Wahlen innerhalb von sechs bis neun Monaten;
C
und die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien.
Dabei wurden besonders umstrittene Fragen ausgeklammert, die eine Einigung verhindert
hätten. Beispielsweise sollte eine internationale Schiedskommission den Status der strategisch
wichtigen Stadt Brcko in dem Posavina Korridor Nordwestbosniens festlegen.
813 Vgl. Allgemeines Rahmenübereinkommen für den Frieden in Bosnien-Herzegovina, paraphiert am
21. November 1995 in Dayton, Ohio (Auszüge), in: Internationale Politik, 1, S. 80-93.
814 Vgl. KRIZAN Zerbrechliche Hoffnungen, S. 316-324 für eine eingehende Besprechung des Vertrages.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
167
Ein weiterer bedeutender Teil des Abkommens befaßte sich mit der Implementierung der
Friedenslösung. Die militärische Umsetzung des Vertragswerks wurde schon weitgehend
vor Beginn der Verhandlungen in Dayton von der NATO erarbeitet.815 Vorgesehen war der
Abzug der UNPROFOR und die Einführung einer Implementierungsmacht (Implementation
Force - IFOR). Die Clinton-Administration machte vor der Konferenz von Dayton deutlich,
daß ein Friedensabkommen Voraussetzung für die Teilnahme amerikanischer Bodentruppen
in Bosnien war. So erklärte Richard Holbrooke am Tag vor Verhandlungsbeginn: „[…T]here
will be no peace without NATO and American support for its implementation; and there will
be no American and NATO involvement unless there is a real peace agreement.“816
Mit dem Abkommen von Dayton trat der Fall ein, den man in Amerika lange befürchtet
hatte - die Entsendung amerikanischer Bodentruppen nach Bosnien. Diese Angst hatte
815 Vgl. NEVILLE-JONES Dayton, S. 49-50 und SCHULTE Former Yugoslavia, S. 24-25.
816 „Bosnia Proximity Peace Talks: Briefing by Assistant Secretary of State Richard Holbrooke, Bureau
of European and Canadian Affairs. October 30, 1995.“ (Im Internet).
168
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
wesentlich zu der großen Zurückhaltung in der amerikanischen Jugoslawienpolitik bis zum
Spätsommer 1995 beigetragen. Zwar hatte Präsident Clinton schon mit dem Sechs-PunktePlan zu Beginn seiner Amtszeit die Entsendung amerikanischer Bodentruppen zur Sicherung
einer einvernehmlich angenommenen Friedenslösung in Aussicht gestellt, dieses Angebot war
aber bis Ende Juli 1995 nicht ernstzunehmen. Solange Clinton auf eine Führungsrolle
Amerikas in der Jugoslawienpolitik verzichtete, konnte es nicht zu einem solchen Abkommen
kommen. Als es nun darum ging, für die Unterstützung der amerikanischen Öffentlichkeit
und des Kongresses für die Entsendung amerikanischer Bodentruppen zur IFOR zu werben,
stand der Präsident vor einer schwierigen Aufgabe. Diese war nicht zuletzt deswegen
schwierig, weil während der langen Phase der halbherzigen amerikanischen Jugoslawienpolitik
die Gefahren eines amerikanischen Engagements immer wieder betont wurden.
Wie schon wiederholt im Verlauf der amerikanischen Politik gegenüber dem JugoslawienKonflikt vorgekommen, paßte die Administration ihre Definition der nationalen Interessen
der jeweiligen Zielsetzung ihrer Politik an. Als die Administration im März 1995 Aufforderungen zu einer aktiven Rolle im ehemaligen Jugoslawien vermeiden wollte, erkannte
Verteidigungsminister Perry keine „vitalen“ nationalen Interessen in Bosnien: „It is true that
we do not have what I call ,vital’ national security interests in Bosnia.“817 Im Oktober 1995
hingegen, als die neue Führungsrolle Amerikas in der Jugoslawienpolitik Wirkung zeigte und
die Administration sich auf die Entsendung amerikanischer Truppen zur Implementierung
eines Friedensvertrags einstellte, schien Perry doch „vitale“ Interessen in Bosnien erkannt
zu haben:
„The security and stability of Europe is a vital national interest for the United States, and the
primary vehicle for achieving that security and stability is NATO, the most successful alliance
in history. That security and stability is threatened by the prospect that the conflict in Bosnia
could become a much wider war in the Balkans, potentially involving our NATO allies.“818
Nach dem erfolgreichen Abschluß der Dayton-Verhandlungen setzte die Administration ihre
Bemühungen fort, die Öffentlichkeit und den Kongreß von der Notwendigkeit einer fortge-
817 Perry zitiert in: „U.S. Choices in Bosnia. Prepared Remarks of Secretary of Defense Willliam J. Perry
at the 100th London Lecture Series, Kansas State University, Manhattan, Kan, March 9, 1995“, in:
Defense Issues. (Im Internet: http://www.defenselink.mil/pubs/di_index.html). Vol. 10, Nr. 21.
818 Perry zitiert in: „U.S. Involvement Underwrites Bosnian Peace Bid. Prepared Statement of Secretary
of Defense William J. Perry and Gen. John M. Shalikashvili, USA, Chairman of the Joint Chiefs of
Staff, to the Senate Armed Services Committee, Oct. 17-18, 1995“, in: Defense Issues. (Im Internet:
http://www.defenselink.mil/pubs/di_index.html). Vol. 10, Nr. 90.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
169
setzten amerikanischen Führungsrolle in Bosnien zu überzeugen. In einer Fersehansprache
am 27. November 1995 betonte Clinton auch humanitäre Gründe für den bevorstehenden
Einsatz:
„The only force capable of getting this job done is NATO, the powerful military alliance of
democracies that has guaranteed our security for half a century now. And as NATO’s leader
and the primary broker of the peace agreement, the United States must be an essential part
of the mission. If we’re not there, NATO will not be there. The peace will collapse. The war
will reignite. The slaughter of innocents will begin again.“819
Trotz dieser Versuche blieb die Skepsis in den USA groß. Meinungsumfragen ergaben, daß
die Mehrheit der Amerikaner Bosnien als eine europäische Angelegenheit betrachtete und
eine große Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses eine ablehnende Haltung zum Einsatz
hatte. Der Kongreß hätte die Entsendung jedoch nur durch einen Entzug der dafür nötigen
Finanzierung verhindern können. Auch wenn solch eine Maßnahme nicht durchsetzbar war,
konnten die Befürworter des IFOR-Einsatzes auch nicht die von Clinton erwünschte
Unterstützungserklärung durchsetzen.820 Da der Präsident im amerikanischen politischen
System eine große Unabhängigkeit vom Kongreß in außenpolitischen Angelegenheiten
genießt, konnte Clinton den Kongreß allerdings vor vollendete Tatsachen stellen.
Der Präsident billigte den Einsatz von 20.000 amerikanischen Soldaten in Bosnien als Teil
der 60.000-Mann starken IFOR-Truppe. Die Billigung des Einsatzes trotz des mangelnden
innenpolitischen Rückhalts sicherte die amerikanische Führungsrolle auch bei der Umsetzung
des Dayton-Abkommens. Eine weitere Bedingung für die amerikanische Beteiligung an der
IFOR war, daß das Oberkommando des Einsatzes bei einem Amerikaner, Admiral Smith,
liegen sollte. Um die gleichen Erfahrungen wie die zahnlose UNPROFOR zu vermeiden, gab
es ferner eindeutige Entscheidungsstrukturen unter Ausschluß der UN-Bürokratie und
„robustere“ Einsatzregeln, welche den Einsatz militärischer Gewalt erleichterten.821
819 „America Must Choose Peace. Statement as delivered by President Bill Clinton to the nation, Nov. 27,
1995“, in: Defense Issues. (Im Internet: http://www.defenselink.mil/pubs/di_index.html). Vol.10, Nr.
101.
820 Vgl. TOWELL / CASSATA Congress Takes Symbolic Stand on Troop Deployment, in: Congressional
Quarterly Weekly Report, 16.12.1995, S. 3817.
821 Vgl. CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 255-256: „Bosnia Proximity Peace Talks:
Briefing by Assistant Secretary of State Richard Holbrooke, Bureau of European and Canadian
Affairs. October 30, 1995.“ (Im Internet) und SCHULTE Former Yugoslavia, S. 25-26.
