Das „Christlich Gesprech“ des Tilman Brakel: Untersuchungen zum Weltbild und Geschichtsverständnis eines livländischen Predigers des 16. Jahrhunderts

Item

Title
Das „Christlich Gesprech“ des Tilman Brakel: Untersuchungen zum Weltbild und Geschichtsverständnis eines livländischen Predigers des 16. Jahrhunderts
Identifier
BV012111197
Creator
Linde, Martin
has publication year
1998
Is Part Of
Mitteilungen OEI
volume
26
has URL
https://www.dokumente.ios-regensburg.de/publikationen/mitteilungen/mitt_26.pdf
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-63304-4
extracted text
OSTEUROPA-INSTITUT MÜNCHEN

Mitteilungen

Nr. 26

Juni 1998

MARTIN LINDE
Das „Christlich Gesprech“ des Tilman Brakel
Untersuchungen zum Weltbild und
Geschichtsverständnis eines livländischen Predigers
des 16. Jahrhunderts

ISBN 3-921396-25-5

Scheinerstraße 11, D-81679 München, Tel. (089) 99839-442
Fax: (089) 9810110, E-Mail: Beyer-Thoma@mail.lrz-muenchen.de
Redaktion: Reinhard Frötschner
Herausgeber: Hermann Beyer-Thoma
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

1

Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung.................................................................................................................4
2. Timann Brakel und das „Christlich Gesprech“ ................................................... 11
2.1. Allgemeine Fragestellungen zu Entstehung, Form und Gliederung
des „Christlich Gesprech“............................................................................... 11
2.2. Gottes Ordnung und die ‚verkehrte‘ Welt der Menschen
– Brakels Weltbild als Hintergrund und Gerüst des „Christlich Gesprech“....... 16
2.3. Das Livlandbild des „Christlich Gesprech“...................................................... 21
2.3.1. Das gottferne Livland ............................................................................... 27
2.3.2. Das Strafgericht Gottes .............................................................................. 34
2.4. Brakel – <Christianus!: Das biographische Moment
des „Christlich Gesprech“................................................................................. 43
2.5. Das Kriegs- und Rußlandbild des „Christlich Gesprech“ ................................... 48
2.6. Zusammenfassung: „Denn ihnen Gottes Straff vnd Zorn, ist vns
zum Spiegel widerfarn“ – Livland und das Reich .............................................. 56
3. Das „Christlich Gesprech“ als historiographische Quelle.................................... 62
3.1. Das Geschichtsverständnis des Theologen Brakel .............................................. 62
3.2. Geschichte als Exempel ..................................................................................... 66
3.2.1. Problemstellung.......................................................................................... 67
3.2.2. Der Aufstand Taubes und Kruses in Dorpat 1571 ....................................... 69
3.2.3. Claus von Ungern und der Russeneinfall auf Ösel 1576............................... 74
3.2.4. Ergebnisse .................................................................................................. 86
4. Zusammenfassung ................................................................................................. 87
Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................. 90
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellenverzeichnis ............................................................................................... 91
2. Literaturverzeichnis.............................................................................................. 92
Anhang I: Gliederungsschema zum Livlandbild des „Christlich Gesprech“................... 99
Anhang II: Augustus Buchner über die Biographie Timann Brakels:
Auszug aus der Leichenrede auf Dorothea Prakelia (gest.1624) ............... 100

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

3

1. Einleitung
Im Januar des Jahres 1558 fielen Truppen Ivan Groznyjs in Livland ein, die mehr als
fünfzigjährige Friedenszeit, welche Livland unter dem Ordensmeister Wolter von Plettenberg
erfochten und erkauft, nicht aber zur Überwindung der inneren Schwäche genutzt hatte, fand
ihr Ende. Was folgte, war ein bis 1583 währender Krieg in und um Livland, in dessen Gefolge
es verwüstet und und schließlich unter seine Nachbarn aufgeteilt wurde.1
Doch nicht nur politisch stellte das 16. Jahrhundert eine entscheidende Umbruchszeit in der
Geschichte des Ostbaltikums dar; während der dem Krieg vorangegangenen Friedenszeit, einer
Zeit äußerlicher wirtschaftlicher und kultureller Blüte, hatten im Zuge der Reformation
Einflüsse in Livland Einzug gehalten, die in Verbindung mit den ersten Ausläufern von
Humanismus und Renaissance neue geistige Impulse vermittelten, zugleich aber Altlivland als
Konföderation geistlicher Territorien in seinen Grundfesten erschütterten, ohne – wie in
Preußen – eine neue Ordnung zu schaffen.2 Es war eine Periode des Überganges, Livland hatte
– um es bildlich zu fassen – aufgehört ‚Marienland‘ zu sein, ohne daß es die Reformation
vermocht hatte, vollständig Fuß zu fassen.3
Die beiden zentralen Ereignisse jener Jahrzehnte – Reformation und Livländischer Krieg –
finden ihren Widerhall im reichhaltigen literarischen Schaffen jener letzten Jahrzehnte der
livländischen Unabhängigkeit.4 Literarisch ist die Reformation in Livland neben den Anfängen
1 Für einen knappen Überblick über die Ereignisgeschichte des Livländischen Krieges vgl. den Beitrag von
Tõnis Lukas in: Eesti ajalugu, S. 94–99.
2 Zur Entfaltung und Wirkung der Reformation in Livland vgl. ARBUSOW Die Einführung der Reformation;
vgl. auch WITTRAM Die Reformation in Livland; vgl. auch KIVIMÄE Luterliku reformatsiooni
kultuurimõjud; vgl. auch VAHTRE Eesti kultuuri ajalugu, S. 38–48; zur Frage des Vordringens und Charakters des Humanismus vgl. zusätzlich JOHANSEN Nationale Vorurteile, S. 105–111, und JOHANSEN Balthasar
Rüssow als Humanist, S. 203–213.
3 Vgl. ARBUSOW Die Einführung der Reformation, S. 824; vgl. auch VAHTRE Kirik, aadel ja talurahvas, S.
92f.
4 Die Beschäftigung mit der Literatur und Geschichtsschreibung Altlivlands steht noch in den Anfängen;
umfassende Arbeiten fehlen, ein Mangel, den die diesen Themenfeldern gewidmeten Überblicksdarstellungen nur behelfsweise überbrücken können; zur Historiograpie vgl. vor allem die Beiträge Norbert
Angermanns, Arved Fhr. von Taubes und Gottfried Etzolds in der 1986 von Georg von Rauch
herausgegebenen „Geschichte der deutschbaltischen Geschichtsschreibung“ [zitiert: ANGERMANN Die
mittelalterliche Chronistik; TAUBE Der Untergang der livländischen Selbständigkeit; ETZOLD Die
Geschichtsschreibung der polnisch-schwedischen Zeit], die Untersuchungen Konstantin Höhlbaums zu den
Quellen der Historien Renners [HÖHLBAUM Johann Renner’s Historien; HÖHLBAUM Der erste Teil der
Historien, S. 45–65.], Leonid Arbusows Aufsatz zum Fortwirken Heinrichs von Lettlands [ARBUSOW Die
handschriftliche Überlieferung, S. 285ff.] und Sulev Vahtres Arbeit zur „Jüngeren livländischen
Reimchronik“ [VAHTRE Allikakriitiline ülevaade]. Zu den Quellen und dem Fortwirken der Chronik
Rüssows vgl. vor allem die umfangreiche Monographie, die mit dem von Heinz von zur Mühlen aus dem
Nachlaß Paul Johansens herausgegebenen Buch „Balthasar Rüssow als Humanist und Geschichtsschreiber“
vorliegt [JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 13–96, 246*–269* (* nach der Seitenangabe
kennzeichnet die aus der Feder des Heinz von zur Mühlen stammenden Textpassagen)]; vgl. auch die von
sowjetlettischer und -estnischer Seite vorliegenden Überblicksdarstellungen von Janis Zutis und Sulev
Vahtre [ZUTIS Oþerki po istoriografii Latvii, S. 6–45; VAHTRE Balti kroonikad; VAHTRE Kroniki baltyckie,

4

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

der volkssprachlichen (Übersetzungs-)Literatur in erster Linie durch eine reiche geistliche
Dichtung didaktischen und (selbst)-reflektierenden Tones repräsentiert. Das Kirchenlied – in
Livland in vorreformatorischer Zeit lediglich durch einen erhaltenen Textzeugen vertreten5 –
faßte im Zuge der Reformation bereits früh in Livland Fuß und erlebte in den Dichtungen eines
Burkhard Waldis und Andreas Knöpken Glanzlichter. 6 Auch über die unmittelbare
Reformationszeit hinaus lebte die geistliche Dichtung in Livland fort, wobei sich die
Entwicklung des Kirchenliedes im Reich auch in dessen Tochterpflanzung wiederholte: Stand
im Mittelpunkt der frühen, maßgeblich, aber nicht ausschließlich durch die beiden genannten
Dichter geprägten Lieder die Vermittlung von Glaubensinhalten, so öffnete sich nun das
Kirchenlied Einflüssen von Seiten des Volksliedes, verlor seinen in erster Linie
gottesdienstlichen Charakter und wurde zum Ausdruck der Ängste, Stimmungen und
Hoffnungen einer bereits von Gewitterwolken getrübten Zeit.7 Mit besonderer Ausprägung
zeigt sich diese Verinnerlichung der geistlichen Dichtung, die von dem Bewußtsein, das
gewohnte, sorglose und ausgelassene Leben lediglich auf dünnem Eis gebaut zu haben, geprägt
war in dem Lied des (späteren) vorletzten Ordensmeisters Wilhelm von Fürstenberg8 sowie in
dem von einem anonymen Dichter verfaßten „Geistlick leedt der Christen in lyfflandt wedder
den Moschowiter“.9 Zwei Grundmotive sind es, die beide Lieder prägen: Aufruf zur Umkehr
und Buße und bedingungslose Hingabe in die Hand Gottes als alleiniger Weg, in der Welt zu
bestehen. Wie auch die Historiographie erlosch in der Mitte der 60er Jahre die geistliche
Dichtung niederdeutscher Sprache, um kurz nach Beendigung des Livländischen Krieges unter
– nicht nur in sprachlicher Hinsicht – anderen Vorzeichen noch einmal aufzuflammen: Die
Blickrichtung des in zwei Fassungen überlieferten „Livländischen Totengesanges“ ist eine
veränderte: Sie blickt hinaus, auf die Endzeit.10

5
6
7

8
9
10

S. 661–672], sowie für Teilaspekte KAPPELER Ivan Groznyj. Zur allgemeinen Literaturgeschichte vgl. VON
GROTTHUß Das baltische Dichterbuch, S. I–XXXVIII, den Beitrag Otto Greiffenhagens in: BEHRSING
Grundriß einer Geschichte, S. 3–27; vgl. auch KLEIN Literaturgeschichte des Deutschtums, S. 10–15, 32–
42; vgl. auch SCHREINERT Die niederdeutsche Dichtung sowie MACKENSEN Zur deutschen Literatur;
lediglich am Rande gestriffen wird die Thematik in den estnischen Literaturgeschichten (z.B. SUITS Eesti
kirjanduslugu, S. 13–15; SCHOLZ Die Literaturen des Baltikums, S. 86–88). Als Textsammlungen seien hier
genannt: VON GROTTHUß Das baltische Dichterbuch; MACKENSEN Baltische Texte der Frühzeit [=BT,
hiernach im Folgenden zitiert]. Als bibliographisches Hilfsmittel zu Ausgaben und Autoren wurden
herangezogen: REDLICH Lexikon deutschbaltischer Literatur, sowie für einzelne Autoren vor etw. 1500: Die
deutsche Ltiteratur des Mittelalters. Verfasserlexikon [VL].
BT, S. 17–19, 19f., 21, 25–28; 305–307.
Vgl. ARBUSOW Die Einführung der Reformation, S. 628–631.
Vgl. hierzu und zum Folgenden: SCHREINERT Die niederdeutsche Dichtung, S. 308–312; vgl. auch KLEIN
Literaturgeschichte des Deutschtums, S. 41. Zum allgemeinen Hintergrund der Entwicklung des
reformatorischen Kirchenliedes hin zur religiösen Erbauungslyrik vgl. KÖNNEKER Die deutsche Literatur, S.
45–49, 55f.
BT, S. 51–53; 311f.
BT, S. 103–106; 316.
BT, S. 143–145; 319 und 146–148; 319f.; vgl. KLEIN Literaturgeschichte des Deutschtums, S. 39.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

5

Wie an der geistlichen Dichtung so ging auch an der weltlichen Dichtung und
Historiographie jener Jahre der Zusammenbruch der brüchig gewordenen Ordnung der
livländischen Lande nicht spurlos vorüber. Das Erleben der Wirren und Leiden der Zeit fand
seinen Niederschlag in einem doppelten Bestreben: einerseits der Beschäftigung mit der als
glorreiche, lichte Zeit empfundenen Vergangenheit – ein Textzeuge hierfür stellt das Lied auf
den Niebur-Frieden (1392) aus dem Jahre 1571 dar 11 -, andererseits dem Bemühen, das als
Unrecht oder Strafe Gottes empfundene Unglück in die Welt hinauszurufen, um dadurch die
Zeitgenossen zu informieren, zu Ãvermahnenµ, wachzurütteln, aber auch um selbst Begründung
für das Unerklärliche zu finden.12 Besonderer Beliebtheit erfreute sich hierbei zum einen das
Genre des Klageliedes als Mittel des Ausdrucks des Kriegselendes, aber auch der Anklage an
das Reich, Livland in seiner Not nicht zu Hilfe zu kommen, und zum anderen auch das
„historische Lied“, das mit satirisch-polemischem Grundton und gleichfalls politischer oder
didaktischer Absicht die Ereignisse jener Jahre kommentierte und schonungslos Mißstände zur
Sprache brachte13, wobei sich die Grenzen zwischen derartiger engagierter Lieddichtung –
Otto Greiffenhagen spricht in diesem Zusammenhang vom Wirken einer „kriegerischen
Muse“14 – und historiographisch orientierten Darstellungen oftmals verwischten und
überschnitten.15
Diese beiden Blickrichtungen – von didaktischer Absicht geprägte Rückschau sowie
(kommentierende) Bestandsaufnahme der Situation der Gegenwart – finden auch auf dem Feld
der Chronistik jener Jahre ihren Niederschlag. Für eine erste, die Jahre unmittelbar vor Beginn
des Livländischen Krieges sowie die ersten Kriegsjahre umfassende Phase ist zunächst die
Trennung beider Blickrichtungen charakteristisch: Auf der einen Seite stehen rückblickend
resümierende Chroniken – zu erwähnen sei etwa die auf der Ordenschronistik aufbauende
Chronik Thomas Horners16 -, auf der anderen Seite zeitgeschichtlich ausgerichtete Berichte
11 „Erinnerung an 1392“ [BT, S. 109f.; 317f.].
12 Vgl. HÖHLBAUM Johann Renner’s Historien, S. 3f.; vgl. auch VAHTRE Balti kroonikad, S. 98.
13 Vgl. VON GROTTHUß Das baltische Dichterbuch, S. XXXII–XXXVI; vgl. auch KAPPELER Ivan Groznyj, S.
32, 99; als Beispiele seinen neben den beiden von Kappeler angemerkten Textzeugen das Lied Hans
Hasentöters von den „Rannefahrern“ („Wol auf ihr schiffers alle..“ [BT, S. 77–79; 315]), als Beispiel für
eine gezielt politisch motivierte Flugschrift die „Kurtz vnnd warhafftige beschreibung, anfanck, mittel vnd
end sampt allem wandel, gebrauch, sitten, leben vnd gewonhaidt des ordens in Eifflandt, wie die regirtt vnd
widerumb apganngen ect.“, aus der Feder Johann Taubes (Moskau, 1565) genannt [PAPST Vier politische
Gedichte, S. 158–186; BT, S. 84–103; 316].
14 BEHRSING Grundriß einer Geschichte, S. 13f.
15 Vgl. KLEIN Literaturgeschichte des Deutschtums, S. 35–37. Nicht zu vergessen ist ferner neben der
geistlichen und historisch-polemischen Lieddichtung jener Jahre das an die Entwicklungen im Reich
angelehnte Volkslied [vgl. VON GROTTHUß Das baltische Dichterbuch, S. XXXVI–XXXVIII; vgl. auch
SCHREINERT Die niederdeutsche Dichtung, S. 314–316].
16 „Livoniae Historia in compendium ex annalibus contracta“, Königsberg 1551, zweite Auflage Wittenberg
1562 [HORNER Livoniae Historia; zitiert nach dem Nachdruck in den SS rer.Liv. II, S. 378–386]; zu Horner
und seiner Chronik vgl. RATHLEF Das Verhältnis der kleinen Meisterchronik, S. 43–51; vgl. auch
ARBUSOW Livlands Geistlichkeit 1914, S. 90; vgl. auch ANGERMANN Die mittelalterliche Chronistik S. 20;

6

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

über die Ereignisse der ersten Kriegsjahre, wie Johannes Renners „Livländische Historien“17
oder die Aufzeichnungen des rigischen Ratssekretärs Johannes Schmiedt. In einer zweiten
Phase erlebte eineinhalb Jahrzehnte später die Chronistik Altlivlands in der „Chronica der
Provintz Lyfflandt“ des Revaler Predigers Balthasar Rüssow eine letzte Blüte, zugleich aber
einen neuen Ansatz. Die beiden genannten Grundströmungen verflochten sich nunmehr zu
einem großen Fluß, in welchen zugleich Aspekte der beiden anderen Hauptströme der
livländischen Literatur des 16. Jahrhunderts (geistlich-didaktische Dichtung und parodistischpolemische Flugschriftenliteratur) einflossen: Die Chronik Rüssows ist Darstellung der
Geschichte Livlands, dargeboten durch sprudelnde Erzählergabe, getragen und gedeutet durch
die theologisch geprägte Weltsicht des Geistlichen. An der Schwelle zu einer neuen Zukunft
der baltischen Lande stehend, blickt sie zurück, wird zum Resümee der Geschichte Livlands
von ihren Anfängen bis in ihre Gegenwart, durch das Moment der theologischen Ausdeutung
ihres Laufes zugleich aber auch Wegweiser für Gegenwart und Zukunft.18

vgl. auch JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 69–71 (dessen Urteil – „ein klägliches Elaborat“ –
freilich dem Werk nicht gerecht wird). Die Chronik Horners, eine Bearbeitung verschiedener Redaktionen
der sogenannten „Kleinen Meisterchronik“ [vgl. RATHLEF Das Verhältnis der kleinen Meisterchronik],
trägt in knappen Worten die Taten der Ordensmeister bis auf Johann von Recke vor, ohne sich jedoch
hierauf zu beschränken: Auf humanistischem Denken fußend (vgl. vor allem die Bewertung des
Verhältnisses von Krieg und Frieden als für die Regierung eines Ordensmeisters gleichberechtigte Momente:
HORNER Livoniae historia, 11a–b/383), wird mittels der Darstellung und Wertung der Taten der
Ordensmeister das Idealbild eines Ordensmeisters entworfen, der kraft seiner humanitas und pietas (und
nicht aus purer Abneigung gegenüber dem Kriegshandwerk) die feritas militaris zu steuern und bändigen
vermag und somit pax und tranquillitas zuzusteuern versteht. Das Idealbild eines solchen Ordensmeisters
zeichnet Horner in der Gestalt Wolter von Plettenbergs [HORNER Livoniae historia, 14a–15a/385; vgl. 2a–
3a/380]. Die rein deskriptive Tendenz seiner Vorlagen weicht somit einer neuen, der parainetischen des
Fürstenspiegels: Gewiesen werden soll der rechte Weg zwischen (notwendigem) Krieg und Frieden als ein
durch humanitas geprägter Weg [vor allem HORNER Livoniae historia, 15b–16a/386; vgl. 8a/382].
17 Johannes Renner, von 1555–1560/1 im Dienste des Ordens als Notar in Livland tätig, verfaßte nach seiner
Rückkehr nach Deutschland unter anderem zwei Livländische Historien: 1561/62 eine unmittelbar vom
Eindruck des Kriegserlebnisses geprägte, die Jahre 1556–1561 behandelnde erste Fassung [zitiert: RENNER
Livländische Historien], knapp zwanzig Jahre später, wohl unter dem Eindruck der Chronik Rüssows, eine
zweite Fassung, in welcher die Darstellung der von ihm erlebten Kriegsjahre als Herzstück in einen durch
umfangreiche Quellenarbeit geschaffenen Rahmen der Geschichte Livlands von der Frühzeit bis zum
Februar 1583 gestellt wird [zitiert: RENNER* Livländische Historien]. Vgl. hierzu KARSTEDT Die Urschrift,
S. 437–439; vgl. auch VAHTRE Kroniki baltyckie, S. 671f.; vgl. auch VON TAUBE Der Untergang der
livländischen Selbständigkeit, S. 23, 26–28; vgl. auch ETZOLD Polens Herrschaft über Livland, S. 11–13;
zur Biographie Renners vgl. KOHL Aeussere Lebensumstände Renner’s.
18 Zur Chronik Rüssows liegt nun in dem von Heinz von zur Mühlen aus dem Nachlaß Paul Johansens
herausgegebenen Buch „Balthasar Rüssow als Humanist und Geschichtsschreiber“ [zitiert: JOHANSEN
Balthasar Rüssow als Humanist eine umfangreiche Monographie vor, die – in erster Linie der Frage nach
Quellen, Entstehung und Nachwirkung der Chronik, sowie der Person des Chronisten gewidmet – sich,
auch mit der hier und im Folgenden interessierenden Frage nach dem literarischen Charakter der Chronik
Rüssows beschäftigt und zwar vor allem S. 234–246; zusätzlich zu der dort genannten umfangreichen
Literatur seien für unsere Zielsetzung vor allem genannt: ZUTIS Oþerki po istoriografii Latvii, S. 30–32;
KAPPELER Ivan Groznyj, S. 51–53; AUKSI Henry of Livonia, S. 111–117; BRÜGGEMANN Russen in Livland;
Brüggemann setzt sich nach einer Skizzierung der jüngsten Forschungsentwicklung (S. 250–255) intensiv
mit dem Rußlandbild Rüssows auseinander (S. 255–268).
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

7

Die Chronik Rüssows setzte Maßstäbe; kaum ein späterer Autor, welcher sich mit der von
Rüssow behandelten Zeitspanne auseinandersetzte, kam an ihr vorbei.19 Doch zugleich
zerbrach die Kompaktheit der bei Rüssow engen Verflechtung von historiographischer,
satirisch-polemischer und theologischer Sicht- und Darstellungsweise. Die soeben vereinigten
Ströme flossen wieder auseinander, die mit polemischem Ton unterlegte Geschichtsdarstellung
und die theologische Geschichtsdeutung gingen wieder eigene Wege. Ersteren Weg
beschritten, in unmittelbarer Anlehnung an oder in Auseinandersetzung mit Rüssow etwa Elert
Kruse,20 Johannes Renner, Salomon Henning und – mit zeitlicher Verzögerung – Franz
Nyenstede, zweiteren gingen Tilman Brakel in seinem 1579 in Antwerpen gedruckten
„Christlich Gesprech“ und in Ansätzen (wiederum von Brakel inspiriert?) auch Rüssow in der
1584 erschienen dritten Auflage seiner Chronik.
Die drei Grundbausteine der Chronik Rüssows bilden auch das Fundament des „Christlich
Gesprech“ Brakels, die veränderte Gewichtung der drei Elemente zugunsten des theologischen
Momentes wies jenem jedoch gegenüber Rüssow einen grund-verschiedenen Weg: Nicht
historiographische Darstellung der Geschichte Livlands, in Verbindung mit theologischer
Ausdeutung ebenjener durch den Geistlichen, ist das Grundanliegen, sondern theologischmoralische Belehrung im Sinne der lutherischen Rechtfertigungslehre durch Aufzeigen
einzelner Aspekte der jüngsten Geschehnisse in Livland: Die Geschichte Livlands wird zum
Exempel pastoral-homiletischer Ausrichtung.
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht dieser dem „Christlich Gesprech“ eigene Weg.
Zielsetzung ist es, ausgehend von der Brakel und Rüssow gemeinsamen Basis ihres Denkens,
diesen Weg des „Christlich Gesprech“ aufzuzeigen, dessen – dem theologischen
Weltverständnis seines Verfassers entsprungene – Grundkonzeption auf-zuschlüsseln und
damit die Grundlage für das Verständnis eines ob seines Charakters nicht unproblematischen,
doch (nicht nur) seiner vielen Informationen wegen nicht uninteressanten Textzeugen aus den
Jahren des Livländischen Krieges zu legen.
In formaler Hinsicht gilt es hierbei folgendes anzumerken: Das weitgehende Fehlen
entsprechender Vorarbeiten (vor allem im Falle Brakels, aber auch Rüssows) macht eine
zweistufige

Arbeitsweise

erforderlich,

im

Rahmen

derer

die

zusammenfassenden

Betrachtungen durch größere Beispielkomplexe aufgezeigt und ergänzt werden. Die Arbeit
zitiert nach den Erstdrucken der Werke Brakels (Antwerpen 1579 = Bra.) sowie Rüssows in

19 Vgl. JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 1; charakteristisch hierfür etwa NYENSTEDE Livländische Chronik, S. 76, wenn er bei der Darstellung der Ereignisse Mitte der 70er Jahre nach einem
lediglich kursorischen Überblick äußert: „ .. solches alles hier zu erzählen, sollte fast lang werden, vnd
weilen man es in der Revalschen Chronica findet, lasse ich es der kürtze halber dabey bewenden.“
20 Zu den drei Gegenberichten gegen die Chronik Rüssows (Kruse, Tiesenhausen und Maydell) vgl. jetzt
JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 250*–260*.

8

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

erster Auflage (Rostock 1578 = Rü I),21 die Ligaturen æ = ae und œ = oe, V im Lautwert U
(und umgekehrt) sowie die Interpunktion in Virgeln werden übernommen, ae, oe und ue als ä, ö
und ü transkribiert. Die dritte Auflage der Chronik Rüssows (Barth 1584 = Rü III) wird nach
dem separaten Nachdruck der modernisierten Neuedition in den Scriptores rerum Livonicarum
II, S. 1-194 (Hannover-Döhren 1967) zitiert. Im Falle der Chroniken Rüssows wurde
folgendes Arbeitsverfahren gewählt: Diejenigen Textpassagen, welche unmittelbar dem
Vergleich mit Brakel dienen, werden nach der ersten Auflage von 1578, wie sie auch Brakel
vorlag, wiedergegeben, alle darüber hinausgehenden Belege nach der dritten Auflage von
1584. Im Falle des „Christlich Gesprech“ erfolgt die Zitierung – abweichend von der
willkürlichen Vorgehensweise von Riekhoffs in seiner Neuedition – nach der OriginalPaginierung des Erstdruckes, die von von Riekhoff eingeführte Seitenzählung wird an zweiter
Stelle beigegeben.
Eine über Ansätze hinausgehende Beschäftigung mit dem „Christlich Gesprech“ fehlt,
lediglich die im Vergleich zu vielen Zeitgenossen verhältnismäßig gut nachvollziehbare,
bewegte Lebensgeschichte Brakels fand vermehrtes Interesse, wobei die Forschung auf dem
Stand der Mitte des 19. Jahrhunderts verharrte, ja teilweise hinter diesen zurückfiel.22
Für die Biographie Brakels stehen zwei Quellen zur Verfügung, die jedoch lediglich in Einzelfällen
durch Angaben von dritter Seite nachprüfbar sind: die autobiographischen Angaben des „Christlich
Gesprech“ sowie die im Jahre 1624 gehaltene Leichenrede des Wittenberger Professors für Poesie und
Beredsamkeit, Augustus Buchner, auf die Tochter Brakels, Dorothea, in welcher Buchner auch auf die
Biographie des Vaters der Verstorbenen zu sprechen kommt.23 Beide Quellen haben ihren eigenen,
primär nicht historiographischen Zugang zu den vermittelten Informationen. Brakel stellt seine
Biographie wie auch historische Ereignisse in einen breiteren Rahmen, nämlich denjenigen des
Exempels;24 Buchners Äußerungen hingegen stehen in der Tradition der Leichenrede als Form der
Rhetorik:25 Er skizziert die wichtigsten Stationen des Lebens Brakels (Herkunft-Ausbildung-

21 “CHRONICA der Prouintz Lyfflandt / darinne vormeldet werdt: Wo datsüluige Landt ersten gefunden /
vnde thom Christendome gebracht ys:.Wol de ersten Regenten des Landes gewesen sint; Van dem ersten
Meister Düdesches Ordens in Lyfflandt / beth up den lesten / vnde van eines ydtliken Daden: Wat sick in
der voranderinge der Lyfflendischen Stende / vnde nha der tydt / beth in dat negeste 1577. Jar vor seltzame
vnde wünderlike gescheffte im Lande thogedragen hebben / nütte vnde angeneme tho lesende. Korth vnde
loffwerdich beschreuen / Dörch Balthasar Rüssouwen Reualiensem. Rostock. Gedrücket dörch Augustin
Ferber. Anno M.D.LXXVIII“ [VD 16, Nr. R 3862f.].
22 Angaben zur Lebensgeschichte Brakels finden sich in erster Linie im Rahmen biographischer
Nachschlagewerke: RECKE/NAPIERSKY Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrtenlexikon, Bd. 1, S. 232f.;
Bd. 5, S. 74f.; NAPIERSKY Beiträge zur Geschichte, H. 1, S. 27; H. 4, S. 186; ARUBSOW Livlandslands
Geistlichkeit 1914, S. 30; KORDT ýuzozemni podorozni, S. 32f.; Eesti biograafiline leksikon, Bd. 1, S. 54f.;
VON SCHMIDT Die Pastoren Oesels, S. 17; SEEBERG-ELVERFELDT Gelegenheitsfund, S. 256, Anm. 9;
OTTOW/LENZ Die evangelischen Prediger Livlands, S. 189.
23 Vgl. BUCHNER Dissertationes academicae, S. 219f.; der Text ist in Auszügen in Anhang II. wiedergegeben;
zu Buchner (1591–1661) vgl. KUHLMANN Buchner, S. 279.
24 Siehe Kap. 2.4.
25 Vgl. SOFFEL Die Regeln Menanders, S. 56–71.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

9

Lebensgang-Tod) ohne eine nähere Ausführung und Bewertung, das „Christlich Gesprech“ war ihm
scheinbar nicht bekannt;26 für die Zeit nach 1579 ist er alleinige Quelle.

Marksteine der Forschung stellen nach kürzeren, in erster Linie biographisch orientierten
Erwähnungen durch Johann Gottfried Arndt und (an diesen angelehnt) Friedrich Gadebusch27
sowie nach einem 1815 in den „Rigischen Stadtblättern“ veröffentlichten Bericht über Brakel
und sein Werk28 zwei Mitte des vergangenen Jahrhunderts erschienene Artikel in der baltischen
Wochenzeitschrift „Das Inland“ dar: 1849 ein längerer Beitrag über die Person und das Werk
Brakels29 – immer noch die eingehendste Behandlung des „Christlich Gesprech“ -, zwei Jahre
später ein Beitrag Eduard Papsts zur Biographie Brakels, in welchem Buchner als Quelle für
die Biographie Brakels vorgestellt wurde.30 Erwies sich die Seltenheit des „Christlich
Gesprech“ lange Zeit als bisweilen beklagter Hemmschuh für die Forschung,31 so gab 1889
Theodor von Riekhoff einen Nachdruck des Brakelschen Werkes heraus, dem er eine beide
Quellen zum Leben Brakels berücksichtigende Biographie des Verfassers voranstellte.32 Der
Forschung war somit eine feste Textgrundlage gegeben, doch das Interesse an Brakels Werk
als Ganzes erlosch. Lediglich vereinzelt und dann nur am Rande, meist in einem Atemzuge mit
der Chronik Rüssows und in Umfang wie Tiefe unterschiedlich behandelt,33 diente das
„Christlich Gesprech“ der Historiographie nur mehr als Steinbruch für Einzelinformationen,
und zwar vornehmlich zur Biographie Brakels sowie zu eng mit dieser verbundenen
Teilbereichen: der Anfangszeit des Protestantismus in Rußland,34 der Frage nach den (Kirchen26 Hierauf läßt zweierlei schließen: Buchner erwähnt mit keinem Wort die literarische Tätigkeit Brakels, er
greift – wie die unterschiedliche Darstellung der Biographie zeigt – auch nicht auf die autobiographischen
Angaben Brakels zurück.
27 Vgl. GADEBUSCH Abhandlung von Livländischen Geschichtsschreibern, S. 22, § 20; in seiner „Livländischen Bibliothek“ [GADEBUSCH Livländische Bibliothek, Bd. I, S. 94] verweist Gadebusch lediglich auf
erstgenannten Abschnitt.
28 Zur Nachwirkung Brakels und seines Werkes in der baltendeutschen Historiographie des 17./18. Jhd. vgl.
Neuer Bericht, Sp. 76, und PAPST Vier politische Gedichte, S. 146, Anm.*); PAPST Zur Biographie, Sp. 765.
29 Neuer Bericht über ein altes Buch. (Verlesen in der Gesellschaft f.[ür] Gesch.[ichte] und
Alterth.[umskunde] der Ostsee-Provinzen zu Riga am 10. Nov. 1848), in: Das Inland 14 (1849), Sp. 73–77,
108–112.
30 PAPST Zur Biographie, Sp. 761–767.
31 Vgl. die diesbezüglichen Äußerungen in: Neuer Bericht, Sp.112, und PAPST Zur Biographie, Sp.764.
32 VON RIEKHOFF Christlich Gesprech, Biographie Brakels, S. 51–54; es handelt sich um einen unkommentierten, drucktechnisch modernisierten Nachdruck des „Christlich Gesprech“.
33 Zu erwähnen ist in erster Linie VON GROTTHUß Das baltische Dichterbuch, S. XXXI, 342f. sowie JOHANSEN
Balthasar Rüssow als Humanist, S. 94f., 242f., 262*; ferner ist zu nennen die Behandlung des „Christlich
Gesprech“ im Rahmen von Literaturgeschichten und Überblicksdarstellungen wie: BEHRSING Grundriß
einer Geschichte, S. 14; KLEIN Literaturgeschichte des Deutschtums, S. 39; SUITS Eesti kirjanduslugu, S.
14; KAPPELER Die deutschen Flugschriften, S. 53; VON TAUBE Der Untergang der livländischen
Selbständigkeit, S. 38; SCHOLZ Die Literaturen des Baltikums, S. 87.
34 Vgl. SOMMER Die Anfänge der Moskauer Deutschen Sloboda, S. 427; vgl. auch SOMMER Das Schicksal
livländischer Kriegsgefangener, S. 29; vgl. auch AMBURGER Geschichte des Protestantismus, S. 16; nicht
eigens erwähnt werden hier die knappen Hinweise auf Brakel in der – in den vergangenen Jahrzehnten
rasch angewachsenen Literatur zum Themenfeld „Deutschland-Rußland“, etwa KAPPELER Die deutschen

10

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

) Strukturen Dorpats und Narvas während der Russenzeit35 sowie der Politik Claus von
Ungerns als dänischer Statthalter auf Ösel und dem Russeneinfall von 1576.36 Die klassische
Formel im Umgang mit Brakels Werk blieb es in der Regel, die Biographie Brakels zu
skizzieren und dann zu erwähnen, er habe ein Werk über den Livländischen Krieg verfaßt, das
„Christlich Gesprech“.