170
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Am 20. Dezember 1995 löste die IFOR die UNPROFOR ab und begann mit der Implementierung der militärischen Ziele des Daytoner Abkommens. Die IFOR war u.a. für die
Trennung der verfeindeten Streitkräfte, den Tausch von Territorien zwischen den beiden
Einheiten und für die Schaffung einer sicheren Umgebung verantwortlich.822 Um die
Entsendung der Truppen für sein innenpolitisches Publikum akzeptabler zu machen, hatte
Clinton die Dauer des Einsatzes auf zwölf Monate begrenzt. Schon sehr bald wurde deutlich,
daß die Implementierung der zivilen Bestimmungen des Abkommens erheblich schwieriger
als die Durchsetzung der militärischen Ziele sein würde. Besonders problematisch war die
Rückführung der zwei Millionen Flüchtlinge in die Orte, von denen sie oft brutal vertrieben
wurden und in denen sie meist nicht mehr willkommen waren. Ein weiteres Problem stellte
die Freiheit und die häufig fortgesetzte Machtstellung von angeklagten Kriegsverbrechern
dar, insbesondere von Radovan Karadziæ und Ratko Mladiæ. Andere Herausforderungen
waren der Wiederaufbau der zerschlagenen Wirtschaft und der dringende Ausbau der
Infrastruktur Bosniens. Die Wunden in Bosnien nach vier Jahren Krieg waren zu tief und die
Zerstörung zu umfassend, um den Staat innerhalb von einem Jahr wieder auf die Beine zu
stellen.823
Da eine ausreichende zivile Implementierung des Abkommens von Dayton bis Ende 1996
nicht zu erreichen war, mußte die NATO eine Folgeoperation billigen, wollte sie den instabilen
Frieden in Bosnien aufrechterhalten. Förmlich begannen die Beratungen über eine eventuelle
Folgeoperation auf einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister am 22. September 1996
in Bergen, Norwegen.824 Im November, nach der Wiederwahl Clintons, einigten sich die
NATO-Mitglieder auf eine „Stabilization Force“ (SFOR), die am 20. Dezember 1996 die
IFOR in Bosnien ablöste und ein achtzehnmonatiges Mandat haben sollte (bis Juni 1998).
Obwohl das amerikanische Kontingent bei der neuen Truppe auf 8.500 Mann reduziert wurde,
stellte dies immer noch mehr als ein Viertel aller 31.000 SFOR-Soldaten dar. Das Oberkommando blieb in amerikanischer Hand.
822 Vgl. SCHULTE Former Yugoslavia, S. 25 und WOEHREL / KIM CRS Issue Brief 91089: Bosnia –
Former Yugoslavia and U.S. Policy. 20.12.1996 (Im Internet: http://www.fas.org/man/crs/91089.htm).
823 Zu den Schwierigkeiten bei der Implementierung der zivilen Bestimmungen des Daytoner Abkommens, vgl.: CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 254-263, NEVILLE-JONES
Dayton, S. 54-59 und PREISINGER Silberstreif, S. 31-32.
824 Zu SFOR, vgl. SCHULTE Former Yugoslavia, S. 26, WOEHREL / KIM CRS Issue Brief 91089: Bosnia
– Former Yugoslavia and U.S. Policy. 20.12.1996 (Im Internet: http://www.fas.org/man/crs/91089.htm) und BOWMAN CRS Issue Brief 93056: Bosnia: U.S. Military Operations. 16.12.1996 (Im
Internet: http://www.fas.org/man/crs/93-056.htm).
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
171
Seit Jahresbeginn 1996 befanden sich amerikanische Bodentruppen in Bosnien nicht zur
Deckung eines Abzugs der UNPROFOR bei Fortführung des Krieges, sondern vielmehr zur
Überwachung eines Friedensprozesses, der dank konsequenter amerikanischer Führung
zustande gekommen war. Dies hatte nicht nur eine große Bedeutung für Bosnien, sondern
auch für den Zusammenhalt der NATO und für die sicherheitspolitischen Verhältnisse in
Europa. Nicht zuletzt besaß die amerikanische Führungsrolle in Bosnien Bedeutung für die
Bundesrepublik Deutschland; sie hatte den deutschen Handlungsspielraum in Bosnien
erweitert.
5.3. Neue außenpolitische Möglichkeiten für die Bundesrepublik
Die erweiternden Auswirkungen einer punktuellen amerikanischen Führungsrolle in der
Jugoslawienpolitik auf den deutschen Handlungsspielraum wurden schon unter Punkt 4.3.
ausgeführt: erstens erhielt Bonn neue Anhaltspunkte für seine bevorzugte Politik in Bosnien;
zweitens schuf die amerikanische Führung eine größere Einigkeit unter den westlichen
Verbündeten, die es Deutschland erlaubte, seine eigentlichen Ansichten zu vertreten ohne
gleichzeitig Mißtrauen zu erwecken; und schließlich wurde Deutschland früher aufgefordert,
von seinen Hemmungen gegenüber einer eigenen Teilnahme an militärischen Maßnahmen
abzurücken. Anhand der konsequenten amerikanischen Führung seit Ende Juli 1995 können
diese Auswirkungen wieder geprüft werden, um ihre Gültigkeit weiter zu erhärten.
Als die „Schutzzonen“ Bosniens im Sommer 1995 noch unter Beschuß standen, die
UNPROFOR kurz vor ihrem Abzug zu sein schien und sich die USA mit einer Führungsrolle
zurückhielten, waren die Handlungsmöglichkeiten für die Bundesrepublik eng begrenzt. Mit
der Londoner Konferenz am 21. Juli begann sich dies zu ändern. Das von Bonn seit langer
Zeit bevorzugte entschiedene Vorgehen gegen die bosnischen Serben begann Realität zu
werden. Als der Nationale Sicherheitsberater Clintons, Anthony Lake, Mitte August 1995
eine Europareise unternahm, um die amerikanische Bosnien-Initiative zu erklären, erhielt er
die volle Unterstützung Bonns.825 Nach der erneuten Beschießung Sarajevos mit schwerem
Artilleriefeuer der bosnischen Serben Ende August rief Bundesverteidigungsminister Rühe
nach einer militärischen „Antwort“.826 Die schweren Luftschläge der NATO gegen serbische
Stellungen beginnend am 30. August wurden nicht nur von der Bonner Koalition, sondern
825 Vgl. MONIAC Bundesregierung begrüßt US-Plan zu Bosnien, in: Die Welt, 12.8.1995.
826 Vgl. RÜHL UNO und NATO operieren im Dickicht von Befugnissen und Hemmnissen, in: Die Welt,
30.8.1995.
172
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
auch von der SPD und selbst von Bündnis 90/Die Grünen unterstützt.827 Ohne den Einsatz
Amerikas im NATO-Rat für die deutlichen Warnungen an die bosnischen Serben sowie für
die Durchführung der heftigen Luftangriffe ab Ende August wäre es schwer vorstellbar, daß
sich Deutschland für diese Schritte im gleichen Ausmaß hätte einsetzen können.
In der Folgezeit bekam die Bundesrepublik Gelegenheit, die sich abzeichnende Friedenslösung mitzugestalten. Während Paris und London bei den Verhandlungen eher willens waren,
eine Teilung Bosniens hinzunehmen, schloß sich Deutschland der amerikanischen Position
an, die den Erhalt der territorialen Integrität Bosniens für unabdingbar hielt. Mehr noch: Bonn
konnte sein Pochen auf die Einheit Sarajevos als eine der Richtlinien der Verhandlungen mit
Unterstützung der USA durchsetzen.828 Ein weiteres Anliegen Bonns bei den DaytonVerhandlungen war die Schaffung von verbindlichen Obergrenzen für die Rüstung der
Konfliktparteien. Die Position war nur schwer vereinbar mit dem von den USA bevorzugten
Konzept, wonach ein militärisches Gleichgewicht durch eine Aufrüstung der bosnischen
Regierung erfolgen sollte.829 Trotzdem hatte Deutschland erst durch die Führung der USA,
welche zu den Verhandlungen geführt hatte, die Möglichkeit gewonnen, auf seinen Plan zu
drängen. Es gelang Bonn, eine entsprechende Bestimmung in das Vertragswerk aufnehmen
zu lassen, welche die Parteien zu Verhandlungen über die Abrüstung verpflichtete. Im
Dezember 1995 fand in Bonn eine Folgekonferenz zu diesem Zweck statt.830
Auch wenn Richard Holbrooke die Verhandlungen weitgehend in eigener Regie abhielt,
spielte der deutsche Vertreter in Dayton, Wolfgang Ischinger, eine zentrale Rolle bei den
Verhandlungen um eine Stärkung der muslimisch-kroatischen Föderation.831 Ischinger, der
Politische Direktor im Auswärtigen Amt, drang auch auf die Verankerung der Geltung der
Europäischen Menschenrechtskonvention im Abkommen von Dayton, was im Annex Sechs
827 Vgl. „Bonner Parteien begrüßen Luftschläge in Bosnien“, in: Die Welt, 31.8.1995.
828 Vgl. „Es soll solange verhandelt werden, bis ein Friedensabkommen erreicht ist“, in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 1.11.1995, S. 7 und „Aufmacher: Beginn der Verhandlungen im US-Bundesstaat
Ohio“, in: Süddeutsche Zeitung, 2.11.1995, S. 1.
829 Das „Train and Equip“-Programm war wichtig für die Clinton-Administration, um die Zustimmung
der Muslime zum Abkommen von Dayton zu gewinnen und um zusätzliche Unterstützung aus dem
Kongreß, vor allem von den Republikanern, für den Bosnien-Einsatz zu erhalten. Vgl. HEDGES Effort
to Arm Bosnians Is in Peril, in: International Herald-Tribune, 23./24.3.1996, S. 2 und BOWMAN CRS
Issue Brief 93056: Bosnia: U.S. Military Operations. 16.12.1996 (Im Internet:
http://www.fas.org/man/crs/93-056.htm).