2. Timann Brakel und das „Christlich Gesprech“
2.1. Allgemeine Fragestellungen zu Entstehung, Form und Gliederung
Das von uns zu behandelnde Werk Timann Brakels,37 1579 unter dem umständlichen Titel
„Christlich Gesprech von der grawsamen Zerstörung in Lifland / durch den Muscowiter vom
58.Jar her geschehenn: Auch ihren vrsachen / mit einer kurtzen Predig vnd vermanung / wie /
beid / Gotlosenn / vnnd Frommen / diese schreckliche Mutation fruchtbarlich behertzigen / vnd
ihnen zu nutz machen sollen: Durch Timannum Brakel Liuoniensem, der Gemeine Christi vonn
der Augsburgischen Confession Prediger zu Anttorf einfeltig gestellet / vnnd inn Druck

Flugschriften, S. 155. Eine Zusammenstellung der für diese Frage relevanten Passagen bei FECHNER
Chronik der Evangelischen Gemeinden, S. 33–38, in russischer Übersetzung bei CVETAEV Protestanstvo i
Protestanty, S. 34–37, der in Form einer ausgiebigen Anmerkung die Forschungsdiskussion zu der Frage
bis 1890 zusammenfaßt.
35 Vgl. CHRISTIANI Martin Kuiwleha, S. 25f.; vgl. auch ARBUSOW Livlands Geistlichkeit 1914, S. 137, 236;
vgl. auch SILD Eesti Kirikulugu, S. 125; vgl. auch ANGERMANN Studien zur Livlandpolitik, S. 62–64; vgl.
auch VON RAUCH Stadt und Bistum Dorpat, S. 592.
36 Vgl. KÖRBER Bausteine einer Geschichte Oesels, S. 240–242; vgl. auch KÖRBER Oesel einst und jetzt, S.
247f, 252f. (Biographie Brakels); vgl. auch VON UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd.
I, S. 243–245; Bd. IV, S. 454–456, Nr.422; vgl. auch VON BUXTHÖVDEN Beiträge zu einer älteren
Geschichte, S. 107.
37 Auf eine Biographie Brakels wurde bewußt verzichtet, zur Begründung vgl. unten S. 47f. Hier eine
stichwortartige Skizzierung des bewegten Lebens Brakels gemäß dem gegenwärtigen Forschungsstand, zu
einzelnen Aspekten und Problemen sei auf die Hinweise in der folgenden Darstellung [vor allem Kap. 2.4;
3.2.] verwiesen: Timann Brakel, nach Angaben Buchners [vgl. BUCHNER Dissertationes academicae, S.
219] livländischem Adel entstammend, wirkte unmittelbar vor Ausbruch des Livländischen Krieges als
Kaplan der undeutschen St.Johannis-Gemeinde zu Dorpat [vgl. NAPIERSKY Beiträge zur Geschichte, H.1, S.
27; vgl. Anm. 324]; Anfang 1559 nach Rußland verschleppt, kehrte er 1561 – offenkundig unter
Bedingungen freigelassen – nach Livland zurück; einer siebenjährigen Dienstzeit als Prediger im russisch
besetzten Narva, schlossen sich kürzere Aufenthalte in Dorpat (um 1570) und Karkhus (um 1572/73?) an
[zur Datierungsproblematik siehe Anm. 367]. Um 1573 trat Brakel auf Ösel in den Dienst des dänischen
Statthalters Claus von Ungern und wirkte (zumindest Anfang 1576) als Prediger in Pyha (Ösel). Bald nach
dem Einfall der Russen auf Ösel im Februar 1576 verläßt Brakel – offenkundig infolge von Spannungen
mit seiner Gemeinde – die Insel und sein livländisches Vaterland. Über Kurland, Königsberg und Lübeck
gelangt er nach Lüneburg, doch auch hier findet er keine Ruhe: Sein unstetes Schicksal führt ihn zwischen
Lüneburg, Westfalen und der Grafschaft Lippe umher, ehe er 1579 lutherischer Prediger in Antwerpen
wird. Weitere Stationen seines unruhigen Lebens – für die Jahre nach 1579 sind die Quellenangaben
fraglich – stellen nach Buchner Holstein [in ARENDS Gejstligheden i Slesvig, nicht angeführt], Ostfriesland
[siehe Anm. 324] und Hamburg dar, von wo aus er – kurz vor seinem Tode 1602 – nach Livland (Riga)
zurückkehrt.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

11

verfertiget. Im Jar vnsers Hern 1579.“38 zu Antwerpen im Oktavformat gedruckt, umfaßt 143
Blatt. Dem eigentlichen Werk Brakels sind – dem Brauch der Zeit gemäß 39 – mehrere
Empfehlungsgedichte in lateinischer Sprache von Theodor Sorbachius40 sowie Johannes
Lonnærus41 vorangestellt, in welchen einerseits die Zielrichtung des „Christlich Gesprech“
dargelegt, andererseits Brakel samt seinem Werk vor Anfeindungen in Schutz genommen wird.
Über die Entstehungszeit des „Christlich Gesprech“ wissen wir nur bruchstückhaftes: Das
Widmungsschreiben Brakels an Hieronymus Semmelbecker,42 seinen Lüneburger Gönner,
schließt am 18. Juli 1579.43 Im Februar 1579 dürfte das „Christlich Gesprech“ im eigentlichen
Sinne bereits abgeschlossen gewesen sein, das Widmungsgedicht von Theodor Sorbachius läßt
zumindest hierauf schließen.44 Einzelne Aspekte weisen ferner darauf hin, daß Brakel bereits
1578 an seinem Werk arbeitete.45 Unwahrscheinlich erscheint es hingegen, vor das Jahr 1578
zurückzugehen – Brakel schildert nämlich in erster Linie als Augenzeuge, doch bedient er sich
auch (der Anregung) anderer Berichte über den Livländischen Krieg. Namentlich erwähnt er in
diesem Zusammenhang Simon Pauli;46 von Brakel nicht ausdrücklich erwähnt, doch (nicht nur
motivisch) gegenwärtig ist die Chronik Rüssows;47 beide Werke erschienen 1578.
38 GOEDEKE Grundrisz zur Geschichte, § 140. 91,4; VD 16, Nr. B 6891. An dieser Stelle sei der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen für die freundliche Bereitstellung des Werkes
Brakels gedankt.
39 Vgl. KRISTELLER Der Gelehrte und sein Publikum, S. 233f.; zum literarischen Hintergrund vgl. auch
KÖNNEKER Die deutsche Literatur, S. 61.
40 Theodorus Sorbachius: ©Livonia infoelix ad sororem Germaniamª: Bra. A2r/3; ein Theodorus Sorbachius,
Bremensis ist als Verfasser einer „Elegia de tristissimo ecclesiae statu“ (Frankfurt/Oder 1562) bekannt [VD
16, Nr. S 7053]. Handelt es sich um den 1561 in den Matrikeln der Universität Wittenberg aufgeführten
Theodorus Sorbeck, Bremensis [vgl. Album Academiae Vitebergensis II, S. 16b–20]?
41 Johannes Lonnærus: ©In librvm reverendi doctrina, et virtute ornati D.[omini] Timanni Brakel,
Liuoniensis...ª: Bra. A2v-3v/4-6; [Wortergänzungen in eckigen Klammern hier und im Folgenden sind
Zusätze des Verfassers, M.L.]; Johannes Lonnærus: ©Ad minus candidum Lectorem & in Momum.ª: Bra.
A3v-5r/6-9; ein Johannes Lonnærus ist 1602 urkundlich als Prediger zu Soest erwähnt [vgl. KLOCKE
Urkunden-Regesten, Bd. II, S. 4, Regest: 555].
42 Hieronymus Semmelbecker (1539–1590) wurde 1566 Lüneburger Sülfmeister und 1576 Barmeister. Vgl.
dazu Stammtafeln Lüneburger Patriziergeschlechter, S. 117; vgl. auch Anm. 53.
43 Vgl. Bra. C8r/47: „Datum / Anttorf / des 1579.Jars / am 18.Julii / an welchem tage der Musckowiter im
58.Jar die Stadt Dörpte eingenommen hat.“
44 Das Widmungsgedicht ist auf den 20. Februar 1579 datiert.
45 Vgl. Bra. M3v/182 in Bezug auf die Darstellung des Feldzuges Ivans IV. 1577 nach Livland; vgl. auch
Neuer Bericht, Sp.111f.
46 Vgl. Bra. L8r-v/175f.; zu Simon Pauli und seiner 1578 gedruckten „erinnerung und vermahnung“ vgl.
KAPPELER Ivan Groznyj, S. 49.
47 Vgl. JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 94 [der dort angekündigte Textvergleich wurde nicht
durchgeführt] und S. 262*; Johansen geht zugleich davon aus, daß Rüssow wiederum durch das
Sittengemälde Brakels angeregt, in seiner Auflage von 1584 zu einem „ähnlichen Versuch veranlaßt“
wurde; wie die gesamte Frage nach der gegenseitigen Abhängigkeit der Werke Brakels und Rüssows ein
schwer durchschaubares System darstellt, so muß auch in diesem Fall differenziert werden: Die erste
Auflage der Chronik Rüssows von 1578 kennt Ansätze eines livländischen Sittengemäldes [vor allem Rü I,
fol. IIr-VIIr; 42v-44r]; Brakel greift einzelne Motive heraus, ordnet sie in ein – bei Rüssow fehlendes –
festes System ein und ergänzt sie durch zusätzliche Motive [siehe unten Kap. 2.3.1.]. In diesem festen
System und der konsequenten theologischen Umsetzung der Geschehnisse in Livland dürfte der Beitrag

12

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Weitere Rückschlüsse auf die Entstehungszeit und das Umfeld des Werkes lassen sich aus
dem dramatischen Rahmen sowie aus den Informationen der Gedichte von Sorbachius und
Lœnnerus gewinnen. Betrachten wir zunächst die Rahmenhandlung:
Ein Flüchtling und Wanderprediger aus Livland steht, für sich und seine Familie eine Bleibe
für die Nacht suchend, vor den Toren einer Stadt im Reich. Durch die Vermittlung des ihm
entgegentretenden örtlichen Predigers wird ihm diese mit Zustimmung des Richters <Justus>
als Aufsichtsperson über die milden Anstalten durch den Hospitalmeister <Pius> gewährt.48
Der Gast will seinen Gastgebern nicht undankbar erscheinen und deshalb ihr Interesse an den
Geschehnissen in seinem Vaterland nicht enttäuschen49. Rasch entfaltet sich ein Gespräch über
die Situation in Livland und ihre Hintergründe, wobei der Gefragte geschickt das Gespräch auf
die von ihm gewünschte theologische Schiene zu lenken versteht.50 Das Gespräch endet mit
einer Bitte seiner Gastgeber, der Wanderprediger möge am folgenden Tag eine Predigt zu dem
eben besprochenen Thema halten, und dies geschieht.51
Die hierin angesprochene Grundkonzeption von Brakels Werk spiegelt das Wanderleben des
Verfassers in den Jahren 1576-78/79 im Reich nach seiner Flucht aus Livland wider. 1576
verließ Brakel, über Kurland und Königsberg gelangte er per Schiff nach Lübeck, von dort
schließlich nach Lüneburg.52 Fand er hier bei dem Sülfmeister53 Hieronymus Semmelbecker
und dessen Familie Aufnahme, so zwang ihn die Pest schon bald, die Stadt zu verlassen. Sein
Weg führte ihn nach Westfalen – namentlich erwähnt Brakel in diesem Zusammenhang die
Stadt Soest -, dann in die Grafschaft Lippe und schließlich nach zwei Jahren (also 1578)
wieder zurück nach Lüneburg. Beabsichtigte er, sich dort niederzulassen, so veranlaßte ihn die

48
49
50
51
52

53

Brakels zur Chronik Rüssows (Rü III) zu suchen sein [vgl. etwa die Betonung der warnenden Vorzeichen
vor Kriegsbeginn in Rü III gegenüber Rü I, fol. 75v–76r], direkte Anlehnungen Rüssows an Brakel sind,
wie bereits JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 95, anmerkt, im Gegensatz zum umgekehrten
Fall selten.
Vgl. Bra. E4r-F8v/71-96; vgl. auch Neuer Bericht, Sp.109f.
Vgl. Bra. F8v-G1r/96f.
Siehe Kap. 3.1.
Vgl. Bra. Q3v-4r/246f.
Vgl. Bra. C2v/36: „Hab mich also im Nhamen / vnnd vertrawen / meines Leiben [!] Gottes / auf die
betrubte fahrt / vnd lange reise / von Oesel / vber wasser / nach Cuhrland / vnnd also fort / nach Königsberg
/ von dar aber folgens / zu wasser / nach Lubeck / begeben müssen.“ Vgl. auch BUCHNER Dissertationes
academicae, S. 219: “Sed cum & eam insulam [Ösel] Moscoviticus miles invaderet, ac rapinis atque
incendiis miserè vexaret, familiam suam omnem Timannus Lubecam transtulit.“
Sülfmeister = Selbstmeister = im eigenen Betriebe Schaffender; Bezeichnung für die Pächter von
mindestens vier Siedepfannen der Lüneburger Saline; seit 1461 in einer eigenen Gilde (Theodorgilde)
zusammengeschlossen, bildeten die großen Sülfmeisterfamilien das Lüneburger Stadtpatriziat [vgl.
REINECKE Geschichte der Stadt Lüneburg, S. 199f.; vgl. auch Stammtafeln Lüneburger Provinzgeschlechter, S. IVf.; vgl auch MÖRKE Rat und Bürger in der Reformation, S. 30f.].

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

13

Pest kurze Zeit später, Lüneburg ein zweites Mal den Rücken zu kehren.54 Im folgenden Jahr
(1579) wird Brakel als Prediger zu Antwerpen erwähnt.55
Die gedankliche Nähe zwischen dem „Christlich Gesprech“ und der Chronik Rüssows legt
den Schluß nahe, daß Brakel diese kannte und zumindest bei der Gestaltung der
Hauptmomente seines Werkes sich vielleicht sogar von ihr inspirieren ließ. Hinzu tritt ein
zweites Moment: In der Vorrede an die Leser berichtet Brakel, er habe zunächst geplant, sein
Werk anonym zu veröffentlichen, habe aber von diesem Vorhaben auf Zuspruch und Anraten
„Christliche[r]/Gelarte[r]/vnd fromme[r] Leute“ hin Abstand genommen, die ihn zugleich
ermutigt hätten, in seinem Schaffen fortzufahren.56 Brakel nennt in seiner gewohnt
unkonkreten Art und Weise keine Einzelheiten und Namen, sie lassen sich jedoch aus dem
zweiten Widmungsgedicht von Johannes Lonnærus erschließen: Brakel legte, wie auch aus der
zitierten Textstelle ersichtlich, bereits während der Arbeit sein Werk verschiedenen Personen
zur Begutachtung und Diskussion vor und stieß hierbei nicht immer auf gewogene Ohren; so
wurde er schließlich Opfer der Polemik eines humanistischen Eiferers, der an dem nicht in
lateinischer, sondern in deutscher Sprache geschriebenen Werk Anstoß nahm.57 Unabhängig
von diesen humanistischen Plänkeleien um das „Christlich Gesprech“ noch vor der
Drucklegung wird aus der besprochenen Passage sowie dem Unterstützungsgedicht von
Lonnærus

für

die

Entstehung

von

Brakels

Werk

ersichtlich,

daß

verschiedene

Entstehungsphasen, zwischen denen möglicherweise die Bekanntschaft mit der Chronik
Rüssows steht, zu unterscheiden sind.58 Im Kern bleibt jedoch festzuhalten: Das „Christlich
Gesprech“

ist

in

der

uns

vorliegenden,

gedruckten

Fassung

in

(produktiver)

Auseinandersetzung mit der Chronik Rüssows entstanden, seine Entstehungszeit muß somit
auf die Zeitspanne zwischen Sommer 1578 und (Juli) 1579 angesetzt werden.
54 Vgl. Bra. C5v-6v/42-44; vgl. auch BUCHNER Dissertationes academicae, S. 219.
55 Vgl. Bra. A2v/4; C8r/47 dies findet Bestätigung auch unabhängig vom „Christlich Gesprech“; vgl. hierzu
PONT Geschiedenis van het Lutheranisme, S. 404 („Thieman Brabele“, 6.Aug.1579); vgl. auch BRAEKMAN
Het Lutheranisme in Antwerpen, S. 29.
56 Vgl. Bra. D1r/49: „Aber Christliche / Gelarte / vnd fromme Leute / welche das werck ethlicher massen
gesehen / vnd seinen grund vnd notwendigkeit / bei sich selber betrachtet / haben mir / wider solche meine
natürliche Förcht vnd Schwermütigkeit / trewlich geraten / vnd mit Freymütiger Bekantnüss meines
Nhamens / im anfangenen werck fort zu faren / Fleissig vermanet [...].“
57 Zum Vorbehalt gegenüber in der Volkssprache und noch dazu in Versen gestalteten (Geschichts-) Werken
in humanistischer Zeit (Wahrheitsanspruch!) vgl. SPRANDEL Chronisten als Zeitzeugen, S. 218.
58 Als Kernfassung könnte in diesem Sinne die Predigt des <Christianus> mit ihrem Predigtexempel
„Livland“ [Vgl. Bra. Q4v-R6v/248-268] angesehen werden, in welcher sich in Nuance der gesamte
Aussage- und Exempelgehalt des „Christlich Gesprech“ widerspiegelt. Auf Anregung der erwähnten
Freunde könnte Brakel dann, nunmehr unter Hinzuziehung anderer Quellen (d.h. in erster Linie der im
Sommer 1578 erschienen Chronik Rüssows) das eigentliche „Christlich Gesprech“ mit seinem bunt
ausgebreiteten Sittengemälde entworfen haben, dem dann die Predigtfassung quasi als Zusammenfassung
und Untermauerung beigegeben wurde. Eine nicht zu unterschätzende Rolle kommen bei der Entstehung
des Werkes wohl Erlebnissen Brakels während seiner Flüchtlingszeit im Reich zu, sowohl was den Aufbau
und die Form (Rahmenhandlung!) als auch den Anstoß, sein Werk zu verfassen, betrifft [vgl. Bra. D3r/53].

14

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Der in gereimten Versen gestaltete Dialogteil des „Christlich Gesprech“ ist in einen
doppelten Rahmen gefaßt, der einerseits in die Fragestellungen des Dialoges einführt,
andererseits dessen Gedankengang und damit die Zielsetzung des gesamten Werkes
zusammenfaßt:
I. Widmungsschreiben an Hieronymus Semmelbecker
II. Vorrede an den Leser
III. Dialog zwischen <Christianus>, <Severinus>, <Justus> und <Pius>
IV. Predigt des <Christianus>
V. Schlußgemahnung an den Leser
Brakel nutzt geschickt das Forum, welches ihm der Raum der Widmungsschreiben und
Vorreden sowie des Schlußwortes in die Hand gibt, um mit seinen Ansprechpartnern in
Kommunikation zu treten.59 Steht im Mittelpunkt des Widmungsteiles die Darstellung des am
eigenen Schicksal exemplifizierten Loses des Dieners Gottes, nämlich von der Welt verachtet
und verstoßen, von Gott aber mit Trost und Hilfe in aller Not geschützt zu werden,60 so bildet
jeder der folgenden Abschnitte des Werkes jeweils eine Stufe des in sich mehrschichtigen
Argumentationsganges:
In einem ersten Schritt entwickelt Brakel das Bild der idealen Weltordnung Gottes. Dies
geschieht zunächst im Rahmen der Vorrede an den Leser,61 in welcher einerseits die
Motivation und Zielsetzung des Werkes angesprochen,62 andererseits die – in ihrem Verhalten
die Weltordnung Gottes repräsentierenden – Personen des Dialogs vorgestellt werden. 63
Dieser gottgewollten Ordnung wird in dem folgenden Dialogteil64 die durch die
Machenschaften des Teufels entstandene ‚verkehrte‘ Welt der Menschen gegenüber-gestellt,
die das dem Wohle der Menschheit dienende regulierende Eingreifen Gottes heraufbeschwört.
Als Exempel für diese der Strafe Gottes anheimfallende ‚verkehrte‘ Welt dienen zunächst
Livland und die Geschehnisse des Livländischen Krieges. 65
Dieses Negativbild wird nun auf die Situation im Reich übertragen, wobei die Darstellung
nunmehr einen anderen Argumentationsweg beschreitet: Die historischen Exempel aus der
jüngsten Geschichte Livlands werden zurückgestellt, die Untergliede-rung erfolgt nach einem
59 Zur öffentlichkeitswirksamen Funktion der Widmungsvorrede im humanistischen Schrifttum (Erläuterung
und Begründung des Werkes, Danksagung an einen Gönner u.a.) vgl. SCHOTTENLOHER Die Widmungsvorrede, S. 1–4, 175–77, 196f.; vgl. auch KRISTELLER Der Gelehrte und sein Publikum, S. 232–234.
60 Vgl. Bra. A5v-C8r/10-47.
61 Vgl. Bra. C8v-E3v/48-70.
62 Vgl. Bra. D1r-3r/49-53; E1v-3v/66-70.
63 Vgl. Bra. D3r-E1r/53-66.
64 Vgl. Bra. E4v-Q4r/71-247.
65 Vgl. Bra. G1v-N3r/98-197.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

15

theologischen Schema, nämlich nach dem dreier in Livland wie im Reich hervorstechender
Hauptsünden wider Gottes Ordnung.66 Die Argumentation wird theoretischer und
theologischer und leitet zu einer vierten Stufe über, die den Gehalt der – an den Dialogteil
anschließenden – Predigt des <Christianus> ausmacht, das Vorausgegangene zusammenfaßt
und am Beispiel Livlands exemplifiziert: der in der Sünde verfangene Mensch und sein
Verhältnis zu Gott.67 Von hier aus spannt sich der Bogen zurück zur Intention Brakels, wie sie
sich in den resümierenden, didaktischen Worten der „Schlußgemahnung an den Leser“
offenbart: einerseits Mahnung, aus dem Schicksal Livlands zu lernen, andererseits Trost und
Ansporn für all diejenigen, die Gott dienen und auf ihn bauen.68

2.2. Gottes Ordnung und die ‚verkehrte‘ Welt der Menschen
– Brakels Weltbild als Hintergrund und Gerüst des „Christlich Gesprech“
Brakel kontrastiert in seinem Werk zwei Weltordnungen: die von Gott gegebene ideale
Ordnung und die von Gott abgewandte ‚verkehrte‘ Welt der Menschen. Wie Livland hierbei als
Exempel für die gottferne ‚verkehrte‘ Welt steht, so repräsen-tieren die Dialogpartner in ihrem
Handeln und in ihren Worten die gottgegebene Weltordnung.
Das Gespräch entfaltet sich – abgesehen von der einführenden Eingangspassage69 – als
Unterredung zwischen den beiden Geistlichen <Christianus> und <Severinus> sowie den
Vertretern der weltlichen Obrigkeit, dem Richter <Justus> und dem Spitalmeister <Pius>.
Jedem dieser Personen wird – orientiert an der Ständelehre Luthers70 – eine bestimmte Rolle
zugewiesen, die in ihrem Auftreten auf der Gesprächsbühne, besonders aber vor dem
Hintergrund des negativen Gegenbildes Livland/Reich zum Tragen kommt.
Das gottgegebene Amt der Obrigkeit ist es, mit Schwert und Recht ausgestattet Gottes
Ordnung zu fördern, zu bewahren und gegen die zerstörerischen Mächte zu verteidigen. Als
„truwe“ Obrigkeit bestimme ihr Handeln Gottesfurcht, Gerechtigkeit und Sorge um das Wohl
der Untertanen, nicht jedoch Eigennutz und Ungerechtigkeit.71 In ihrem von Gott gegebenen
66
67
68
69

Vgl. Bra. N4r-P4v/199-252.
Vgl. Bra. Q4v-R6v/248-268.
Vgl. Bra. R7r-S7r/269-285:“Beschlusz mit einer kurtzen Vermanung“.
Hier treten noch <Sara!, die Frau des <Christianus>, sowie in einer Tischgebets-Szene die Kinder der
beiden auf [vgl. Bra. F4r-8v/87-98].
70 Von Brakel als „Lehrstand“, „Wehr- oder Regirstand“ und als „Nehr- oder Ehestand“ bezeichnet [Bra.
D3v/54]; zur lutherischen Lehre von den drei Ständen vgl. MAURER Luthers Lehre, S. 3–9, 18–44; vgl.
auch MAURER Historischer Kommentar, Bd. I, S. 100–104.
71 Bra. D3v-4v/54-56; L3v-4v/166-168; N5v-7r/202-205; P8v-Q1r/240f.; R8v/270 (Negativexempel); S1v2r/274f. u.a.; vgl. hierzu und zum Folgenden: MAURER Historischer Kommentar, Bd. I, S. 126–135. Brakel
bedient sich zur Erläuterung des Beispieles „Adam“, welches – im Positiven wie im Negativen – auf das
Verhältnis Gott-Obrigkeit übertragen wird [vgl. Bra. N5v-6v/202-294; O4r-v/115f.; P1r-2r/225-227]: Gott
begnadete Adam mit Weisheit, Macht, Ehre und anderen Gnadengaben, macht ihm die Welt untertan und

16

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Amt steht die Obrigkeit zwischen Gott und den Menschen: Sie ist von Gott „an seine stat“ über
die Menschen eingesetzt, ist Werkzeug Gottes in der Welt. Gemäß Röm. 13,1-7 ist ihr somit
die Untertanenschaft zu bedingungslosem Gehorsam verpflichtet, ein Aufbegehren gegen die
gottgegebene Obrigkeit kommt einem Aufbe-gehren gegen Gott gleich. 72 Steht sie somit kraft
ihres Amtes über den Menschen, so ist sie in ihrem Handeln nichtsdestotrotz wie jeder einfache
Mensch Gott gegenüber zu Gehorsam und Rechenschaft verpflichtet – der einzige Richter ihres
Handelns ist Gott.73
In der Fülle ihres Amtes muß sich die Obrigkeit auf Vertraute und Helfer stützen, welche „an
ihrer stat nach Gottes befehl / alles allenthalben Richtig / vnd Ordentlig halten“.74 So wie das
Leitbild der Obrigkeit die justitia gegenüber Gott und Gottes Geschöpfen ist – daher ihre
Bezeichnung <Justus>75 -, so ist das Leitbild der Amtleute die pietas gegenüber Gott und
Gottes Ordnung: Nicht der eigene Nutzen stehe im Vordergrund ihres Handelns, sondern der
getreue Dienst an Gott, ihrer Obrigkeit und ihren Untergebenen – daher ihre Bezeichnung
<Pius>76.
Ist die weltliche Obrigkeit Gottes Sachwalter auf Erden, so stellt die Geistlichkeit – den
Propheten des Alten Testamentes gleich – Gottes Sprachrohr in der Welt dar. Ihre Aufgabe ist
es, den Menschen mittels des Wortes Gottes den rechten Weg in der Welt zu weisen, ihnen
offenbart ihm seinen Willen, aber auch die Strafe der Sünde, „Auff das er Gott dem Schepfer sein/ | Zu Lob
vnd Ehr kond herrschen fein / | Vnd seiner Creaturen all | Geniessen mocht mith Wohlgefall“ [Bra.
O4r/215]. Als Gegenleistung verlangt er von ihm lediglich treuen, aufrichtigen Dienst an Gott und seinen
Geschöpfen. Doch durch das Ränkespiel des Teufels fällt Adam von Gott ab, er hält „den Ernst vnd Gottes
Rat / | Fur Schertz vnd leicht“ und ist lediglich auf das eigene Wohl bedacht.
72 Brakel wertet die Gehorsamsverpflichtung gegenüber der Obrigkeit als absolut [Bra. L7v/146; M2v3r/179f.; O2r/211], die Frage nach den Grenzen der Gehorsamsverpflichtung vor dem Hintergrund der
Verpflichtung der Obrigkeit, Gottes Geboten Folge zu leisten [vgl. MAURER Historischer Kommentar, Bd. I,
S. 129.], wird von ihm nur am Rande berührt, es ist ein Problem des Verhältnisses Obrigkeit-Gott [vgl.
Anm. 71]; Brakel betont hingegen den Umkehrschluß dieser Forderung: Die Untertanen folgen der
Obrigkeit auch dann, wenn sie ihr Amt nicht gemäß Gottes Geboten verrichtet: Lebt die Obrigkeit in
Sünde, so auch ihre Untertanen [Bra. J1v/130; K8v/160; O7r-v/221f.].
73 „Vnd das er stetz daran gedecht/
Das er zugleich were Herr vnd Knecht/
Ein Herr der Creaturen schon/
Vnd Gottes Knecht vnd Vnterthan.“
[Bra. P1v/226; vgl. Bra. L7v/174; N8v/208; O5v-6r/218f]; Brakel exemplifiziert diese Verpflichtung der
Obrigkeit zur Rechenschaft gegenüber Gott anhand eines eigenen Exempels, einer Levitenpredigt einer von
Ivan IV. zum Tode am Spieß bestimmten Jungfrau [vgl. Bra. N2r-v/195f.]. Die Szene, in ihrer Konzeption
an diejenigen von Märtyrerlegenden erinnernd (so schon HENNING Lifflendisch Churlendische Chronica,
55a/67), ist für Brakels Werk untypisch, wurde aber vielleicht gerade deshalb in der späteren
Historiographie wiederholt aufgegriffen: vgl. HENNING Lifflendisch Churlendische Chronica, 54b/67; vgl.
auch KELCH Liefländische Historia, S. 306.
74 Bra. D4v-5r/56f.
75 Vgl. Bra. D4v/56.
76 Vgl. Bra. D5r/57; N8r-v/207. Das Verhalten der Amtleute wirkt auf die Obrigkeit zurück, sind sie gottlos,
so fällt auch auf das Handeln ihrer Obrigkeit kein Segen [vgl. Bra. M1v-2r/178f.].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

17

ihre Sünden, den Zorn, aber auch die Gnade Gottes vor Augen zu halten und ihnen somit den
einzigen Weg zum Seelenheil aufzuzeigen.77 Mit dieser Aufgabe ist eine doppelte
Notwendigkeit verbunden: Um die Liebe und Gnade Gottes verstehen und glaubhaft vermitteln
zu können, müssen die Geistlichen in der Welt leben und leiden,78 sie dürfen sich jedoch
zugleich nicht mit der Welt arrangieren: Um wahrhaft Gott dienen zu können und sich nicht
den Menschen anzudienen, müssen sie der gottfernen Welt unangenehm und damit verhaßt
sein.79
Hier verbinden sich Brakels Welt- und Menschenbild, miteinander verklammert durch das
Verhältnis Gott – Mensch: Der Mensch ist von der (Erb-)Sünde qua seines Daseins umfangen,
der einzige Weg, sich aus dieser Fesselung zu lösen, ist derjenige des Glaubens, der Hingabe
als sündiger Mensch in die Hand Gottes,80 doch – verblendet vom Teufel – geht die Welt
diesen einzig heilbringenden Weg nicht mehr, sie kennt Gott nicht mehr:
„Der Teuffel hat ohn mass vnd End/
Der Menschen Augen so verblendt/
Ihr Hertz vnd Ohrn in grosser Fahr
Bezaubert vnd verstocket gar/
Das sie nicht hören / oder sehn/
Vnd Gottes Warheit mehr verstehn
Der Ochs kennt seinen Herrn gar fein
Der Esel auch die Krippen sein
Wie Gott in Esaia spricht:

77 Vgl. hierzu und zum Folgenden MAURER Historischer Kommentar, Bd. II, S. 139–145; vgl. auch
FAGERBERG, Amt/Ämter/Amtsverständnis, S. 559, 563–567; das Themenfeld Geistlichkeit und ihre
Stellung in der Welt stellt ein Grundmotiv des „Christlich Gesprech“ dar, welches von Brakel vielfach
angeschnitten wird. Die zentrale Textpassage hierzu stellt Bra. D5r-E1v/57-66 dar; außerdem sind
diejenigen Passagen von Bedeutung, an denen Brakel sein Schicksal als <Christianus> exemplifiziert, vor
allem die Widmungsvorrede an Hieronymus Semmelbecker, die unter diesem Aspekt als ein Traktat über
das Verhältnis Gott – Prophet/Prediger – (gottferne) Welt gesehen werden kann: Durch Bibelzitate
gestützte Aussagen werden anhand der eigenen Biographie untermauert.
78 Vgl. Bra. B2r-v/19f.; D5v-6r/58f.; hiermit ist für Brakel sogleich die Forderung nach der Priesterehe
verbunden [vgl. Bra. D6r-v/59f.]: „Da muoss er nun seine liebe SARAM zu haben / die ihme alss eine
Fleissige Herrinne / bei der Muhseligkeit seines Berufss / mit sorgfeltiger vnd Freundlicher beiwohnung /
behulflich vnd trostlich sei / Das er nicht auf die Kirch vnd Küche zugleich warten / vnd etwas / vmb seines
Hausregimentes willen / in der Hausshaltung Gottes verseumen dürfte.“ Die Verpflichtung des Prieserts zur
Ehe gereicht dem Prediger in seiner Drangsal zugleich zu einer Steigerung seiner Not, denn sein Elend
macht nicht vor seiner Familie halt [vgl. Bra. D7r/61; E8r/79].
79 Vgl. Bra. C1r-v/33f.; C3r-v/37f.; I3r-v/133f. u.a.
80 Die zentrale Passage zur Darlegung des Menschenbildes Brakels stellt die Predigt des <Christianus! am
Tage nach dem eigentlichen Gespräch vor der Gemeinde des <Severinus! über 1. Korinther 10 dar [vgl.
Bra. Q3v-R6r/250-265]; vgl. hierzu und zum Folgenden: KINDER Sünde und Schuld, Sp.491f.; vgl. auch
JOEST Sünde und Schuld, Sp.494–500.

18

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Mein Volck mich aber kennet nicht“.81

Indem er die Definition von Sünde als „verkehrtes Verhältnis des Menschen zu Gott“82
thematisch aufgreift, stellt Brakel der durch die Personen des Gesprächs repräsentierten idealen
gottgewollten Weltordnung die vom Teufel verführte ‚verkehrte‘ Welt der gottfernen
Menschen gegenüber: Die getreuen Diener Gottes stellen in dieser Welt eine verschwindend
kleine Gruppe dar;83 Gottesmißachtung und selbstsüchtiger Mangel an Nächstenliebe machen
sich auf Erden breit, an die Stelle des „getruwen“ Dienstes an Gott und seiner Ordnung tritt ein
gottfernes Leben bar jeder Demut („Untruw“); an die Stelle der demütigen Hinnahme des von
Gott beschiedenen Platzes in der Welt tritt ein Leben voller Eigennutz und selbstsüchtiger
Ungerechtigkeit („Geitz“); hinzu tritt ein drittes Element – die „Sicherheit“: In ihrer
Verblendung und ihrem Hochmut erkennen die Menschen nicht mehr die Gottesferne ihres
Lebenswandels, Gottes Gebote, mahnen-de Worte und Zeichen sind für sie nur Schall und
Rauch. 84
Die kleine Schar derjenigen, die in dieser „gar verkerten Welt/ | Die nichtz von Recht vnd
Warheit helt“85, nach dem Wort des Herrn lebt, ist dieser Welt verhaßt,86 ihr Los ist Undank,
Mißgunst und Haß der Welt, zugleich aber auch Schutz und Gnade Gottes.87 Eben hierin liegt
die zweite Bürde der Geistlichkeit: Die Welt will sie nicht hören; wie die Welt Christus nicht
erkannte und verstieß, so ergeht es auch seinen getreuen Dienern: Ihr Schicksal ist es, von der
81
82
83
84

Bra. P3v/230; vgl. Jes. 66,4.
KINDER Sünde und Schuld, Sp. 491.
Vgl. Bra. E4r/71; F6r-v/91f.; O8v/224.
Brakel behandelt diese, der fehlenden Demut der Menschen entspringende Abweichungen von Gott und
seiner Ordnung [vgl. ZUR MÜHLEN Demut, S. 474f.] ausführlich in dem zweiten, nicht mehr speziell
Livland behandelnden Hauptabschnitt seines Werkes, dessen Zielsetzung es ist, die in Livland zum
Verderben wirkenden, aber auch von Brakel im Reich festgestellten Elemente des gottfernen Lebens
aufzuzeigen und somit in ihrer Wirkkraft zu entschärfen: „Vntruw“ [Bra. N5r-O3v/201-214], „Geitz“ [Bra.
O3v-P2v/214-228; angesprochen ist die Sünde der Habsucht, als doppeltes Vergehen gegen das Gebot der
Nächstenliebe; vgl. FRANK Habsucht (Geiz), Sp.238f.] und „Sicherheit“ [Bra. P3r-4v/229-232; „Hochmut“
galt in der Deutung der mittelalterlichen Theologie als die Wurzel aller Sünden; vgl. PROCOPÉ Hochmut,
Sp.796–98, 815, 844–848; vgl. auch SCHEIDEGGER Perverses Abendland, S. 178].
85 Bra. E7r/77; vgl. Bra. O7v/222.
86 „Denn alle so Gottselig sein/
Im Glauben vnd Gewissen rein/
Müssen dafür mit Hass vnd Neid
Belohnet werden alle Zeit.“ [Bra. L4v/168].
87 Dies ist das immer wiederkehrende Grundmotiv des Welt- und Menschenbildes Brakels: Wie die Welt
Christus verstieß, so ergeht es auch seinen Getreuen [vgl. Bra. C3r-v/37f.; D1v/50; D7r-v/61f.; E7r-v/77f.;
F3r/85; I3r-v/133f.; L4r-v/167f.; Q2r-v/243f. u.a.]; ein Leben nach Gott erscheint „in dieser gar verkehrten
Welt / | Die nur von Macht vnd Reichtum helt“ nutzlos und verloren [Bra. O7r-v/221f.], scheint es den
getreuen Christi so, als habe sie Gott verlassen, so steht er ihnen doch immer zur Seite [vgl. Bra. A7r8r/13-15; R3v-4r/262f.], er beschützt sie, um dadurch aller Welt ein Zeichen seiner Güte und Gnade zu
geben [vgl. Bra. C7r/45; vgl. Ps. 4,3–9; 73,23–26], ihr Lohn ist nicht von dieser Welt [vgl. Bra. D1v/52;
P6r-v/235f.], denn „Vom Creutz geht auch der Weg zur Frewd / | Zur Ewign Wollust von dem Leid“ [Bra.
E6v/76].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

19

Welt verstoßen und geächtet, doch von Gott beschirmt das Kreuz zu tragen, Gottes Wort
lebend und verkündend ein echter ‚Christianus‘ zu sein:
„Den Christus hat zween Wege schlecht/
Den trewen Dehnern auff erlegt.
Der erste Weg in ihrem Ampt/
Ist / Das sie lehren alle sampt/
So Gottes Wort vnd Disciplin/
Lieb haben vnd gehorsam sein:
Der ander aber diesem nach/
Da mans nicht Horn und Leiden mag/
Das sie dan auch die Perlin schon/
Vor schweinen nicht zu torrten lan/
Nun ihmer fort zum Thor hinauss/
Verlassen / Acker / Land vnd Hauss/
Vnd was man nicht behalten mag/
Vnd Christo mit dem Creutz hirnach.“88

Vor diesem Hintergrund unterscheidet Brakel innerhalb der Geistlichkeit zwei Gruppen: die
von der gottfernen Welt aus ihrem Amt verstoßenen, in dieser Welt fremden, von dem
„Wallbruder“ <Christianus>89 repräsentierten Geistlichen und die mit Gottes Beistand noch
„mit gebürlichem Ernst / vnnd Eiffer“ in ihrer Gemeinde wirkenden, von <Severinus>
verkörperten Geistlichen.90
Doch der gnädige Gott läßt die Menschen in ihrer Sünde nicht verderben: So wie er
denjenigen, die ihm folgen und vertrauen, in aller Not und Drangsal beisteht, so zeigt er den
vom Wege Abgewichenen Mittel und Wege, doch noch den rechten Pfad zu finden.91 Nehmen
die Menschen jedoch in ihrer Verblendung die mahnenden Worte Gottes durch den Mund
seiner Prediger und all seine warnenden Vorzeichen nicht wahr, so zwingen sie den um ihr Heil
bedachten Gott, zu anderen Mitteln zu greifen, um sie aus ihrer Verblendung zu lösen:

88 Bra. P8r/239.
89 Vgl. Bra. D6v-7r/60f.; E7r-v/77f., wobei hier <Christianus! in Abgrenzung zu <Severinus! für eine
Untergruppe der Gruppe ‚Christianus‘ in der Bedeutung von Diener Gottes in ihrer Gesamtheit steht [vgl.
Bra. D5r-v/57f.].
90 Vgl. Bra. D7v/62; E5v-6r/74f.
91 „Wir lernen ausz Gottes Wort / Das der Almechtiger [!] Gott Menschlichem Geschlechte / nicht allein
seinen Heyligen Rat vnd willen geoffenbart / was man thun vnnd lassen solle / damit man zeitlichen vnd
ewigen Segen haben vnd ererben / Auch beiderseitz Fluch vnd Schaden entfihen müge. Sondern er hat auch
ie vnd allewege Seiner Gutigkei vnd Menschlicher boszheit vnd Vnbuszfertigkeit / menschliche zeugnusz
haben vnd brauchen wöllen / damit Menschen dürch Menschen / ihrer Schuld / vnd Gerechtigkeit
vberzeuget würden.“ [Bra. A5v-6r/10f.].