830 Vgl. BOWMAN CRS Issue Brief 93056: Bosnia: U.S. Military Operations. 16.12.1996 (Im Internet:
http://www.fas.org/man/crs/93-056.htm); CALIC Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 252
und „Bonner Initiative zum Frieden auf dem Balkan“, in: Süddeutsche Zeitung, 23.11.1995, S. 2.
831 Vgl. NEVILLE-JONES Dayton, S. 49 und „Greift den Strohhalm“, in: Der Spiegel, 27.11.1995, S. 148149.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
173
des Vertrages realisiert werden konnte.832 Doch der Verhandlungsdruck, der diese Verhandlungen begleitete, entstand erst durch die amerikanische Führung.
Bonn konnte ebenfalls seinen Einfluß dahingehend geltend machen, Rußland stark in den
IFOR-Einsatz zu integrieren. Schon vor der Konferenz von Dayton erklärte Außenminister
Kinkel:
„Die volle Mitwirkung Rußlands an der Friedenslösung für Bosnien bleibt ein wichtiges Ziel
deutscher Bosnien-Politik in der Kontaktgruppe; auch bei der militärischen Implementierung
des Friedensplanes müssen die Wege gefunden werden, um Rußland bei der Planung und
Durchführung dieser NATO-Aktion voll zu beteiligen.“833
Rußland ist daraufhin erfolgreich in die Implementierung des Abkommens von Dayton
einbezogen worden. Die russische Beteiligung an IFOR und SFOR, obwohl nicht problemlos,
hat inzwischen positive Auswirkungen auf die belastete Beziehung zwischen der NATO und
Rußland gehabt.834
Mit der Beilegung des Krieges schwand ein Streitthema, das die NATO immer schwerer
belastet hatte. Da es mittels der Friedenslösung keine Schuldzuweisungen mehr zwischen
den USA einerseits und Frankreich und Großbritannien andererseits für den andauernden
Krieg geben konnte, sah sich Bonn von seiner Zwangslage zwischen den Partnern weitgehend
erlöst. Meinungsverschiedenheiten gab es sicherlich noch, aber sie enthielten nicht die gleiche
Brisanz wie die früheren Vorwürfe, die durch den Krieg in Bosnien entstanden waren.
Darüberhinaus trug die NATO-Planung für den IFOR-Einsatz zu einer weiteren Entschärfung der langwierigen Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und Frankreich
bezüglich der europäischen Sicherheitsarchitektur bei: „Mit den wachsenden militärischen
Aufgaben der NATO im früheren Jugoslawien und dem Druck der praktischen Erfordernisse,
mit 16 Mitgliedern zu planen, zu entscheiden und zu führen, traten diese ideologisch
überhöhten Divergenzen in den Hintergrund.835 Frankreich entdeckte die Bedeutung der
NATO für die europäische Sicherheit wieder, während die USA die Notwendigkeit ihrer
Führungsrolle in Europa bei einer größeren Toleranz europäischen Sicherheitsstrukturen
832 Vgl. „Aufmacher: Beginn der Verhandlungen im US-Bundesstaat Ohio“, in: Süddeutsche Zeitung,
2.11.1995, S. 1.
833 Kinkel zitiert in: „Kämpfe in Bosnien flauen ab“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.1995, S.
1-2 (2).
834 Vgl. SCHULTE Former Yugoslavia, S. 32-33 und SCHÖNFELD Auf dem Wege nach Dayton, S. 104105.
835 So STRATMANN Zukunftsaussicht, S. 21. Vgl. auch BECKING Die NATO in Bosnien, S. 35-36.
174
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
gegenüber, wie z.B. die WEU, erkannten.836 Diese weitere Entlastung der transatlantischen
Beziehungen, gleichfalls auf die amerikanische Führungsrolle im Jugoslawien-Konflikt seit
Spätsommer 1995 zurückzuführen, befreite Bonn weiter von seiner oft unangenehmen
Position zwischen den sicherheitspolitischen Vorstellungen seiner Verbündeten. Die
Bundesrepublik konnte den Ausbau ihrer europäischen Partnerschaften in diesem Bereich
verfolgen, ohne die atlantische Partnerschaft zu schwächen.
Auf eine Weise wirkte die amerikanische Führungsrolle einschränkend auf den deutschen
Handlungsspielraum: für Deutschland wurde es im Spätsommer und Herbst 1995 immer
weniger möglich, sich von einer Beteiligung an militärischen Maßnahmen im ehemaligen
Jugoslawien fernzuhalten. Mit dem Abkommen von Dayton und der Rolle der NATO bei
seiner Umsetzung, hätte eine Nichtteilnahme der Bundesrepublik für großes Aufsehen unter
den Verbündeten gesorgt. Besonders nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 12. Juli 1994, wonach die Bundesrepublik mit einfacher Mehrheit des Bundestags an
Auslandseinsätzen im Rahmen der NATO teilnehmen durfte, stiegen die Erwartungen der
USA. Präsident Clinton war zu Besuch in Deutschland, als die Entscheidung des Gerichts
bekanntgegeben wurde. Er begrüßte die Entscheidung mit solch großer Begeisterung, daß
Bundeskanzler Kohl sich veranlaßt sah, darauf dergestalt zu reagieren, daß Bonn äußerst
vorsichtig mit diesem neu gewonnenen Handlungsspielraum umgehen würde.837 Die Entscheidung des Gerichts führte nicht zwangsläufig zu einem höheren Gebrauch von militärischen Mitteln in der deutschen Außenpolitik. Vielmehr war sie ein erster wichtiger Schritt
in diese Richtung. Wie schon gesehen, reagierte die Bundesregierung auch nach der Entscheidung vorsichtig auf Anfragen der NATO bezüglich einer deutschen Beteiligung an einem
Einsatz zur Deckung eines eventuellen Abzugs der UNPROFOR. Aber solche Aufforderungen
waren ein Zeichen dafür, daß von der Bundesrepublik nun eine größere Rolle in der Allianz
erwartet wurde.838 Vor allem resultierten diese Aufforderungen von amerikanischen Initiativen
im NATO-Rat.
Anders als bei der eher widerwilligen Reaktion Bonns auf die Anfrage der NATO im
Dezember 1994, schien die Bundesrepublik im Oktober 1995 den gestiegenen Erwartungen
ihrer Partner Entgegenkommen zu zeigen. So einigten sich Bundeskanzler Kohl, Außen-
836 Vgl. ART Why Western Europe Needs the United States and NATO, S. 33-35, GORDON Recasting, S.
49-50 und SCHULTE Former Yugoslavia, S. 34.
837 Vgl. DONFRIED CRS Issue Brief 91018: German-American Relations in the New Europe. 5.12.1996.
(Im Internet: http://www.fas.org/man/crs/91-018.htm).
838 Zu einer wachsenden Akzeptanz für eine aktive deutsche Rolle an NATO-Einsätzen, vgl.: ASMUS In
Germany, the Leadership’s Vision Goes Beyond the Border, in: International Herald-Tribune,
12.4.1996, S. 10.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
175
minister Kinkel und Verteidigungsminister Rühe auf die Grundzüge einer deutschen Beteiligung an der IFOR noch bevor es zu einer offiziellen Anfrage der NATO kam.839 Der
Bundestag bewilligte den Einsatz der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien am 6.
Dezember 1995 mit einer überwältigenden Mehrheit: 543 gegen 107 Stimmen.840 Bei der
IFOR waren die 4.000 Bundeswehr-Soldaten in Kroatien stationiert und hatten eine Unterstützungsrolle inne.841 Diese Beteiligung wurde von den USA ausdrücklich begrüßt. So erklärte
Präsident Clinton im Mai 1996: „I especially want to thank the Chancellor for the truly historic
decision to deploy four-thousand German troops to support the Bosnia peace agreement.
Germany is shouldering its security responsibilities in the post-Cold War world, and we are
all greatful for that.“842
Schon im September 1996 deutete Bonn seine Bereitschaft an, eine größere Führungsrolle
in einer eventuellen Folgeoperation zur IFOR einnehmen zu wollen, auch mit einer Beteiligung
von Bodentruppen.843 Aber diese Bereitschaft kam erst, nachdem es Andeutungen aus
Washington gab, daß die USA an einer Folgeoperation teilnehmen würden. Wenige Monate
zuvor, als die Clinton-Administration noch an einem fristgerechten Abzug der IFOR festhielt,
ohne bei einer Folgeoperation teilnehmen zu wollen, erklärte die Bundesregierung, daß ohne
die USA auch Deutschland nicht teilnehmen würde.844 Am 13. Dezember billigte der
Bundestag wieder mit großer Mehrheit (499 gegen 93 Stimmen) die Beteiligung von 3.000
Bundeswehr-Soldaten an der SFOR.845 Davon dienten ungefähr 2.000 Mann in Bodentruppen,
hauptsächlich als Teil eines deutsch-französischen Einsatzverbandes, in Bosnien selbst.846
839 Vgl. „Auf Grundzüge eines deutschen Beitrags für Bosnien geeinigt“, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 12.10.1995, S. 1-2 und „Der Waffenstillstand ist brüchig. Bosnier setzen Angriffe fort“, in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.1995, S. 1-2.