20

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

„Da sie von wegen Ihrer Sündn/
Die Gottliche Straff nicht leiden kundn/
Sein Wort vnd Trewer Diener Rat/
Bei ihnen nicht mocht finden stat/
So most ihn Gott die Predig manchn/
Das man hört Thürm und Mauren krachn.“ 92

Das Strafgericht Gottes ist durch die Menschen selbst verschuldet,93 es ist zugleich aber eine
Gnadentat Gottes an den Menschen, die ihnen, da sie nicht selbst fähig waren, von ihren
Sünden zu lassen, ihre Gottferne vor Augen führt und ihnen somit die Möglichkeit zur Umkehr
gibt.94 Ihren sündigen Lebenswandel erkennend können sie doch noch den Weg der getreuen
Diener Gottes finden und beschreiten, einen Weg, der ihnen zwar die Mißgunst der gottfernen
Welt einbringt, sie zugleich aber die Gnade und das Heil Gottes erwerben läßt.95
Diese beiden dem Welt- und Menschenbild Brakels zugrundeliegenden Optionen bilden das
Grundgerüst, auf welchem sich das Livlandbild, ja das ganze „Christlich Gesprech“ aufbaut:
Auf der einen Seite steht die Option des Weges weg von Gott, wie ihn mit allen Konsequenzen
Livland beschritt und nun das Reich zu beschreiten droht; auf der anderen Seite steht der Weg
in und hin zu Gott, wie ihn die Diener Gottes in Livland beschritten und wie er zugleich in den
Charakteren des Dialogs zum Ausdruck kommt.
Brakel bedient sich somit zweier Exempelketten, die es im folgenden zu untersuchen gilt –
einer negativen und einer positiven: Erstere ist untrennbar mit dem Livlandbild Brakels,
zweitere mit seinem Selbstverständnis als ‚Christianus‘ verbunden. Die Blick-richtung ist
hierbei eine zweifache: Brakel blickt zurück auf Livland, um dadurch nach vorne blicken zu
können, auf das Reich. Die Konsequenz hieraus: Livland und das Einzelschicksal seiner
Menschen werden zum Exempel, zum Mahn- oder Trostbild für die Menschen „in Deudschland
/ wie auch in diesen Niderlanden.“96

2.3. Das Livlandbild des „Christlich Gesprech“
Jegliche Darstellung des über Livland hereingebrochenen Unheils bliebe unvollständig, fragte
man nicht nach seinen Ursachen. Betrachtet man die Herangehensweise der Literaten und
92 Bra. L7v-8r/174f.
93 „Denn wer nicht ghorchet Samuel/
Der muss Saul han zur plag vnd quehl.“ [Bra. O2r/211; vgl. Bra. O3r/213].
94 Vgl. Bra. Q7v-8v/254-256.
95 Freilich ist es auch möglich, den Umkehrschluß zu ziehen: Die Heimsuchung Gottes kann erst ein Ende
haben, wenn diese Umkehr stattfindet [vgl. Bra. I5r-v/137f.].
96 Bra. S1v/274; vgl. Bra. D2v/52.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

21

Chronisten der Zeit des Unterganges der livländischen Selbständigkeit an diese eng mit dem
Bild des Russen verbundene Fragestellung, so lassen sich verschiedene Abstufungen erkennen,
die einer Leiter gleich in ein theologisches Geschichtsverständnis wie dasjenige Rüssows und
Brakels einmünden.97
Die Russen konnten als ein barbarisches, heidnisches Volk gezeichnet werden, das aus reiner
Willkür und Machtgier über das diesem Ansturm nicht gewachsene (christliche) Livland
hereinbricht. Die Konsequenz dieser – aus der Flugschriftenliteratur bekannten – Sichtweise98
ist eine ausgeprägte Schwarz-Weiß-Malerei, welche die Russen in dunkelsten Farben zeichnet,
seine Ãbarbarischenµ Handlungsweisen drastisch ausbreitet.99
Von dieser Ebene ausgehend konnte eine zweite Frage gestellt werden: Warum ließ Gott
dieses Unheil zu? Nur eine Antwort scheint dem Christen möglich: Es ist ein Strafgericht
Gottes.100 Eine neue Frage tut sich auf: Was sind die Ursachen für den Zorn Gottes? Die
Beantwortung dieser Fragen – sie werden keineswegs immer gestellt – verlangt eine zumindest
ansatzweise Darlegung der Situation in Livland vor dem Ausbruch des Krieges. Hierbei kam in
unterschiedlicher Ausformung und Ausprägung ein mehrstufiges Livlandbild zum tragen,
welches – in Ansätzen bereits in der Chronik Heinrichs von Lettland erkennbar – in dem hier
interessierenden Zeitabschnitt seine Blütezeit erlebte und in bühnenhafter Form in der Chronik
Rüssows vor Augen tritt:101 Das von Gott mit allen Gaben überreich ausgestattete Livland
vermochte mit jenem Gottesgeschenk nicht umzugehen, verfiel in Gottferne und forderte somit
das Straf-gericht des Herrn über sich heraus.102
Von dieser Basis ausgehend vermag die sich hieran anschließende nächste Frage – Wie
drückt sich der Zorn und damit die Strafe Gottes über Livland aus? – auf zweier-leiweise

97 Zum Ansatz folgender Ausführungen vgl. KAHLE Die Begegnung des baltischen Protestantismus, S. 22–27.
98 Vgl. KAPPELER Ivan Groznyj, S. 231–236; vgl. auch KAPPELER Die deutschen Flugschriften, S. 175–180.
99 Ein beredter Zeuge hierfür sind die 1508 gedruckte „Schonne Hystorie“ des damaligen Ordenssekretärs
und späteren Bischofs von Dorpat, Christian Bomhower, eine gezielte Propagandaschrift zum Zwecke der
Ablaßwerbung im Reich zugunsten Livlands [vgl. BENNINGHOVEN Rußland im Spiegel; vgl. auch TAUBE
Der Untergang der livländischen Selbständigkeit, S. 22, 26; vgl. auch JOHANSEN Balthasar Rüssow als
Humanist, S. 61f.] sowie aus der Zeit des Livländischen Krieges einige „historische Lieder“ [vgl. BT, S.
80–83, 316; 138–143; 319]; die Schwarz-Weiß-Malerei spielt auch in der „Lifflendisch-Churlendischen
Chronika“ Salomon Hennings eine herausragende Rolle, ist aber nicht alleiniges Darstellungsprinzip
[HENNING Lifflendisch Churlendische Chronica, 1a–b/19; 1b/29; 18a/34 u.a.].
100 Auf das Verhalten des Reiches gegenüber Livland angewandt wurde dieser Gedanke von Melanchthon in
seinem, dem „Chronicon regni judaei“ Joh. Ramfts als Vorwort beigegebenen Brief über den
Livländischen Krieg an Hermann Wittekind [vgl. STUPPERICH Melanchthon und Hermann Wittekind, S.
280].
101 Vgl. JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 237.
102 Etwa BREDENBACH Belli Livonici fol. 7v–10r [zitiert nach der Ausgabe: Köln 1564 = VD 16, Nr. B 7371],
in weitgehend säkularisierter Form: EUCAEDIUS Aulaeum Dunaidum, IVb–VIa/396f.; zu Rüssow und
Brakel siehe unten.

22

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

beantwortet zu werden, als poena damni (d.h. Vorenthaltung etwa der gött-lichen Gaben) oder
als poena sensus (d.h. Zufügung eines Übels).103
Das erste Erklärungsmodell ist dasjenige der Historien Johannes Renners: Der Zorn Gottes
über das sündhafte Leben der Obrigkeit fordert seine strafende Hand heraus. Die Strafe ist eine
im Inneren Livlands wirkende: Gott nimmt der Obrigkeit Weisheit und Verstand, wendet sich
von ihr ab und läßt die Menschen in Livland alleine zurück.104 Einigkeit und gemeinsamer
Einsatz der Obrigkeit für das Gemeinwohl – durch welche Livland in der Vergangenheit allen
Gefahren zu trotzen vermochte – gehen verloren, das Land ist wehrlos seinem Schicksal
ausgeliefert.105 Die Russen treten nicht als Voll-strecker des Strafgerichtes auf, sie sind
vielmehr die Nutznießer ebenjenes, der verteufelte Aggressor, der die (durch Gottes Zorn
bedingte) innere Schwäche Livlands ausnutzend seine Machtgier sättigt.106
Theologischer ist das zweite Erklärungsmodell, wie wir es etwa in den Darstellungen
Bredenbachs und Rüssows finden: Die Leiden der Gegenwart sind allein durch das Ein-greifen
Gottes bedingt, sie sind nicht das Werk der Russen in ihrer selbst, sondern das Werk Gottes
durch die Russen als seine Zuchtrute. Die Livländer und nur sie! sind an ihrem Unglück
schuld.107 Das einzige Gegenmittel ist Buße, d.h. Abkehr von dem bisherigen Lebenswandel
und Rückkehr zu Gott; erst dann ist ein Ende des Straf-gerichtes Gottes möglich, erst dann hat
der Schrecken ein Ende.108
Die Grenzen zwischen historischer und theologischer Sicht- und Darstellungsweise
verschwimmen; der Beurteilung von Livlands Unglück als allein durch die eigenen Sünden
verschuldetes Unglück implizit ist das versöhnliche Bild der lutherischen Recht-fertigungslehre;
der Sonderfall des Katholiken Bredenbach möge hier ausgeklammert bleiben. Bietet sie in
aufgewühlter Zeit zwar einerseits Trost und Ansporn – ein eindrucksvoller Textzeuge hierfür

103 Vgl. SCHEUERMANN Strafe, Sp.1097.
104 RENNER Livländische Historien, 3r/2: „dan hir is dye gemeine sproke war geworden: wen godt ein landt
straffen will, so benimpt hie der overicheit wisheit und vorstandt; wo dan solches daruth to vornemende:
wen ein herr dat eine wolde, so wolde dye ander ein anders.“ vgl. Hiob 12,24.
105 Vgl. RENNER Livländische Historien, 3r–5r/2f; 7r–9r/6f.
106 Die Begründung des Krieges bei Renner ist schwammig und schwankt zwischen inneren Zer- und Verfall
Livlands (Bezugnahme auf Sallust; RENNER Livländische Historien, 5r/3; ähnlich RENNER* Livländische
Historien, S. 4), dem Ausbleiben bisher vorhandener Hilfe aus Preußen und dem Reich während des
gleichzeitigen Aufstiegs des Moskauer Reichs auf der einen Seite [vgl. RENNER* Livländische Historien,
S. 140f.; seine Quelle dürfte Rü I, fol. 198v–201v gewesen sein] und der von Eifersucht genährten
Machtgier Ivans IV. auf der anderen Seite [vgl. RENNER Livländische Historien, 23r/14; 24v/15; vgl. auch
RENNER* Livländische Historien, S. 160f.]; vgl. hierzu HAUSMANN /HÖHLBAUM Einleitung, S. XXIIIf.
107 Rü III, IIIb–IVa/6; 45a/57. BREDENBACH Belli Livonici fol. 9r–10v und 33r–35v, sieht in seiner
antiprotestantischen Programmschrift die Ereignisse und Leiden des Livländischen Krieges unter diesem
Aspekt als Strafgericht Gottes für den Abfall der Livländer vom rechten Glauben, d.h. dem Übertritt zum
Protestantismus, wobei er diesen Schritt weg von Rom als ersten Schritt hin zum russischen Heidentum
betrachtet [vgl. KAHLE Die Begegnung des baltischen Protestantismus, S. 26f.].
108 Rü III, 78b/95; vgl. Rü III, 135a–b/157.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

23

ist das «Schön geistlick leedt» des späteren Ordensmeisters Wilhelm Fürstenberg (1545)109 -,
so ist die hierdurch vorgegebene Blickrichtung jedoch in Anbetracht des anhaltenden Unglücks
(d.h. der anhaltenden Strafe) für den nach Erklärung Suchenden eine Hypothek, die den
Umkehrschluß zwingend erscheinen läßt, daß eine Umkehr nicht stattfand.110
Lediglich ein Schritt weiter ist es zu einer eschatologischen Sichtweise, ein Schritt, welcher
in dem „Livländischen Totengesang“ (1584)111 vollzogen wurde: In der durch die Russen
zerstörten Kirche zu Rositten stehen die Gräber offen, die Toten singen – nicht einen Gesang
der Verzweiflung, sondern der Freude – denn der Tag der Erlösung ist nah:
„Wir wöllen bitten Christ den herrn
dass er ja bald wöll kommen
zum jüngsten gricht in grosser ern,
erlösen seine frommen;
dann es stet übel in der welt,
gottsforcht und frömkeit gar hinfelt,
bosheit hat zugenommen“.112

Wenden wir uns nach dieser allgemeinen Betrachtung nun der Perspektive Rüssows und
Brakels zu. Zur Illustrierung der Geschichte Livlands bedient sich Rüssow eines die
Geschehnisse in Livland von ihren Anfängen bis in die Gegenwart umfassenden Liv-landbildes,
welches vor allem in der Auflage von 1584, aber auch schon – hier freilich in geringerer
Ausprägung – in der Brakel greifbaren Ausgabe von 1578 zum Tragen kommt: Livland –
durch deutsche Kaufleute und Geistliche dem Dunkel des Heidentums entrissen – ist von Gott
überreich mit allen Gaben, besonders der Gabe der „framen und truwen Avericheit“113
begnadet; folgten die Livländer zunächst Gottes Ordnung, so entfernten sie sich schließlich,
durch die Machenschaften des Teufels verführt, von Gott, versanken in Gottesferne und riefen
dadurch Gottes strafende Hand hervor; das Strafgericht des Herrn bricht, nicht ohne
vorangegangene warnende Vorzeichen über Livland herein – die Russen sind seine
Zuchtrute.114 Dieses Livlandbild schwingt als erläuterndes Element im Hintergrund der
Darstellung der Geschichte Livlands mit, es wird zum Erklärungsschema für die Blüte der
Vergangenheit, das Elend der Kriegsjahre sowie die glückliche Wendung des Schicksales der
Gegenwart.
109 BT, S. 51–53; 311f.; vgl. auch das in den Aufzeichnungen Schmiedts wiedergegebene Kirchengebet aus
dem Riga der ersten Kriegsphase: SCHMIEDT Die Aufzeichnungen, S. 19f.
110 Siehe unten Kap. 2.3.2.
111 BT, S. 143–145 und 146–148; 319f.
112 BT, S. 145, Strophe 11.
113 Rü III, Ia/3.
114 Vgl. JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 237–241.

24

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Brakel greift dieses Gliederungsschema auf und setzt es konsequent als Theologe – und
nicht wie Rüssow als Historiker im Predigergewand – um: Das – und hier differenziert der
Theologe Brakel – an irdischen Gütern von Gott reich begnadete Livland115 steht in einer Reihe
mit dem Volk Israel, wie jenes so mißbrauchten auch die Livländer Gottes Gaben, wie jenes
achteten auch sie das Wort Gottes und seine Pro-pheten nicht mehr,116 wie jenes so mußte
auch Livland dem Strafgericht des Herrn, ausgeführt durch sein Werkzeug, die Russen,
anheimfallen:
“Also hat der Barmhertzige Gott auch Lifland an Reiner Lehr / treuwer warnung / vnd Ernstlicher
drewunng nicht mangeln lassen: Hat ihnen ihre eigne Propheten gegeben / sie durch ihre Kinder
alss wol Aussheimischen viel Jar vnd lange zeit lehren / vermanen / straffen / vnd seine gewiss
folgende zornige Heimsuchung ihrer vielfeltigen Sünde wegen / verkundigen / vnd weissagen
lassen. Ja / Gott hatt ihnen selber vom Himel neben etliken plagen / als vnerhörter grossen Kelte /
schweren / tewrungen / Pestilentz / schrecklichen Cometen / auch Finsternüsz / an Sonn vnnd
Mond / vnd andern mehr zeichen vnd wundern / so kurtz nach ein ander geschehen / gepredigt /
vnd sie von ihrem Gotlosen wesen gantz veterlich zur Buss gelocket.
Weil aber solcher sein Veterlicher Rat in alle denselbigen mitteln verachtet / vnnd vbel nur erger
ward. Hat Gott auch endlich wöllen insz werck bringen vnd erfüllen / was er im wort vnd zeichen
vorhin geredt vnd gebildet hatte. Erweckete der wegen den Muscowiter / das er nuh fort durch den
erschrecklichen Dohn der Büchsen / Erbamlichen schein seiner Blutigen Sebel / predigen /
demutige hertzen vnd geistern machen / vnd das Cofitemini vnnd Miserere erausz drucken / vnnd
ihrer Propheten / vnd trewer Prediger lange vnd vielfeltige drowung vnd Prophecie / bestetigen vnd
warmachen solte.“117

Die Heimsuchungen der vorangegangenen Zeit dienen ihrer Nachwelt als mahnende
Fingerzeige Gottes; hierin liegt der Ansatz des Livlandbildes, ja des gesamten „Christlich

115 „Weren die in Lifland mit diesen beiden Gottes Gaben [Gott getreu dienenden Predigern und „truwe“
Obrigkeit] / durch welche sie zur Gerechtigkeit hetten anreitzung gehabt / so reichlich vberschüttet
gewesen / wie sie sonst mit andern vielen leiblichen Gaben Gottes / von welchen das Fleisch durch
missbrauch derselbigen / zur sünd vrsach genhommen / begabt weren / Es hette dem Teuffel wol gefehlet
/ das ers hiezu / wie nu leider geschehen / solte gebracht habenn.“ [Bra. S2r/275].
116 „Aber die Augen waren ihnen [den Livländern] also verblendet / die Ohren verstopft / vnd das Hertz so
gar verstockt / vnd in mutwillen ersoffen / das si nicht sehen / hören / gleuben / vnd ihren vngluck /
welchs bald vber sie gefallen / nutgehen [von Riekhoff: entgehen] kondten oder wolten / wie auch
Christus den Sünden / vnd auss der erschrecklichen Prophecie Christi ihre Prediger ihnen / gedrawet.“
[Bra. B1v/18].
117 Bra. A7r-v/13f. Das durch die Russen ausgeführte Strafgericht trifft einerseits Livland als ganzes, d.h. die
Livländer inklusive der Gottesfürchtigen [Bra. B6r-v/27f.; G1v-2r/99f.; I6r/139; L7v-8v/174-176; N2r2v/195f.; R1v-3r/258-261; S1r-v/273f.], andererseits auch den gottfernen Livländer (als Individuum oder
Standesgruppe) als Folge seiner individuellen Vergehen gegen Gott [Bra. H1v/114; H3v-4r/118f.; H5rv/121f.; N1v-2r/194f.].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

25

Gesprech“ Brakels: Wie die der Sintflut anheimgefallene ÃErste Weltµ Spiegel für Sodom und
Gomorrha sein sollte,118 so Livland für das Reich:
„Denn ihnen [den Livländern] Gottes Straff und Zorn
Ist vns zum Spiegel widerfarn/
Das wir in dieser vnser Zeit
Abstehn von Vngerechtigkeit/
Damit er [Gott] vns nicht gleicher massn/
Dürff durch Tyrannen straffen lassn/
Wie Lifland / Leider / nhw geschehn.“119

Der dortige Lebenswandel ist nicht besser, als derjenige Livlands gewesen war, auch dort wird
das Strafgericht unausweichlich sein, wenn die Menschen nicht – aus dem Beispiel Livlands
lernend – den Weg zu Gott finden.120 Livland wird somit in seinem Unglück, wie es Theodor
Sorbachius in seinem Widmungsgedicht – der wohl treffensten Zusammenfassung von Brakels
Intention und Darstellung – ausdrückt, zur Lehrmeisterin seiner in den gleichen Sünden
verfangenen Schwester:
„Livonia infelix ad Sororem Germaniam.
Disce meo exemplo, peccatis frena negare,
Inclita Germanis subdita terra viris.
Me mea luxuries, me cæca libido, tyrannisq[ue],
Hæc tria, me tantis implicuêre malis.
Hæc tria verterunt olim clarißima [!] sceptra,
Hæc tria sunt luctus iam quoque causa mei.
Pænitet heu sero scelerum me pænitet: at nunc
Quid iuuat amisso claudere septa grege?
Si tamen ô Germana sapis Germania fœlix,
Disce meo exemplo frena negare malis.
Du[m] te fata trahu[n]t studia ad meliora, sequendu[m] est.
Tempore qui fatis paruit, haud perijt.
Vltrix dextra Dei quò tardius exit ad iram,
Hoc grauius tandem, cùm fuerit, illa ferit.“121

118
119
120
121

26

Bra. A6v/12.
Bra. N3v/198.
Siehe unten Kap. 2.6.
Bra. A2r/3.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Zur Umsetzung dieser didaktischen Zielsetzung bedient sich Brakel eines mehr-schichtigen
Argumentationsganges, der – zunächst orientiert an Livland – schließlich in der nur in
Ansätzen vollzogenen Übertragung Livlands auf das Reich gipfelt. Das historiographische
Moment tritt zurück, chronologische Verbindungen werden im allge-meinen nicht geknüpft,
die einzelnen Argumentationsblöcke werden als geschlossene Einheiten nebeneinander zur
Sprache gebracht: Gnadenzeit – Verfall – Blüte der Gott-ferne und schließlich Strafe Gottes
und Verharren der Livländer in Gottferne:
„Doch das ihr dises Jamers Recht/
Berichtet werd / so wil ich schlecht/
Vnd in der kürtz erzelen vor/
Wie es im Land gelegen war/
Vmbs Regiment / vnd fort dar nach/
Wie man sich hab geschickt zur Sach/
Zu letzt / Was auch der Sünden grosz/
Gefolget sei zur Straff und Busz/
Werden sich die vrsach finden dan/
Die Gott zur Straff gereitzet han.“122

2.3.1. Das gottferne Livland
Zur Illustrierung des das Strafgericht Gottes heraufbeschwörenden Lebenswandels in Livland
bedient sich Brakel als Untergliederungmittel der schon bekannten Argumen-tationsblöcke
eines zweiten – in der Chronik Rüssows lediglich in Ansätzen ausgeprägten – darstellerischen
Mittels, eines ständeorientierten Livlandbildes.123 Ausgehend von den tragenden Säulen der
livländischen Lande (Bischöfe, Orden, Ritterschaften und Städte) stellt Brakel in einem ersten
Schritt die gottgegebene Grundordnung Livlands vor Augen („Wie es im Land gelegen war /
vmbs Regiment ...“).124 Über eine Zwischenstufe, in welcher nicht ohne antikatholische
Polemik der Prozeß der Mißachtung dieser gottgegebenen Ordnung angeschnitten wird,125
gelangt er schließlich zur Darstellung der verkommenen Ordnung vor seinen Augen, wie sie
zur Ursache des letztlich andauernden Strafgerichtes werden sollte („Wie man sich hab
geschickt zur Sach“).126 Stellt man beide Argumentationsschichten nebeneinander, so erhält
man vier Paare:
122
123
124
125
126

Bra. G2r-v/99f.
Vgl. Bra. G2v-I2v/100-132.
Vgl. Bra. G2v-4r/100-103.
Vgl. Bra. G4r-5r/103-105; hier fehlt die ständeorientierte Untergliederung.
Vgl. Bra. G5r-H8v/105-128.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

27

Zal der Bischoue, vnd
was ihre vnd ihres Capittels /
thun vnd herligkeit gewesen



Regel der Bischoue in Lifland127

Von des Ordens Herligkeitkeit



Wie sich der Ord gehalten128

Von der Ritterschaft/
beide der Stifftischen
und der Ordenschen
gelegenheit



Von des gemeinen Adels Sitten
und Gebreuchen in Lifland129

Von Stedten



Von Stedten 130

Einzeln steht eine fünfte Gruppe, die Bauernschaft, deren sündhafter Lebenswandel als
Konsequenz des gottlosen, eigennützigen Lebens der Obrigkeit gezeichnet wird.131
Die jeweiligen Paare werden, im Gesamtzusammenhang ihres jeweiligen Blockes
verbleibend,

zueinander

in

Bezug

gesetzt,

wobei

sich

Brakel

verschiedener

Darstellungsmethoden bedient. Klammern wir zunächst das vierte Paar, die Städte, aus und
wenden uns der Darstellung der drei übrigen Paare zu.
Unter Bezugnahme auf die im ersten Block gezeichnete ideale Grundordnung entwirft
Brakel ein schonungsloses Sittengemälde in welchem der Sittenprediger, ohne ein Blatt vor den
Mund zu nehmen, schonungslos mit dem Lebenswandel seiner Landsleute abrechnet.132 Nach
Art des parodistischen Schrifttums über die Mißstände im Livland jener Jahre wird Brakel
selten konkret, er bietet Anspielungen, die im damaligen Livland allgemein verbreitet gewesen
sein dürften. Entworfen wird somit ein allgemeines, man könnte fast sagen zeitloses Bild des
als versumpft angeprangerten Lebens in Livland; das historische Moment tritt fast gänzlich in
den Hintergrund.
Unabhängig von historiographischen Fragestellungen133 wirkt diese Vorgehensweise Brakels
auch auf die Gesamtkonzeption seines Werkes zurück: Das Fehlen etwa der Erwähnung oder
der Darstellung der Regierungszeit Wolter von Plettenbergs, wie sie in der livländischen
127
128
129
130
131

Vgl. Bra. G2v-3r/100-101 und G5r-6v/105-108.
Bra. G3r-v/101f. und G6v-8v/108-112.
Bra. G3v/102 und H1r-5v/113-122.
Bra. G3v-4r/102f. und H5v-8v/122-128.
„Vonn Baurn“: Bra. I1v-2v/130-132; Ausgangspunkte für eine weitere Diskussion über das gottferne
Livland stellen die von Brakel aufgeworfenen Fragen dar: „Haben die Prediger nicht ihres Amtes
gewaltet“ [I3r-v/133f.], „Muß man die Livländer bedauern – sie sind doch an ihrem Unglück selbst
schuld“ [I3v-5r/134-139], „Gab es denn gar keine Gottesfürchtigen in Livland“ [I6v/140].
132 Vgl. JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 94.
133 Beziehen sich die Informationen Brakels auf die Gegenwart oder Vergangenheit? Eine Antwort ist oftmals
nur mit Hilfe von anderen Quellen möglich [z.B. Bra. I1v-2r/130f. und Rü I, fol. 34[vermutlich

28

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Chronistik ein beliebtes Muster darstellte,134 bedeutet zugleich auch eine inhaltliche Aussage:
Es fehlt das retardierende Moment der Entwicklung Livlands zum Negativen, vor welchem
sich die Entwicklung in den Jahrzehnten vor dem Jahr 1558 nur umso deutlicher abheben
kann.135
Doch Brakel will nicht erzählen, den vorgetragenen Aspekten wird sogleich der Mantel der
theologischen Weltsicht umgelegt, sie werden zu Beweisen für die Gottferne der Livländer und
damit der Notwendigkeit der Heimsuchung Gottes. Die vorgetragenen Einzelaspekte dienen
als Exempel, gehüllt in einen mehr oder minder festen didaktischen Rahmen und eingebettet in
den jeweiligen übergeordneten Zusammenhang, denjenigen der jeweiligen Ständegruppe.136
Zur Illustrierung des Gesagten möge das in der Chronik Rüssows und dem „Christlich
Gesprech“ entworfene Bild der Ritterschaften dienen:
Rüssow [Rü I] behandelt unsere Fragestellung in erster Linie an zwei Stellen seiner Chronik,
nämlich im Rahmen der Widmungsvorrede an den Rat von Bremen137 sowie in Form eines in
die Darstellung der Regierungszeit des Ordensmeisters Woldemar von Bruggeney
eingeschobenen Exkurses.138 Hierbei setzt er drei Schwerpunkte:
- die Mißachtung der Fürsorgepflicht der Obrigkeit gegenüber den Bauern führt zu deren
Abgleiten in die Gottesferne (fehlende geistliche Unterweisung infolge offenkundig zu Tage
tretender Mißstände im Kirchenwesen, fehlende Ausbildungsmöglichkeiten für die breite
Masse der Bevölkerung in Livland)
- Leben in Prunk und Prasserei auf Kosten der Bauern, ohne rechtes Maß zu halten
- Mißachtung der Bauern als Menschen durch den Adel, Willkür und Ungerechtigkeit.
Der Blick Rüssows ist hierbei in erster Linie auf die Bauern als Opfer gerichtet;139 betrachtet
wird immer unter dem Gesichtspunkt der der Obrigkeit zufallenden Mitschuld am gottfernen

134

135
136

137
138
139

Druckfehler, tatsächlich 43]v-44r; Bra. B8r/31 und Rü I, fol. IIIv; KRUSE Warhafftiger Gegenbericht, S.
7].
Vgl. etwa den in dem von Norbert Angermann herausgegebenen Sammelband „Wolter von Plettenberg.
Der größte Ordensmeister Livlands“ [ANGERMANN Wolter von Plettenberg] erschien Beitrag BOSSE
Aufklärung und Biedermeier mustern Plettenberg, S. 101f.]. Die hier relevanten Textpassagen der
Chroniken Rüssows und Renners* sind in dem genannten Sammelband auf den S. 126–130 abgedruckt;
zusätzlich erwähnt sei hier HORNER Livoniae historia, 14a–15a/385, der Plettenberg als Idealbild eines
Ordensmeisters im Sinne des humanistischen Herrscher- und Geschichtsbildes zeichnet.
Zur dahinterstehenden Konzeption Brakels siehe Anm. 115.
Diese in erster Linie didaktische Komponente fehlt dem Sittengemälde Rüssows, seine Darstellung trägt
mehr den Charakter einer Bestandsaufnahme: „So ging es in Livland zu“. Man könnte sagen, daß für
Brakel das Leben der Livländer ein einziger Vorwurf ist, während es Rüssow – trotz aller berufsbedingten
Empörung – doch Freude macht, dieses ausgelassene Leben seiner Zeitgenossen zu schildern [vgl. etwa
Bra. K3b/150 mit Rü III, 36b–37a/48, wobei Rüssow hier möglicherweise durch Brakel angeregt wurde.].
Rü I, fol. IIIb–Vb.
Rü I, fol. 42v–44r (fol. 43 wohl infolge eines Druckfehlers als fol. 34 paginiert!).
Zu dieser Orientierung Rüssows vgl. auch: BRÜGGEMANN Russen in Livland, S. 264.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

29

Lebenswandel der Bauernschaft. Der Ton bleibt hingegen derjenige eines Berichterstatters über
Livland und seine Mißstände.
Brakel greift dieses Grundmuster Rüssows auf und gestaltet es seinen Zielsetzungen gemäß
um. Betont er zunächst in dem allgemeinen, die livländische Grundordnung aufzeigenden
ersten Abschnitt in nüchternen Worten die durch gottgegebenen Reichtum und Wohlstand
gekennzeichnete glückliche Lage der Ritterschaften in Livland,140 so malt er hieran anknüpfend
in dem eigentlichen Hauptabschnitt – erkennbar an Rüssow orientiert – ein buntes Bild der
Lebensweise des Adels, prangert diese schonungslos an, mußt sie an Maßstab gottgefälligen
Handelns und verdammt sie damit:
„Der Adel thet dem selben [dem Orden] gleich/
Sie hetten Gottes Segen reich/
Sein Heiligs Wort vnd Sacrament/
Vnd zeitlich Gut ohn mass vnd end
Den Lieben Fried von Gott dem Hern/
Vnd lebten nur in Freud vnd Ehrn.
Für diese grosse Gottes Gabn/
Sie ihm also gedanket habn/
Das sie sein Wort und trewen Knecht/
Erhalten han Armlich und schlecht/
Den Gottes Dienst nicht viel geacht/
Den Feirtag schendlig zugebracht/
Mit Sauffen / Prangen / vnd Hofiern/
Auf Kösten und auf Kindelbiern/
Mit Jagen und Spazieren reittn/
Und Eiterheit zu allen seittn.
Ihr Armen Leut Elendt und Nodt/
Ihr Hertz nicht viel bekummert hat/
Wie ihnen von der Sehlen Bürd/
Vnd Leibs beschwer geholffen wurd.“141

Die zunächst allgemein vorgetragenen Vorwürfe werden nun einzeln aufgeschlüsselt und in
ihrer verderblichen Wirkung nicht nur für die Adligen selbst, sondern für ganz Livland
aufgezeigt und als Sünden gebrandmarkt.
140 Bra. G3v/102.
141 Bra. H1r/113.

30

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Die Adligen wenden keine Sorgfalt auf Gottes Wort, Diener und Kirchen an – so der erste
Vorwurf. Gefährden sie dadurch ihr eigenes Seelenheil, so machen sie sich durch die
Vernachlässigung ihrer Fürsorgepflicht für die Kirche zugleich des religiösen und sittlichen
Verfalls der einfachen Bevölkerung (mit-)schuldig;142 sie verbringen ihre Zeit in Festivitäten
und Ausgelassenheit – ihre Kinder bleiben deshalb wochenlang ungetauft;143 ihr Leben ist durch
Selbstsucht, Prunkliebe und Hochmut gekennzeichnet: Die Bauern dienen ihnen nur als
Arbeitsvieh, ja sind ihnen – hier lehnt sich Brakel direkt an eine Passage Rüssows an – nur ein
Pferd oder einen Hund wert. In ihrer Selbstsucht zwingen sie die Bauern sogar, Unrecht zu
tun, nur um überleben zu können – all dies nur, um selbst in Prunk und Reichtum leben zu
können.144 Ihre eigentliche Aufgabe vermögen sie ob ihrer Verweichlichung hingegen nicht
mehr zu verrichten: Heldenmut beweisen sie nur in ihren Angebereien beim Zechen, doch
stehen die Russen leibhaftig vor ihnen, dann ergreifen sie ohne zu zögern, die Flucht;145
dessenungeachtet maßen sie sich jedoch in ihrem Hochmut sogar an, den ihren von Gott
gegebenen Stand in der Welt zu überschreiten.146
Wir können es hier unterlassen, die in ihrer Anordnung und Motivik an die beiden Passagen
der Chronik Rüssows angelehnten Vorwürfe Brakels einzeln aufzuschlüsseln und die
Vorgehensweise Brakels mit derjenigen Rüssows zu vergleichen, denn bereits aus dem
Gesagten wird ersichtlich: Rüssows Chronik diente Brakel als motivisches Grundgerüst,
welches durch andere, Brakel wichtige Motiven ergänzt, in ein geschlossenes Schema
eingeordnet und in eine andere Richtung gelenkt wird: Im Zentrum steht das Verhalten der
Obrigkeit. Bezeichnend für das Livlandbild Brakels ist jedoch etwas anderes, nämlich die allzeit
zur Entfaltung kommende Wirkung der didaktischen Zielrichtung des Werkes Brakels. Das
Vergehen wird vorgetragen, seine gottferne und dadurch verderbenbringende Wirkung
angesprochen und erläutert, zuletzt die ihnen entspringende Strafe durch Gott aufgezeigt.
Greifen wir zur nochmaligen Verdeutlichung der unterschiedlichen Vorgehensweise
Rüssows und Brakels ein einzelnes Motiv heraus. In Zusammenhang mit dem Vorwurf der
Mißachtung der Bauern als Menschen durch die Adeligen äußert Rüssow:
„... Ock hefft men etlike vam Adel gefunden / de ere arme Buren vnde Underdanen / yegen Hunde
vnde Winde147 verbütet / vnde verwesselt hebben. Solcke vnd dergeliken vnbillicheit / hefft de

142 Bra. H1r-2r/113-115; vgl. Rü I, fol. IVa–Vb; die zunächst – wie bei Rüssow – allgemein vorgetragenen
Vorwürfe werden anhand von Beispielen konkretisiert.
143 Bra. H2r-v/115f.; B7r/31.
144 Bra. H2v-3r/116f.; H4r-v/119f.; die bei Rü I, fol. 42v-34[=43]v angesprochenenen Vorwürfe werden,
aufgegriffen, erweitert und als eigenständige Exempel moduliert.
145 Bra. H3v-4r/118f.; Brakel hat hier konkret wohl die an anderer Stelle mit ähnlichen Worten
angegriffenen Hofleute und die Ritterschaft auf Ösel und in der Wiek vor Augen (vgl. Bra. L6r-v/117f.).
146 Bra. H4v-5r/117f.; hier erhebt Brakel den Vorwurf, den Handel mit den Städten an sich zu reißen.
147 wint = Windhund [SCHILLER / LÜBBEN Mittelniederdeutsches Wörterbuch, Bd. 5, S. 733].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

31

Armoedt / ane yenige straffe vnd insehent der Auericheit / hyr im Lande lyden vnde dülden
möten.“148

Brakel greift diese Textstelle Rüssows als Einstiegsmotiv für eine eigene Argumentation auf:
„Ein Bawr bei ihnen war so werd/
Das sie ihn gaben vmb ein pferdt/
Ja faulen Hundt zu ihrer Jacht/
Das hat ihn auch dahin gebracht/
Das Knees Iwan Wassiliewitz/
In Blutes Durst / vnd Zornes Hitz/
Sie die zuuor die Hasen geiagt:
Nhw selbst zum Hasen hat gemacht/
Denn obwol leidet Gott der Herr
Die Jacht / vnd andre Kurtzweil mehr
An denen / so des haben Recht/
So wil ers doch nicht haben schlecht/
Das Jagen solle iederman/
Der kaum ein Hund erhalten kan:
Gott hat sein Creatur zur Nodt/
Gegeben / nicht zur vbermuth.
So ist es Gottes wil auch nicht/
Das man / Wie Christus selber spricht/
Den Kindern nehm in hungers nodt/
Vnd geb den Hunden hin ihr Brodt.“149

Deutlich tritt der Unterschied zu Rüssow vor Augen; die Vorgehensweise Brakels ist diejenige
der „Motivübertragung“150: Das Zitat aus der Chronik Rüssows dient als Aus-gangspunkt für
ein in sich mehrschichtiges Exempel. Das Übel wird dargelegt, die jenem folgende
gerechtfertigte Konsequenz aufgezeigt und schließlich in der Deutungs-ebene theologisch
ausgedeutet. War es die Zielsetzung Rüssows, anhand der vorgetra-genen Mitteilung die
Mißstände unter dem Adel zu exemplifizieren, so vermittelt Brakel dem Gottlosen eine
allgemeine, auf einem livländischen Beispiel aufgebaute Verhal-tensregel: Folgt man dem
Beispiel des Livländischen Adels, so verfällt man dem selben Schicksal wie es jenen traf.
Daneben zeigt sich ein weiteres Charakteristikum der Darstellungsweise Brakels, das
148 Rü I, fol. 34[=43]v.
149 Bra. H2v-3r/116f.; vgl. Math. 15, 26.
150 Vgl. BRACKERT Rudolf von Ems, S. 100–103. Das Motiv der Vorlage wird bewahrt, jedoch aus seinem
ursprünglichen Zusammenhang herausgelösz und in eine andere Funktion eingesetzt.

32

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Nebeneinanderstellen von theologischen Beweisargu-menten – sprich, oftmals sogar mit
Stellenangaben versehenen Bibelzitaten – und Exempeln aus der livländischen Geschichte,151
ein Muster, welches abgesehen von der didaktischen Komponente sogleich auch Livland enger
mit den biblischen Exempeln zusammenführt.
Neben der Vorgehensweise der „Motivübertragung“ sowie der Motivreihung läßt sich eine
dritte Komponente der Brakelschen Arbeitsweise erkennen, diejenigen – bedienen wir uns
wiederum der Terminologie Helmut Brackerts – der „Reduktion“. 152 Die Vorwürfe sowohl
Rüssows als auch Brakels sind in ihrem Kern die selben (Anprangerung von Mißständen
sozialer und kirchlicher Art), unterschiedlich freilich die Gewichtung der einzelnen Momente:
Die Evangelisierung des Landes war zunächst ein Prozeß oberflächlicher Natur gewesen,
abhängig von der jeweiligen Einstellung der adligen GrundHerrn gegenüber der neuen Lehre.
Infolge des Fehlens geeigneter Ausbildungsmöglichkeiten in Livland war sie zugleich aber auch
ein Problem, hervorgerufen durch den Mangel an geeigneten Geistlichen zur Unterweisung der
‚undeutschen‘ Bevölkerungsschicht.153 Beide Faktoren werden von Rüssow angesprochen, und
sie waren Brakel als Livländer nicht nur aus der Chronik Rüssows bekannt,154 doch Brakel
bedient sich lediglich des ersten, die Rolle des Adels bei der Festigung der evangelischen
Strukturen betreffenden Faktors. Die Ursache für diese Vorgehensweise dürfte in der
andersgearteten Zielsetzung des „Christlich Gesprech“ zu suchen sein: Da sich Brakel der
Darlegung von Mißständen in Livland auch als indirektes Mittel zur Anprangerung von
Mißständen im Reich bedient, hatte das für Livland spezifische Fehlen höherer
Bildungseinrichtungen im Lande kein Gewicht.
Eine Sonderstellung nimmt, wie bereits angedeutet, die Darstellung der Situation in den
Städten ein. Ein Sittengemälde wird lediglich angedeutet, der Blick ruht vielmehr auf dem
weltlichen und geistlichen Stadtregiment; zurückgegriffen wird auf zwei historische Exempel,
in Brakels Verständnis Prüfungen Gottes: Zunächst das Problem der Entwicklung der
evangelischen Strukturen in Dorpat und die hierfür gefundene Regelung des Pernauer
Ständetages (1527) als bestandene Prüfung,155 sodann die Handhabung des Ersuchens dreier
lutherischer Russen aus Pskov um Aufnahme in Dorpat durch den Rat als negativ ausgefallener
151 Vgl. etwa das Exempel „Johannes Wettermann“ [Bra. A7v-8v/14-16]; als zusätzliches Element können
sprichwörtliche Redensarten hinzutreten [z.B. Bra. C8v/48; G7r/109; H3v/118; K1r/145]; literarische
Anspielungen außerhalb der Bibel sind selten [etwa Bra. C3r/37; K8r-v/159f.; L3r/165]; keine
Berücksichtigung finden hingegen historische Argumente aus dem außerlivländischen Bereich.
152 BRACKERT Rudolf von Ems, S. 94–99. Bei dem Verfahren „Reduktion“ handelt es sich um die gezielte
Auswahl aus der Vorlage gemäß der eigenen Aussageabsicht.
153 Vgl. ARBUSOW Die Einführung der Reformation, S. 816–819, 823f.; VAHTRE Kirik, aadel ja talurahvs, S.
92f.
154 Nach BUCHNER Dissertationes academicae, S. 219, studierte Brakel in Wittenberg die „purioris doctrinæ
Evangelicæ fundamenta“, sein Name ist jedoch weder in den Matrikeln der Universität Wittenberg
(Album Academiae Vitebergensis I, II), noch bei BÖTHFÜHR Die Livländer auf auswärtigen Universitäten,
aufgeführt.
155 Bra. H6r-v/123f.; zum historischen Kontext vgl. ARBUSOW Die Einführung der Reformation, S. 678–683.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

33

Test.156 Der polemische Ton der drei anderen Sittengemälde weicht gemeinsam mit dem
allgegenwärtigen Eingreifen des Bußpredigers einer subtileren Darstellungsmethode, die
Aussage richtet sich über den Spiegel Dorpats hinaus direkt an das Reich: In der Theorie
erwies sich die Stadtobrigkeit als „getruwe“ Obrigkeit (erste Prüfung), in der Praxis (zweite
Prüfung) überwog jedoch das kühle politische Kalkül (Bedenken vor Spannungen mit
Moskau)157 über das Gebot der Nächstenliebe158, ein Vorwurf, der später – in direkter Form
unausgesprochen, doch vor allem im Bezug auf den Narva-Handel in nicht zu überhörender
Weise vorgetragen – auch auf das Reich übertragen wird: Wie die Livländer nicht den
„Christiani“ in Rußland halfen, so die Menschen im Reich nicht den Livländern.159

2.3.2. Das Strafgericht Gottes
In der Zielsetzung laufen die Exempel des von Brakel entfalteten livländischen Sittengemäldes
immer auf die eine Aussage hinaus: Durch ihre Sünden und Unbußfertigkeit erzwingen die
Livländer das Eingreifen Gottes, als seine Geißel wirken die Russen. Dies bildet die
nächstfolgende Argumentationsebene des „Christlich Gesprech“:
1) Behandlung der eigentlichen Ursachen des Krieges
2) Aufzeigen der diesem vorangegangenen mahnenden Vorzeichen Gottes
3) Darstellung der Grundzüge der Entwicklung der ersten Kriegsjahre.
Betrachten wir zunächst die Handhabung der Frage nach den (konkreten) Ursachen des
Livländischen Krieges durch Brakel, so fällt zuerst der in sich mehrschichtige Aufbau der
Argumentation ins Auge, der in Ansätzen Züge der Quellenkritik erkennen läßt.
Brakel/Christianus! referiert zunächst die Ãoffizielleµ russische Begründung: Mißachtung
Gottes und Zinsfrage.160 In einem zweiten Schritt wird diese Aussage im Dialog zwischen
<Severinus> und <Christianus> relativiert und durch die „livländische“ Sichtweise
156 Bra. H6v-8v/124-128.
157 Ein adäquates Verhalten dürfte auch im sogenannten „Fall Vegesack“ (1550) eine Begnadigung
verhindert haben [vgl. VON RAUCH Der Fall Vegesack, S. 187f., 191].
158 Eines der Grundanliegen Brakels: Bra. F2v/84; I5r/137, vor allem aber S3v-4v/278-280.
159 Wobei vor dem Hintergrund der weiteren Geschehnisse in Livland sogleich die warnende Prophezeihung
mitschwingt, daß so wie Gott den gottfernen Livländern seine Gnade entzog, er sie es auch dem Reich
entziehen wird.
160 „Die erste Vrsach sagt er wer
Das sie Gotts Gsetzt nicht achtten mehr:
Die ander Vrsach setzt er auch/
Sie hetten ihm nach Altem Brauch/
Vnd ihrer zusag / seine pflicht/
Zu rechter zeit gegeben nicht.“

[Bra. I7v/142]; auf eine Untersuchung der Aussagen Brakels als Quellenzeugnis für die Jahre des

34

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

aufgewogen: Bekanntlich argumentierten „solche Hern“ wie Ivan IV. gerne mit theologischen
Begründungen, auch wenn sie selbst mit dem Christentum nichts am Hut hätten. Das
eigentliche Motiv, so <Christianus> weiter, sei seine Macht- und Besitzgier gewesen, zumal
ihm das in sich zersplitterte Livland als bequeme Beute erschienen sei.161 Wo eine feste
Absicht, da finde sich auch eine Begründung: die Zinsfrage.162 Soweit der weltliche Strang der
Argumentation Brakels, die derjenigen Renners näher steht als derjenigen Rüssows. Doch nun
tritt der Prediger Brakel hinzu: Die Mißachtung der ihr von Gott gestellten Aufgabe und
daneben die Uneinigkeit und Sorglosigkeit („Sicherheit“) der Obrigkeit und damit ja auch der
Untertanen hätten Gott dazu gezwungen, die Russen als seine Geisel über Livland zu schicken:
Die Schuld liegt auf Seiten der Livländer, der Russe ist lediglich Werkzeug Gottes, um die
verstockten Livländer auf den rechten Weg zurückzuführen.163
Das Strafgericht Gottes durch die Russen fiel nicht ohne warnende Vorzeichen über Livland
herein, es ist zugleich nur eines, nämlich das vorletzte, von mehreren Gliedern in einer Kette
von mahnenden Fingerzeigen Gottes an die Adresse der Gottfernen: Verkündung des Wortes
Gottes durch den Mund der Prediger – warnende Vorzeichen – Einfall der Russen164 und (als
auch dies nicht zur Umkehr führte) Verschleppung in die russische Gefangenschaft.165 Ist
dieser Ansatz mit Ausnahme der letzten Komponente auch Rüssow nicht fremd,166 und stellt
die Einbeziehung wunderbarer (Himmels)-Erscheinungen als unheilkündende Vorzeichen ein
vor allem von Johannes Renner gerne angewandtes darstellerisches Mittel dar,167 so findet sich
bei Brakel demgegenüber ein aus der didaktischen Grundtendenz seines Werkes heraus
verständ-licher, veränderter Ansatz: Systematisierung und Sammlung der Vorzeichen in einem
eigenen, der eigentlichen Kriegsdarstellung vorangestellten Abschnitt, verbunden mit einem
ausdeutenden Kommentar durch den Bußprediger.168 Brakel hält an anderer Stelle den
Menschen in Deutschland und den Niederlanden vor, die warnenden Vorzeichen Gottes nicht
als solche zu erkennen.169 Hier bietet er ihnen einen bunten Katalog solcher an: von
Livländischen Krieges soll hier und im weiteren Verlauf des Kapitels nicht eingegangen werden.
161 Bra. I8r-v/143f.
162 Bra. K1r/145.
163 Bra. I8v-K1v/144f-146.; durch diese Verkettung erlangt gleichsam auch die Argumentation Ivans IV. ihre
Rechtfertigung: Er argumentiert aus seiner Rolle als Geißel Gottes heraus. Auch der Zinsanspruch findet
seine Rechtmäßigkeit: Die Zinszahlung sei, obgleich nirgends verbrieft, durch freiwillige Zahlung der
Livländer zum Gewohnheitsrecht geworden, ein Aufbegehren gegen dieses (und damit die Mißachtung
der quasi selbstauferlegten Obrigkeit) durch die Livländer sei ein Vergehen gegen Gottes Ordnung. Zum
Rußlandbild Brakels siehe auch unten Kap. 2.5.
164 Bra. A7r-v/13f; K3r/149.
165 Bra. N1r-v/193f.; N2v/196.
166 Rü III, IIIb–IVa./5f.
167 RENNER Livländische Historien, 10r–v/9; 136r/75; 158r–v/85; sie werden auch als nachträgliche Begründung für Unglück herangezogen, so 121v/67; vgl. HAUSMANN/HÖHLBAUM Einleitung, S. XXf.;
TAUBE Der Untergang der livländischen Selbständigkeit, S. 25.
168 Bra. K3v-4r/150f.
169 Bra. S1v/274.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

35

Himmelserscheinungen und Naturkatastrophen bis hin zu dem auch von Renner und erst nach
Brakel auch von Rüssow geschilderten Auftreten des Bußpredigers Jürgen aus Deutschland170
und der Schilderung wunderlicher Geschehnisse in der Dorpater Marienkirche.171 Bezeichnend
ist wiederum das bewußte, hier aber von Brakel sogar verbalisierte Vernachlässigen
historischer Bezüge – „Vorzeichen“ aus der Vergangenheit stehen neben solchen aus Jahren
vor dem Livländischen Krieg:
„Gott hat auch etzlich Jar vorher/
Mit Grosser Kelt / vnd Teurung schwer/
Auch Pestilentz / zier vnd Gewinn/
Des Landes gantz genommen hinn/
Von Grosser Kelte / viel Menschen Kind/
Vnnd schöner Beume erfroren sind“172

Werden hier allgemeine Geißeln Gottes aufgezeigt, so scheint doch zumindest für die letzten
beiden Verse, eine zeitliche Einordnung der angeführten Beispiele möglich zu sein: Die
nurmehr in indirekter Überlieferung erhaltene sogenannte „Jüngere Livländische Reimchronik“
des Bartholomaeus Hoeneke (um 1348 entstanden)173 umschreibt die Stärke des Frostes
während eines Kriegszuges des Ordensmeisters Eberhardt von Monheim nach Litauen (1339)
mit den Worten:

170 „Es must ein Sinnlass Mensch erstehn/
Vnnd Predigen auf Marck vnd gassn/
Sie solten von den Sünden lassn“
[Bra. K4r/151]; vgl. RENNER Livländische Historien, 10r–v/9; zu Rüssow vgl. JOHANSEN Balthasar
Rüssow als Humanist, S. 95. Ob freilich das dort angeführte Zitat „Etlicke helden en vor einen
Vnsinnigen“ als ein Hinweis auf eine Anregung Rüssows durch Brakel angesehen werden kann mag,
zumal man auf den Gesamtzusammenhang der Textstelle bei Rü III, 39b/51 blickt, Ermessenssache sein:
„Etlicke helden en [den Bußprediger Jürgen] vor einen Vnsinnigen, Etlicke vor einen Fantasten, Etlicke
auerst sprecken, he were ein wundereteken Gades, vnde hyr worde etwas nafolgen, ydt were ock wat ydt
wold.“
171 „In Dörpt zu vnser Lieben Frawen/
Hört man vnd mocht grosz wunder schawen:
Das Orgelspiel hort man angehen/
Man hat auch Liechter Brennen gsehen/
Vor Mitternacht gantz wunderbar/
Da doch kein Mensch zu komen war.“ [Bra. K4r/151]; es scheint sich hier um ein in Livland weiter
verbreitetes Motiv zu handeln, so findet sich in variierter Form die von Brakel dargestellte Szene als
Grundmuster auch in dem sogenannten „Livländischen Totengesang“ (1584): BT, S. 143–146, Strophe 3
und 146–148, vv.13–18; zu Brakels Textstelle vgl. auch Neuer Bericht, Sp.111, und PAPST Zur
Biographie, Sp.767.
172 Bra. K4r/151.
173 Zu Verfasser und Überlieferungsproblematik vgl. VAHTRE Allikakriitiline ülevaade, S. 12–51; vgl. auch
ANGERMANN Die mittelalterliche Chronistik, S. 13f.

36

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

“Tor stundt quam so ein frost, dat inn etlichen hundert jaren deszgeliken nicht gewesen was, de
bome froeren van einander, dat se reten; dar froren vele christen und heiden doth.“174

Mag man eine Anlehnung Brakels an Hoenecke sehen oder nicht, sicher ist, daß in diesem Falle
Rüssow nicht als Zwischenglied gedient haben kann.175
Die historische Entwicklung in Livland bis etwa 1577 schildert Brakel zunächst mehr oder
weniger zusammenhängend im Rahmen zweier Motivblöcke. Den ersten Motivblock
repräsentiert das Kapitel „Der Straff vnnd Zerstörung anfang, Anno 1558“, in dem jedoch in
überaus kursorischer Form die Geschehnisse bis Herbst 1560 (Eroberung Fellins und
Gefangennahme Fürstenbergs) geschildert werden.176 Den zweiten Motivblock bringt das
Kapitel „Anfangk des Musckowitischen handels / mit Hertzogem Magno von Holstein“, das
noch weitaus kursorischer und unzusammenhängender die Ereignisse bis etwa 1577 behandelt,
wobei die Perspektive auf Magnus beschränkt bleibt.177 In den darauf folgenden
Einzelexempeln geht er sodann auf spezielle Fragestellungen ein, etwa den Aufstand Taubes
und Kruses in Dorpat 1571, das Wirken Claus von Ungerns als dänischer Statthalter auf Ösel
(1573-1576)178 oder den Narva-Handel und die Russenzeit Narvas.179
In der Darstellung der ersten Kriegsjahre unterscheidet Brakel in der Zielsetzung der
Russsen drei Phasen: Plünderungen und Verheerungen180 – Eroberung befestigter Plätze181 –
diplomatische Anstrengungen zur Gewinnung weiterer (noch nicht eroberter) Gebiete
Livlands.182 Doch wie im Falle der Begründung des Krieges ist auch hier die Betrachtung der
historischen Entwicklung sogleich einer theologischen Deutung unterworfen: Traf die erste
Phase des Strafgerichtes Gottes durch die Russen das offene Land, so sollten die Städte und
festen Orte dem Strafgericht nicht entgehen; ihnen gilt die zweite Phase – die Russen kommen
wieder, diesmal mit Belagerungsgerät:
„Weil aber die auch in den Stedtn/
Die Rute gar wol verdienet hettn/
Vnnd die auf festen Heusern sassn/
Der Straffe wirdig gleicher massn/
174 HOENEKE Liivimaa noorem riimkroonika, 77r/64 [Text nach Renner].
175 Rü I, fol. 34r: „Alse nu disse Meister [Eberhardt von Monheim] mit den Rüssen / vnde andern
Heiden mehr gekryget hefft / do ys ein koldt Winter gewesen / alse nemandt vorhen gedacht hadde / also
dat gar vele Christen vnde Heiden dodt gefraren sind / vnde dat de eine Rüter tho dem andern gesecht
hefft / Were ick Römischer Köninck / ick geue myn halue Ryke vor eine warme Stube.“
176 Bra. K4v-6r/152-155.
177 Wenn man überhaupt von einer solchen sprechen kann, Bra. K6v-l3v/156-166.
178 Zu beiden siehe Kap. 3.2.
179 Bra. M4v-N2r/184-195.
180 Bra. K4v-5r/152f.
181 Bra. K5a-6a/153-155.
182 Bra. K6r-7r/155-157.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

37

Verhengt es Gott in seinem Zorn/
Dem Feind / den er dazu erkorn/
Das er bald widerkommen must/
Mit Krieges munition gerust/
Vnd Rechen / Brechen / Stormen ein/
Vnnd zalen ab beid gross vnd klein/

38

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Die grosse Sünd / vnnd lange Schuldt/
Weil niemand sich bekeren wolt.“183

Unabhängig von ihrem Kriegsglück bemühen sich die Russen parallel zu ihren
Kriegsanstrengungen darum, auf anderem – sprich, diplomatischem Wege – ihren Erfolg
auszubauen. Der Dialog des <Christianus> mit seinen Gesprächspartnern mündet in ein neues
Exempel: Magnus von Holstein.
Das Schicksal des dänischen Prinzen und unglücklichen Königs von Livland – die
wichtigsten Stationen seiner ÃKarriereµ werden angeschnitten184 – dient Brakel als Beispiel zur
Illustration des Verhältnisses Gott – Obrigkeit. Aus diesem heraus erklärt er das traurige Los
des Magnus von Holstein, der, indem er von Zar Ivan IV. nicht die erhoffte Macht und Ehre
erhielt, zum Spott der Menschen wurde: Der Herrscher erhält seine Macht allein von Gott,
nach seinen Geboten richte sich seine Herrrschaft.185 Durch seine Unbedarftheit und
Selbstsucht dem Zaren verfallen,186 nahm Magnus die Königsmacht aus Menschenhand, begab
sich somit in dessen und nicht in Gottes Obhut und mußte notwendigerweise Schiffbruch
erleiden.187 Doch zugleich bewahrte sein Beispiel die Livländer davor, seinem Weg zu folgen
und sich freiwillig in die Hände der Russen zu begeben:
„Hett man des Reussen Tück vnd List/
Die Niemand vor so wol gewisst/
Am Hertzogen selbst nicht gespürt/
Es wer das gantze Land verfürt.
Weil aber Er [Ivan IV.] Ihm [Magnus von Holstein] keine Statt/
Besonder Wort gegeben hatt/
Vnd fur die Herrrligkeit im Land
Gegebenn / eitel Schimph vnd Schand/
So hat es manche Stadt vnd Vest/
Errett / die sonst were sein gewest/“

183 Bra. K5r/153.
184 Zur Biographie Magnus von Holsteins siehe jetzt: RENNER Herzog Magnus von Holstein, S. 138–148.
185 „Drumb solt ein Furst die Maiestat/
Der Weiszheit bitten erst von Gott/
(Von dem allein kömbt Kron vnd Wahl/
Vnd nicht von Menschen vberall)“ [Bra. L2r/163].
186 Vgl. Anm. 248.
187 Bra. K8r-v/159f.; L3r/165; hierbei geht die Argumentation Brakels von einem allgemeinen Lehrsatz
(„Wer zum Tyrannen kehret ein/ | Der muss sein Knecht vnd Diener sein“ bzw. „Wie man die Sachen
greiffet an / | So pflegts auch Glück vnd Segen han“) auf das exemplarische Schicksal Magnus von
Holsteins über.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

39

Geschichte dient als Exempel, sogleich wendet sich Brakel an seine Leserschaft im Reich:
„Drumb huet sich billich Jederman/
So viel vnd lang er ihmer kan/
Vnd lern durch Frembden schaden fein/
Vorsichtig vnd gewarnet sein/
Das ihm ia nicht auss Sicherheit/
Müg widerfaren Schad vnd Leid.“188

Fährt die Diskussion von diesem negativen Exempel ausgehend in der Behandlung des
Themenfeldes „Obrigkeit“ fort – wir werden uns in anderem Zusammenhang noch eingehend
mit den Exempeln „Claus von Ungern“ und „Aufstand Taubes und Kruses in Dorpat 1571“ zu
beschäftigen haben -, so schwingt nun bereits eine neue Saite in Brakels Argumentation an:
Das Strafgericht Gottes führte nicht zur Umkehr.
Die aus dem hier Vorgetragenen ersichtliche Sichtweise des Schicksals Livlands als
selbstverschuldetes Unglück und Strafe Gottes wirkt sich für das „Christlich Gesprech“
zugleich als Hypothek aus. Brakel weiß als Augenzeuge und Prediger zwei Dinge:
- Eine Errettung Livlands aus dem göttlichen Strafgericht ist nur dann möglich, wenn die
Livländer zu Gott zurückfinden.189
- Die Kriegsmaschinerie und alles mit diesem Krieg verbundene Unglück rast auch weiterhin
über Livland hinweg, in der jüngsten Vergangenheit sogar stärker denn je.190
Das

„Christlich

Gesprech“

ist

mehr

denn

je

an

einer

Weggabelung

zwischen

Geschichtsschreibung und moralisch-theologischer Geschichtsdeutung angelangt, und Brakel
beschreitet – ganz im Gegensatz zu Rüssow in seiner Auflage von 1578 – kompromißlos den
zweiten Weg. Sein Urteil ist das (harte) Urteil des Predigers: In Livland findet sich keiner
mehr, der Gottes Wort folgt.191 Natürlich stellt sich die Frage, ob es in Livland denn nicht auch
gottesfürchtige Menschen gab. Brakel/Christianus! bejaht, doch die Antwort wird sogleich
wieder relativiert: Es gab sie, aber es waren wenige – in ihrer gottfernen Umgebung konnten
sie nichts ausrichten:
„Es waren ia noch Fromme Leut/

188
189
190
191

40

Bra. L3v/166.
Vgl. Bra. L1v/162.
Vgl. Bra. M3v/182.
„Sie sind alle abgiwechen / vnd alle mit einander vntuchtig: Es war niemand der gutz thete / auch nicht
einer.“ [Bra. R7v/272 = Ps. 14,3].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Wie vorhin sunst zu aller zeit/
Vom Adel vnd der Burgerschaft/
Gotfürchtig vnd auch Tugenthaft/
Wölchen des Teuffels Werck vnd Rat/
Von Hertzen missgefallen hat/
Weil aber sie in ihrer Zal/
Zu schwach vnnd wenig vberal/
Dem Bösen Rat der Grossen Hern/
Mit ihrer Macht nicht kondten wehrn/
Musten sie auch dahinden stehn/
Vnnd schmertzlich ihr verderben sehn.“ 192

Mag aus diesen Worten die Verbitterung über das eigene Schicksal sowie über dasjenige
verehrter Weggefährten in Livland wie das des in einem eigenen Exempel behandelten Claus
von Ungern herauszuhören sein, so spielt doch zugleich die durch das Weltbild des Predigers
gegebene Zwangsläufigkeit eine Rolle: In Livland kann es keine Umkehr gegeben haben, sonst
hätte das Strafgericht Gottes ein Ende haben müssen.193
Die Spannung, die aus dem Widerspruch zwischen diesem Wissen um den Fortgang der
Ereignisse in Livland bis in das Jahr 1578/79 und dem theologischen Erklärungsmodell
entspringt, bildet den Hintergrund des auf die Behandlung des Problemfeldes „Obrigkeit“
folgenden Gesprächsabschnittes. Die fortschreitende Abwendung der eigentlichen Zielrichtung
des Dialogs von den Geschehnissen in Livland spiegelt sich in dem Verhältnis von Theologie
und Geschichte zueinander wider: Die Fragen des <Justus! etwa über den Narva-Handel194
oder die Situation in Narva während der Russenzeit195 finden – man fühlt sich aus heutiger
Sicht fast versucht zu sagen „leider“ – keine Antwort im historiographischen Sinne. Das
Verhältnis zwischen historischer und theologischer Darstellungsweise/Argumentation hat sich
nunmehr vollständig umgekehrt: Aus den moralisch-theologischen Aussagegebäuden des

Christianus! schimmern allenfalls Funken konkreter Auskünfte über die Situation in Livland
während dieser Jahre heraus.
192 Bra. I6v/140.
193 Eine indirekte Bestätigung hierfür bietet die dritte Auflage der Chronik Rüssows (Rü III, 34b/46), die
Auflage von 1578 wirft diese Fragestellung nicht eigens auf: Rüssow trägt – JOHANSEN Balthasar Rüssow
als Humanist, S. 95, zufolge vermutlich auf Anregung Brakels – den Hinweis vor, in Livland habe es
auch gottesfürchtige Menschen gegeben; wußte er hierbei (1584) von dem glücklichen Ausgang des
Krieges in Livland, so bedurfte er des Brakelschen Vorbehaltes nicht mehr – er läßt ihn weg.
194 Vgl. Bra. M4v-7v/184-190; der Narva-Handel wird von <Christianus> unter dem Gesichtspunkt, daß
Eigennutz und kurzsichtiges Verhalten statt Nächstenliebe Livland zugrunderichteten, abgehandelt.
195 Vgl. Bra. M7v-N2r/190-195; die Behandlung dieses Themenfeldes durch <Christianus> läßt sich so
zusammenfassen: Auch im Angesicht des Unglücks fand eine Umkehr nicht statt, die Strafe muß
weitergehen. In diesem Sinne klingt die Livlanddarstellung in einem großen Donnergrollen, dem Wüten
der Geißel Gottes Ivan Groznyj in Livland 1577, aus [Bra. N2r-v/195f.].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

41

In diesem von Brakel eingeschlagenen Weg zeigt sich, abgesehen von der unterschiedlichen
Handhabung des Momentes „Geschichte“,196 mit ganzer Deutlichkeit die verschiedenartige
Grundkonzeption sowohl der Werke Brakels und Rüssows als auch in gewisser Hinsicht der
beiden Auflagen der Chronik Rüssows selbst: Rüssow trägt in der ersten Auflage seiner
Chronik von 1578 – vor das gleiche Grundproblem wie Brakel gestellt – im Anschluß an die
eigentliche Geschichtsdarstellung einen Katalog von Begründungen für die Erfolge der Russen
sowie für die im Gegensatz zu den Erfolgen der Vergangenheit stehenden Mißerfolge der
Livländer, Schweden und Polen in den vorangegangenen Jahren vor. Somit stellt das bereits
bekannte theologische Erklärungsmodell – freilich im Argumentationszusammenhang nicht nur
durch die Schlußstellung hervorgehoben – nur eines von insgesamt sechs in der russischen und
livländischen Geschichte begründeten Erklärungsmodellen dar.197 Greifen die Begründungen
Rüssows somit über das theologische Moment des Brakelschen Modells hinaus, so verliert die
Darstellung sogleich ihren endzeitlichen Charakter – die Russen sind nicht der Überfeind. Im
Falle einer Rückbesinnung auf die alten, den Livländern nun fehlenden Tugenden, d.h. in den
Augen des Predigers nicht zuletzt auf ein Leben nach Gottes Wort, ist die Rettung Livlands
noch möglich, denn:
„Wen sick nu Lyfflandt warhafftich bekerde / so konde ydt Godt de Allmechtige lichtlich dorch
einen einigen Köninck / also in gnaden middelen / dat alle Muscowiter vnde Tateren sehen vnd
spören mösten / dat de Christgelövigen nicht gantz vorlaten werden.“198

Rüssow öffnet sich somit für die Zukunft, nämlich die Fortsetzung seines Werkes, eine Option,
von der er in seiner erweiterten Auflage von 1584 unter Abwerfung des historischen Ballastes
Gebrauch machen konnte, die ihn jedoch zugleich in ein Dilemma hineinmanövrierte, welches
mit umgekehrten Vorzeichen dasjenige Brakels gewesen war. Postuliert Rüssow 1584 die
Erfüllung seiner in der Auflage von 1578 ausgesprochenen Bedingung für eine glückliche
Wendung in Livland, sind es zwei Aspekte, die es nun für den Prediger zu betonen gilt und die
entsprechend auch in der Chronik freilich insgesamt in wenig überzeugender Form aufgezeigt
werden:
- Die Gnade Gottes konnte in Livland wieder Einzug finden, weil die hierfür als Voraussetzung
notwendige Umkehr unter den Livländern stattgefunden haben muß, das Sehnen nach Frieden
mit einem Wandel der bisherigen Lebensführung verbunden ist.199
196 Siehe dazu Kapitel 3.
197 Vgl. Rü I, fol. 198v–202v.
198 Rü I, fol. 202v; in diesem Sinne sind auch die Passagen der Chronik zu verstehen, in welchen Rüssow das
Verhalten der Russen ihren Gegnern in Livland in bestimmter Hinsicht als Vorbild hinstellt und ihnen

42

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

- Gott bedient sich des Menschen als Werkzeug auf Erden, der König von Polen und vor allem
der von Schweden wird zum „Antirusse“, zum Werkzeug Gottes zur Wiederherstellung des
Friedens in Livland.200
In dieser Konzeption dürfte auch eine der Begründungen für den schwedenfreundlichen
Grundton201 des vierten Kapitels seiner Chronik zu suchen sein, denn Rüssow verherrlicht in
König Johann von Schweden auch ein Werkzeug Gottes zur Befreiung der Livländer.