840 Eine Mehrheit der SPD und 22 Abgeordnete der Grünen stimmten dem Beschluß zu. Vgl. „Bundestag
stimmt für Bosnien-Einsatz“, in: Die Welt, 7.12.1995.
841 Vgl. KORNELIUS Deutsche Soldaten – Dienstleister für die NATO-Friedenstruppe, in: Süddeutsche
Zeitung, 7.12.1995, S. 8
842 „White House Press Release. Press Conference by President Clinton and German Chancellor Kohl.“
23.5.1996. (Im Internet: http://whitehouse.dm.net/library/1996/6021.TXT).
843 Vgl. E GGLESTON Bosnia: Defense Ministers To Discuss New Peacekeeping Force, in: Radio Free
Europe / Radio Liberty. 18.9.1996. (Im Internet: http://www.rferl.org/nca/features/1996/09/F.RU.
960918163456. html).
844 Vgl. E GGLESTON Germany Says ‘No’ To Extending IFOR, in: Radio Free Europe / Radio Liberty.
30.5.1996. (Im Internet: http://www.rferl.org/nca/features/1996/05/F.RU.96053017593780.html).
845 Vgl. „Deutsche Beteiligung an der militärischen Absicherung des Friedens im ehemaligen Jugoslawien. Beschluß des Deutschen Bundestages vom 13 Dezember 1996 zur IFOR-Folgeoperation.“
B u n d e s t a g s d r u c k s a c h e
1 3 - 6 5 0 0 .
( I m
I n t e r n e t :
http://www.bmvg.government.de/presse/pressemappen/i-nat-aufgaben/beschluss.htm).
846 Vgl. „Erklärung von BM Rühe zu Auftrag, Umfang und Struktur des deutschen Kontingents zu SFOR
(Dezember 1996).“ (Im Internet: http://www.bmvg.government.de/presse/pressemappen/i-nataufgaben/rühe-sfor.htm).
176
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Die militärische Teilnahme der Bundesrepublik an der Umsetzung des Daytoner Abkommens stärkte auch das diplomatische Gewicht Bonns. So erklärte Außenminister Kinkel
in Bezug auf die Bosnien-Kontaktgruppe: „Hier werden alle wichtigen Entscheidungen über
den Friedensprozeß in Bosnien getroffen. Unsere militärische Mitwirkung untermauert unsere
Mitsprache in diesem Gremium.“847 Daß die Bundesrepublik Deutschland zu einer sicherheitspolitischen Lastenteilung aufgefordert wurde, lag nicht zuletzt an der wiederentdeckten
sicherheitspolitischen Führungsrolle der USA in Europa.
6. Schlußwort
Im Laufe des Jugoslawien-Konflikts versagte der Westen mehrfach. Der ansteigende
Nationalismus in Jugoslawien war schon vor dem Ende des Ost-West-Konflikts deutlich zu
erkennen, aber er wurde unzureichend beachtet. Die westliche Staatenwelt begnügte sich mit
einer Scheindebatte über die völkerrechtliche Anerkennung der jugoslawischen Republiken,
als das Gewaltpotential zunahm und der Krieg in Kroatien ausbrach. Während sich westliche
Diplomaten und Staatsmänner um den Anschein der wirkungsvollen Aktivität bemühten,
erfaßte der Krieg Bosnien-Herzegovina. Nach unzähligen gebrochenen Waffenstillständen
verhandelten die westlichen Vermittler mit dem Aggressor ohne die erforderlichen Mittel
weiter, während die Greueltaten in Srebrenica ihren Höhepunkt erreichten.
Das Versagen beschränkte sich nicht nur auf die moralische und humanitäre Ebene, sondern
betraf auch die sicherheitspolitischen Interessen der westlichen Allianz. Die NATO hatte durch
den mangelnden politischen Willen ihrer Mitglieder erheblich an Glaubwürdigkeit eingebüßt
und die Verbündeten waren wegen des anhaltenden Krieges zerstritten.
Die Vereinigten Staaten, welche über einzigartige politische und militärische Mittel
verfügen, wären der einzige internationale Akteur gewesen, der es vermocht hätte, in dem
komplizierten Konflikt auf dem Balkan eine gemeinsame Linie der Verbündeten durchzusetzen. Weil sie vier Jahre lang nach dem offenen Ausbruch des Krieges im ehemaligen
847 „Die Rolle der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik bei der internationalen Krisenbewältigung
seit 1990. Rede des Bundesministers des Auswärtigen Dr. Klaus Kinkel beim Vierten Sicherheitspolitischen Forum des Deutschen Bundeswehr-Verbandes am 25. November 1997 in Bonn.“ (Im
Internet: http://www.auswaertiges-amt.government.de/6%5Farchiv/2/r/r9/1125a.html).
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
177
Jugoslawien auf die dazu nötige Führung verzichteten, müssen die USA einen Großteil der
Verantwortung für die verfehlte westliche Reaktion im Jugoslawien-Konflikt tragen.
Die Bundesrepublik Deutschland hingegen besaß wenige Möglichkeiten, um eine wirksame
Politik gegenüber dem nationalistisch bedingten Konflikt zu verfolgen. Diese Möglichkeiten
waren aufgrund der amerikanischen Führungsschwäche um so geringer. Mit der Wiederaufnahme einer Führungsrolle durch die USA nahm der außenpolitische Handlungsspielraum
der Bundesrepublik sowie ihre internationale Verantwortung zu.
Der Frieden für Bosnien-Herzegovina, geschlossen in Dayton, ist kein gerechter Frieden.
Das Abkommen erkannte die Ergebnisse von Aggression und ethnischer Säuberung an und
ließ die Anstifter des Nationalismus zumindest de facto an der Macht. Dennoch war nach
einer jahrelang fehlgeleiteten Jugoslawienpolitik wahrscheinlich kein gerechtes Abkommen
möglich.
Weil die USA eine besondere Verantwortung für die bis zum Spätsommer 1995 betriebene
westliche Beschwichtigungspolitik tragen, haben sie auch eine besondere Verantwortung,
zumindest den ungerechten Frieden von Dayton zu sichern. Die Anwesenheit einer internationalen Friedenstruppe in Bosnien ist weiterhin unabdingbar für die Aufrechterhaltung des
brüchigen Friedens, die Rückführung von Flüchtlingen, die Verhaftung von angeklagten
Kriegsverbrechern und die Schaffung einer langfristigen politischen und sozialen Stabilität.
Nur unter Aufsicht der internationalen Gemeinschaft kann ein neuer Aufstieg der Nationalisten
in Bosnien verhindert und die Bedingungen für eine Versöhnung geschaffen werden. Sicher
ist, daß nach dem Völkermord in Bosnien diese Versöhnung nur zögerlich entstehen kann.
Daher müssen sich die USA und ihre europäische Partner für eine langfristige Stationierung
in Bosnien verpflichten, wollen sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Obwohl die
amerikanische Führung in Bosnien länger andauerte, als viele erwartet hätten, bedeutet es
nicht zwangsweise, daß sie langfristig bestehen bleiben wird. Eine größere europäische Rolle
bei der Implementierung des Friedens in Bosnien würde jedoch die amerikanische Führungsrolle erleichtern.
Deutschland hat nun eine Chance, die Bedingungen für die weitere amerikanische Führung
in Bosnien zu begünstigen: „Die volle Involvierung der Bundesrepublik bei der Bewältigung
der anstehenden dornigen Probleme könnte wesentlich dazu beitragen, die amerikanische
Beteiligung sicherzustellen – und die Aussichten auf Erfolg für das kollektive westliche
Unterfangen zu verbessern.“848 Wenn die Bundesrepublik neue Verantwortung in Bosnien
848
Vgl. BRENNER Das Finale, S. 9.
178
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
und in der europäischen Sicherheitspolitik entsprechend ihres gewachsenen Handlungsspielraums übernimmt, wird sie ihr Verständnis für eine Lehre aus dem Jugoslawien-Konflikt
demonstriert haben; aus der Handlungsfähigkeit folgt häufig die Verantwortung zu handeln.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
179
Abkürzungsverzeichnis
AWACS
Airborne Warning and Control System
BdKJ
Bund der Kommunisten Jugoslawiens
bzw.
beziehungsweise
CIA
Central Intelligence Agency
CDU
Christlich-Demokratische Union
CRS
Congressional Research Service
CSU
Christlich-Soziale Union
D
Democrat
DDR
Deutsche Demokratische Republik
DEMOS
Demokratische Opposition Sloweniens
ders.
derselbe
diess.
diesselbe
ECU
European Currency Unit
EG
Europäische Gemeinschaft
EPZ
Europäische Politische Zusammenarbeit
EU
Europäische Union
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
FDP
Freie Demokratische Partei
GASP
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
GUS
Gemeinschaft Unabhängiger Staaten
HDZ
Kroatische Demokratische Gemeinschaft
Hrsg.
Herausgeber
IFOR
Implementation Force
IMRO
Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation
insbes.
insbesondere
IWF
Internationaler Währungsfonds
Jg.
Jahrgang
JVA
Jugoslawische Volksarmee
KSZE
Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
NAFTA
North American Free Trade Agreement
NATO
North Atlantic Treaty Organization
Nr.
Nummer
NSC
National Security Council
OSZE
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
PDS
Partei des Demokratischen Sozialismus
R
Republican
RFE/RL
Radio Free Europe / Radio Liberty
RRF
Rapid Reaction Force
S.
Seite
180
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
SACEUR
Supreme Allied Commander Europe
SANU
Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste
SDA
Partei der Demokratischen Aktion
SDS
Serbische Demokratische Partei
SFOR
Stabilization Force
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
SPS
Sozialistische Partei Serbiens
u.a.
unter anderem
UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
UN
United Nations
UNHCR
Unites Nations High Commissioner for Refugees
UNPROFOR
United Nations Protection Force
USA
United States of America
vgl.
vergleiche
WEU
Westeuropäische Union
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
181
Literaturverzeichnis
Bei den jeweiligen Fußnoten stehen die vollständigen Angaben zu den benutzten Dokumenten sowie zu
herangezogenen Beiträgen und Artikeln aus den folgenden Zeitungen und Zeitschriften:
Congressional Quarterly
Congressional Quarterly Weekly Report
Financial Times
Frankfurter Allgemeine Zeitung
International Herald Tribune
New York Times
Der Spiegel
Süddeutsche Zeitung
Die Welt
Die Zeit
Bücher und Aufsätze
AJAMI, FOUAD Beyond Words. History Rewards the Aggressors, in: The New Republic, 7.8.1995, S. 15-17.
ALMOND, MARK Europe’s Backyard War. The War in the Balkans. London 1994.
ANDREJEVICH, MILAN The Bosnian Muslim Leader Fikret Abdic, in: RFE/RL Research Report. Nr. 40,
8.10.1993, S. 16-20.
ANDREJEVICH, MILAN Serbia’s Bosnian Dilemma, in: RFE/RL Research Report. Nr. 23, 4.6.1993, S. 14-21.
ANDREJEVICH, MILAN The Radicalization of Serbian Politics, in: RFE/RL Research Report. Nr. 13,
26.3.1993, S. 14-24.
ANDREJEVICH, MILAN What Future for Serbia? In: RFE/RL Research Report. Nr. 50, 18.12.1992, S. 7-17.
ANDREJEVICH, MILAN The Sandžak: The Next Balkan Theater of War? In: RFE/RL Research Report. Nr.
47, 27.11.1992, S. 26-34.
ANDREJEVICH, MILAN Bosnia and Herzegovina: In Search of Peace, in: RFE/RL Research Report. Nr. 23,
5.6.1992, S. 1-11.
ANDREJEVICH, MILAN More Guns, Less Butter in Bosnia and Herzegovina, in: RFE/RL Research Report.
Nr. 11, 13.3.1992, S. 10-17.
ANDREJEVICH, MILAN Bosnia and Herzegovina: A Precarious Peace, in: RFE/RL Research Report. Nr. 9,
28.2.1992, S. 6-14.
ARDAY, LAJOS Der historische Hintergrund der Krise im ehemaligen Jugoslawien, in: Außenpolitik. 44
(1993)3, S. 253-260.
ART, ROBERT J. Why Western Europe Needs the United States and NATO, in: Political Science Quarterly.
Vol. 111, Nr. 1, 1996, S. 1-39.
ASMUS, RONALD D. Germany and America: Partners in Leadership? In: Survival. Vol. 23, Nr. 6, Nov./Dez.
1991, S. 546-566.
AXT, HEINZ-JÜRGEN Hat Genscher Jugoslawien entzweit? Mythen und Fakten zur Außenpolitik des vereinten
Deutschlands, in: Europa-Archiv, 12/1993, S. 351-360.
AXT, HEINZ-JÜRGEN Mazedonien: ein Streit um Namen oder ein Konflikt vor dem Ausbruch? In: EuropaArchiv, 48 (1993) 3, S. 65-75.
BAKER, JAMES ADDISON The Politics of Diplomacy. Revolution, War and Peace, 1989-1992. New York 1995
BARNES, FRED You’re Fired. (White House Watch), in: The New Republic, 10./17. Januar 1994, S. 12-14.
BARNES, FRED Safe Haven. (White House Watch), in: The New Republic, 14. Juni 1993, S. 12-14.
BARNES, FRED A Star is Born. (White House Watch), in: The New Republic, 24. Mai 1993, S. 12-13.
BEBLER, ANTON Der Untergang des jugoslawischen Modells des föderalistischen Kommunismus, in:
Europäische Rundschau, 20 (1992) 3, S. 3-20.
BEBLER, ANTON The Military and the Yugoslav Crisis, in: Südosteuropa, 40 (1991) 3-4, S. 127-144.
182
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
BEBLER, ANTON Jugoslawiens Zukunftsperspektiven. Widerstreitende Konzeptionen zur Neuordnung des
Staates, in: Südosteuropa, 40 (1991) 1, S. 1-10.
BECHER, KLAUS Nationalitätenkonflikte auf dem Balkan, in: Kaiser, K., Maull, H. (Hrsg.): Deutschlands
neue Außenpolitik. Band II. Herausforderungen. München 1994, S. 137-155.
BECKING, BERND Die NATO in Bosnien – Implementierung des Abkommen von Dayton als Testfall für neue
Aufgaben, in: ders., u.a.: Dayton: Perspektiven europäischer Sicherheit. Ebenhausen, Februar 1996.
BELL-FIALKOFF, ANDREW A Brief History of Ethnic Cleansing, in: Foreign Affairs, 72 (1993) 3, S. 110-121..
BRENNER , MICHAEL Das Finale in Jugoslawien. Der Westen und die Lösung des Balkan-Konflikts, in:
Internationale Politik, 12 (1995), S. 3-9.
BRENNER, MICHAEL (Hrsg.) Multilateralism and Western Strategy. New York, London 1995.
BRENNER, MICHAEL Multilateralism and European Security, in: Survival, Vol. 35, Nr.2, Sommer 1993, S.
138-155.
BREY, THOMAS Jugoslawien: Der Vielvölkerstaat zerfällt, in: Osteuropa, 41 (1991) 5, S. 417-430 und 41
(1991)7, S. 709-724.
BREY, THOMAS Bonn und Belgrad. Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien seit
dem Zweiten Weltkrieg, in: Osteuropa, 29.8.79, S. 632-644.
BROWN, J.F. Crisis and Conflict in Eastern Europe, in: RFE/RL Research Report, Nr. 22, 29.5.1992, S. 1-9.
BRZEZINSKI, ZBIGNIEW After Srebrenica. The Speech Clinton Never Gave, in: The New Republic, 7.8.1995,
S. 20-21.
CALIC, MARIE-JANINE Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina. (Erweiterte Neuausgabe). Frankfurt a.M.
1996.
CALIC, MARIE-JANINE Jugoslawien-Politik am Wendepunkt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur
Wochenzeitung Das Parlament, B 37, 10.9.1993, S. 11-20.
CALIC, MARIE-JANINE Die Logik des Zerfalls. Staatliche und nationale Umgestaltung im postjugoslawischen
Raum, in: Zunker, A. (Hrsg.): Weltordnung oder Chaos? Baden-Baden 1993, S. 193-207.
CAMPBELL, JOHN C. Tito’s Seperate Road. America and Yugoslavia in World Politics. New York 1967.
CLARKE, JONATHAN Rhetoric Before Reality. Loose Lips Sink Ships, in: Foreign Affairs, Sept./Okt. 1995,
S. 2-7.
COHEN, ROGER Peace In His Time. (Rezension von Owen, David: Balkan Odyssey.) In: The New Republic,
11.3.1996, S. 34-40.
COULMAS, PETER Das Problem des Selbstbestimmungsrechts. Mikronationalismus, Anarchie und innere
Schwäche der Staaten, in: Europa-Archiv, 48 (1993) 4, S. 85-92.
COX, MICHAEL U.S. Foreign Policy After the Cold War. (Chatham House Papers) London 1995.
CROW, SUZANNE Russia Adopts a More Active Policy, in: RFE/RL Research Report, Nr. 12, 19.3.1993, S.
1-6.
CROW, SUZANNE Reading Moscow’s Policies toward the Rump Yugoslavia, in: RFE/RL Research Report,
Nr. 44, 6.11.1992, S. 13-19.
DAALDER, IVO H. Anführer auf dem Rückzug? Die USA und der Friedensprozeß in Bosnien, in: Internationale Politik, 7 (1997), S. 9-14.
DEVETAK, SILVIO Slovenia as a Specific Case of the Yugoslav Crisis, in: Südosteuropa, 41 (1992) 3-4, S.
228-235.
DJILAS, ALESKA A Profile of Slobodan Miloševiæ, in: Foreign Affairs, 72 (1993) 3, S. 81-96.