2.4. Brakel – <Christianus> : Das biograpische Moment des „Christlich Gesprech“
Die im vorangegangenen Kapitel bereits angesprochene Frage nach den Gottesfürchtigen im
gottlosen Livland wirft für Brakel zugleich eine zweite Frage auf: Was geschieht mit
denjenigen, die Gottes Ordnung achten? Wie im Falle Livlands findet auch hier Brakel Antwort
auf dem theologischen Feld, nämlich in dem Gedanken der „persönlichen Verantwortung“ des
Einzelnen vor Gott:202 Gott straft nicht wahllos.203 Trifft sein Strafgericht die Unbußfertigen,
so steht er seinen Getreuen in all ihrer Not zur Seite.204 Ihnen ist das über die Gottfernen
hereingebrochene Unheil nicht mahnend-drohender Fingerzeig, sondern Prüfung und
Bestätigung:205 Beharren sie in Gott, legen sie ihr Schicksal ganz in seine Hände, so kann ihnen
alles Unglück nichts anhaben.206
Die

Darlegung

dieser

Gnadentat

Gottes

bildet

den

Kern

des

zweiten

Hauptargumentationsstranges des „Christlich Gesprech“, der parallel zu dem oben dargelegten
Argumentationsstrang verläuft. In seinem Mittelpunkt stehen nicht mehr Gesellschaftsgruppen
und Ereignisse, sondern die Biographien konkreter Personen, in erster Linie diejenige Brakels

199
200
201
202
203
204

205
206

militärischen Erfolg verheißt für den Fall, daß sie sich and den Russen ein Vorbild nehmen [z.B. Rü I,
fol. 145r; 155r–v.].
Vgl. die gegenüber dem farbenprächtigen Sittengemälde aus dem Livland der Vorkriegszeit mehr als
blasse Schilderung des geläuterten Reval: Rü III, 123a–b/134f.
Vgl. Rü III, 117b–118r/137f.; 124b/145; 135b/157.
TAUBE Der Untergang der livländischen Selbständigkeit, S. 33, bezeichnet Rüssow diesbezüglich
geradezu als „Suecomanen“.
Vgl. Hes. 14, 12–23;18; 33, 10–20.
Vgl. Bra. I7r/141; L1v/162.
Die Gottesfürchtigen werden durch das Strafgericht nicht zugrunde gerichtet: Wie Noah, Loth und die
Apostel gerettet wurden, so bewahrt Gott (als Exempel seiner Gnade) auch die Bußfertigen in Livland,
indem er sie entweder vor Einbruch des Unglücks jenem entzieht oder in all ihrer Not schützt und
bewahrt [Bra. A7r-8r/13-15]; umgekehrt trifft das Strafgericht Gottes den Gottfernen als Folge
individueller Vergehen gegen Gott [Bra. H1v/113].
Vgl. Bra. R4v/264; Q8r-v/255f.
Vgl. Bra. S3r/277: „Wer aber / wie viel Frommer Christen in Lifland / vnd andern örtern / bei seiner
Vnschult vnd Gottseligkeit / in der Tyrannen Hand vnd Band oder andern Jamer / vnd Trübsal geraten /
ist / oder mochte / der verlasse seinen Gott / vnd Pater noster / nicht. Denn / Gottes Augen / Ohrn vnd
Hertz / allzeit denen / so im Glauben / Lieb / Gedult vnd Hoffnung / Trost / vnd Hülff bei ihm suchen /
offen / vnd zu helffen / willig / seind“.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

43

selbst. Eine zweite Exempelkette wiederum mit Livland an der Spitze wird geflochten: Noah –
Propheten – Apostel – Gottesfürchtige/Ã Christianiµ in Livland.207 Unter diesem Aspekt
betrachtet Brakel sein und seiner Leidensbrüder in Christi Leben. Seine eigene Biographie stellt
er somit in einen breiteren Rahmen, denjenigen des Exempels. Freilich, auch für Brakel stellt
sich die Frage nach dem Warum, auch er hadert zuweilen heftig mit seinem Schicksal, doch
auch auf diese Frage findet er seine Antwort in Gottes Plan und Walten.208
Dieser Gesichtspunkt bildet den Hintergrund, vor welchem die autobiographischen
Äußerungen Brakels zu verstehen sind – ihr Charakter entspricht mehr den „Confessiones“
eines Augustinus denn der Berichterstattung eines leidgeprüften Augenzeugen des
Livländischen Krieges. Im Mittelpunkt der betreffenden Passagen des „Christlich Gesprech“
steht der Prozeß der Selbstfindung, der Auseinandersetzung und schließlich der inneren
Aussöhnung Brakels mit seinem (für ihn rational) nicht erklärbaren Schicksal.
Mit besonderer Ausprägung zeigt sich diese Tendenz der autobiographischen Informationen
Brakels im Falle der Schilderung seiner russischen Gefangenschaft: Zunächst steht Brakel vor
einem großen Warum, auf welches er keine Antwort zu finden vermag, vor einem ihm
zugefügten Unrecht, das ihm zum Verderben wurde:
„Das ich aber alles vorigen vnheils / so mir hier uber widerfaren geschweige: Bin ich Anno
59. durch lügenhaftige angeben eines Musckowiters vnerhörter Sachen in grosser kelte /
kurtz vor Purificationis Mariæ, vmb die schwereste winter zeit / in Stricken vnd eisren
Fuszbanden Tyrannischer weise / vnd ohn alle Barmhertzigkeit von Dörpte da ich damahls
gedienet / nach der Musckow gefurt worden.“ 209
Die Umstände seiner

und seines Bruders Verschleppung sind unklar, doch soviel ist

ersichtlich: Die Geschehnisse, die uns die zitierte Textstelle schildert,210 können nicht direkt mit
der ersten Verschleppung von Dorpater Bürgern nach Rußland, die nach Angaben der Quellen

207 Vgl. Bra. A7r-8r/13-15.
208 Vgl. Bra. C3r-v/37f.: „Also hab ich allenthalben auch etwas lassen / vnnd verseufzen mussen / das ich
doch mit grosser muhe / vnnd saurer arbeit / verdient. Auch hie auf Oesel / des ich mich oftmahls / vnd /
im letsten abscheidt / bei der Obrigkeit daselbst / da ich meinem [!] Pass / vnnd zeugnuss gefurter Lehr
vnd Wandels / genommen / auss höhest beklagt. [...] Doch / was ich nicht ich nicht im Beutel gefunden /
hab ich in meiner Bibel suchen / vnnd mich selbst / auss Gottes Wort / vnnd dem Exempel Christi / vnd
seiner Heiligen / trösten / vnd / was da sei / vnnd heisse / das Christus sagt Lucæ 9. [Lk. 9,23] Wer mein
Junger sein / vnnd mir folgen wil / der verleugne sich selbst (das ist den Willen vnd Rat seiner
fleischlichen vernunft) vnd neme sein Creutz auf sich teglich / vnnd folge mir nach / auss eigner Probe /
lernen müssen.“
209 Bra. B2r/19.
210 Die – abgesehen von einem kurzen Hinweis auf seine Predigttätigkeit vor seiner Verschleppung – früheste
autobiographische Angabe aus dem Munde Brakels [Bra. B1v-2r/18f].

44

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

vor dem 19. Dezember 1558 erfolgte,211 in Verbindung gebracht werden. Zu dem Zeitpunkt,
an welchem Brakel gefangengenommen wurde („kurtz vor Purificationis Mariæ“, also dem 2.
Februar) waren die verschleppten Dorpater Bürger nämlich bereits wieder aus Rußland
zurückgekehrt.212 Auch die Ursachen für die Gefangennahme der Gebrüder Brakel bleiben
ungewiß, Brakel spricht lediglich vage über Anschuldigungen von russischer Seite gegen ihn,
die zu seiner Verurteilung führten. Welcher Art diese Anschuldigungen waren – wir wissen es
nicht.213
Über die Zwischenstationen Pskov und Novgorod wird Brakel gemäß seiner eigenen
Darstellung214 zunächst „in eisren Banden“, dann – auf Veranlassung des Statthalters von
Novgorod – „frei vnd loss“ nach Moskau gebracht, wo er – offenbar die Protektion höherer
Kreise genießend – als Geistlicher unter den livländischen Gefangenen wirkt, ehe er nach „Ein
Jar langk / vnd der Monden drei“ aus der Gefangenschaft freikommt.215
Die Antwort auf die Frage des „Warum“ findet Brakel nun – und das ist der eigentliche Kern
der diesbezüglichen Ausführungen des „Christlich Gesprech“ – in den von ihm in der
Gefangenschaft gemachten Erlebnissen in und durch Gott: Nicht Strafe, sondern Prüfung, nicht
Verdammung, sondern Aufgabe wird ihm die Gefangenschaft. Die von Brakel dargestellten
Erlebnisse und Gespräche dieser Zeit spiegeln diesen Entwicklungsprozeß in der
Gefangenschaft wider: Die geistige und körperliche Not der beiden Gefangenen (Timann und
sein Bruder) wird durch die christliche ‚Vermahnung‘ und materielle Unterstützung zweier zu
den Gefangenen gekommener russischer Handwerker gemildert;216 der geistigen und
körperlichen Stärkung durch diese von Gott gesandten „zwey glieder seiner Heiligen“217 folgt
die Linderung der Leiden der Gefangenschaft durch Gott.218 Die zweite Stufe der
Selbstfindung erfolgt wiederum im Gespräch, einem Gespräch Brakels mit einem in Moskau
lebenden polnischen Arzt, dem Brakel das Abendmal spendet und der ihm gegenüber die für
die betreffende Passage entscheidenden Worte äußert:

211 Vgl. HILLEBRANDT Bericht über den Aufenthalt Herrmanns von Dorpat, S. 454f.; vgl. auch SCHMIEDT Die
Aufzeichnungen, S. 4; vgl. auch RENNER Livländische Historien, 80r/47; vgl. auch NYENSTEDE
Livländische Chronik, S. 61.
212 Vgl. RENNER Livländische Historien, 87r–v/49, merkt zwischen den Eintragungen 1. Januar und 8.
Januar 1559 an: „Disser tit worden dye Dorptischen borgers uth Ruszlandt wedderumb na Dorpte gefuert
...“; vgl. SCHMIEDT Die Aufzeichnungen, S. 32; vgl. auch NYENSTEDE Livländische Chronik, S. 61.
213 Vgl. Neuer Bericht, Sp.74f.
214 Brakel schildert nicht in chronologischer Reihenfolge, die Informationen werden gemäß der Zielsetzung
ihres Aussprechers vorgetragen: Bra. B2v-4r/20-23. [Moskau]; C4v-5r/40f. [Pskov]; C5r/41 [Novgorod];
C5r-v/41f. [Moskau]; vgl. Bra. E7v/78.
215 Bra. E7v/ 78.; vgl. auch BUCHNER Dissertationes academicae, S. 219.
216 Vgl. Bra. C4v-5r/40f; es dürfte sich um Angehörige der von Brakel erwähnten [Bra. H6v-7v/124-126]
lutherischen Kreise in Pskov gehandelt haben.
217 Zur Stellung der „anglica hierarchie“ in Luthers Hierarchienlehre vgl. MAURER Luthers Lehre S. 7f.
218 Vgl. Bra. C5r-v/41f.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

45

„Nun gleub ich gewisslich: Das Gott dich / mehr mir zu trost / als dir zu Straffe / also hat
herkommen lassen.“219

Dies wird Brakels Aufgabe in Moskau, er wird zum Seelsorger der Versprengten ÃChristianiµ in
Moskau.220
Die Darstellung seiner Gefangenschaft schildert somit einen Entwicklungsprozeß, der Brakel
in Prüfung und Bestätigung erst in seine Aufgabe als Diener Gottes hineinwachsen läßt, ja der
seinem Wirken als Künder des göttlichen Wortes erst die Legitimation gewährt. Es ist gewiß
kein Zufall, daß Brakel sein Lebensschicksal neben dasjenige des Jonas und des Joseph, mit
dem er sich durch das gemeinsame Erlebnis der Gefangenschaft in der Fremde verbunden sieht,
stellt:
„Den gleich / wie er [Gott] den Jonam ausz dem Bauch des Fisches / vnnd höhester Lebensgefahr /
vnnd durch seinen dienst / vnnd des H. Geistes wirckung / die grosse Stad Niniue / von dem
verderben / errettet: Also auch Joseph / auss seiner harten Gefencgknuß [!] / vnnd Schmach / zu
Furstlicher gewalt / vnnd Ehr / erhaben/ vnd zum Vatter vnnd nehrer seinem Vatter / vnnd Brudern
/ ia / dem gantzen Koningreich Pharaonis zum getruwen Vorsteher / verordnet hat. Das / noch der
Fisch / vnd tieffe des Meers / dem Jone am leben / noch auch / dem Joseph / die schmah / vnnd
schmertzen / der gefengknuss / an der Ehr nicht schaden / sondern / ohn nachtheil der selbigen / der
beschlossen Rath Gottes / durch sie befurdert werden möste.
Also / hat der Almechtige Gott (das ich auch vmwirdig [!] meines eignen Exempels gedencken
möge) auch Mich / wunderlicher weiss / zu seiner Muskowischen Kirchen / furen: Daselbst sein
werck verrichten / auch wie ers mit seinen vngehorsamen / vnd mutwilligen kindern / halte / in
seiner Musckowitischen zuchtschule sehen / hören / vnnd folgens in Lifland / vnnd andern örtern /
da ich hinfort kommen wurde / Predigen / vnd bezeugen lassen / Bis er / der Almechtige Gott /
durch meine zunge / vnd seines Geistes vnnd Worts kraft / (weil keine Busse / wie zu Niniue /
gefolget) Eine Stadt Veste / Haus / vnd Gebew / nach demandern in stucken / vnnd zu kolen / vnd
aschen geprediget. Mich aber / mit meinem heufflein / zum zeugnuss seiner Waren / vnnd grossen
Barmhertzigkeit / alle mahl / als bei der hand / aufgeholffen / vnnd / ehe das vngluck angegangen/
wegkgefurt.“221

Die zitierte Textpassage wird zum Programm, zum Selbstverständnis Brakels und – in
Verbindung mit dem Bild des Schicksals des Dieners Gottes in der gottlosen Welt – zu Brakels
Erklärungsschema seines Lebens: Kraft seines Predigeramtes betrachtet er sein Schicksal aus
dem Selbstverständnis des Propheten Gottes heraus, als Künder des Wortes Gottes nur den
219 Bra. B4r/23.
220 Vgl. Bra. B4r/23.
221 Bra. B5r-v/25f.

46

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Haß und Undank der Menschen zu ernten, von Gott jedoch sicher durch alle Stürme der Zeit
geleitet zu werden. Das Schicksal des Predigers, also auch das Brakels, ist durch die
Gottlosigkeit ihrer Umgebung vorprogrammiert, die ÃSeveriniµ werden zu ÃChristianiµ. Livland
ist nicht Ninive – das durch den Mund des Predigers – schon sind wir mitten in der
Verwischung der Ebenen – Brakel verkündete Wort Gottes findet bei den verstockten
Livländern kein Gehör genausowenig wie alle übrigen warnenden Vorzeichen. Das Strafgericht
des Herrn bricht über sie herein, doch auch dies führt nicht zur Umkehr, ja es verstärkt nur
noch die feindselige Haltung gegenüber dem wohl allzu kompromißlosen Künder des Wortes
Gottes.222 Dieses Los des Predigers läßt Brakel nicht mehr zur Ruhe kommen, läßt ihn
schließlich seinem verlorenen Vaterland den Rücken kehren und in die Fremde ziehen. Seine
Aufgabe in Livland ist abgeschlossen, seine neue Aufgabe sieht er im Reich, in der
Verhinderung eines neuen Livlands. Lassen wir den <Christianus> Brakel selbst zu Wort
kommen:
„Meins Lebens fast die beste zeit/
Gewesen ist nur traurigkeit
Denn / da ich kaum inn Ehstand kam/
Mein Vngluck bald einn anfangk nam/
Das ich most wallen ihmer fort/
Von einem zu dem andern ort/
Ein Fluch der Welt / vnd Schawspiel sein/
Biss ich mit Weib vnd Kinderlein/
Durch Gottes Schutz / vnd starcke Hand/
Bin her gefurt in diese Land/
Nhw er durch mich sein Werck vnd Rat
In Lifland auszgerichtet hat/
Da ich nur hab viel schmertz vnd neid
Zu lohn empfangen lange zeit.“223

Die hierin ausgesprochene Bewertung des eigenen Lebensschicksals verbindet sich zugleich –
ganz im Geiste der spätmittelalterlichen Trostbücher – mit einem zweiten Aspekt, der
Darstellung des sturmbewegten, doch gottbeschützten (eigenen) Lebens als Mittel – zitieren
wir aus der „Consolatio theologiae“ Johannes von Dambachs – „ad consolationem omnium

222 So etwa Brakels Interpretation seiner Dienstzeit auf Ösel [Bra. B6r-7v/27-30]; siehe unten Kap. 3.2.3.
223 Bra. E7v/78.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

47

hominum, praecipue autem illorum, qui pie volunt vivere in Christo et ob hoc ... persecutionem
... patiuntur.“224
Die beiden angesprochenen Aspekte des Selbstverständnisses Brakels bilden den
Hintergrund, mehr noch das Auswahlkriterium der autobiographischen Informationen des
„Christlich Gesprech“ und zugleich auch das Bindeglied zwischen der Person Brakels im
Widmungsschreiben an Hieronymus Semmelbecker und dem <Christianus> als Dialogfigur:
Aufgezeigt wird das Schicksal eines ÃChristianusµ, exemplifiziert an der eigenen – sprich,
Brakels – Person, aber auch an der anderer ÃChristianiµ in Livland. Berücksichtigung finden
zuallererst nur diejenigen Informationen, welche hiermit im Zusammenhang stehen, was jedoch
nicht heißen soll, daß Brakel keine zusätzlichen Informationen zu vermitteln vermag.225
Brakel bietet in seiner Biographie eine Option, und zwar diejenige des Weges in und hin zu
Gott. Für die eigentliche Darstellung bedeutet dies: Auch biographische Angaben unterliegen,
wenn nicht sogar in besonders starkem Maße der Überlagerung durch das theologisch
ausgeprägte Moment des Exempels. Eben hierin liegt der Grund für das bewußte Hintanstellen
der Biographie Brakels durch den Verfasser dieser Zeilen. So verdienstvoll es angesichts der
sowohl von Seiten Brakels selbst als auch von Buchner vermittelten Informationen erscheinen
mag, eine Biographie Brakels niederzuschreiben, so brüchig ist das Eis, auf welches man sich
hierbei begibt. Die Voraussetzung dafür, Brakels Leben darzustellen, ist – ganz abgesehen von
der Frage nach dem Quellenwert der Informationen Buchners – die Kenntnis des „Christlich
Gesprech“ und des Charakters dieser Schrift. Die autobiographischen Angaben Brakels müssen
wie auch die historischen Informationen, die uns das Werk Brakels vermittelt, als Exempel
verstanden und demgemäß eingeordnet werden.
Geschichte als Exempel – die Beleuchtung dieser Problematik wird Gegenstand des dritten
Abschnittes dieser Arbeit sein.

2.5. Das Kriegs- und Rußlandbild des „Christlich Gesprech“
Die Darstellung des ÃAnderenµ ist immer zugleich auch unbewußt Darstellung der eigenen
Perspektive und Aussageabsicht und somit Spiegelbild der eigenen Position. Erst unter
Berücksichtigung dieses Hintergrundes gewinnt die Beurteilung derartiger Informationen
Zweiter über Dritte ihre eigentliche Tragweite. Nicht nur das „Was wurde gesehen?“, sondern
224 Johannes von Dambach (1288–1372), De consolatione theologiae, zitiert nach: AUER Johannes von
Dambach, S. 63.
225 Erwähnt sei beispielshalber die praktische Bestätigung der Selbstaussage des (ehemaligen) Dorpater
Bischofs Hermann in der russischen Gefangenschaft, den verschleppten Livländern zur Seite zu stehen
[HILLEBRANDT Bericht über den Aufenthalt Herrmanns von Dorpat, S. 437f., 465]: Brakel erwähnt die
Zurverfügungstellung eines Abendmahlskelches [Bra. B3v/22]; konkrete Nachrichten über andere

48

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

auch das „Wie wurde es gesehen?“ und „In welcher Absicht wurde das Gesehene dargestellt?“
gilt es somit, als Beurteilungskriterien heranzuziehen.226
Brakel steht den Geschehnissen in Livland auf zweierlei verschiedene Weise gegenüber – als
Bußprediger und als Kriegsflüchtling -, wobei sich beide Blickwinkel unter der Dominanz des
ersteren weitgehend miteinander verwischen. Im Gegensatz zu Rüssow stellt er zudem Livland
nicht als kollektive Einheit in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, sein Augenmerk ruht
vielmehr auf dem Schicksal der einzelnen Menschen in Livland als Vertreter mit bestimmten
Aufgaben betrauter Gesellschaftsgruppen und ihrer Funktion als Exempel für (un-)rechtes
Verhalten. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Phänomen „Krieg“ eine mehrschichtige,
hierbei in sich teils widersprüchlich anmutende Färbung, gespeist aus der theologischen wie
autobiographischen Sichtweise des Autors. Wenden wir uns zunächst der in sich dreigliedrigen
theologischen Facette des Brakelschen Kriegsbildes zu. Krieg wird gesehen als,
- gottgegebener, jedoch in Livland weitgehend vernachlässigter Bestandteil der Aufgabe der
Obrigkeit
- Ausformung des Strafgerichtes Gottes wider die Livländer
- Mittel zur Offenbarung der Gnade Gottes denen gegenüber, die Gottes Geboten folgen.
Ausgehend von der ihm eigenen ständeorientierten Betrachtungsweise bewertet Brakel
Landesverteidigung als eine der Verpflichtungen der Obrigkeit gegenüber ihren Untertanen,227
im Falle Livlands also als Aufgabe des Ordens und der Ritterschaften sowie der sogenannten
„Hofleute“.228 Krieg(sführung) in der Ausformung als Verteidigungskrieg ist somit zunächst
eine Aufgabe, ein Handwerk einer bestimmten Gesellschaftsgruppe.

Gefangene, ja sogar das Schicksal seines gleichzeitig mit ihm verschleppten Bruders, gibt Brakel
hingegen nicht, sie stehen außerhalb des Exempelrahmens.
226 Eine Betrachtung der livländischen (Geschichts-) Literatur aus dieser Perspektive, wie sie für das
wechselseitige Verständnis von Rußland und dem lateinischen Abendland in den Arbeiten Gabriele
Scheideggers [SCHEIDEGGER Perverses Abendland, und ihre Vorstudie hierzu: SCHEIDEGGER Das Eigene
im Bild des Anderen] vorliegt, fehlt – von Ansätzen abgesehen [vgl. vor allem BENNINGHOVEN Rußland
im Spiegel, über das Rußlandbild der „Schonnen Hystorie“] – bedauerlicherweise fast vollständig. Wenig
ergiebig sind hingegen die in den letzten Jahren in Mode gekommenen allgemeinen Betrachtungen zu
Einzelaspekten, vornehmlich zum Rußlandbild der livländischen Chronistik jener Jahre, die ausgehend
von stereotypen Formulierungen ein schematisiertes Bild entwerfen, das vielfach den behandelten Werken
selbst nicht gerecht wird [z.B. für das 16.Jahrhundert SPELGE Das Rußlandbild; ETZOLD Polens
Herrschaft über Livland, S. 11–14].
227 Siehe oben Kap. 2.2.
228 ‚Hofleute‘ ist die Zeitgenössische Bezeichnung für die aus ehemaligen Ordensrittern und -dienern,
besitzlosen Adligen und ‚undeutschen‘ Bauern zusammengestzten bunten Haufen von Reitersoldaten, die
in schwedischen, polnischen, dänischen oder russischen Diensten als Söldner wirkten [vgl. den Beitrag
von Tõnis Lukas in: Eesti ajalugu, S.97]. Im Unterschied dazu [Bra. G3r/101; G6v/108] sieht Brakel
Landesverteidigung nicht als Verpflichtung eines Geistlichen an [Bra. B7v/30].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

49

Folgt

Brakel

Gedankengang,

229

hierin

einem

auch

der

Ordenschronistik

Altlivlands

geläufigen

so bildet dieser nur den Ausgangspunkt für seine weiteren Ausführungen zur

Situation in Livland. In Livland gibt es

Vertreter der Obrigkeit, die dieser Aufgabe

nachkommen und dafür Gottes Beistand ernten, für die Mehrheit gilt dies jedoch nicht, so daß
die Forderung nach Landesverteidigung als eine Aufgabe des Ordens und der Ritterschaften zu
einem vernachlässigten Ideal, zum Symptom gottfernen Lebenswandels wird.230 Von hier aus
spannt sich der Bogen zur zweiten und dritten Facette des theologisch gefärbten Kriegsbildes
Brakels: Das über Livland hereingebrochene Kriegselend ist alleinig das Werk Gottes mittels
der Russen,231 sozusagen eine Predigt mit anderen Mitteln.232 Im Gegensatz zu Rüssow, mit
welchem er diese Sichtweise teilt, verzichtet Brakel hierbei weitgehend auf die Darlegung der
historischen, militärischen oder strategischen Einzelheiten des Kriegsverlaufes,233 sondern
bedient sich mit Vorliebe unbestimmter, stereotyper Formeln und Wendungen, die das Wirken
der Russen als Werkzeug Gottes charakterisieren.234 Krieg an sich interessiert Brakel nicht,
letztlich steht der Terminus „Krieg“ bei ihm synonym für das durch den Krieg verursachte
Unglück, oder er wird als abstrakter, nicht direkt auf die Situation in Livland bezogener,
allgemeiner Begriff und einmal sogar in parodistischer Form gebraucht.235 Konkrete Bedeutung
229 Dieser wird deutlich etwa in der Darstellung der Taten der Ordensmeister in den verschiedenen
Redaktionen der sogenannten Kleinen Meisterchronik (KMChr.) [vgl. RATHLEF Das Verhältnis der
kleinen Meisterchronik, S. 27–57]. Selbstverständlicher Bestandteil der Aufgabe und damit der
Regierungszeit der Ordensmeister ist Kriegsführung als Mittel zur Wahrung und Förderung des
Glaubens [z.B. KMChr. A, S. 181f., und 182f.] und zur Verteidigung und Vorbeugung gegen feindliche
Angriffe [z.B. KMChr. A, S. 184f.]; diesbezüglich „ereignislose“ Zeiten – sprich Friedensperioden
werden hingegen von den Chronisten lediglich mit Hilfe schematischer Formulierungen abgehandelt
[z.B. KMChr. A, S. 183, 185; KMChr. B, S. 293f., 297].
230 Vgl. Bra. H3v-4r/118; L6r/171.
231 Vgl. Anm. 117.
232 Vgl. Bra. A7v/15; L7v-8r/175f.
233 Ansätze im Falle der kursorischen Schilderung der Ereignisse der ersten Kriegsjahre finden sich in Bra.
K4v-6r/151-155.
234 Vgl. Bra. N2r/195:
„Gott richtt auch ein Spectakel ann/
Vnd Schrecklich Bild durch Knees Iwan
Wassiliewitz / die Geissel sein/
Den schickt er ausz der Musckow erein/
Zur Plag vnd Straff / ia grossen schmertzn
Den Bösen vnd verstockten Hertzn“.
235 „Krieg“ als Terminus wird in der gesamten Bandbreite des damaligen Sprachgebrauchs [vgl. GRIMM
Deutsches Wörterbuch, Bd. 11, Sp. 2212–2223; THORAU Krieg, Sp. 1525] verwendet, wobei der heutigen
Bedeutung allenfalls Randbedeutung zukommt, so im Sinne von (mit militärischen Mitteln
ausgetragener) Auseinandersetzung [z.B. Bra. L5v/170; L7r/173; M1r/177; O4r/215], als nicht auf eigens
auf Livland bezogener allgemeiner Begriff [Bra. H5v/120; M2r/179; M6r/187], in parodistischem Sinne
[Bra. L6v/148 („im Krieg/da Junge Hüner rauchn“, möglicherweise auch mit dem Hintergedanken an das
Wortspiel „ritterschaft“ = Wettrinken; vgl. GRIMM Deutsches Wörterbuch, Bd. 11, Sp. 2215]. In
konkreter Bedeutung „Livländischer Krieg“ taucht der Begriff lediglich auf in Bra. I7v/142 („Vrsach des
Kriegs im Entsagbrief“) und Bra. I8r/143; in der Regel verwendet Brakel Umschreibungen, etwa durch
die Formeln „mit Feur vnd Schwert“ [Bra. A7r-v/13f.; D8v/64; G1r/98; H2v/115; H5r/121], „grawsame,
erschreckliche oder Reussische Zerstörung“ [Bra. D1v/50; D2r/51; D3r/53; die Seitenüberschriften des
Hauptteiles des „Christlich Gesprech“ lauten nicht: „Krieg in Livland, sondern „Zerstörung in Livland“
vgl. auch den Titel des „Christlich Gesprech“], „Straff vnnd Zerstörung“ [Bra. K4v/152], „Vngluck“

50

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

im Sinne von militärischer Auseinandersetzung erlangt „Krieg“ im Bezug auf die letzte
Darstellungsfunktion: Kriegshandlungen als Beleg für die Gnade Gottes denen gegenüber, die
nach seiner Ordnung leben, d.h. der Verpflichtung der Obrigkeit zur Landesverteidigung Folge
leisten, und denen dadurch – nach menschlichem Ermessen unerwarteter – Erfolg gegen die
Feinde beschieden ist.236 Unausgesprochen schwingt bei all dem die Vorstellung vom
Verteidigungskrieg als der einzig rechtmäßigen (und damit von Gott gebilligten) Form
kriegerischen Handelns mit. Dagegen ist ungerechtfertigte Aggression von vornherein kein
Erfolg beschieden, sie wird ihrerseits zum Ausgangspunkt des dann den Aggressor treffenden
Unheils.237
Erweist sich Brakels Haltung als Theologe und Bußprediger dem Phänomen „Krieg“
gegenüber somit insgesamt als distanziert abgewogen, so schimmert doch auch die persönliche,
durch das eigene Erleben und Erleiden geprägte Sichtweise des Kriegsflüchtlings hindurch,
nicht sofort ins Auge fallend, doch aus den Zeilen herauslesbar. Das Kriegselend, durch
Unfähigkeit und Wankelmut der Obrigkeit wie durch unnötige Zwistigkeiten verursacht und
befördert,238 trifft in erster Linie die ohnehin schon vom Schicksal Gebeutelten und
Schwachen: Krieg bedeutet Zerstörung, Mord, Vergewaltigung und Verschleppung,239
Verzweiflung, Angst und Hoffnungslosigkeit,240 nicht zuletzt Verlust von Hab und Gut, ja
Heimat241 – kurzum, so Brakels Resümee, durch den Krieg ist das einstmals blühende Land zur
Wüste geworden.242
Brakels theologisch-biographisches Kriegsbild wirft in Bezug auf sein Rußlandbild Probleme
auf: Wie werden die Russen dargestellt, impliziert die Bewertung der Geschehnisse in Livland
als Strafgericht Gottes durch die Russen zugleich auch eine ablehnende Einstellung gegenüber
den Russen als Volk,243 läßt sich eine derartige Grundtendenz im „Christlich Gesprech“
nachvollziehen?

236
237
238
239
240
241
242
243

[Bra. H6r/123; K3r/149] oder „Streit“ [Bra. I7v/142]. Konkrete Bedeutung im heutigen Wortsinn hat der
Terminus „Krieg“ in Wortverbindungen als erstes Wortglied [Bra. B7v/30; K3r/150; K5v/154; L6v/172;
M1r/177 u.a.].
Vgl. Bra. L6v/172; M1r-v/177f.; siehe unten Kap. 3.2.3.
Vgl. Bra. G8v/112 (Haltung des Ordens in der Koadjutorenfehde); M2r-3v/179-182 (Aufstand Taubes
und Kruses); siehe Kap. 3.2.2.
Vgl. Bra. K2r-v/147f.; M6v-7r/188f.
Vgl. Bra. B6v/28; K4v/152; M3v/182, wobei auf ausschmückende Beschreibungen, wie sie der Flugschriftenliteratur, aber auch der Chronistik der Zeit vielfach geläufig sind, verzichtet wird.
Vgl. Bra. B6v/28; siehe Kap. 3.2.3.
Vgl. Bra. C2v/36; C3r/37; H5r-v/121f.; M1r-v/177f.
Bra. M6v-7r/188f.: „Das Land zur Wüsten ist gemacht/ ...“; vgl. Bra. F7v/94.
Entsprechend lautet der Ansatz Lutz Spelges in Bezug auf die Chronik Rüssows [SPELGE Das
Rußlandbild, S. 177], wenn er die von ihm bei Rüssow gesehene „grundsätzlich ablehnende Einstellung
gegenüber diesem Land und seinen Bewohnern“ neben dem Hinweis auf die Rolle der Russen als
Kriegsgegner sowie auf das Miterleben des Krieges als „ein Resultat der christlich-moralischen
Grundhaltung Rüssows“ bewertet, die Rüssow veranlaßt habe, “russische Greueltaten besonders häufig
und ausführlich zu beschreiben, um die – seiner Auffassung nach gerechte – Strafe für die ebenfalls

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

51

Analog zum eben behandelten Kriegsbild Brakels müssen auch im Falle des Brakelschen
Rußlandbildes verschiedene Ebenen unterschieden werden:
Im Vordergrund steht das schon bekannte typologisierte Rußlandbild, welches die Russen
lediglich als Werkzeug Gottes betrachtet und sie in distanziert wirkenden, stereotypen
Formulierungen ohne auf Einzelheiten einzugehen in ihrer Funktion unausgesprochen mit der
Zuchtrute Gottes wider das Volk Israel gleichsetzt: Die Livländer haben gesündigt, also
veranlaßte Gott den „Feind / den er dazu erkorn“, also die Russen, Livland mit Krieg zu
überziehen.244
Infolge der im Verständnis Brakels theologisch begründeten politischen Veränderungen
wurden die Russen in den von ihnen eroberten Gebieten Livlands zur gottgegebenen Obrigkeit,
gegen welche aufzubegehren Aufbegehren gegen Gott ist, die jedoch zugleich ihrerseits
Verantwortung gegenüber ihren Untertanen trägt. Vor diesem Hintergrund ist somit Brakels
spezielle, jetzt negative Beurteilung des russichen Zaren Ivan IV. zu sehen. Hinter dem von
entworfenen Bild eines „Tyrannen“ und der damit verbundenen Charakterisierung seiner, d.h.
der russischen Herrschaft als „Tyrannei“245 steht eine didaktische Grundintention: Das
Fehlverhalten Ivans IV. dient als Negativ-Exempel mit dem Aussagewert „So soll sich eine
getruwe Obrigkeit nicht verhalten.“246
Welchen Vorwurf erhebt Brakel konkret? Es ist dies der Vorwurf der Doppelbödigkeit wie
er wohl am deutlichsten in seiner eigenen Lebensphilosophie zum Ausdruck kommt: Man muß,
wie er (Brakel) durch die russische „Creutz Schule“ gegangen sein247 und die russische Sprache

244

245

246

247

52

ausführlich geschilderten Verfehlungen der Livländer zu verdeutlichen.“ Diesen Ansatz konnte
BRÜGGEMANN Russen in Livland, S. 261–268, in detailierter Weise widerlegten werden konnte.
Vgl. die Belegstellen in Anm. 117; neben den geläufigen Bezeichnungen der Russen als „Mosc(k)owiter“
oder „Reussen“ ist es in erster Linie der Begriff „Feind“ (nicht aber Erbfeind!), mit welchem Brakel die
Russen belegt, wobei in der Verwendungsbreite des Begriffs die Konzeption des Brakelschen
Rußlandbildes in ganzer Breite augenscheinlich wird: „Feind“ wird zunächst allgemein gebraucht für
jeglichen Gegner [z.B. Bra. C2r/35; L4r/167], für das von Gott zur Bestrafung der Gottfernen gesandte
Volk [vor allem Bra. O2r/211], sodann übertragen auf die Russen als Strafrute wider die gottfernen
Livländer [vor allem Bra. K5r/153] und schließlich als Bezeichnung für die Russen als Gegner der
Livländer im (konkreten) Kriegsgeschehen [z.B. Bra. B6v, 7v/28, 30; I8r/141; K2v/148].
Zum Topos des „Tyrannen“ in der Flugschriftenliteratur der Zeit vgl. OTT Livonia est propugnaculum
Imperii, S. 62–65. Brakel versteht unter „Tyrannei“ zunächst eine Herrschaft, welche nicht an Gottes
Ordnung und Geboten orientiert ist [Bra. L4r/167; N2r-v/195f.; N7v/206]; „Tyranei“ steht also, auf die
Obrigkeit bezogen, synonym zu „Abgötterei“ im Sinne von Gottesferne [Bra. H7r/125; I8r/141; R7v/269];
außerdem verwendet Brakel diesen Begriff synonym zu „Feind“ im Sinne einer von Gott zur Strafe
herabgesandten Herrschaft über die Gottfernen [Bra. E8r/79; K8r/159; N3v/198; O2r/211, S2v/276].
Bra. I7v-8r/142f.; vgl. auch Bra. K1r-v/145f.; hierbei fällt die Schuld sogleich auf die Livländische
Obrigkeit zurück, denn sie ermöglichte durch ihr Verhalten erst das unrechte Verlangen Ivans; als
weitere Beispiele hierfür können Bra. K6r/155 und der Hinweis auf die Mitschuld des „Heren“ am Tod
seines Boten nach Riga [Bra. K6v/156 und N2r-v/195f.] dienen, wobei immer die Mahnung mitschwingt,
auch Ivan muß einmal für sein Verhalten vor Gott Rechenschaft ablegen:„Gott wirds nicht vngerochen
lahn“ [Bra. K1v/144; noch deutlicher wird dies ausgesprochen in der Märtyrer-Geschichte in N2rv/195f.], ein Gedankengang, den auch Rüssow [Rü III, 117b-118a/137; 135b/154] als Ansatz für die
Begründung des Eingreifens Gottes gegen seine ehemalige Zuchtrute aufgreift.
„Ich hette es ihnen zuuor [den Öselern vor dem Russeneinfall des Jahres 1576] / on zweiffel auss
eingebung Gottes vnnd seines Geistes / nicht allein gedrewet / sondern auch trewlich dabei gewarnet: Sie
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

beherrschen, um nicht – wie Magnus von Holstein geschehen – über den Tisch gezogen zu
werden.248 Hier tritt zugleich auch ein zweiter Aspekt des Rußlandbildes hinzu, bei welchem
wiederum von Brakel selbst Erlebtes und Erfahrenes in einem theologischen Muster aufgeht
und über dem die Frage steht: Sind die Russen Heiden? Der Beantwortung dieser Frage mag
ein kleiner Exkurs vorangehen: Brakel betrachtet die ‚undeutschen‘249 Bauern Livlands oder,
wie er sie nennt, die „Armen Leut“250 als Opfer ihrer Obrigkeit251 und als die eigentlichen
Leidtragenden des Kriegsunheils,252 zugleich aber auch wiederum selbst als „Täter“ im Sinne
der Schuld am Unglück Livlands durch gottfernen Lebenswandel253 – denn die Bauern leben
„wie kleine Heiden“.254 Doch hier abstrahiert Brakel sogleich: Wie können denn die Bauern
rechte Christen sein, wenn es ihnen ihre Obrigkeit nicht vorlebt,255 ihnen zudem die rechte
Unterweisung vorenthalten wird?256 In eine ähnliche Richtung zielt Brakel auch im Falle der
Russen, die Antwort auf die obengestellte Frage erscheint auf den ersten Blick paradox: Die
Russen sind Christen und doch Heiden. Die Auflösung liegt im Verständnis lutherisch
geprägten von Heidentum und Christentum, besser ausgedrückt von Gottferne und GottesDienst: Heidentum verstanden als Ablehnung der Botschaft des Evangeliums.257 Christ
(„Christianus“) ist nur derjenige, der nach Gott lebt,258 es ist also mit allen Konsequenzen die