DOMINIS, IVA / BICANIC, IVO Refugees and Displaced Persons in the Former Yugoslavia, in: RFE/RL
Research Report, Nr. 3, 15.1.1993, S. 1-4.
DYKER, DAVID / BOJICIC, VESNA The Impact of Sanctions on the Serbian Economy, in: RFE/RL Research
Report, Nr. 21, 21.5.1993, S. 50-54.
EIFF, HANSJÖRG Zur Entwicklung im früheren Jugoslawien, in: Südosteuropa-Mitteilungen, 33 (1993) 2,
S. 132-138.
EYAL, JONATHAN Europe and Yugoslavia: Lessons from a Failure. (Whitehall Paper 19) London 1993.
FERGUSON, NIALL Europa Nervosa. The Roots of Europe’s Balkan Balk, in: The New Republic, 31. Mai
1993, S. 22-24.
FISCHER, JOSCHKA Les Certitudes Allemandes. Grundkonstanten bundesdeutscher Außenpolitik, in: Blätter
für deutsche und internationale Politik, Nr. 9, 1994, S. 1082-1090.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
183
GAGNON, V.P. JR. Yugoslavia: Prospects for Stability, in: Foreign Affairs, 70 (1991) 3, S. 17-35.
GARTON ASH, TIMOTHY Im Namen Europas. Deutschland und der geteilte Kontinent. München u.a. 1993.
GATI, CHARLES From Sarajevo to Sarajevo, in: Foreign Affairs, 71 (1992) 4, S. 64-78.
GENSCHER, HANS-DIETRICH Erinnerungen. Berlin 1995.
GIAKOUMIS, PANTELIS Hellas und die Makedonische Frage, in: Südosteuropa, 41 (1992) 7-8, S. 443-459.
GIERSCH, CARSTEN / EISERMANN, DANIEL Die westliche Politik und der Kroatienkrieg 1991-92, in:
Südosteuropa, 43 (1994) 3/4, S. 91-125.
GLENNY, MISHA Heading off War in the Southern Balkans, in: Foreign Affairs, Mai/Juni 1995, S. 98-108.
GLYNN, PATRICK See No Evil. Clinton-Bush and the Truth about Bosnia, in: The New Republic. 25.10.1993,
S. 23, 26 und 29.
GLYNN, PATRICK Not Bush. Clinton’s Emerging Balkan Strategy, in: The New Republic, 15.3.1993, S. 1011.
GLYNN, PATRICK Balking. Clinton’s Bosnia Crisis, in: The New Republic, 23.11.1992, S. 20-22.
GLYNN, PATRICK Closing the Loop. A Foreign Policy Realignment? In: The New Republic, 31.8.1992, S.
22-23.
GLYNN, PATRICK Yugoblunder, in: The New Republic, 24.2.1992, S. 15-17.
GOMPERT, DAVID How to Defeat Serbia, in: Foreign Affairs, Vol. 73, Nr. 4, Juli-August 1994, S. 30-47.
GORDON, PHILIP H. Recasting the Atlantic Alliance, in: Survival, 38 (1996) 1, S. 32-57.
GORDON, PHILIP H. Die deutsch-französische Partnerschaft und die atlantische Allianz. Bonn 1994.
GOW, JAMES One Year of War in Bosnia and Herzegovina, in: RFE/RL Research Report, Nr. 23, 4.6.1993,
S. 1-13
GOW, JAMES Military-Political Affiliatians in the Yugoslav Conflict, in: RFE/RL Research Report, Nr. 20,
15.5.1992, S. 16-25.
GOW, JAMES Deconstructing Yugoslavia, in: Survival, 33 (1991) 4, S. 291-311.
GROßE-JÜTTE, ANNEMARIE / JÜTTE, RÜDIGER Die außenpolitischen Beziehungen zwischen Jugoslawien
und den USA 1968-1978, in: Grothusen, Klaus-Detlev, u.a. (Hrsg.): Jugoslawien am Ende der
Ära Tito. (Band 1: Außenpolitik). Wien 1983, S. 59-97.
HACKE, CHRISTIAN Weltmacht wider Willen. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt
a.M. 1993.
HACKER, JENS Integration und Verantwortung. Deutschland als europäischer Sicherheitspartner. Bonn 1995.
HACKER, JENS Der Ostblock. Entstehung, Entwicklung und Struktur 1939-1980. Baden-Baden 1983.
HAFTENDORN, HELGA Gulliver in der Mitte Europas, internationale Verflechtung und nationale Handlungsmöglichkeiten, in: Kaiser, K., Maull, H. (Hrsg.): Deutschlands neue Außenpolitik. Band I.
Grundlagen. München 1994, S. 129-152.
HASSNER, PIERRE Beyond Nationalism and Internationalism. Ethnicity and World Order, in: Survival, 35
(1993) 2, S. 49-65.
HAYDEN, ROBERT M. The Partition of Bosnia and Herzegovina, 1990-1993, in: RFE/RL Research Report,
Nr. 22, 28.5.1993, S. 1-14.
HEILBRUNN, JACOB Lake Inferior. The Pedigree of Anthony Lake, in: The New Republic, 20./27.9.1993,
S. 29, 32 und 34-35.
HEINRICH, ARTHUR Neue deutsche Außenpolitik. Selbstversuche zwischen Zagreb und Brüssel, in: Blätter
für deutsche und internationale Politik, Nr. 12/1991, S. 1446-1458.
HODGE, CAROLE Slimy Limeys. The Brits vs. the Bosnians, in: The New Republic, 9.1.1995, S. 21-22.
HOLBROOKE, RICHARD America, A European Power, in: Foreign Affairs, März/April 1995, S. 38-51.
IVANOV, A. Zweideutige Prioritäten: US-amerikanische Außenpolitik und der Krieg auf dem Balkan bis
Sommer 1993, in: Südosteuropa, 43 (1994) 3/4, S. 126-150.
JOFFE, JOSEF The New Europe: Yesterday’s Ghosts, in: Foreign Affairs, America and the World. (Sonderausgabe) Vol 72, Nr. 1, S. 29-43.
JUDIS, JOHN B. The Foreign Unpolicy. Clinton’s Radical Failure, in: The New Republic, 12.7.93, S. 11-13.
KOSOVA, WESTON Get Out the Vote. (On the Hill), in: The New Republic, 7.8.1995, S. 10.
KOVRIG, BENNETT The Myth of Liberation. East-Central Europe in US Diplomacy and Politics since 1941.
Baltimore 1973.
184
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
KRIZAN, MOJMIR Zerbrechliche Hoffnungen. Das Abkommen von Dayton/Paris und die Zukunft des Balkans,
in: Osteuropa, 46. Jg, Nr. 4, April 1996, S. 315-330.
LANE, CHARLES National Insecurity. The Memo, in: The New Republic, 20.11.1995, S. 16-18.
LANE, CHARLES The Fall of Srebrenica. A Case Study in Political and Military Failure, in: The New
Republic, 14.8.1995, S. 14-17.
LANE, CHARLES The Last Interventionist. Bob Dole’s Foreign Policy Credentials, in: The New Republic,
3.7.1995, S. 19-20, 22-25.
LANE, CHARLES (1994a) Slav Story, in: The New Republic, 14.3.1994, S. 6.
LANE, CHARLES The Master of the Game. Strobe’s World, in: The New Republic, 7.3.1994, S. 19-20, 22-23,
26 und 28-29.
LARRABEE, F. STEPHEN Western Strategy Toward Former Yugoslavia. (RAND). Santa Monica 1994.
LAUER, REINHARD Das Wüten der Mythen. Kritische Anmerkungen zur serbischen heroischen Dichtung,
in: ders.; Lehfeldt, Werner (Hrsg.): Das jugoslawische Desaster. Historische, sprachliche und
ideologische Hintergründe. Wiesbaden 1995, S. 107-148.
LENDVAI, PAUL Jugoslawien ohne Jugoslawen – Die Wurzeln der Staatskrise, in: Europa-Archiv, Jg. 45/1990,
S. 573-580.
LONCAR, BUDIMIR Jugoslawien und die europäische Politik, in: Südosteuropa-Mitteilungen, 31 (1991) 1,
S. 1-6.
LUCAS, MICHAEL R. Minderheitenrechte und Konfliktmanagement: Entwicklungen in der KSZE und deren
interinstitutioneller Zusammenhang, in: Südosteuropa Mitteilungen, 34 (1994) 2, S. 85-112.
LYNCH, ALLEN / LUKIC, RENEO Rußland und der Krieg im ehemaligen Jugoslawien, in: Europa-Archiv,
Jg 49/1994, S. 80-88.
MALCOLM, NOEL The Case Against „Europe“, in: Foreign Affairs, 74 (1995) 2, S. 52-68.
MARKOTICH, STAN Serbia, in: RFE/RL Research Report, Nr. 16, 22.4.1994, S. 95-100.
MARKOTICH, STAN Vojvodina: A Potential Powder Keg, in: RFE/RL Research Report, Nr. 46, 19.11.1993,
S. 13-18.
MAULL, HANNS W Germany in the Yugoslav Crisis, in: Survival, Vol. 37, Nr. 4, Winter 1995/1996, S. 99130.