248

249

250

251
252
253
254
255
256

257
258

solten nicht so sicher sitzen: Ich hette in der Reussischen Creutz Schule / des Musckowiters Sitten / vnd
Tuckische art / dermassen kennen lernet / das ich ihme nicht glauben wolte.“ [Bra. B7r-v/29f.; vgl. Bra.
B5v/26].
„Der guthe Herr [Magnus] hat nicht gewist/
Den Brauch ehe er hin kommen ist/
Die Sprach ihm auch war unbekandt/
Bis das er sich betrogen fand.“
[Bra. K7r/157]; dies ist übrigens nicht der einzige Hinweis, daß Brakel Russisch verstand [vgl. C4v/40].
Der mittelniederdeutsche Begriff „vndudesch“ ist die in Abgrenzung zur deutschen Bevölkerungsschicht
gebrauchte Bezeichnung für die einheimischen Esten und Letten sowie andere kleinere Völker (Liven,
Voten, Ingermannländer), nicht aber für die in Livland lebenden Russen, Schweden und Dänen
[JOHANSEN/MÜHLEN Deutsch und Undeutsch, S. 19; KIVIMÄE Luterliku reformatsiooni kultuurimõjud, S.
34f.].
Brakel vermeidet den Begriff ‚undeutsch‘, lediglich einmal verwendet er ihn zur Charakterisierung des
Gottesdienstes in nicht-deutscher Sprache [Bra. G1v/98: „In Deudscher vnd Vndeudscher Sprach“]; nicht
von nationalen, sondern sozialen Unterscheidungen ausgehend, spricht er vielmehr von „Arme
Volklin/Leut“ [Bra. G5r/105; H1r-v/113f. u.a.; der Begriff ist zugleich auch uneingeschränkt auf Rußland
übertragbar: Bra. H6v/124.; zum Bedeutungsgehalt des Begriffs „pauper“ vgl. MILITZER Pauperes, Sp.
1829f.] oder einfach nur von den (armen) Bauern [z.B. Bra. H2v/116; H4v/120; I1r-v/129f.].
Vgl. Bra. H2v-3r/116f.; H4r-v/119f.
Vgl. Bra. B6v/28; M1v/178.
Vgl. Bra. B6r-v/27f.; I1v-2v/130-132.
Bra. H2r/115; I1v/130.
Vgl. Bra. G5r-v/105f.; I1v, 2r und 3v/130-32; K8v/160.
Vgl. Bra. H1v/114; die Bauernfrage stellt kein eigenständiges Moment des Livländischen Sittengemäldes,
sondern – auch wenn in einem eigenen Abschnitt behandelt – lediglich einen Angelpunkt und näher
ausgeführten Teilaspekt der gegen den livländischen Adel gerichteten Polemik dar, eine Methode, wie sie
knapp eineinhalb Jahrhunderte zuvor mit ähnlichen Vorwürfen, wie sie Brakel formuliert, bereits von den
livländischen Dominikanern in ihrer Kontroverse mit dem Weltklerus in Livland angewandt wurde [vgl.
von WALTHER-WITTENHEIM Die Dominikaner in Livland, S. 103f.].
Vgl. DÖRRIES Wort und Stunde, S. 329f.; GENSICHEN Heidentum, S. 587.
Vgl. Bra. E4r-v/71f.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

53

Entscheidung des Einzelnen. Eben dieser letzte Schritt wird in Rußland nicht vollzogen, oder
kann nicht vollzogen werden. Denn Ivan Groznyj argumentiert zwar mit seinem Christentum,
doch er lebt nicht nach jenem.259 Es gibt eine orthodoxe Kirchenstruktur, der „gemeine Mann“
kann jedoch den notwendigen Weg zum Christ-Sein nicht oder nur unter Gefahren beschreiten,
da ihm Gottes Wort zumindest in reiner Form – so unterstellt Brakel – bewußt vorenthalten
wird.260 Die Situation ist somit die gleiche wie diejenige der ‚undeutschen‘ Bauernschaft
Livlands, und doch gibt es in dieser „Heidenschaft“ auch „Christiani“, die Gott leben.261 Brakel
bedient sich somit nicht einer ethnischen Abgrenzung gegenüber Russen, Letten und Esten;
diese Komponente spielt für ihn keine Rolle. An ihre Stelle ist vielmehr eine theologische
Zweiteilung der Welt in Nicht-Christen und tatsächlich in Gott lebende Christen, ja enger
eingegrenzt lutherische Christen getreten.262
Aus diesem Verständnis von Heidentum und Christentum ist zugleich ein anderer Aspekt des
„Christlich Gesprech“ zu verstehen, nämlich daß das Rußlandbild Brackels in Abhängigkeit von
der gewählten Vergleichsbasis variabel ist: Erscheint Rußland gegenüber den „Christiani“ als
Heidenland, so verkehrt sich die Bewertung bei Umkehrung der gewählten Perspektive. Brakel
vergleicht an einer Stelle seines Werkes das „Christentum“ im Reich mit dem „Heidentum“ in
Rußland – mit niederschmetterndem Ergebnis für die „Christen“ im Reich:
“So hab ich in verlaufnen Jarn/
Auch in der Heidenschaft erfarn/
Mehr Lieb vnd rechtes Glaubens pflicht/
Als man an vielen Christen sicht.“263

Der Vergleich soll wachrütteln: Die „Heiden“ in Rußland können überhaupt nicht nach Gott
leben, die „Christen“ im Reich – nur scheinbare Christen – könnten es sehr wohl, wollen es
aber nicht. 264

259
260
261
262

Vgl. Bra. I7v-8r/142f.
Vgl. Bra. H7v-8r/126f.
Vgl. Bra. C4v-5r/40f.; H6v-7r/124f.
Bevor Brakel einem polnischen Arzt in Moskau das Abendmahl spendet, überprüft er dessen „grund vnnd
Confession“, erst dann sagt er seinen Dienst zu: „Als ich aber seine Bekentnus / der Prophetischen / vnnd
Apostolischen lehr / vnd gleichstimmich / vnd vom wesen / Nutz vnd Brauch der Sacramenten rein
befunden / hab ich ihm meinen Dienst zugesagt / vnd nach gelegenheit geleistet.“ [Bra. B3v/22; dabei
geht er allerdings nicht so weit, sich zu scheuen, auf den Abendmahlskelch des katholischen Bischofs von
Dorpat zurückzugreifen.].
263 Bra. O8v/224.
264 Es zeigt sich die Gesetzmäßigkeit der „Rhetorik der Andersartigkeit“, die neben dem Eigenen und
Fremden ein Drittes nicht auszudrücken vermag [vgl. SCHEIDEGGER Perverses Abendland, S. 23f]; der
Vergleich mit dem „Anderen“ dient somit als Mittel, um – wie es Kilian Lechner in Bezug auf das
„Barbarenbild“ in der byzantinischen Historiographie ausdrückt [LECHNER Hellenen und Barbaren, S.
115] – die angeprangerten Mißstände „noch drückender erscheinen zu lassen“.

54

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Tiefere Dimension erlangt diese Aussage Brakels, wenn wir den biographischen Aspekt des
Brakelschen Rußlandbildes, oder besser ausgedrückt, die Interpretation seiner russischen
Gefangenschaft durch Brakel selbst hinzuziehen: Begreift Brakel – wie wir sahen – sein
Schicksal als dasjenige des Jonas, so schwingt in dieser Interpretation wohl auch ein
Lutherwort mit:
„Denn diese geschicht Jona ist darumb geschrieben, das Gott uns zeyge seyne wunder, nemlich das
sein wort da am aller ersten frucht schafft, da mans am wenigsten meynet, Widderumb da am
wenigsten schafft, da mans am meysten vorsihet. Den hie gleuben die heyden zu Ninive, die keyn
wort zuvor hatten, Und die Juden werden ungleubig, die teglich gottes wort hatten, Auff das wyr an
niemand sollen verzweyffeln, auch widderumb auff niemand uns vermessen.“265

Dies ist zugleich auch die Fortsetzung eines zu Beginn der Reformation in Livland
ausgesprochenen Wortes Luthers, in welchem die am Ende der Welt lebenden Livländer mit
den „heyden Act. 14“ gleichgesetzt werden, die freudig das Wort Gottes aufnahmen, das
hingegen „unser Juden ynn dieszer Jerusalem, ia Babilonien nicht alleyne verachten, sondern
auch niemant gönnen zu hören.“266 Jetzt, so die Botschaft Brakels, ist auch diese neue
‚Pflanzstätte des reinen Christentums‘ verfallen,267 aber das Reich selbst ist nicht besser
geworden; der Blick Brakels schweift, analog zu demjenigen Luthers, weiter – nach Rußland:
„Durch seinen Geist zum Glauben rein
Erweckt [Gott] ein kleines heuffelein/
Zur Plesckow einer Reuschen Stad/
Damit er angezeiget hat:
Das er seinn Dienst vnd Heiligs Wort/
Wolt machen kundt an allen ort/
Vnd durch Vndanck dahin wurd komen/
Das Gottes Wort wurd hingenhommen/
Denen / die sein nun gworden sat/
Vnnd andern gegeben auss Gnad/
Wie Gott der Her nach seinem Rat/

265 LUTHER Werke, WA 19, 244.9–15.; vgl. hier und zum Folgenden DÖRRIES Wort und Stunde, S. 331–335.
266 LUTHER Werke, WA 12, 143–150: Sendschreiben. „Den Auszerwelten lieben Freunden gottis, allen
Christen zu Righe, Revell und Tarbthe ynn Lieffland, meynen lieben herren und brudern in Christo“
(1523), spez. 12, 148.4f.: „... das ich mit freuden mag selig sprechen, die yhr am end der welt, gleich wie
die heyden Act. 14. das heylsame wort mit aller lust empfahet wilchs unser Juden ynn dieszer Jerusalem,
ia Babilionien nicht alleyne verachten, sondern auch niemant gonnen zu hören.“ [vgl. RUTHENBERG Die
Beziehungen Luthers, S. 59–61].
267 Brakel meldet, wie wir bereits sahen, gar ganz vorsichtig Zweifel an, ob es jemals eine solche gewesen
war (vgl. Anm.115).
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

55

Solchs auch zuuor gehalten hat/
Mit Juden / Griechen gleichermassn/
So vor in Gnad vnnd Ehren sassn.“268

2.6. Zusammenfassung: „Denn ihnen Gottes Straff vnd Zorn, ist vns zum Spiegel
widerfarn“ – Livland und das Reich
Die Perspektive, aus welcher Rüssow und Brakel die Geschehnisse in Livland sehen, ist
diejenige des Geistlichen; diese Blickrichtung wirkt auf ihre Werke zurück und gibt ihnen ein –
etwa gegenüber den Chroniken Renners und Hennings – eigenes Gepräge. Hierbei treten
jedoch,

wie

bereits

dargelegt,

zwischen

Rüssow

und

Brakel

unterschiedliche

Schwerpunktsetzungen auf, die – nicht nur von der unterschiedlichen Standeszugehörigkeit
beider, sondern auch von ihrer unterschiedlichen Auffassung der Predigeraufgabe herrührend –
letzlich ihren Werken unterschiedliche Bahnen wies.269
Das Amt des Predigers beschränkt sich nicht auf Predigttätigkeit und Spendung der
Sakramente, es umfaßt zugleich auch die Sorge und damit (gegenüber Gott) die
Verantwortung für das Seelenheil der Gemeinde.270 Diese seelsorgerische Komponente
erlangte in Livland mit seinen besonderen ethnischen Strukturen eine besondere Dimension:
Die christliche Unterweisung der Gemeinde in der Volkssprache, wie es eine Forderung des
Protestantismus war, erforderte Prediger, die die Sprachen der ‚undeutschen‘ Bevölkerung
beherrschten, und zudem noch die Übertragung der wichtigsten Grundtexte der neuen Lehre in
die Volkssprachen; die Geistlichkeit wurde somit zum Kulturträger und zwar vor allem im
Hinblick auf die Entwicklung der Schriftlichkeit der Volkssprachen.271 Neben diese kulturelle
Dimension trat eine soziale und politische, deren Bedeutung gerade in den Kriegszeiten von
nicht zu unterschätzender Bedeutung war: Die Gemeindemitglieder mußten ungeachtet aller
sozialen Ungerechtigkeiten und Belastungen durch die Umstände der Zeit ‚bei der Stange

268 Bra. H6v-7r/124f.
269 Deutlich wird diese Schwerpunktverlagerung vor allem in dem unterschiedlichen Verständnis des
Momentes „Geschichte“ [hierzu siehe Kap. 3.1.], aber auch in der unterschiedlichen Perspektive, aus
welcher sie die Mißstände in Livland darstellen.
270 Vgl. MAURER Historischer Kommentar, Bd. II, S. 141: „Er [der Prediger] ist dem biblischen Bischofsnamen entsprechend, Aufseher, „Heimsucher“, Seelsorger, der nicht nur die Abendmahlszucht in seiner
Gemeinde ausübt, sondern auch anhand der geistlichen Begabung der einzelnen feststellt, «et quid desit
hominibus an der Seel, an sint infirmi in fide». Damit ist der Prediger dem Christophorus gleich“.
271 Vgl. KIVIMÄE Luterliku reformatsiooni kultuurimõjud, S. 37f.; vgl. auch SCHOLZ Die Rolle der
Gestlichkeit, S. 251–53, 259; Übersetzungszentren stellten hierbei die „undeutschen“ Gemeinden in Riga,
Reval und Dorpat dar. Im Falle der Dorpater Johannis-Gemeinde – in welcher Brakel von 1556 bis zu
seiner Verschleppung nach Rußland 1559 als Kaplan der „undeutschen“ Gemeinde wirkte [NAPIERSKY
Beiträge zur Geschichte, H.1, S. 27] – ist der Name Franz Wittes zu nennen; Rüssow scheint selbst in ein
Übersetzungsprojekt während der Kriegszeit in Reval involviert gewesen zu sein [vgl. KIVIMÄE Teated, S.
389; vgl. auch JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 187f.*].

56

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

gehalten‘ werden272 – eine Aufgabe, die zu einem Drahtseilakt zwischen dem Dienst im
Interesse der Obrigkeit und dem Selbstverständnis des Predigers, als Künder des Wortes
Gottes nicht die Augen vor den Mißständen verschließen zu dürfen, werden mußte.273 Leicht
ließ hierbei ein allzu kompromißloses Auftreten des Geistlichen seine Predigten zu
Schmähreden gegen die Gemeinde und Obrigkeit und somit zum Politikum werden274 – ein
Phänomen, welches der livländischen Geschichte des 16. Jahrhunderts nicht fremd war;
erwähnt sei nur der Fall des Revaler Superintendenten Sagittarius am Ende des Jahrhunderts.275
Beide Komponenten der Verantwortung des Predigers gegenüber den ihm anvertrauten
Schafen spiegeln sich in Brakels Werk wider, wobei die Betonung in erster Linie auf der
zweiten – derjenigen des Selbstverständnisses als Rufer in der Wüste – liegt. Das
kompromißlose Verständnis Brakels, als Diener an Gottes Wort mit allen Konsequenzen und
ohne Wenn und Aber den Finger in offene Wunden legen zu müssen und sich nicht der Welt
andienen zu dürfen, sondern ihr unangenehm sein zu müssen,276 findet seinen Niederschlag in
dem Selbst- und Weltverständnis Brakels und letzlich auch in der Intention und Konzeption des
„Christlich Gesprech“.277
Brakel versteht sich als Prediger, Prediger in den beiden Ausformungen des ‚Christianus‘
und ‚Severinus‘; seine hieraus resultierende Aufgabe ist es, Gottes Werk, Zorn und Gnade der
Welt zu verkünden. Doch die Welt, in welcher er, d.h. Brakel, lange Zeit diese Aufgabe
verrichtete, also Livland, erkannte Gottes Wort, Wirken und Willen nicht mehr, versank immer
tiefer in ihrer Gottesferne und beschwor somit Gottes Eingreifen herauf. Durch die
Verstocktheit der Livländer zum ‚Christianus‘ geworden, erlebt Brakel die ganze Schwere des
als Gottesgericht über die unbußfertigen Livländer verstandenen Krieges und das Los des wohl
allzukompromißlosen Predigers. Hierdurch aus seiner Heimat hinausgedrängt, ist er nun im
Reich – zunächst auch hier lange vom Schicksal gebeutelt – zu einem ‚Severinus‘ geworden,

272 Vgl. JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 108; vgl. auch Eesti raamat, S. 21f.
273 Diese Spannung zwischen dem Dienst an Gott und dem Wirken in und im Auftrage der Welt („soll man
der Welt schonungslos die ungeliebte Wahrheit ins Gesicht sagen und sich damit deren Haß aufbürden,
oder soll man die Augen schließen und sich dadurch des Verderbens seiner Gemeinde und letztlich auch
der eigenen Person schuldig machen“) wird anschaulich von Brakel in seiner Widmungsvorrede an
Hieronymus Semmelbecker thematisiert [Bra. B8v-C1v/32-34].
274 Vgl. ARBUSOW Die Einführung der Reformation, S. 692f.
275 Vgl. HANSEN Superintendent Sagittarius, S. 249–263.
276 Vgl. Bra. C3v/38: „Was Schmeicheln / Fuchszschwentzen / vnd der Gottlosen Welt / ihr thun vnd wesen
vngerurt lassen / vnd durch die finger sehen kan / das kan zu leben vnd Heben / vnd bei den Gotlosen /
nach seinem eignen Willen zu bleiben / haben.Was aber / mit Christo / recht aufgehen / Die Warheit
bekennen / vnd trewlich Dienen wil / muss sich der verfolgung der Welt / welche die Warheit nicht hören
/ wissen / oder / leiden kan / oder will / ia / zum Elend / vnd Bitteren Creutz / schicken / noch Schatz /
oder platz haben. Dan / die / Warheit / gibt woll / gute gewissen: Aber / wenig guter Herberg / vnd
Bissen.“ Wir wissen von kaum einer Station seines Predigerdaseins, in welcher Brakel nicht in
Spannungen mit seiner Gemeinde oder Obrigkeit geriet.
277 Vgl. VON GROTTHUß Das baltische Dichterbuch, S. 343.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

57

freilich – den Andeutungen Buchners nach zu schließen – auch hier nicht ohne
Komplikationen.
Vor diesem biographischen Hintergrund des Predigers und Menschen Brakel entsteht ein
Geflecht verschiedener Gedankenebenen und Motive, in welchem sich theologische,
didaktische und persönliche Motive zu einem Ganzen verflechten. Schlagwortartig lassen sich
diese das Leben und Amt Brakels reflektierenden Gedankenebenen folgendermaßen darstellen:
a) <Christianus!



<Severinus!

b) Flüchtling aus Livland



an Ereignissen in Livland interessierter Reichsbewohner

a) und b) bestimmen den Ausgangspunkt und Ablauf des Gespräches zwischen den
Dialogpartnern, ihre Namen sind sprechende Namen, <Christianus>, <Severinus>, <Justus>
und <Pius>: Sucht der in die Welt hinausgetriebene <Christianus> bei seinem Amtsbruder in
der Fremde Trost, so findet er lediglich noch Trostbedürftigere, er selbst wird zum
Trostspender.278 Suchen die Menschen im Reich bei einem Augenzeugen Kunde von den
Ereignissen in Livland, so wird ihnen im Spiegel Livlands ihr eigenes Spiegelbild vorgehalten,
zugleich aber auch der Weg gewiesen, dem Schicksal Livlands doch noch zu entgehen.
Die dieser Sichtweise entsprungene Intention ist eine doppelte: Begründung und
Verständlichmachung des ansonsten unerklärlichen Leides der Gegenwart, verbunden mit
Ermahnung und gleichzeitigem Trost: Gebe dich, samt deinen Sünden, ganz in die Hand
Gottes, nur so ist es möglich, trotz allen Ungemachs vor der Welt und Gott zu bestehen, nur so
kann das Strafgericht Gottes noch abgewendet werden.
Das darstellerische Mittel, dessen sich Brakel hierfür bedient, ist dasjenige des Exempels.
Brakel stellt die Ereignisse in Livland in eine Exempelkette, die ihn sowohl rückwärts als auch
vorwärts blicken läßt – zurück auf die biblischen Gerichte Gottes über das Volk Israel, voraus
auf das Reich. Geschichte wird ihm somit zum Argument, mittels dessen er die Geschehnisse in
Livland zu erklären vermag, mittels derer zugleich aber auch ihre Fortsetzung im Reich
vorherzusehen ist.
Die Gottferne der Livländer steht in einer Reihe mit derjenigen der Zeit Noahs, mit der von
Sodom und Gomorrha oder Jerusalem; wie jene so traf auch die Livländer das reinigende
Gericht Gottes – die Russen rücken somit in eine Reihe mit den Zuchtruten Gottes, wie sie die
Sintflut oder die Jerusalem zerstörenden Römer darstellten. Bleibt der Vergleich zwischen
Livland und dem Reich bereits in den Ansätzen stecken – es gibt nichts zu vergleichen, denn
278 Deutlich wird diese Konzeption bereits in der Eingangsszene des Dialoges: Der „Wallbruder“
<Christianus> steht verbittert und mit der Gottlosigkeit der Welt hadernd vor den Toren einer Stadt im
Reich; als er bei einem ihm entgegentretenden Pfarrer der Stadt im Gespräch Trost finden will, findet er
bei jenem, dem <Severinus>, nur noch größere Verbitterung und Hoffnungslosigkeit. Der Trostsuchende
wird zum Trostspender, Gott zum Trostmittel [Bra. E4r-E7r/71-77].

58

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

beide sind gleich (schlecht)279 -, so muß es für Brakel aus diesem Wissen um die Vergangenheit
und Gegenwart zur Gewißheit werden, daß das Reich den Weg Livlands gehen muß und gehen
wird,280 wenn auch hier – wie in Livland geschehen – keine Umkehr stattfindet:
„Denn hat Gott die Liflender der Sünden halben so Zorniglich heimgesucht. Er wird warlich auch
noch andern Landen vnd Nationen der Sünden halben nicht zu lachen / oder iemand / er sei wer er wil
/ wo nicht warhaftige Büsse folget / die Straff furüber gehen lassen. Denn / er leichtlich einen
Tyrannen zur Plag erwecken / vnnd einen Türcken oder Musckowiter machen kan / ob er schon die
Person so eben nicht von Constantinopel / oder auss der Musckow holet / vnd dar zu gebraucht.“281

Neben diese „kollektive“ Schiene stellt Brakel eine „individuelle“: Gott bewahrte immer
diejenigen, die seinem Wort folgten und ihm dienten in aller Not und Drangsal; er sparte sie
von dem hereinbrechenden Unheil aus, wie Noah, die Propheten und Apostel, so auch seine
Getreuen in Livland. Auch diese Kette wird auf die Gegenwart und Zukunft fortgeführt und
auf das Reich übertragen: Denjenigen, die ihn ehren und seinen Gesetzen gehorchen, steht Gott
auch im Reich schirmend zur Seite, so wie er es in Livland und andernorts gezeigt hat.
„Wer aber / wie viel Frommer Christen in Lifland / vnd andern örtern / bei seiner Vnschult vnd
Gottseligkeit / in der Tyrannen Hand vnd Band oder andern Jamer / vnd Trübsal geraten / ist / oder
mochte / der verlasse seinen Gott / vnd Pater noster / nicht. Denn / Gottes Augen / Ohrn vnd Hertz /

279 Wie Livland, so ist auch das Reich von Gott mit reichen Gaben begnadet worden, doch wie in Livland, so
findet sich auch hier ein – wenn nicht gar noch schlimmerer – gottferner Lebenswandel:
„Die Vrsach darumb Gott der Herr/
Livlandt gestraffet also sehr/
Alss Sünd vnd Vngerechtigkeit/
Find ich auch gleich an dieser seid/
Vnd schier derselben noch wol mehr/
Des ich mich zwar verwundert sehr/
Das dha / daher man hat den schein
Des Liechtes / Finsternüs sol sein/
Wo ist ein Volck im Römschen Reich/
Der Deudschen Nation geleich/
Da Gott der Herr sein Heiligs Wort/
So rein vnd klar geoffenbart/
Vnd all des Teuffels Trug vnd List/
So klar ann tag gekommen ist“ [Bra. N4v/200; vgl. D2v/52].
280 Das Amt als Prediger Gottes, als Mittler zwischen Gott und den Menschen, gibt ihm die schmerzliche
Fähigkeit und Notwendigkeit, das drohende Strafgericht Gottes über die Gottfernen vorauszusehen und zusagen [Bra. 5v/26]; so wie es in ihrer Gottferne den Livländern erging [Bra. 6r-v/27f.; N1r-2r/193195], so wird es auch im Reich geschehen, zumal die letzten warnenden Vorzeichen bereits deutlich
sichtbar sind: „Gott hat vor anderthalb Jaren eine Ruthe am Himel gezeiget / vnd in Deudschland / wie
auch in diesen Niderlanden mit der Straf / als Tewrung / Pestilentz / Krieg / vnnd andern mehr plagen
schon angefangenn.“ [Bra. S1v/274].
281 Bra. S2v/276.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

59

allzeit denen / so im Glauben / Lieb / Gedult vnd Hoffnung / Trost / vnd Hülff bei ihm suchen / offen
/ vnd zu helffen / willig / seind“.282

Auf diesem Verständnis basiert der Ansatz des zweiten, Livland nur mehr am Rande
behandelnden Hauptabschnittes, ja des gesamten „Christlich Gesprech“ Brakels: Die Menschen
im Reich sind nicht besser als die Livländer, sie haben kein Recht, den ersten Stein auf jene zu
werfen, sie haben jedoch noch die Möglichkeit, indem sie aus deren negativem Beispiel lernen,
das ansonsten unausweichliche Strafgericht Gottes noch abzuwenden, oder zumindest als
Individuen den Weg Noahs, der Propheten und Apostel und letztlich auch der wenigen
Gottesfürchtigen in Livland zu beschreiten:
„Nw were es zu wünschen (weil es ia mit dem armen Lifland dahin geraten) Das die Schuldt vnd
Straff allein da / vnd sonst nirgens mehr / gefunden wurd (wie itzund alle Welt vber die Armen
Liflender schreiet:) Aber die Warheit zeuget / das der mangel nicht allein in Lifland / sondern
allenthalben / leider ist: Darumb ein Jeder sich selbst billich prüfen vnd beschuldigen solte / Die
Liflender haben gesündigt / das ist ia war / Aber nicht sie allein.“283

Um dieses Ziel zu erreichen, bedient sich Brakel zweier darstellerischer Mittel:284 In Form eines
Gespräches wird dem gottfernen Lebenswandel der Livländer die gottgewollte Weltordnung
gegenübergestellt, wie sie durch das Auftreten der Gesprächspartner in Wort und Tat
repräsentiert wird.285 Indem Brakel mit dem Bild des Spiegels die Parallelen zwischen dem
Reich und Livland ausspricht,286 verzichtet er darauf, ein Sittengemälde des Reiches
entsprechend demjenigen Livlands zu entfalten;287 seine Vorgehensweise ist eine andere:
Wurde an Hand des Exempels „Livland“ die das Land ins Verderben stürzende Sünde und die
aus ihr resultierenden Konsequenzen aufgezeigt, so werden nun die von fehlender Demut
herrührenden

Hauptsünden

in

ihrer

verderbenbringenden

Wirkung

vorgestellt,

die

Machenschaften des Teufels aufgedeckt.
282 Bra. S3r/277.
283 Bra. S1r/273.
284 Vgl. Bra. R7r/269: „Wer nun / Christlicher Lieber Leser der Vorbeschriebenen Ampts Personen /
Nhamen vnd geburliche Eigenschaft beherziget / vnd dem gefürten Regiment in Liefland / wer der örter
/ vnnd ihrer gelegenheit erfarn / recht vnd Fleissig nachgedacht / der wirds vngezweiffelt vernommen
haben / wie es doch komme / vnd was dazu geholffen habe / das des Landes Segen in einn Flüch das
Gluck in Vngluck / die Frewd in Trauren / die Wöllust in seuffzen / ia bittere Threnen / Heulen vnd
kleglich gschrei / Freiheit in Zwangk / Ruhe / Fried vnd Sicherheit / in Fahen / binden / wegfüren / Jagen
/ Plagen / Würgen vnd Tödten / vnnd das mehr ist / Die Warheit vnd Klarheit des rechten Gottes Dienstes
in Finsternüss / vnnd Heidnische Abgötterei an meisten des Landes verwandelt.“
285 Bra. A1v/2: „Es ist auch in den Personen dieses Gespreches gebildet vnd erkleret: Wie es sein vnd
zugehen sölle / das Glucklich Regiment / Segen / vnd wolfart in Landen / Steten / vnd Stenden folgen /
sein vnnd bleiben müge / vnnd was aller zerstorungen vnd Straffen Gottes vrsach sei.“
286 Vgl. Bra. N3v/198.

60

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Die dem Zuhörer/Leser gestellte Aufgabe ist es nunmehr, aus der Kenntnis des „Christlich
Gesprech“ heraus, ein eigenes Sittengemälde des Reiches zu entwerfen, die eigene Gottferne
zu erkennen, sich zu bessern und dadurch – den ‚alten Adam‘ abtötend – dem Reich die
Möglichkeit zu geben, doch noch dem Schicksal Livlands zu entgehen.
Besonders deutlich zeigt sich dieses didaktische Moment in Brakels „Schlußgemahnung an
den Leser“288. Ausgehend von einer allgemeinen Fragestellung (Derjenige, der sich das
Verhalten der Gesprächspartner bewußt macht und sich mit den angesprochenen Mißständen
auseinandersetzt, der wird die Machenschaften des Bösen aufdecken und die Folgen seines
Lebenswandels erkennen können)289 trägt Brakel Bibelzitate vor, die dann jeweils auf
angesprochene Aspekte des „Christlich Gesprech“ angewendet werden; die Rede mündet
schließlich in einem direkten Appell an den Leser. Abgerundet wird das Werk – quasi als
Anhang und Memorierhilfe für den selbständigen Weitergebrauch – durch eine Auflistung
weiterer, relevanter Bibelstellen.290

Vor diesem Hintergrund wird auch die Theodor von

Riekhoff unverständliche Seitenüberschrift „Tot den Leser dieses Buechs“291 verständlich: Tod
dem Leser im Sinne von Tod dem ‚alten Adam‘ im Leser.
Ausgangspunkt und Zielpunkt der Argumentation Brakels stellt Livland dar, wobei
gleichzeitig der historische Bezug in den theologischen eingeht: Der wenig schmeichelhafte
Vergleich des Reiches mit Livland wird zugleich zur Apologie ebenjenes, denn „Die Liflender
haben gesündigt / das ist ia war / Aber nicht sie allein.“292 Das Reich sollte sich davor hüten zu
glauben, es sei besser als Livland. Hineinschwingt eine von Brakel nicht direkt ausgesprochene,
doch in seinen Worten mitklingende historische Dimension: Das Reich hat Livland in seiner
Not aus kurzsichtigen Eigeninteressen nicht geholfen – ein Vergehen gegen das Gebot der
Nächstenliebe und zugleich auch ein Akt des Hochmutes, denn:
„Solt ia die Lieb zu aller frist/
Vor Eigennutz vnnd Vortheil gehn/
Vnnd keinem nach der Wolfahrt stehn/
Insonderheit in zeit der Nod/
Wie sonst die Welt gemeinlich thut.
Die Heiden kondtens rhümen nicht /
Wenn eim das Feur zum Tach aussbricht/
287 Ein Ansatz hierzu in Bezug auf den Lebenswandel der Geistlichkeit findet sich in Bra. P6v-7v/236-238
(es spricht <Severinus!), auf den der weltlichen Obrigkeit in Bra. P8v-Q1v/240-242 ( es spricht <Pius!).
288 Bra. R7r-S4v/269-280.
289 Vgl. Bra. R7r/269.
290 Vgl. Bra. S4v-S7r/280-285.
291 VON RIEKHOFF Christlich Gesprech, S. 54.; Bra. R8v-S1r/272f., statt: „Beschlutz dieses Buechs“.
292 Bra. S1r/273.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

61

Das man noch Stro hinzu solt tragn/
Ein Jeder billich solt beklagn/
Des Nehesten Schaden / vnd dabei
Sehn / das er nicht zu sicher sei /
Den er der Nod am Nehsten steht /
Wens Nachbarn Haus durchs Feur angeht.“293

Die Rechtfertigung Livlands geht somit in eine handfeste Warnung an das Reich über; Wenn
ihr den Livländern in ihrer Not nicht helft, so wie die Dorpater den Pskover „Christiani“ nicht
halfen, wer wird dann euch beistehen? Weitergehend drückt Brakel diese Warnung in einem –
vor dem Hintergrund seines trotz alledem negativen Livlandbildes – nur in verkürzter Form
wiedergegebenen Zitat aus der Bußpredigt Christi über den Untergang der Galiläer (Lk. 13,15) aus: „so ihr euch nicht bessert / werdet ihr alle auch also vmbkommen.“294
Durch sein bewegtes Lebensschicksal wurde Brakel zu einem Wanderer zwischen den
Welten seiner livländischen Heimat, seiner russischen ‚Creutz Schule‘, seiner neuen Wirkstätte
in Deutschland und den Niederlanden, zwischen Welten, die jedoch durch das Welt- und
Menschenverständnis des lutherischen Predigers zu einer Einheit verwachsen, in welcher die
Menschen in Livland und im Reich auf einer gemeinsamen Stufe stehen und durch ihren
gottesfürchtigen oder -fernen Lebenswandel zugleich aber auch auf eine Stufe mit den
„Christiani“ oder „Heiden“ in Rußland rücken. Brakel schreibt sein Werk primär mit
Blickrichtung auf seine neue Aufgabe, dem Dienst an den Menschen „in Deudschland / wie
auch in diesen Niderlanden“,295 ohne jedoch die Zurückgelassenen in Livland und in russischer
Gefangenschaft aus den Augen zu verlieren;296 ethnische Grenzen stellen für ihn hierbei kein
Hindernis dar, letzlich kennt er nur zwei Gruppen von Menschen: „Christiani“ und die
gottfernen Menschen der vom Teufel verführten ‚verkehrten‘ Welt.

3. Das „Christlich Gesprech“ als historiographische Quelle
3.1. Das Geschichtsverständnis des Theologen Brakel
Rüssow wie Brakel legitimieren ihr schriftstellerisches Schaffen aus der Aufgabe des Predigers
heraus, „de Wunderdaden, straffe vnde gnade Gades nicht alleyne Mündlick, besöndern ock
293 Bra. M6r/187.; vgl. Bra. M5r-v/185f.
294 „Lucæ 13.[2f.] sagt Christus: Meinet ihr das diese Galileer für allen Galileern Sünder gewest sein /
Desweil sie das gelitten haben / Ich sage nein / Sondern / so ihr euch nicht bessert / werdet ihr alle auch
so vmbkommen.“ [Bra. S1r-v/273f.; zu diesem Ansatz in der Flugschriftenliteratur vgl. OTT Livonia est
propugnaculum Imperii, S. 45f.].
295 Bra. S1v/210.
296 Vgl. Bra. E8r/91.

62

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Schrifftlick manck dem Vokke thovorkundigen.“297 Beider Welt- und Geschichtsbild gründet
auf demjenigen Luthers: Alle Ereignisläufe in der Welt und damit alle Geschichtsabläufe sind
Ausdruck des Waltens Gottes.298 Diese Vorgabe wird von Rüssow und Brakel unterschiedlich
umgesetzt: Rüssow versteht sich als Historiker kraft seines Predigeramtes,299 die Geschichte
Livlands versteht er als Lehrmeisterin und Fingerzeig für die Nachwelt.300 Doch diese
didaktische Zielsetzung stellt lediglich eine Komponente seiner Intention dar, hinzu tritt eine
handgreiflich patriotische, ja politische: Seine „leve Landstadt“ Reval sollte in das rechte Licht
der

Geschichte

gerückt

werden,301

ein

Ansatz,

nationalgeschichtlicher Historiographie nicht unbekannt ist,

der
302

einerseits

den

Anfängen

andererseits eminent politischen

Charakter trägt. Von der Absicht geleitet, die an Schweden orientierte Politik Revals zu
rechtfertigen und zu verteidigen,303 verfaßt Rüssow in seiner Chronik ein Geschichtswerk, in
welchem er den Verlauf der Geschichte Livlands von den Anfängen bis in seine Zeit als Ganzes
darlegt. Er will ein umfassendes Bild von Livland geben, wobei die hierbei vorgetragenen
historiographischen und erzählerischen Momente zugleich von dem Prediger Rüssow
theologisch ausgedeutet werden;304 die Deutung des Bußpredigers wird jedoch – und das ist
entscheidend – in die Darstellung integriert, sie erläutert eine eben dargelegte Passage, ohne
den Erzählfluß als ganzes zu unterbrechen.305

297 Rü III, 107b/127; vgl. JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 236f.; vgl. auch Bra. D2r-v/51f.:
„Dar nach hat mich auch hie zu [sein Werk zu verfassen] bewegt / das Veterliche Herz vnd Amt iegenn
meine Kinder. Das ich die selbigen nicht allein, die zeit meines Lebens, nach Gottes befehl, Deu. 6.
sondern auch, nach meinem tödlichen abgange durch solche gedechtnuss vnd schriftliche erzelunge,
solcher Wercke vnd Wolthaten Gottes / beid / der grawsamen Straffe, vnd grossen Barmherzigkeit / zu
desselbigen waren Gottes Forcht / Gehorsam / Lieb / vnd Dankbarheit / so viel mehr reitzete / vnd
Veterlich vermanete.“
298 Vgl. LUTHER Werke, WA 50, 384,2–6: „... die Historien sind nichts anders denn anzeigung, gedechtnis
und merckmal Göttlicher werck und urteil, wie er die Welt, sonderlich die Menschen, erhelt, regiert,
hindert, fördert, straffet und ehret, nach dem ein iglicher verdienet, Böses oder Gutes.“ Vgl. hierzu
DÖRRIES Wort und Stunde, S. 4–7, 18f., 23–29; vgl. auch BENRATH Geschichte /Geschichtsschreibung
/Geschichtsphilosophie, S. 631.
299 Dem nach dem Erscheinen der ersten Auflage seiner Chronik ihm entgegengebrachten Vorwurf, Prediger
seien keine Geschichtsschreiber, kontert Rüssow 1584 fast beleidigt mit dem Argument, seine Kritiker
wüßten nicht, „wath eines Predigers Amt ys, Nömlicken de Wunderdaden, Straffe vnde gnade Gades
nicht alleyne Mündlick, besöndern ock Schrifftlick manck dem Vokke thoverkundigen“, wobei er sich
zugleich in die Tradition der Geistlichkeit einzuordnen weiß [Rü III, 107b/127]. Auffallend ist hier die
inhaltliche Übereinstimmung der Argumentation Rüssows mit derjenigen Brakels [vgl. Anm. 297], wobei
freilich der topische Charakter derartiger Äußerungen in Betracht zu ziehen ist.
300 Vgl. Rü III, 123b/144; umgekehrt gilt aber auch der Anspruch, sein Werk nicht aus Eigeninteresse und
„nemande tho leve oder leyde“ geschrieben zu haben [Rü III, 107b/127].
301 Vgl. Rü III, 108a-112b/128-132; vgl. auch Rü 51a-b/64; 127b-128a/149.
302 Vgl. KERSKEN Geschichtsschreibung im Europa der „nationes“, S. 743f.; vgl. auch SPRANDEL Chronisten
als Zeitzeugen, S. 196f., 204–206.
303 Vgl. ZUTIS Oþerki po istoriografii Latvii, S. 32; vgl. auch JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S.
213–218.
304 Vgl. Rü III, IVa-b/6; als Beispiel für die theologische Erläuterung eines Einzelereignisses kann Rü III,
89a/107 (Ausbleiben großer Menge Schnee – günstig für die russische Reiterei! – zurückgeführt auf das
Walten Gottes) dienen; vgl. AUKSI Henry of Livonia, S. 113–115, 117.
305 Siehe unten Kap. 3.2.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

63

Entgegengesetzt ist der Weg Brakels: Brakel schreibt einen moralisch-theologischen Traktat,
in welchem ihm historische Fragestellungen – und zwar im wörtlichen Sinne! – als
Ausgangspunkt und Exempel der jeweiligen Argumentationsstufe dienen. Da er nicht den
Anspruch erhebt, ein Geschichtswerk zu verfassen, vermag er die hiermit verbundenen Fesseln
zu umgehen:
“Vnd welle sich auch Niemand irren lassen / Das ich in beschreibung nachgemelter Historien vnd
geschicht / wenig Ordnung gehalten / Zeit / Stete / Personen / vnd andere dergleichen vmbstende / die
man sonst in Croniken [!] haben vnnd finden kann / nicht angezeigt / welchs meine vnruhige
gelegenheit auf der betrubten Reise nicht han leiden konnen: So hab ich mehr auf die Vrsach gesehen:
worumb das Land also gestraft / als auf Zeit / Stete / vnd Person / wenn / wor / vnd durch wen / vnnd
was vor oder nach geschehenn.“ 306

Geboten wird nicht eine geschlossene Darstellung der Ereignisse in Livland, sondern Brakel
greift lediglich ihm wichtige einzelne Aspekte heraus, die dem Bedarf der jeweiligen
Aussageabsicht des Gesprächsverlaufes gemäß angewendet werden.307 In konsequenter
theologischer

Umsetzung

des

lutherischen

Geschichtsverständnises

begreift
308

geschichtliche Ereignisse als Symptome menschlichen (Fehl-) Verhaltens;

Brakel

will er nun

bestimmte moralisch-theologische Fragestellungen – etwa die Frage nach dem rechten
Verhalten der Amtsleute gegenüber ihrer Obrigkeit – behandeln, so bedient er sich der
umgekehrten Vorgehensweise Rüssows und verwendet Einzelmomente der Geschichte
Livlands – sprich, Symptome des angesprochenen verwerflichen oder lobenswerten
Verhaltensmusters als Exempla.309 Geschichte wird somit, wie es Bernhard Dircks im Bezug
auf das Lateinerbild in den russischen Chroniken formulierte, „zum Fundus, aus dem sich
trefflich schöpfen läßt“,310 dessen Ausschöpfung freilich genauso trostreich wie schmerzhaft
sein kann.311
Die Möglichkeit einer derartigen Vorgehensweise bietet der Rahmen des Gesprächs, wobei
die – bei Rüssow und Brakel festgestellten – verschiedenen Sicht- und Darstellungsweisen der
Geschichte Livlands in der Doppelrolle des <Christianus>, d.h. Brakels, als Augenzeuge und
Prediger thematisiert werden.
306 Bra. E2v-3r/68f.
307 In den Vordergrund rückt somit das Moment der „persuasio“, das geschichtliche Exemplum dient als
Erziehungsmittel zur Erläuterung von Tugenden und Lastern; die hierbei vermittelten Informationen sind
somit nur in sekundärer Hinsicht als „Quellenbelege“ im heutigen Sinne zu verstehen und [vgl.
DAXELMÜLLER Narratio, Illustratio, Argumentatio, S. 84f.].
308 Vgl. Bra. M1v-2r/178f.
309 Brakel bildet hierbei Themenblöcke, etwa das Themenfeld „Obrigkeit“, das vor allem durch die großen
Exempelblöcke „Magnus von Holstein“, „Claus von Ungern“ und „Aufstand Taubes und Kruses in
Dorpat“ (zu beiden letztgenannten siehe Kap. 3.2.) repräsentiert wird.
310 DIRKS Krieg und Frieden in Livland, S. 143.

64

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Rufen wir uns ins Bewußtsein: Aus seiner livländischen Heimat geflohen, verfaßt Brakel sein
Werk in der Fremde. Durch die spärlichen, zugleich reißerischen Nachrichten über die
Geschehnisse in Livland geweckt, besteht im Reich lebhaftes Interesse an genaueren
Informationen über Livland und die Ereignisse des dort wütenden Krieges,312 Informationen,
die ein von dort kommender Flüchtling gewißlich vermitteln konnte. Dies bildet die
Ausgangssituation des „Christlich Gesprech“: Brakel thematisiert den Wissensdurst an
Nachrichten

aus

Livland

im Reich,

wobei immer

auch

latente

Kritik

an

der

Informationsvermittlung durch die Flugschriften mitschwingt: Man habe zwar „auss gmeiner
sag“ über das Wüten der Russen gehört, genaues und zuverlässiges über das Geschehen in
Livland und seine Hintergründe wisse man jedoch nicht.313 Zwei Gruppen und Interessen
stehen einander gegenüber: Auf der einen Seite der nach einer Bleibe für sich und seine kleine
Familie Ausschau haltende, von der Welt verbitterte Flüchtling und Prediger aus Livland, auf
der anderen Seite die an Informationen interessierten Reichsbewohner. Dem Fremden314 –
schnell wird im Gespräch dessen Stand und Herkunft bekannt – wird Obdach gewährt, als
Gegenleistung jedoch mehr oder weniger unverhohlen Berichterstattung über seine Heimat
erwartet.315 Auf diesen Kuhhandel gehen beide Seiten ein, <Christianus> allerdings in seinem
Sinne. Dies bildet die Ausgangssituation, auf deren Basis sich das eigentliche Vierergespräch
zwischen <Christianus>, <Severinus>, <Justus> und <Pius> entwickelt. Brakels literarische
Leistung besteht hierbei in der geschickten Verflechtung der beiden Momente „Historie und
Theologie“ zu einem Ganzen gemäß seiner Zielsetzung. Den einzelnen Personen werden
bestimmte Funktionen zugewiesen, die in ihrem Wechselspiel den Argumentationsgang
aufrechterhalten und in die beabsichtigte Richtung lenken: Die Fragestellungen des <Justus>
und <Pius>, meist konkret auf Livland bezogen, werden von <Christianus> aufgegriffen, im
Verlauf ihrer Beantwortung jedoch immer mehr der eigenen moralisch-theologischen
Zielsetzung angepaßt, wodurch das historische Moment der Fragestellungen mehr und mehr in
311 Vgl. Bra. D2r-3r/51-53; E2r/67; G1r/97 u.a.; vgl. auch SPRANDEL Chronisten als Zeitzeugen, S. 199–201.
312 In diesem von den Flugschriften einerseits gestillten, andererseits zugleich weiter angefachten
Informationsbedürfnis muß auch eines der Geheimnisse für den Erfolg der Chronik Rüssows gesehen
werden (vgl. JOHANSEN Kronist Balthasar Rüssowi, S. 252: „Dieses frappierende Interesse der ganzen
deutschen, auch reichsdeutschen Leserschaft an der Chronik Rüssows entsprang zum Teil der Aktualität
der Informationen, die sein Werk bot. Das norddeutsche, niederdeutschsprachige Publikum erfuhr aus der
Chronik Rüssows zum ersten Mal etwas genaueres über diesen Krieg, den Zar Ivan der Schreckliche mit
unmenschlicher Brutalität in Livland führte.“ [Übersetzung M.L.]).
313 Vgl. Bra. E8r-v/79f.; F8v-G1r/95f.; M4v/156, hier fehlt übrigens (vielleicht infolge eines drucktechnischen Versehens) die Nennung des Fragestellers – wohl <Justus>; zur Bewertung anonymer
Schriften vgl. auch D1r/49.
314 Das Motiv „Ihr seid doch ein Fremder, erzählt doch über die Ereignisse in eurer Heimat“ stellt einen
Grundbaustein des Vorspanns zum eigentlichen Gespräch dar: Der Fremde fällt durch sein Äußeres und
seine Sprache auf [Bra. E6v/76], er ist deshalb und wegen seines Wissens für die Anderen interessant
[Bra. E6v-7r/76f.; E8r/79; F3r/85; die Umkehrung „Wie wißt ihr, der ihr doch ein Fremder seid, so gut
über unsere Angelegenheiten Bescheid“ findet sich in: Bra. P8v/240].
315 Vgl. Bra. F8r-G1r/81-83.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

65

die Funktion des Exempels rückt. Zwischen diesen beiden Gruppen steht gleichsam als
Moderator der <Severinus>, denn er ist einerseits Prediger, zugleich aber auch an den
Ereignissen in Livland interessierter Reichsbewohner. Im Gesprächsverlauf entwickelt sich
hierbei eine Eigendynamik zuungunsten des historischen Momentes. Die als Bausteine eines
Stück für Stück aufgebauten moralisch-theologischen Aussage-gebäudes verwendeten
historischen Informationen verlieren immer stärker an Bedeutung für den Gesprächsverlauf.
Der Blick schweift von konkreten, Livland betreffenden Fragestellungen ins Theologische ab;
das historiographische Element in Brakels Werk verliert schließlich vollständig an Boden.316
Der angestrebte Vergleich zwischen Livland und dem Reich317 wird nur mehr angedeutet, das
„Christlich Gesprech“ wird zum theologischen Traktat, in dessen Rahmen die oben dargelegte
Rollenverteilung ihre Wirksamkeit verliert: Zwei Gruppen stehen einander gegenüber, die
Geistlichkeit, vertreten durch <Christianus> und <Severinus>, wobei beide praktisch
austauschbar sind, und die weltliche Obrigkeit, vertreten durch <Justus> und <Pius>. Mit
Ausnahme der auf die Rahmenhandlung zurückgreifenden und zur Predigt des <Christianus>
überleitenden Schlußszene318 tritt der Dialogcharakter des ersten Hauptabschnittes weitgehend
zurück. Im Vordergrund steht der Monolog des <Christianus> über das Verhältnis GottMensch mit der Darlegung der drei Sündenkomplexe „Vntrew“, „Geitz“ und „Sicherheit“,319
dessen Aussagen dann durch zwei Zwiegespräche ergänzt und abgerundet werden.320
Zusammenfassend läßt sich somit sagen: Rüssows Ansatz ist derjenige des Historikers, der
jedoch als Prediger das eben dargestellte durch einen theologischen Argumentationsgang
begründet. Brakels Ansatz hingegen ist derjenige des Theologen, der als Augenzeuge erlebte
Geschehnisse als Exempla für ein auf das Reich bezogenes moralisch-theologisches
Aussagegebäude verwendet. Die Grenzen zwischen Historiographie und geistlicher Dichtung
verwischen sich; im Gegensatz zu Rüssows Chronik haben wir es bei Brakels Text nicht mit
einem Geschichtswerk zu tun.

3.2. Geschichte als Exempel
Das im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigte Verständnis Brakels von Geschichte als
Argument zur Bekräftigung theologisch motivierter Aussagen bringt für die Auswertung und
Interpretation des „Christlich Gesprech“ als historiographische Quelle Probleme mit sich: Die
316
317
318
319

66

Siehe oben Kap. 2.3.2.
Vgl. Bra. N4r/199.
Vgl. Bra. Q3r-4r/245-247.
Vgl. Bra. N4r-P4v/199-232; diese Darlegung wird unterbrochen durch einen die Aussage untermauernden Einwurf des <Severinus> [Bra. O3r-v/213f.].

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Deutungsebene der Exempel muß vor ihrer Auswertung erst auf die Bildebene zurückgehoben
werden. Zusätzliche Arbeitsschritte sind vonnöten, nämlich die Einordnung der jeweiligen
Mitteilung in den Gesamtzusammenhang des „Christlich Gesprech“ und hiervon ausgehend ihre
Auflösung als historisches Exempel.

3.2.1. Problemstellung
Verdeutlichen wir diese Problematik zunächst an einem Teilaspekt der Biographie Brakels.
Timann Brakel war – wie aus Buchner bekannt321 – mit Anna Rechenberg verheiratet; den
genauen Zeitpunkt der Eheschließung teilt Buchner zwar nicht mit, er muß jedoch vor 1572
gelegen haben. Brakel kommt zufällig auf diese Frage zu sprechen, ohne jedoch genaueres
mitteilen zu wollen: In der bereits bekannten Darstellung seiner, d.h. Brakels, Lebensgeschichte
äußert <Christianus>:
„Meins Lebens fast die beste zeit
Gewesen ist mir traurigkeit/
Denn/da ich kaum inn Ehstand kam/
Mein Vnglück bald ein anfangk nam/
Das ich most wallen ihmer fort/
Von einem zu dem andern ort.“322

Betrachtet man diese Worte des <Christianus> als ungebrochene biographische Information
unter dem Aspekt des von Brakel bekannten Schicksals nach seiner Flucht aus Dorpat (wohl
1571) – wie, wenn überhaupt berücksichtigt, ausnahmslos in der Forschung geschehen -, so
muß die zweite Dorpater Zeit (um 1569/71) als Zeitraum der Eheschließung angesehen
werden.323 Doch gibt es – unter Berücksichtigung des oben gesagten – nicht eine, freilich
kompliziertere und zeitlich schwerer fixierbare, zweite Möglichkeit? Brakel betrachtet sich als
Prediger Gottes, dessen Los es – zumal in Livland – ist, von der Welt verstoßen, keinen festen
Stand in der Welt zu haben. In der zur Diskussion stehenden Textpassage exemplifiziert
<Christianus> dieses Los, konkret den Übergang vom Dasein als ‚Severinus‘ in dasjenige des
‚Christianus‘, an seinem eigenen – sprich, Brakels Leben. Livland ist ein Land größter
Gottesferne, das auch das Strafgericht Gottes nicht zur Umkehr veranlassen konnte und dessen
320 Es handelt sich um die Dialoge zwischen <Justus> und <Severinus> über die Frage „Wie kann der
Mensch vor Gott bestehen?“ [Bra. P4v-8v/232-240] sowie zwischen <Pius> und <Christianus> über die
Frage „Wie kann der Christ in der gottfernen Welt bestehen“ [P8v-Q3r/240-245].
321 Vgl. BUCHNER Dissertationes academicae, S. 219.
322 Bra. E7v/78.
323 Vgl. VON RIEKHOFF Christlich Gesprech, S. 53; vgl. auch ARBUSOW Livlands Geistlichkeit 1914, S. 30;
vgl. auch VON SCHMIDT Die Pastoren Oesels, S. 17; siehe aber auch Anm. 367.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

67

Gottesferne sogar in seiner Verachtung des Wortes und Predigers Gottes wächst. Werfen wir
einen Blick auf die Biographie Brakels: Um 1556 wird Brakel Prediger in Dorpat, nach seiner
Terminologie ist er ‚Severinus‘.324 1558 bricht der als Strafgericht gewertete Livländische
Krieg über das Land herein, dessen mittelbare Folge (1559) die Gefangenschaft Brakels in
Rußland und im Anschluß an sie, eine lange Zeit großer Rastlosigkeit im Leben Brakels ist: Er
ist zum ‚Christianus‘ geworden.325 Aus dieser Perspektive betrachtet, bietet sich eine zweite
Datierungsmöglichkeit für die Eheschließung, nämlich vor 1559.
Da hier beide Datierungsmöglichkeiten auf unsicheren Füßen stehen, so wird an diesem
Beispiel die angesprochene Problematik in exemplarischer Weise deutlich: Ist die Auflösung
der Bildebene nicht einwandfrei möglich, kann eine verbindliche Aussage nicht gemacht
werden.326

324 Die genauen Umstände liegen im dunkeln: Brakel erwähnt lediglich seine Predigttätigkeit in Dorpat vor
seiner Verschleppung [Bra. B2r/19; E7v/78]; Buchners Informationen werfen mehr Schatten als Licht auf
jene Zeit: „Primum itaque [Timannus Brakel] Dorpati, quæ Dorpatensis Episcopatus, cui id temporis
Hermannus à Wesel præfectus erat, Metropolis, concionator aulicus factus est ...“ [BUCHNER
Dissertationes academicae, S. 219]. In der Forschung wurde diese Passage wiederholt dahingehend
ausgelegt, daß Brakel Hofprediger des Bischofs von Dorpat gewesen sei [vgl. VON SCHMIDT Die Pastoren
Oesels, S. 17; vgl. auch SEEBERG-ELVERFELDT Gelegenheitsfund, S. 256, Anm. 9; vgl. auch den Beitrag
von Enn Tarvel in: PULLAT Tartu ajalugu, S. 56], ohne daß das hiermit verbundene Problem – Bischof
Hermann von Wesel war Katholik - hinterfragt worden wäre. Darüberhinaus führt Eduard NAPIERSKY
Beiträge zur Geschichte, H.1, S. 27, Brakel für die Jahre 1556–1558 als Kaplan der estnischen JohannisGemeinde zu Dorpat an. Welch eine unglaubliche Karriere Brakels müßte folglich angenommen werden:
Nach einem Theologiestudium in Wittenberg [!] wird Brakel zunächst Hofprediger des katholischen
Bischofs zu Dorpat, um später als protestantischer Geistlicher im Dienste der Stadt tätig zu sein.
Betrachten wir nun die fragliche Textpassage eingehender: Buchner sagt nirgends direkt, daß Brakel im
Dienste des Bischofs gestanden habe, die Erwähnung des Bistums Dorpat und seines Bischofs dient
lediglich zur zeitlichen und räumlichen Eingrenzung der Aussage. Wurde Hermann von Wesel am 17.
Oktober 1552 unter skandalträchtigen Umständen zum Bischof gewählt [zur Datierung vgl. KIVIMÄE Zur
Handelsgeschichte der Fugger, S. 10, Anm. 47], so wurde Brakel zwischen 1552 und 1558 Geistlicher in
Dorpat. Schwieriger aufzulösen ist der zweite Bestandteil, Brakel sei concionator aulicus, also
Hofprediger, gewesen [zu aulicus siehe: ThLL, Bd. 2, Sp. 1462, 15–70; siehe auch Mlat.WB, Bd.1, Sp.
1239, 62–1240, 35]. Buchner verwendet den Begriff noch ein zweites Mal zur Charakterisierung einer
späteren Station Brakels, nämlich Ostfrieslands, wo er „concionatoris aulici munere apud Comitem
Viduam functus est.“ Abgesehen davon, daß die indirekte Datierung nicht haltbar ist – die Witwe des
Grafen Enno II., Anna, war bereits 1575 gestorben, die Herrschaft hatten ihre beiden Söhne Etzold II.
und Johann II. inne [vgl. SCHMIDT Politische Geschichte Ostfrieslands, S. 187–192], so erweist sich die
Gleichsetzung „concionator aulicus“ = Hofprediger als nicht haltbar. Als Hofprediger Etzolds II. – Johann
II. war Calvinist – wirkten 1568–1577 Johannes Francus, 1577–1585 Johann Ligarius, 1585–1590
Gottfried Heshusius und 1590–1600 Peter Hesse, nicht aber Timann Brakel [vgl. SMID Ostfriesische
Kirchengeschichte, S. 213–215; 223; 228f; 238f.]. Kann also in beiden Fällen eine terminologische
Ungenauigkeit Buchners angenommen werden? Im Falle Dorpats – einer Stadt, in welcher sich nicht nur
die Rechts-, sondern auch die Verwaltungsstrukuren zwischen Bischof und Stadt überschnitten [vgl.
OTTO Ueber die Dorpater Klöster, S. 5] – wäre ein deratiger Lapsus wahrlich kein Wunder. Unabhängig
von der behandelten Fragestellung an sich wird aus dem Dargelegten und dies möge die etwas zu
ausführliche Anmerkung rechtfertigen auch ersichtlich: Die Informationen Buchners zur Biographie
Brakels sollten nicht, wie leider in der Regel geschehen, unnachgefragt übernommen werden.
325 Welche Bedeutung Brakel der Eroberung Dorpats 1558 beimißt, beweist die Datierung des
Widmungsschreibens seines Werkes: „Datum / Anttorf / des 1579. Jars / am 18. Julii / an welchem tage
der Muscowiter im 58. Jar die Stad Dörpte eingenommen hat.“ [Bra. C8r/47].
326 Auf die behandelte Frage bezogen heißt das: Die Hochzeit kann 1570 stattgefunden haben, sicher ist es
jedoch keineswegs.

68

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

3.2.2. Der Aufstand Taubes und Kruses in Dorpat 1571
Um verbindliche Informationen zu erlangen, bedürften wir einer zweiten Quelle neben
derjenigen Brakels.
Solch eine Voraussetzung bietet in idealer Form das folgende Beispiel: die Darstellung des
Aufstandes Taubes und Kruses in Dorpat 1571; 327 der parallele Text ist die entsprechende
Passage bei Rüssow:
Bra. M2r-3v/179-182

Rü I, fol. 137v-138r

Im Krieg es leider eben geht/
Wie mans in allen Stenden sihet/
Gar selten wird zu rechter zeit/
Die Sach mit ihrer glegenheit/
Anfangk und End betrachtet Recht/
Biss man fur Sieg den Schaden tregt/
Des ich mit Hertzens Leiden gross/
Exempel itzt anzeigen muss/
Zudem das oben ist gemelt/
So hat der Teuffel angsteltt/
Des Musckowiters Ritterschaft/
Die sich in Eil mit aller kraft/
Dem Muskowiter ihrem Hern/
Dem sie verplicht mit Eid und Ehrn/
Zu nhemen Dörpt han vorgenommn/

Anno 1571. den 21. octobris/vp einen Sondach
/

hefft

Reynholdt

van

Rosen

/

de

Muskowitissche Ritmeister / synem Heren de
Stadt Dörpte verrasschen vnde affhendich
maken willen/dorch anreitzinge Johan Duuen
vnd Elert Krusen.

Darauf die auch hinein gekommn
Mit List / dazu in gutem schein/
Als solt es wol gemeinet sein/
Aufrurisch
Blutbad der
Deudschenn
Hofleut, des
Musckowiters
Zu Dörpte.
vnde alse he alrede mit syner Fane/in der Stadt
327 Zum historischen Hintergrund vgl. FREYMUTH Tartu linn aastail, S. 47; vgl. auch den Beitrag von Enn
Tarvel, in: PULLAT Tartu ajalugu, S. 64.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

69

Vnd fiengen bald einn

gekamen was/meinde he dat de Düdeschen

Lermen an/

Börger tho Dörpte em stracks thofallen/vnde

Mit Schiessen/

mit vp de Rüssen schlahn scholden

stechen / niderschlahn/
Auf ihres Heren Vnterthan/
Das bracht die

Auerst de Rüssen hebben sich balde gestercket
/ vnd Reynholdt van Rosen äverweldiget / dat

Reussen auch zu bahn/

syne Hauelüde Godt gedancket hebben / dat se

Die trieben sie durch

wedderümme vth der Poerten gekamen sind.

alle gassn/

Reynoldt van Rosen äuerst / vnde syner

Das sie mit Schand die Stadt verlassn/
Und Kriegten nur in diesem Streit/

Hauelüde etlike / hebben her holden möten /
welckere in velen stückethohacket sint /

Die Grossen Schlege /vnd kleine beut.
Nun war Ihr die Sach ia nicht
Zu Ruhmen / Dan S.Paulus spricht:
Wer widerstehet der Obrigkeit/
Dem ist die Straff von Gott bereidt/
Weil sie ihr Ehr Gewalt vnd Stat /
Zum Schutz vnd Straff vom Heren hat/
So war es wider Ehrbarkeit/
Leichtfertig sein in seinem Eid/
Zu brauchen Rüstung / Schwerdt vnd waffn/
Dazu es nicht von Gott geschaffn/
Das man seim Herrn der ihn gespeist/
Verreterlich vntruw beweist/
Welchs Rechte Held vnd Krieges Leut/
Gerhümet han zu keiner zeit/
Es hat auch gern sein eigne Frucht/
Wie mans auch die zeit schawen mucht/
Da ihrer viel / so nicht entflogn/
Vom Reussen sind darnider geschlagn/

Darna hebben de Rüssen den Düdeschen
Börgeren tho Dörpte / de hyr nicht van wüsten
/ vnde disser müterye gantz vnschuldig

Ist auch den Burgern in der Stadt/

weren/vth archwahn de Hüser gestormet/de

(So dises gar kein wissen ghatt)

Börgeren fast alle/sampt eren Frauwen vnde

Hiemit ein Blutbad angerichtt/
Dess gleichen vor gespuret nicht/
Da viel Ermordet vnd Erschlagn/
Gar kleglich auf den Gassen lagn/

70

Kinderen / vnde gantzen Hußgesinde /
erbarmlick vnde gantz elendiglick ermördet /
vnde ere Hüser

pryß

gemaket

/

vnde

geplündert/ vnde disse Mördt vnde plünderinge
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Junckfrawen/Frawen in gemein/

hefft dre dage lanck gewaret. Wat do vor ein

Stein alten / vnd die Kindlein klein/

yamer vnde elende tho Dörpte gewesen ys /

In Kirch vnd Heusern hat man fundn/

kan ein yder vornufftiger wol affneme[n]/ys

Nackt vnd gefressen von den Hundnn/

ock vnmögelick vth tho sprekende.

Was sich in dieser Angst vnd Nod/
Inn Hensern [!] noch verkrochen hat/
Das most zu letzt in grosser pein/
Gantz Jamerlich gefangen sein/
Ohn was sonst viel der Schmach und Spott/
Getrieben ist mit Deudschem Blut/
Darzu die Hochbefreiete Herrn/
Die man noch helt in Grossen Ehrn
Mit ihrem Rat und Bundsverwandtn/

Disse anschlach hette dem Reynoldt van Rosen

Geholffen / vnd andern Schergantn

vellichte wol gelungen/wen he solckes dem

Vnnd des großfursten Gnad vnd Gabn/

andern Ritmeister / Hans vam Zeytz /

Auch Ehr also verschuldet habn.

geapenbaret / vnd en mit dartho genamen
hadde. Auerst Reynoldt van Rosen hefft
enweder dem andern Rittmeister solckes nicht
vertruwen dörven / edder he hefft neuest Johan
Duuen vnde Elert Krusen / den rhom alleine
hebben willen / Darümme he ock de straffe der
godtlosen houardt vnd müterye hefft lyden
möten / vnde Godt de Almechtige hefft ock
nicht gewoldt/dat de Stadt Dörpte/sampt dem
gantzen Stiffte/dorch solcke lichtferdige middel

Nun hat es Gott gerochen sehr/

scholde erredet werden.

Wie Etzliche bringen Newe meer/

Alse äuerst Johan Duue vnde Elert Kruse

Der Groszfurst sol mit grosser Schar/

gesehen hebben / dat de anschlach gefeylet

Vnd Geschütz sein im vergangnen Jar/
Personlich in das Land gekommn/
Die Stede vnd Schlöser eingenommn/

hefft / hebben se dem Muscowiter eren
Förstenstandt thom underpande gelaten/vnde
sint in Polen geflagen.

[...]
Da haben viel ihr Sünde müssn/
Mit gleicher peen vnd Marter büssn/
Die vor das Blutbad angerichtt/
Vnd Gottes Zorn geförchtet nicht.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

71

Zunächst bleibt festzuhalten: Brakel kannte die Chronik Rüssows, seine Darstellung der
Ereignisse in Dorpat ist zumindest an diejenige des Revaler Predigers angelehnt, auch wenn
direkte Hinweise auf Rüssow als Vorlage nur vage erkennbar sind. 328
Der Vergleich beider Texte zeigt deutlich die unterschiedliche Handhabung des Momentes
„Geschichte“ durch beide Prediger: Rüssow schildert die Ereignisse als historischen Ablauf und
fügt hieran anschließend eine Erläuterung der geschilderten Geschehnisse hinzu, wobei die
Begründung des Historikers Rüssow neben diejenige des Predigers gestellt wird.
Brakels Darstellung verläuft demgegenüber in anderen Bahnen: Der Aufstand wird in einen
weiter gesteckten Rahmen gespannt, sein Verlauf und seine Konsequenzen dienen als Exempel.
Den Hintergrund bildet hierbei die Fragestellung des Verhaltens gegenüber der Obrigkeit, ein
Problem, welches gerade für das Luthertum in Antwerpen während seines Untergrunddaseins
von nicht zu unterschätzender Aktualität gewesen war.329 Das Exempel wird mehrschichtig
aufgebaut: Ausgehend von einer vorausgegangenen, entsprechenden Frage des <Severinus>,330
entfaltet Brakel/<Christianus! zunächst einen für sein gesamtes Geschichtsverständnis
konstitutiven Denkansatz: Entscheidend für den Ausgang ist die Absicht und Gesinnung der
handelnden Personen. Auf den Aufstand Taubes und Kruses übertragen heißt dies: Das
Vorhaben war bereits in seinem Ansatz zum Scheitern verurteilt, weil es auf der Mißachtung
von Römer 13,2331 fußte. Diese Konzeption findet nun ihren Widerhall in der hierfür als
Exempel eingeschobenen Schilderung der Ereignisse. Nennt Rüssow die Namen der führenden
Köpfe, so spielen jene bei Brakel keine Rolle,332 unterstrichen wird vielmehr das bestehende
Dienstverhältnis ebenjener gegenüber ihrer Obrigkeit – Zar Ivan IV. Die Schilderung des
Aufstandes und seines Scheiterns erfolgt bei Rüssow und Brakel in parallelen Bahnen, letzterer
hebt hierbei freilich die Unrechtmäßigkeit des Handelns wider die Obrigkeit und ihre
Untertanenschaft hervor. Geht Rüssow unmittelbar auf die Folgen des (fehlgeschlagenen)
Aufstandsversuches ein, so schiebt Brakel zunächst eine erläuternde Auslegung des Gesagten
gemäß Römer 13,2 ein, erst dann wendet er sich den folgenden Ereignissen zu. Jene werden
somit in ein anderes Licht gerückt als bei Rüssow: In dessen Darstellung erscheint das der
Niederschlagung des Aufstandes folgende Wüten der Russen als Konsequenz des Aufstandes
328 Vgl. vor allem den Hinweis auf die Unwissenheit der Dorpater Bürger bei Rüssow [Rü I: „hebben de
Rüssen de Düdeschen Börgeren tho Dörpte / de hyr nicht van wüsten ...“] und bei Brakel [Bra. „Ist auch
den Burgern in der Stad / (So dises gar kein wissen ghatt)/ ...“].
329 Vgl. MARNEF Antwerp in the Age of Reformation S. 80–82, 101–103, 206.
330 Vgl. Bra. M1v-2r/178f. (nicht zitiert).
331 „Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über
sich ein Urteil empfangen.“
332 Ein solches Vorgehen nimmt freilich auch möglichen Widersachern den Wind aus den Segeln; daß
Brakel bewußt auf das Moment der Anonymität setzte, um seinem Werk geringere Angriffsfläche zu
geben, zeigt nicht nur, daß er an anderer Stelle [Bra. A8v/16] Taube und Kruse als Initiatoren der Aktion
beim Namen nennt, sondern auch seine ursprüngliche Absicht, das „Christlich Gesprech“ anonym zu
veröffentlichen [Bra. C8v-D1r/48f.].

72

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

selbst, bei Brakel ist dieses Wüten das Strafgericht für das Vergehen der Aufständischen gegen
das Gebot Gottes. Die Vorgehensweise ist, geht man von der Annahme aus, Rüssow sei
Vorlage für Brakel gewesen, wiederum diejenige der Motivübertragung.333
Rüssow fügt seiner Darstellung des vergeblichen Aufstandes einen mehrschichtigen, nämlich
historischen und theologischen Erklärungsversuch für das Scheitern des Aufstandes hinzu, um
dann der Darstellung der hierauf folgenden Ereignisse in Livland fortzufahren. Brakel bedarf
einer solchen nachträglichen Begründung nicht mehr, sie wurde bereits durch den Rahmen, in
welchen das Exempel gestellt wurde, vorgegeben. Statt dessen setzt er einen anderen Akzent:
Die begonnene Schilderung der dem Aufstand von Dorpat folgenden Strafe wird fortgesetzt –
Dorpat findet seine Strafe in dem Feldzug Ivans IV. 1577 [!] nach Livland.334 So wie die
gesamte Darstellung der Ereignisse von 1571 unbestimmt und dadurch als Exempel beliebig
anwendbar bleibt, so ist auch der Bezug zwischen dem Aufstand Taubes und Kruses und dem
Einfall Ivans IV. sechs Jahre später lediglich theologisch begründet.
Brakel behandelt die Geschehnisse nach dem Aufstand Taubes und Kruses auch an anderer
Stelle seines Werkes, nunmehr aber aus dem biographischen Blickwinkel, und zwar als
Bestätigung zweier Vorzeichen Gottes, des Todes des Dorpater Predigers Johannes
Wettermann,335 sowie des Schicksalsschlages des Predigers Johann Meyer und des
Stadtschreibers Christopher Trope.336 Beide biographischen Geschehnisse sind in den Augen
Brakels Zeichen Gottes, einerseits Beweis für die Gnade Gottes seinen getreuen Dienern
gegenüber, andererseits Hinweis auf das unmittelbar bevorstehende Gottesgericht über die
Stadt Dorpat, ein Hinweis, der in den Ereignissen nach dem 21. Oktober 1571 seine
Bestätigung findet.337 Hierbei vermittelt Brakel quasi nebenbei Informationen, welche die
Chronik Rüssows nicht zu bieten vermag, die im Falle der Angaben zur Biographie
Wettermanns, Meyers und Tropes sogar von singulärem Quellenwert sind.338
Halten wir vorläufig fest: Die Betrachtung eines historischen Ereignisses kann aus
verschiedenen, aussageabhängigen Perspektiven erfolgen; hier dient es lediglich als Baustein
für eine moralisch-theologische Beweisführung, wobei Brakel in diesem Sinne gewichtend in
333 Vgl. Anm. 152.
334 Die Datierung ergibt sich durch den Zusatz „... im vergangnen Jar“, ein Hinweis auch auf die Entstehungszeit dieses Abschnittes.
335 Vgl. Bra. A8r-v/15f.; zu Wettermann vgl. ARBUSOW Livlands Geistlichkeit 1914, S. 236; vgl. auch
OTTOW/LENZ Die evangelischen Prediger Livlands, S. 475.
336 Vgl. Bra. A8v-B1r/16f.; beide sind nach Brakel „in Vnsinnigkeit geraten“; Pastor Meyer scheint später
wieder genesen und Pastor von Pernigel geworden zu sein [vgl. CHRISTIANI Martin Kuiwleha, S. 26,
Anm.1; bei ARBUSOW Livlands Geistlichkeit 1914, S. 137, und OTTOW/LENZ Die evangelischen Prediger
Livlands, S. 340; wird die Genesung nicht mehr erwähnt]. Christopher Trope ist im Juni/Juli 1558 als
Sekretär Bischof Hermanns von Dorpat erwähnt [vgl. ARBUSOW Livlands Geistlichkeit 1904, S. 72; 1914,
S. 220].
337 „Wie da auch solchs bald her nach gefolget. Das Kirch vnd Rathauss mit der gantzen Stad wüste
geworden / da die gantze Gemein widerumb auf new weggefurt / in die Musckowschen Stedte zersterwet /
vnd schier kein zeichen des Deudschen Blutz / vnd reinen Gottes dienstes da geblieben.“ [Bra. B1v/17].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

73

die Darstellung eingreift: Für seine Zielsetzung nicht primär relevante Aspekte bleiben
unbestimmt, chronologische Bezüge interessieren lediglich am Rande oder bleiben
unberücksichtigt.
Wenden wir uns zuletzt mit der Frage nach der Bewertung des „Christlich Gesprech“ als
historiographischer Quelle einem dritten Beispiel zu, in welchem die Chronik Rüssows nicht
mehr als greifbarer Rettungsanker zur Verfügung steht: der Darstellung des Einfalls der Russen
auf Ösel 1576 und, damit eng verbunden, der Person des dänischen Statthalters auf Ösel, Claus
von Ungern.