MAULL, HANNS W. A German Perspective, in: Brenner, Michael (Hrsg.): Multilateralism and Western
Strategy. New York, London 1995, S. 42-76.
MEIER, VIKTOR Wie Jugoslawien verspielt wurde, in: Europäische Rundschau, 23 (1995) 3, S. 3-9.
MEIERS, FRANZ-JOSEF Germany: The Reluctant Power, in: Survival, Vol. 37, Nr. 3, Herbst 1995, S. 82-103.
MIEDLIG, HANS-MICHAEL Gründe und Hintergründe der aktuellen Nationalitätenkonflikte in den jugoslawischen Ländern, in: Südosteuropa, 41 (1992) 2, S. 116-130.
MOORE, PATRICK Bosnian Partition Plan Rejected, in: RFE/RL Research Report, Nr. 33, 26.8.1994, S. 1-5.
MOORE, PATRICK The Croatian-Muslim Agreements, in: RFE/RL Research Report, Nr. 13, 1.4.1994, S. 2024.
MOORE, PATRICK A New Stage in the Bosnian Conflict, in: RFE/RL Research Report, Nr. 9, 4.3.1994, S.
33-36.
MOORE, PATRICK Endgame in Bosnia and Herzogovina? In: RFE/RL Research Report, Nr. 32, 13.8.1993,
S. 17-23.
MOORE, PATRICK The Shaky Truce in Croatia, in: RFE/RL Research Report, Nr. 21, 21.5.1993, S. 46-49.
MOORE, PATRICK War Returns to Croatia, in: RFE/RL Research Report, Nr. 9, 26.2.1993, S. 40-43.
MOORE , PATRICK Kosovo Could Spark Another Balkan War, in: RFE/RL Research Report, Nr. 50,
18.12.1992, S. 18-20.
MOORE, PATRICK The First Month of the Bosnian Peace Process, in: RFE/RL Research Report, Nr. 40,
9.10.1992, S. 1-5.
MOORE , PATRICK The London Conference on the Bosnian Crisis, in: RFE/RL Research Report, Nr. 36,
11.9.1992, S. 1-6.
MOORE, PATRICK Ethnic Cleansing in Bosnia: Outrage but Little Action, in: RFE/RL Research Report, Nr.
34, 28.8.1992, S. 1-7.
MOORE, PATRICK Islamic Aspects of the Yugoslav Crisis, in: RFE/RL Research Report, Nr. 28, 10.7.1992,
S. 37-42.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
185
MOORE, PATRICK The International Relations of the Yugoslav Area, in: RFE/RL Research Report, Nr. 18,
1.5.1992, S. 33-38.
MOORE, PATRICK The „Albanian Question“ in the Former Yugoslavia, in: RFE/RL Research Report, Nr.
14, 3.4.1992, S. 7-15.
MOORE, PATRICK Diplomatic Recognition of Croatia and Slovenia, in: RFE/RL Research Report, Nr. 4,
24.1.1992, S. 9-14.
MÜHLEN, ALEXANDER Die deutsche Rolle bei der Anerkennung der jugoslawischen Sezessionsstaaten, in:
Liberal, 2/1992, S. 49-55.
MÜLLER, HARALD German Foreign Policy after Unification, in: Stares, Paul B. (Hrsg.): The New Germany
and the New Europe. Washington D.C. 1992, S. 126-173.
NERLICH, UWE Neue Sicherheitsfunktionen der NATO, in: Europa-Archiv, 48 (1993) 23, S. 663-672.
NEUDECK, RUPERT Menschenrechtstragödien in Bosnien-Herzegowina, in: Aus Politik und Zeitgeschichte.
Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B37, 10.9.1993, S. 30-37.
NEVILLE-JONES, PAULINE Dayton, IFOR and Alliance Relations in Bosnia, in: Survival. Vol. 38, Nr. 4,
Winter 1996-97, S. 45-65.
NEWHOUSE, JOHN Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens. Das Versagen der Diplomatie Chronik eines Skandals, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 37/1992, S. 11901205.
OLTAY, E DITH Hungarians under Political Pressure in Vojvodina, in: RFE/RL Research Report, Nr. 48,
3.12.1993, S. 43-48.
OSCHLIES, WOLF Ursachen des Krieges in Ex-Jugoslawien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur
Wochenzeitung Das Parlament, B37, 10.9.1993, S. 3-10.
PAULSEN, THOMAS Die Jugoslawienpolitik der USA 1989-1994. Begrenztes Engagement und Konfliktdynamik. Baden-Baden 1995.
PAVKOVIC, ALEKSANDAR The Fragmentation of Yugoslavia. Nationalism in a Multinational State. New
York, London 1997.
PELLET, ALAIN The Opinions of the Badinter Arbitration Committee. A Second Breath for the SelfDetermination of Peoples, in: European Journal of International Law, 3 (1992) 1, S. 178-185.
PERRY, DUNCAN M. Macedonia: A Balkan Problem and a European Dilemma, in: RFE/RL Research Report,
Nr. 25, 19.6.1992, S. 35-45.
POND, ELISABETH Germany in the New Europe, in: Foreign Affairs, Vol. 71 (1992), Nr. 2, S. 114-130.
POULTON, HUGH Rising Ethnic Tension in Vojvodina, in: RFE/RL Research Report, Nr. 50, 18.12.1992,
S. 21-27.
POWELL, COLIN L. U.S. Forces. C hallenges Ahead, in: Foreign Affairs, 71 (1992) 5, S. 32-45.
PREISINGER, JOHANNES Silberstreif – Gewitterwolken. Ausblick auf den Friedensprozeß in BosnienHerzegowina, in: Internationale Politik, 7 (1997), S. 29-36.
RAFFONE, PAULO Der Weg nach Dayton. Diplomatische Stationen eines Friedensprozesses, in: Blätter für
deutsche und internationale Politik, Februar 1996, S. 231-240.
RAMET, SABRINA PETRA Yugoslavia and the Two Germanys, in: Verheyen, D., Søe, C. (Hrsg.): The Germans
and Their Neighbors. Boulder u.a. 1993, S. 317-337.
RAMET, SABRINA PETRA War in the Balkans, in: Foreign Affairs. Vol. 71, Nr. 4, 1992, S. 79-98.
REIßMÜLLER, JOHANN-GEORG Der Krieg vor unserer Haustür. Hintergründe der kroatischen Tragödie.
Stuttgart 1992.
REUTER, JENS Interessenlage und Kriegsziele der Konfliktparteien im ehemaligen Jugoslawien. Gibt es
Ansatzpunkte für einen Kompromiß? In: Südosteuropa, 45. Jhg. 1/1996, S. 1-10.
REUTER, JENS Die politische Entwicklung in Kosovo 1992/93, in: Südosteuropa, 43 (1994) 1-2, S. 18-30.
REUTER, JENS Makedonien – der jüngste Staat auf der europäischen Landkarte, in: Aus Politik und
Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B37, 10.9.1993, S. 21-29.
REUTER, JENS Jugoslawien: Versagen der internationalen Gemeinschaft? In: Südosteuropa, Vol. 42, Nr. 6,
1993, S. 333-343.
REUTER, JENS Die politische Entwicklung in Bosnien-Hercegowina, in: Südosteuropa, 41 (1992) 11-12, S.
665-684.
186
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
REUTER, JENS Jugoslawien vor dem Zerfall, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung
Das Parlament, B14, 27.3.1992, S. 3-12.
REUTER, JENS Prioritäten der jugoslawischen Außenpolitik: EFTA und/oder EG? In: Südosteuropa, 40 (1991)
1, S. 11-20.
REUTER, JENS Die Entstehung der jugoslawischen Krise und ihre Internationalisierung, in: Südosteuropa,
Jg. 40/1991, S. 343-352.
REUTER, JENS Jugoslawien im Umbruch, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung
Das Parlament, B45, 2.11.1990, S. 3-15.
RONDHOLZ, EBERHARD Deutsche Erblasten im jugoslawischen Bürgerkrieg, in: Blätter für deutsche und
internationale Politik, Nr. 6, 1992, S. 829-838.
ROSEFELDT, MARTIN Deutschlands und Frankreichs Jugoslawienpolitik im Rahmen der Europäischen
Gemeinschaft (1991-1993), in: Südosteuropa, 42 (1993) 11-12, S. 621-653.
ROSIN, HANNAH Speak No Evil, in: The New Republic, 25.10.1993, S. 28.
RUDOLF, PETER Bosnien: Die USA als europäische Ordnungsmacht, in: Becking, Bernd, u.a.: Dayton:
Perspektiven europäischer Sicherheit. Ebenhausen, Februar 1996.
RÜHL, LOTHAR Die NATO in Bosnien, in: Die politische Meinung, März 1996, S. 41-46.
SALMON, TREVOR C. Testing Times for European Political Cooperation: The Gulf and Yugoslavia, 19901992, in: International Affairs, Feb. 1992, S. 233-253.
SCHILD, GEORG Die USA und der Bürgerkrieg in Bosnien, in: Außenpolitik, 1, 1996, S. 22-32.
SCHMIDT, FABIAN The Former Yugoslavia: Refugees and War Resisters, in: RFE/RL Research Report, Nr.
25, 24.6.1994, S. 47-54.
SCHMIDT, FABIAN Kosovo: The Time Bomb That Has Not Gone Off, in: RFE/RL Research Report, Nr. 39,
1.10.1993, S. 21-29.
SCHÖLLGEN, GREGOR Deutschlands neue Lage. Die USA, die Bundesrepublik Deutschland und die Zukunft
des westlichen Bündnisses, in: Europa-Archiv, 47 (1992) 5, S. 125-132.
SCHÖNFELD, ROLAND Auf dem Wege nach Dayton, in: Südosteuropa-Mitteilungen, 36 (1996) 2, S. 95-118.
SCHÖNFELD, ROLAND Balkankrieg und internationale Gemeinschaft, in: Ders.: Südosteuropa. Kontinuität
und Wandel. München 1995, S. 125-155.
SCHÖNFELD, ROLAND Zur Westorientierung der jugoslawischen Außenwirtschaft. Entwicklung, Stand und
Ziele, in: Grothusen, Klaus-Detlev, u.a. (Hrsg.): Jugoslawien am Ende der Ära Tito. (Band 1:
Außenpolitik). Wien 1983, S. 149-165.
SCHULTE, GREGORY L. Former Yugoslavia and the New NATO, in: Survival, Vol. 39, Nr. 1, Frühjahr 1997,
S. 19-42.
SCHWARZ, HANS-PETER Die Zentralmacht Europas. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne. Berlin 1994.
SCHWEIGLER, GEBHARD Die Außenpolitik von Präsident Clinton. Erste Konturen, in: Europa-Archiv, 19,
1993, S. 553-562.
SHOUP, PAUL Serbia at the Edge of the Abyss, in: RFE/RL Research Report, Nr. 36, 11.9.1992, S. 7-14.
SHOUP, PAUL The UN Force: A New Actor in the Croatian-Serbian Crisis, in: RFE/RL Research Report,
Nr. 13, 27.3.1992, S. 17-22.
SIMIC, PREDAG Bürgerkrieg in Jugoslawien: Vom lokalen Konflikt zur europäischen Krise, in: SüdosteuropaMitteilungen, 33 (1993) 1, S. 35-49.
SLOAN, STANLEY R. U.S. Perspectives on NATO’s Future, in: International Affairs, April 1995, S. 217-231
SMAJLOVIC, LJILJANA Desintigration, Ethnisierung, Krieg: Der Fall Bosnien, in: Hatschikjan, M., Weilemann, P. (Hrsg.): Nationalismen im Umbruch. Ethnizität, Staat und Politik im neuen Osteuropa.
Köln 1995, S. 170-195.
SPASOVSKA, VERICA Flüchtlingsdrama im ehemaligen Jugoslawien. Juli/August 1995. Ein politischer
Reisebericht, in: Südosteuropa Mitteilungen, Nr. 3, 1995, S. 182-187.
STEINBERG, JAMES B. Turning Points in Bosnia and the West, in: Khalilzad, Zalmay M. (Hrsg.): Lessons
from Bosnia. (RAND). Santa Monica 1993, S. 3-9.
STEINBERG, JAMES B. The Role of European Institutions in Security After the Cold War. Some Lessons from
Yugoslavia. (RAND). Santa Monica 1992.
STRATMANN, KARL-PETER Zukunftsaussicht der NATO im Licht des Dayton Abkommens, in: Becking,
Bernd, u.a.: Dayton: Perspektiven europäischer Sicherheit. Ebenhausen, Februar 1996.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
187
STÜRMER, MICHAEL Deutsche Interessen, in: Kaiser, K., Maull, H. (Hrsg.): Deutschlands neue Außenpolitik.
Band I. Grundlagen. München, 1994, S. 39-61.
THATCHER, MARGARET Downing Street No. 10. Die Erinnerungen. Düsseldorf u.a. 1993.
TREVERTON, GREGORY F. The New Europe, in: Foreign Affairs, 71 (1992)1, S. 94-112.
TROEBST, STEFAN Makedonische Antworten auf die „Makedonische Frage“, 1944-1992: Nationalismus,
Republiksgründung, Nation-building, in: Südosteuropa, 41 (1992) 7-8, S. 423-442.
VETSCHERA, HEINZ / SMUTEK-RIEMER, ANDREA Signale zur Früherkennung von krisenhaften Entwicklungen
am Beispiel der Entwicklung zur Jugoslawienkrise, in: Heydrich, Wolfgang, u.a. (Hrsg.):
Sicherheitspolitik Deutschlands. Neue Konstellationen, Risiken, Instrumente. Baden-Baden 1992,
S. 287-330.
VOLLMER, JOHANNES Dayton – eine Pax Americana, in: Europäische Rundschau, 24 (1996) 2, S. 3-21.
WAGNER, WOLFGANG Acht Lehren aus dem Fall Jugoslawien, in: Europa-Archiv, Jg. 47/1992, S. 31-41.
WEITZ, RICHARD The CSCE and the Yugoslav Conflict, in: RFE/RL Research Report, Nr. 5, 31.1.1992, S.
24-26.
WILLIAMS, PHIL / HAMMOND, PAUL / BRENNER, MICHAEL Atlantis Lost, Paradise Regained? The United
States and Western Europe after the Cold War, in: International Affairs, 69 (1993) 1, S. 1-17.
WOHLSTETTER , ALBERT Creating a Greater Serbia. Clinton’s Final Sell-Out of Bosnia, in: The New
Republic, 1.8.1994, S. 10-17.
ZAMETICA, JOHN The Yugoslav Conflict. (Adelphi Paper 270) London 1992. (Siehe Bemerkung zu diesem
Autor in Fußnote 436 auf Seite 59.)
ZANGA, LOUIS Albania Afraid of War over Kosovo, in: RFE/RL Research Report, Nr. 46, 20.11.1992, S.
20-23.
ZIMMERMANN, WARREN Origins of a Catastrophe. Yugoslavia and its Destroyers. America’s Last Ambassador Tells What Happened and Why. New York 1996.
188
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 32/2000
189
,QKDOWVYHU]HLFKQLV
(LQOHLWXQJ
=XUFNKDOWXQJ$PHULNDVXQG'HXWVFKODQGVJHJHQEHU-XJRVODZLHQ
5DKPHQGHUZHVWOLFKHQ-XJRVODZLHQSROLWLNYRUGHP(QGH
GHV2VW:HVW.RQIOLNWV
6WHLJHQGHU1DWLRQDOLVPXVLQGHQ5HSXEOLNHQ-XJRVODZLHQV
:HVWOLFKH5HDNWLRQ3ULPDWGHU(LQKHLW-XJRVODZLHQV
$QHUNHQQXQJVVWUHLW
$PHULNDQLVFKH=XUFNKDOWXQJXQGGHXWVFKH+DQGOXQJHQ
LP5DKPHQGHU(*.6=(XQG:(8ELV0lU]
.ULWLNDQGHUGHXWVFKHQ$QHUNHQQXQJVSROLWLN
'LH/HKUHQDXVGHP$QHUNHQQXQJVVWUHLW
)KUXQJVVFKZlFKHGHU86$XQGEHJUHQ]WH0|JOLFKNHLWHQ
GHUGHXWVFKHQ%DONDQSROLWLN
,QNRQVHTXHQWH)KUXQJGHU%XVK$GPLQLVWUDWLRQ
)RUWIKUXQJGHUKDOEKHU]LJHQ3ROLWLNXQWHU&OLQWRQ
6HFKV3XQNWH3ODQ&OLQWRQV
/LIWDQG6WULNH
*HPHLQVDPHU$NWLRQVSODQEHJUHQ]WH1$72/XIWDQJULIIH
XQG%RVQLHQ.RQWDNWJUXSSH
6FKHLWHUQGHUZHVWOLFKHQ-XJRVODZLHQSROLWLN
(QJH*UHQ]HQGHXWVFKHU%DONDQGLSORPDWLH]ZLVFKHQ0lU]
XQG$XJXVW
5FNNHKUHLQHUNRQVHTXHQWHQDPHULNDQLVFKHQ)KUXQJVUROOH
DXIGHP%DONDQXQGQHXHGHXWVFKH(LQIOXP|JOLFKNHLWHQ
8PGHQNHQGHU&OLQWRQ$GPLQLVWUDWLRQXQG'XUFKVHW]XQJ
HLQHUGLSORPDWLVFKHQXQGPLOLWlULVFKHQ2IIHQVLYH
$ENRPPHQYRQ'D\WRQXQGVHLQH,PSOHPHQWLHUXQJ
1HXHDXHQSROLWLVFKH0|JOLFKNHLWHQIUGLH%XQGHVUHSXEOLN
2VWHXURSD,QVWLWXW0QFKHQ0LWWHLOXQJHQ
6FKOXZRUW
$ENU]XQJVYHU]HLFKQLV
/LWHUDWXUYHU]HLFKQLV
2VWHXURSD,QVWLWXW0QFKHQ0LWWHLOXQJHQ
- Item sets