3.2.3. Claus von Ungern und der Russeneinfall auf Ösel 1576
Gleich zu Anfang ein Problem: Handelt es sich überhaupt um den Russeneinfall des Jahres
1576 oder um denjenigen des Vorjahres? Brakel teilt keine Jahresangabe mit, doch kann auf
indirektem Wege auf das Jahr 1576 geschlossen werden. Nach Rüssow war das Gebiet
Arensburg 1575 nicht betroffen;339 das Dorf Pyha, wo Brakel den von ihm geschilderten
Russeneinfall als Gemeindepfarrer miterlebte, befindet sich aber in jenem.340
Zum historischen Hintergrund:341
Im Frühjahr 1573 setzte der dänische König Friedrich II. Claus von Ungern als dänischen Statthalter in
Arensburg und auf Ösel ein. Gestützt auf den 1562 zwischen Dänemark und Rußland abgeschlossenen
Frieden,342 gelang es von Ungern mittels einer geschickt taktierenden Diplomatie und entschlossenem
Handeln, die Position der dänischen Krone auf Ösel und in der Wiek zu festigen und auszubauen. Diese
zunächst erfolgreiche Politik, in deren Gefolge 1575 die ‚Häuser‘ Hapsal, Lode und Leal sowie der bis
dato schwedische Teil Ösels für Dänemark gewonnen werden konnte,343 wurde jedoch mit Spannungen
im Verhältnis zu Rußland erkauft. Den diplomatischen Erfolgen der Dänen des Jahres 1575 standen
militärische der Russen gegenüber, deren Höhepunkt die Eroberung Pernaus darstellte. Dieser
veränderten Ausgangslage – auch Claus von Ungern erhob Ansprüche auf Pernau und andere russisch
338
339
340
341

Siehe Anm. 336.
Rü III, 89v/107.
Vgl. Baltisches Historisches Ortslexikon, Bd. I, S. 475.
Zur Biographie von Ungerns: KÖRBER Bausteine einer Geschichte Oesels, S. 235–242; VON UNGERNSTERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. I, S. 238–248; Bd. IV, S. 432–58; JENSEN Ungern,
Claus von, S. 175f.; zum allgemeinen politischen Hintergrund: KIRCHNER The rise of the Baltic Question,
S. 151–156; MAARBJERG Diplomatic Relations, S. 185f.; der Aufsatz von HANS KÕRGE Taani-Vene
vahekond Eesti suhtes a.[astail] 1573–1576 [Das dänisch-russische Verhältnis bezüglich Estlands in den
Jahren 1573–1576], in: Ajalooline ajakiri 1937,2, S. 37ff., war genausowenig greifbar wie der
Sammelband: Saaremaa (Ösel), hrsg. von A. Luha, E. Blumfeldt und A. Tammekann. Tartu 1934.
342 Vgl. KIRCHNER A milestone in European history, S. 43–47; MAARBJERG Diplomatic Relations, S. 180–
182.

74

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

besetzte ‚Häuser‘ in der Wiek344 – entsprangen Konflikte, die zunehmend zu einer Belastung der
ohnehin stagnierenden dänisch-russischen Beziehungen wurden,345 wobei nunmehr ein dritter Faktor an
Wirksamkeit gewann – Magnus von Holstein. Begleitet von einer gegen Claus von Ungern gerichteten
diplomatischen Offensive des Königs von Livland von Ivans Gnaden,346 fielen im Februar 1576
Moskauer Truppen ein zweites Mal nach dem Kriegszug von 1575 in die Wiek ein und griffen auch auf
die Inseln über. Die eben erst gewonnenen Besitzungen in der Wiek gingen an die Russen verloren:
Hapsal, Lode, Leal und Fickel wurden von ihren Besatzungen den Russen zugespielt.347 Bemühungen
von Ungerns, die verlorenen ‚Häuser‘ in der Wiek zurückzugewinnen, scheiterten.348 Im Sommer 1576
wird er schließlich, wohl eher infolge des Kurswechsels der dänischen Livlandpolitik denn aus Ungnade,
von Friedrich II. nach Dänemark abberufen.349

Zunächst die «Chronica der Prouintz Lyfflandt»: Rüssow schildert den Russeneinfall auf Ösel
anschließend an die Darstellung des Einfalls der Russen und Tataren in die Wiek sowie der
damit verbundenen Einnahme der ‚Häuser‘ Lode, Leal, Fickel und Hapsal im Januar/Februar
1576. Wir folgen der Auflage von 1578:
„Anno 1576. im Januario / Is eine macht von Rüssen vnd Tateren / Soetzdusent starck / in Lyfflandt
angekamen / vnde den 27. Januarii / sint se in de Wyke gefallen /vnde hebben de Hüser vnde Veste /
Lode / Leal vnde Vickel / stracks gantz trüwlosz / ane noedt / vpgegeven erlanget vnde ingekregen.
Darna sint se vor Habsal gerückt [....]. Tho der tydt sint de Rüssen vnde Tateren vorth vp Oesel
gerücket / vnd hebben gantz Oesel beth an Schworverordt350 / vorheret / vnde gantz vele armer lüde
gefencklich in de Muscow vnde Tarteryen geforet.“ 351

Die uns interessierende Mitteilung über Ösel ist eine Zusatzinformation im Rahmen des eben
geschilderten Russeneinfalles in die Wiek. In nüchternem Ton werden Informationen
vermittelt: Zeitpunkt, lokale Eingrenzung, Folgen des Einfalles. Der Gesamtepisode

343 Vgl. VON UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht; Nr.400f. (S. 438–441), Bd. IV, 406 (S.
444); vgl. auch Rü III, 88b/105; 90b–91a/109.
344 Vgl. VON UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. IV, Nr. 414 (S. 449).
345 Vgl. KIRCHNER The rise of the Baltic Question, S. 154–156; vgl. auch MAARBJERG Diplomatic Relations,
S. 186; vgl. auch VON UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. IV, Nr. 407f. (S. 444);
414 (S. 449); 417 (S. 451f.).
346 Vgl. VON UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. IV, Nr.418f. (S. 452f.).
347 Vgl. Rü III, 92a-b/110; ausführlicher Rü I, fol. 168r-v.
348 Vgl. VON UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. I, S. 244; Bd. IV, Nr. 423 (S. 457f);
vgl. auch Rü III, 92b-93a/111.
349 VON UNGERN-STERBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. I, S. 244; Bd. IV, Nr. 424 (S. 458); zur
Umorientierung der dänischen Politik vgl. KIRCHNER The rise of the Baltic Question, S. 155f.; vgl. auch
MAARBJERG Diplomatic Relations, S. 186.
350 Kap an der Südspitze der Halbinsel Sworbe; vgl. dazu: Baltisches Historisches Ortslexikon, Bd. I, S. 572.
351 Rü I, fol. 168r-169v.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

75

„Russeneinfall von 1576“ fügt der Prediger Rüssow eine Zusammenfassung im Sinne eines
Abschlußkommentars hinzu:
„Also hefft de Muscowiter domals mit des Köninges von Dennemarcken Landen vnde vnderdanen in
Lyfflandt vmmegesprungen / Wolde Godt / dat solck schimp vnde schande / deme Köninge thogeföget
/ vnde dat grothe herteleydt / so den armen lüden aldar wedderuaren ys / mochte gewraken werden /
Vor de trüwlosen äuerst so vth lichtferdicheit Könincklicke hüser vnde Lande vorgeuen hebben /
steyth nicht tho biddende.“352

Ersichtlich ist wiederum das bereits aus dem obigen ersten Beispiel bekannte Grundschema der
Konzeption Rüssows: Ein größerer historischer Ereigniskomplex wird dargestellt und dann
durch den Kommentar des Predigers abgerundet.
Die Gesamtpassage ist auch in anderer Hinsicht aufschlußreich für die Darstellungsweise
Rüssows. Er setzt erzählerische Mittel zur Kontrastierung rechten und verwerflichen Handelns
ein, wie dies beispielsweise in der – oben allerdings nicht zitierten – Darstellung der
„Eroberung“ Hapsals durch zumindest angedeutete Dialogizität zum Ausdruck kommt.353
Dieses erzählerische Mittel werden wir in ähnlicher Funktion angewendet noch bei Brakel
kennenlernen.
Brakel betrachtet wie im vorangegangenen Beispiel so auch in diesem Falle den Einfall der
Russen auf Ösel aus zwei Perspektiven: aus dem Blickwinkel der Biographie des ‚Christianus‘
Brakel sowie im Rahmen des Exempels „Claus von Ungern“.
In der Widmungsvorrede an Hieronymus Semmelbecker räumt Brakel seiner Dienstzeit auf
Ösel breiten Raum ein, wobei der bereits angesprochene Umgang mit autobiographischen
Angaben mit besonderer Ausprägung zum Ausdruck gelangt. Im eigentlichen Blickpunkt der
Darstellung steht sein Amt als Prediger vor Gott und den Menschen, seinen Landsleuten, im
Angesicht deren offenkundiger Gottferne: Auch auf Ösel, das bis zu jenen Jahren in den
Sturmwogen der Zeit eine Oase relativer Ruhe gewesen war,354 findet keine Umkehr statt; das
warnende Wort des Predigers Gottes und Kenners der Russen Brakel findet kein Gehör, der
Einfall der Russen wird zum Strafgericht Gottes:
352 Rü I, fol. 169v; fehlt in Rü III.
353 „Alse äuerst de Rüssen vp dat Huse gekamen sint / Do sint etlike van den Habselschen Junckern noch so
guter dinge gewesen / dat einer twe Junckfrrouwen vam Adel / vp synem Schote sittende gehat / vnde mit
en geschertzet hefft. Disser grothen sekerheit hebben sick de Rüssen nicht genoechsam vorwunderen
können / vnde hebben tho Hinrich Bowszmann / des Hertoch Magni Hoffjuncker / de solckes mit
angesehen hefft gesecht / Hinrich / wat möte gy Düdeschen seltzame lüde syn / Wen wy Rüssen solck ein
Husz so lichtfertich vpgegeuen hedden / wy durften vnse agen vor nenen redliken lüden mehr vpschlan /
vnd vnse Grothförste wörde nicht weten / wat he vns vor einen dodt anlegen wolde / vnde de Düdeschen
vp Habsel dörfen noch mit Junckfrauen spelen / gerade alse hedden se ydt wol vthgerichtet. Daryegen
hade Hinrich Bowszmann nichts antwerden können / dewyle he dat süluen mit synen agen angesehen
hadde.“ [Rü I, fol. 168v = Rü III, 92a/110].
354 Vgl. KÖRBER Bausteine einer Geschichte Oesels, S. 234.

76

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

„Weil mans aber alles in Wind geschlagen: Ist nicht lang hernach / der Musckowiter aufs Land
gekommen / vnnd hat dise zeitung war machen / bestetigen / vnnd erfullen müssen: hat mit Schwert
vnnd Feur / daselbst also gewutet / das er auch der Schwangern Frawen / Jungen Kindlein / vnnd
Gottes Heuser / nicht verschonet / Sondern alles / was ihme fur die hend gekommen / nidergeschlahen
/ vnnd vertilget hat“.355

Dieser allgemeinen, in ihrer Gestaltung auf stereotype Formeln zurückgreifenden Darstellung
schließt sich nun eine genauere, autobiographisch gefärbte Schilderung des Russeneinfalles an:
„Es haben etzliche armen Bauren / in eiligem andrengen des Feinds / ire Weiber vnnd Kinder mit sich
in ihre Kirche Piha genant / eilends gebracht / Weil sie aber die selbige Kirche Furm Feind zu
verfechten / zu schwach gewesen / sind sie auf den Kirchthurm / in hofnung / sich daselbst zu retten /
vnnd beschutzen / gestiegen. Als aber der Feind die selbige Kirch / welche mit Stroh gedeckt / vnnd
inwendig desselbigen auch volgewesen / angezundet / haben etzliche Weiber ihrer eignem Kindlein /
wölche in dem Rauch droben Weineten / Sechsz / wider die natür / von Kirchturm erunter zum
Fenster aus / ins Feur geworffen / Damit der Feind ihr geschrey / vnnd weinen nicht hörete.“356

Die Perspektive, aus welcher der Einfall der Russen betrachtet wird, ist nunmehr auf ein ganz
bestimmtes Einzelereignis eingeengt und gewinnt dadurch an Ausführlichkeit. Scheinbar
emotionslos schildert der Prediger der betroffenen Gemeinde und Vater eines damals kleinen
Kindes357 die Geschehnisse. Seine Darstellung, die viele kleine und kulturgeschichtlich
interessante Einzelheiten enthält, gewinnt gerade durch diese äußere Distanz gegenüber
verwandten, im Geiste der Flugschriftenliteratur verfaßten Schilderungen an Glaubwürdigkeit.
Auch wenn sie in dieser Ausführlichkeit als Quellenbericht über den Einfall der Russen allein
steht, kann man sich bei der Beantwortung der Frage nach ihrem Wert als historiographische
Quelle wohl getrost der positiven Einschätzung Martin Körbers anschließen.358
Brakel entfaltet somit ein mehrschichtiges Gesamtbild des geschilderten historischen
Ereignisses: Gibt er zunächst eine allgemeine Bestandsaufnahme im Sinne der Darstellung
Rüssows, so rückt in der zweiten, autobiographisch gefärbten Szene der lediglich in sekundärer
Hinsicht historiographisch orientierte Ansatz in den Vordergrund. Geschildert werden nicht
primär der Russeneinfall und die damit verbundenen Schrecken, aufgezeigt werden soll
vielmehr eine Abnormität im Verhalten der Bauern, ein Verhalten, das nicht sein darf, das für
Brakel somit zugleich als Symptom und in seiner Konsequenz als Beweis für die Gottferne der
355
356
357
358

Bra. B6r-v/27f.
Bra. B6v/28.
Seine Tochter, Dorothea, wurde um 1572 geboren [BUCHNER Dissertationes academicae, S. 219].
KOERBER Oesel einst und jetzt, S. 248.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

77

Livländer dient: Sie töten, nur um sich selbst zu retten, sogar ihre eigenen Kinder („wider die
natür“ !). Hinzu tritt in diesem Fall noch ein dritter Aspekt: Ungeachtet allen Schauderns ob
der Geschehnisse empfindet Brakel doch auch ein Gefühl des Triumphes über diejenigen, die
seinen Warnungen als Prediger und Kenner der Russen kein Gehör schenken wollten,359 einen
Triumph, den er, wie die folgenden Geschehnisse zeigen sollten, vielleicht allzusehr auskostete:
Die kompromißlose, wohl allzu schonungslose Haltung Brakels gegenüber den von ihm
wahrgenommenen Mißständen beschwor Konflikte mit seiner Gemeinde herauf, wobei Brakel
die Geschehnisse um den Russeneinfall als konkreten Angelpunkt des Konfliktes bewertet.
Neben der Anschuldigung, Kirchengeräte veruntreut zu haben,360 wird auch der Vorwurf
erhoben, die Russen seien nur um seiner, d.h. Brakels Willen in Pyha eingefallen.361
Schwingt hier ein Wissen um die Flucht Brakels aus etwaigem russischen Dienst mit? Die Freilassung
Brakels aus der russischen Gefangenschaft erfolgte – wie bereits von Riekhoff anmerkte362 –
offenkundig unter Bedingungen, vielleicht derjenigen, in den russisch besetzten Gebieten Livlands
Dienst für den Zaren zu tun. Daß von Seiten Ivans IV. auch gegenüber Geistlichen die Freilassung aus
der Gefangenschaft mit der Verpflichtung zum Dienst verbunden wurde, zeigt das – freilich nicht in
Livland zur Ausführung gekommene – Beispiel „Bischof Hermanns von Dorpat“. Eine entsprechende
Szene, wie sie Hillebrandts Bericht und Hermann selbst schildern,363 scheint auch im Falle Brakels im
Bereich des Möglichen zu liegen; Buchner berichtet zumindest, Brakel sei vor seiner Entlassung aus der
Gefangenschaft vor den Zaren geführt worden.364
Das evangelische Kirchenleben in den besetzten Gebieten kam während der Russenherrschaft
weitgehend zum Erliegen – wohl eher eine Folge der Verwüstungen der Kriegsjahre sowie von Flucht
und Verschleppung denn einer gezielt antiprotestantischen Politik Ivans IV.; lediglich für Dorpat und
Narva ist der Fortbestand evangelischer Gemeinden gesichert.365 Brakel diente, wie <Christianus>
mitteilt,366 „bei sieben Jar“ als Geistlicher in Narva. Was hierbei für unsere Fragestellung wichtiger ist:
359 Vgl. Bra. B7r-v/29f.
360 „Es durften sich auch wol meines Kirchspiels etliche vntherstehen / mir / mit zwange der Obrigkeit / die
gerethe der Kirchen / welche der Feind vnnd das Feur / im eiligen vberfal / hingenohmen / abzumanen /
als hette ich den Musckowiter dahin gebracht / vnnd von Gott Befehl vnnd Macht gehabt / mit
Eusserlicher Rustung / vnnd gewaffneter hand / da zu allein / mich wider des Musckowiters Kriegs her
auff zu lehenen / vnnd also die Kirche zu beschutzen.“ [Bra. B7v/30].
361 „Es saget einer auss seim neidischen vnd giftigen hertzen: Weil ich vormahls ins Musckowiters Landen
vnnd Banden gewesen / vnd er mich nhu / als einen pfarner daselbst / erfaren / hette er / meiner Person
halben / derer er Feind were / die Kirch sampt ihren höffen vnnd wonungen / zunichte gemacht.“ [Bra.
B7r/29].
362 Vgl. VON RIEKHOFF Christlich Gesprech, S. 53.
363 Vgl. HILLEBRANDT Bericht über den Aufenthalt Hermanns von Dorpat, S. 448; vgl. auch BUSSE Die
Einnahme der Stadt Dorpat, S. 507f.
364 Vgl. BUCHNER Dissertationes academicae, S. 219: „Ubi cùm anno integro & tribus mensibus
ærumnabilem vixisset vitam, in famosissimi illius Tyranni Johannis Basilidis conspectum productus, non
sine singulari DEI beneficio liber dimissus est.“
365 Vgl. ANGERMANN Studien zur Livlandpolitik S. 62f.; vgl. auch den Beitrag von Enn Tarvel in: PULLAT
Tartu ajalugu, S. 96f.
366 Vgl. Bra. M8v/192.

78

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Er wurde von russischer Seite über Intrigen gegen seine Person aus den Reihen seiner Gemeinde auf
dem Laufenden gehalten. Ob Brakel hingegen während seines zweiten Aufenthaltes in Dorpat (um 1571)
als Geistlicher tätig war, scheint keineswegs so erwiesen zu sein, wie in der Forschung vorausgesetzt.367

Das Schicksal des ‚Christianus‘ erfüllt sich somit erneut an Brakels eigenem Lebensschicksal:
Innerlich zerrissen quittiert Brakel den Dienst in seiner Gemeinde und kehrt, nicht ohne
verbittert über sein Los zu klagen und schwer mit sich ringend, Ösel und seinem Heimatland
den Rücken.368
In der Gesamtkonzeption der eben skizzierten Darstellung seiner Öseler Zeit spiegelt sich
das Schicksal des ‚Christianus‘ in der ihn umgebenden Gottlosigkeit. Getreuer Dienst findet bei
den gottfernen Menschen keinen Lohn, lediglich Haß und Mißgunst. Dieses Leitmotiv
kennzeichnet auch die zweite Passage, in welcher Brakel auf den Einfall der Russen auf Ösel
zu sprechen kommt, in dem Exempel „Claus von Ungern“ als Idealbild der „getruwen“
Obrigkeit, die sich bedingungslos ihrer Aufgabe widmend lediglich den Undank der Welt
verdient.
Betrachten wir zunächst wiederum den größeren Zusammenhang, in welchem das Exempel
„Claus von Ungern“ und die darin enthaltene Darstellung des Russeneinfalles steht:
Das Exempel steht im Rahmen einer sich dem Exempel „Magnus von Holstein“
anschließenden Diskussion über die Obrigkeit und ihr Verhältnis zu der (gottfernen) Welt.
Zunächst der Gesprächsverlauf: Einem Lobpreis der von Gott eingesetzten und nach seinem
Willen handelnden Obrigkeit durch <Pius>369 läßt Brakel quasi als Antwort die entscheidende
Frage des <Justus> folgen: „Was lohnt ihr denn die Welt diesen Dienst?“370 Die Antwort auf
diese Frage ist mehrschichtig, wobei in diesem Fall die beiden Bedeutungsebenen durch
verschiedene Sprecher repräsentiert werden. In allgemeiner Form antwortet zunächst
367 Brakel berichtet lediglich davon, er sei zur Zeit der Rückkehr Wettermanns aus russischer Gefangenschaft
in Dorpat „gewesen“ [vgl. Bra. A8v/16], während er im Falle seines Wirkens als Geistlicher in Dorpat
(vor 1559), Narva und auf Oesel immer ausdrücklich auf seinen „Dienst“ hinweist [vgl. Bra. B2r/19;
B6r/27; M8v/192; Buchner erwähnt als erste Station Brakels nach seiner Freilassung aus russischer
Gefangenschaft Ösel]. Eine erwägenswerte Alternative zu der herkömmlichen Chronologie (NarvaDorpat-Karkhus-Ösel) wird in Neuer Bericht, Sp. 76, geboten: „Da der Aufenthalt und Dienst zu Narva
sieben Jahre gewährt, so ist aus solcher Angabe zu schließen, daß Brakel etwa 1568 wieder von da
weggezogen. Er scheint sich zunächst ins Gebiet von Karkus, das damals im Besitz der Schweden war,
begeben zu haben, [...] bis er einen sicheren Ort der Zuflucht fand. Diese eröffnete sich für ihn auf der
Insel Oesel, wo er bei der Kirche zu Piha (Pyha?) als Prediger angestellt wurde.“ Der Aufenthalt Brakels
in Dorpat könnte auch unabhängig von einer Predigttätigkeit Erklärung finden – in der Rückkehr der
Dorpater Gefangenen aus Rußland und der Hoffnung Brakels, Informationen über seine verschleppten
Brüder zu erhalten [vgl. Bra. E8r/79].
368 Vgl. Bra. C1v-2r/34f; C3r/37.
369 Vgl. Bra. L3v-4r/166f.
370 „Was hat sie aber sonst davon/
(Sie mache es wie sie ihmer kan/
Das sie mög gut gewissen han)
Als Schimpf vnd Spott zu ihrem Lohn?“ [Bra. L4r/167].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

79

<Severinus>: Das Los all derer, die Gott getreu dienen, ist Haß und Mißgunst der Welt. Ihr
Lohn ist nicht von dieser Welt, doch steht ihnen Gott bereits hier auf Erden helfend zur
Seite.371 Diese Aussage wird nun mittels Beispielen untermauert, zunächst von <Severinus>
durch den Hinweis auf das Schicksal Jesu,372 dann durch <Christianus> mittels eines konkreten
historischen Exempels, eben demjenigen Claus von Ungerns.373 Das Exempel beruht auf zwei
Argumentations- und Aussageebenen:
- einer vordergründig didaktischen mittels Gegenüberstellung des Idealbildes der „getruwen“ Obrigkeit
und des – auch aus der Chronik Rüssows hinlänglich bekannten – Bildes der verweichlichten und
durch ihr Verhalten Livland zum Unglück gereichenden Hofleute,
- einer übertragen theologischen, in welcher das Schicksal Claus von Ungerns seine Erklärung aus dem
Los des Dieners Gottes findet.

Die beiden einander gegenübergestellten Lebenswege (der positive Claus von Ungerns und der
negative der Hofleute) werden zunächst in zwei geschlossenen Blöcken nebeneinandergestellt.
Brakel zeichnet zuerst das Handeln des dänischen Statthalters im Amt wie im Privatleben als
Idealbild des gottgewollten Verhaltens der Obrigkeit gegenüber ihren Untertanen und des
Amtmannes gegenüber seinem Herrn. Die Regierungszeit Claus von Ungerns – soweit sie
Brakel miterlebte – wird in knapper F1orm zusammengefaßt, ohne daß auf konkrete Ereignisse
ebenjener eingegangen wird:
„Die Königliche Maiestat
Zu Denmarck / hette auss trewen Rhat/
Auf Oesel einen Man gesendt/
Wol vor zu stehn dem Regiment/
Das Gottes Wort vnd Reine Lehr/
Gerechtigkeit / auch Zucht vnd Ehr
Erhalten würd / auch Sünd vnd Schand/
Würd abgeschaffet auff dem Land/
Derselbig war von That vnd Nhamn/
Zu Rühmen vnd vonn Edlem samen/
Sein That ich sehr muss Rühmen zwar/
Darumb das er Gottforchtig war/
Ein Fürbild in Gottseligkeit/
Den Vnterthanen alle zeit:
371 Vgl. Bra. L4r-v/167f.
372 Vgl. Bra. L4v/168.
373 Vgl. Bra. L5r-6v/169-172; L7r/173.

80

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Das Predig Ampt er hielt in Ehrn/
Vnd wartet auf die Predig gern/
Dem Kirchen mangel auf dem Land
Mit Ernst vnd Mühe er wandel fandt/
Das Regiment der massen fürt/
Das man viel nutz fur Augen spürt/
War Fleissigk in seins Heren sachn/
Vnd kond ihm bald gehorsam machn/
Wo Vngehorsam sich erzeigt/
Er lebte auch in Messigkeit/
Den Ernst liesz er auch an ihm sehn/
Nach gbür / doch iedern Recht geschehn.
Den Reichen richtt er aller massn/
Gleich wie die armen vnd verlassn/
Sein Freidigs Hertz vnd manlich That/
Furm Feind gar oft bewiesen hat/
Vnd setze auch fur das Vatterland/
Seinn Leib vnd Leben oft zu pfand
Solch vnd dergleichen Tügend mehr/
Ihm billig gaben Ruhm vnd Ehr.“374

Welches Bild entwirft Brakel vom Handeln seines „Helden“? Vergleicht man die Informationen
Brakels mit demjenigen, was wir aus anderen Quellen über Claus von Ungern wissen, so fällt
zunächst die Verengung der Blickrichtung ins Auge: Die livlandpolitische Komponente des
Wirkens von Ungerns bleibt mit Ausnahme einer schwachen, wohl auf das folgende Ereignis
bezogenen)

Andeutung

unberücksichtigt,

der

Blick

ruht

auf

der

„Innenpolitik“

375

(Rechtsprechung und Kirchenpolitik im weitesten Sinne ) von Ungerns auf Oesel und seiner
Persönlichkeit. Was sind die Hintergründe für diese Vorgehensweise Brakels? Gehen wir von
der Zielsetzung des Exempels aus und stellen die Darstellung der Regierung von Ungerns einer
Textpassage des „Christlich Gesprech“ gegenüber, in der das Verhalten der rechten Obrigkeit
Gott und ihren Untertanen gegenüber aufgezeigt wird:
„Das sie Ihm [die Regenten Gott] sagen Dank allein/
Vnd Rühmen stetz den Nhamen sein/
Sein Wort vnd Knecht bei reiner Lehr/
Halten in grosser Acht vnd Ehr/
374 Bra. L5r-v/169f.
375 Schulpolitik war Kirchenpolitik [vgl. HELK Die Stadtschule in Arensburg, S. 13].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

81

Vnd sie sein zu aller zeit
Liebhaber der Gerechtigkeit/
Vnd Stiffter aller Zucht vnd Ehr
Dagegen aller Falschen Lehr/
Abgötterei vnd Menschentandt/
Mit Fleiss / vnd Ernst / thün widerstandt/
Die Kirchen / Schulen / vnd die Armn/
Stiften /erhalten / vnd bescharmn/
Das auch das Bösz die Obrigkeit/
Abthue vnd straff zu rechter zeit
Darumb Ihr Gott in Ihrem Stand/
Das Schwert gegeben in die Hand/
Das sie die Frommen fur Gewalt/
Vnd Vnrecht dadurch bschützen solt/
Das sie das Recht soll aller massn/
Recht sein / vnd vngebeuget lassn.“376

Das hier sichtbare Muster findet seine Anwendung in der Darstellung des Wirkens von
Ungerns auf Ösel; die einzige größere Abweichung beider Schemata voneinander erklärt sich
aus der gleichzeitigen Rolle von Ungerns als „Amtmann“ des dänischen Königs.377 Geboten
wird somit ein Tugendkatalog für „getruwes“ Verhalten der Obrigkeit gegenüber Gott und
seinen Untertanen bzw. des Amtmannnes gegenüber seinem Herrn, exemplifiziert an der
Regierung und Person Claus von Ungerns. Der abstrakte Aspekt der zuletzt zitierten
Textpassage wird durch die Anwendung auf das Wirken des dänischen Statthalters auf Ösel
veranschaulicht, ohne daß jedoch über Andeutungen hinaus auf konkrete Ereignisse und
Einzelheiten eingegangen wird. Das angewandte Darstellungsmittel ist wiederum dasjenige der
„Reduktion“,378 zum Auswahlkriterium wird die Aussageabsicht des Exemplum. Ausgewählt
werden die hierfür relevanten Aspekte, außerhalb liegendes – sprich, die wenig fruchtbare
Livlandpolitik von Ungerns – bleibt außen vor.
Diese Darstellungsweise bringt für die Frage nach dem konkreten Quellenwert der
besprochenen Passage Schwierigkeiten mit sich: Aus dem Exempelhaften der Darstellung
schimmert allenfalls das Bild eines engagierten Staatsmannes heraus, der sich in Abstimmung
mit seiner Obrigkeit entschlossen der inneren Konsolidierung seines Herrschaftsbereiches
widmet – mehr nicht. Leider beschränkt sich Brakels Skizze auf einen Bereich, für welchen
376 Bra. N6v-7r/204f.
377 Das diesbezügliche Element („War Fleissigk in seins Heren sachn“) wird als Motivbaustein aus dem
Verhaltenskatalog des <Pius> herangezogen [vgl. Bra. D5r/57].
378 Vgl. Anm. 152.

82

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

parallele Quellen fehlen.379 Eine vorsichtige Annäherung kann nur dadurch erreicht werden,
daß man – was durchaus als nicht unproblematisch anzusehen ist – ausgehend von dem, was
über die Livlandpolitik von Ungerns bekannt ist, versucht, Rückschlüsse zu ziehen. Auf diese
Weise könnte die oben angesprochene allgemeine Charakterisierung der Politik von Ungerns
durch Brakel, nicht aber das dargebotene Exempelmuster gestützt werden;380 als Resümee ist
festzuhalten: Im Umgang mit diesen Informationen Brakels ist äußerste Behutsamkeit
angebracht, zumal da sie an anderer Stelle von Brakel zumindest relativiert werden.381
Die Illoyalität der ‚Hofleute‘, aber auch die der Kreise um Magnus von Holstein, behandelt
Brakel unter dem seiner Betrachtungsweise entsprechenden Gesichtspunkt des Theologen:
Gottgefälliges Handeln erntet den Haß und Neid der gottfernen Menschen.382 Dem Idealbild
„Claus von Ungern“ wird das Bild der gegen ihn intrigierenden ‚Hofleute‘ gegenübergestellt:
Durch die lange Friedenszeit verweichlicht und nicht bereit, auf ihren bisherigen Lebenswandel
zu verzichten, hintertreiben sie die Position von Ungerns und arbeiten seiner Politik entgegen.
Ohne Namen zu nennen, trägt Brakel die – in anderen Quellen konkret mit den Namen ihrer
Urheber verbundene – Anschuldigung der Kriegstreiberei gegen Claus von Ungern vor,383 sieht
sich jedoch gleichzeitig zu einer Gegenklage gegen diese Ankläger veranlaßt, in welcher die
wiederum bei Rüssow in konkreter Form ausgesprochenen Übelstände unter den ‚Hofleuten‘
zum Ausdruck kommen.

„Sie Beichtten aber Heüchlerweiss/
Hetten sie Ehr gesucht vnd Preiss/
Vnd Heil dem armen Vatterland/
379 Vgl. VON UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. I, S. 244f.; HELK Die Stadtschule in
Arensburg, S. 13, erwähnt in seinem kursorischen Überlick über das Schulwesen auf Ösel im 16. Jh. eine
entsprechende Wirksamkeit von Ungerns nicht.
380 Das von Brakel gezeichnete Bild ist letztlich ein verzerrtes Bild; was fehlt, ist die Berücksichtigung
internationalen des Geflechts der dänisch-russischen Beziehungen jener Jahre, vor deren Hintergrund die
Politik Ungerns eine weitere, teilweise zu Brakels Darstellung konträre Dimension gewinnt: Erforderlich
war eine „Schaukelpolitik“ zwischen den Vorgaben der russisch-dänischen Diplomatie und der
realpolitischen Situation der Jahre 1575/76, eine Politik, die einerseits nur bedingt kontrollierbar war,
andererseits auf dänischer Seite nicht immer im Einvernehmen zwischen Friedrich II. und seinem
Statthalter auf Ösel vonstatten ging. Vgl. hierzu KÕRGE Taani-Vene vahekord Eesti suhtes, S. 80–84.
381 Vgl. Bra. B6r/27.
382 Vgl. Bra. L5v/170.
383 Vgl. Bra. L5v/170; L7r/173; vgl. die Äußerung Magnus von Holsteins in seinem Schreiben an die Räte,
die Stände und an die Ritterschaft von Ösel und der Wiek vom 17. Januar 1576: „Der Kaiser Großfürst,
[...] will Diejenigen strafen, welche den Krieg veranlaßt haben, namentlich Klaus von Ungern, welcher
dem Könige [Magnus von Holstein] keinen Frieden halten will, so gedenkt der Kaiser ihn zu verfolgen
und zu suchen, bis er ihn findet.“ [VON UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. IV,
Nr. 419 (S. 453)]; auch Rüssow, ansonsten Claus von Ungern und seiner Politik gegenüber durchaus
positiv eingestellt, gibt dem dänischen Statthalter eine Mitschuld an den militärischen Aktionen der
Russen, wenn er in Bezug auf die Folgen des Anschlusses der Wiekschen Häuser an Dänemark äußert:
„Dat ys de frede gewesen / den Claus von Vngern en [den Hofleuten] thovorschaffende gelauuet hedde.“
[Rü I, fol. 162v; in Rü III, 89a/107, ist dieser Kommentar weggelassen].
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

83

Ihr Gudt wer bleiben vnuerbrandt/
Sie soltens recht mit Hertzen sagn/
Wir habens niemals dürffen wagn/
Sind auch nicht viel dabei gewest/
Da man verfechten Land vnd Vest
Mit Ritterlicher Hand vnd wehr/
So hat vns auch bekümmert sehr/
Weib / Kind / darzu das Frische Lebn/
Das wir nicht gern dahin gegebn/
Viel lieber liessen wir vns brauchn/
Im Krieg / da Junge Hüner rauchn/
Vnd da man trinckt den külen Wein/
Da wolten wir wol Frischer sein
Vnd halten auff den letzten Man/
Solts vns so schwer nicht kommen an/
Hetten wir Claus von Vngern Hertz/
Wir woltens halten auch fur Schertz/
Ja Frewd vnd Lust / auch grossen Fromn/
Nhw ist vns Hertz vnd Hand genhomn/
Das vns ein Wörtlein schrecken kan/
Das hat es vns allein gethan
Auszflucht der Sachn / vnd gestalt /
Der Schuld man sonst kan finden bald.“384

Wie Rüssow385 fügt hier auch Brakel in seine Darstellung einen mit didaktischer Zielsetzung
verbundenen erzählerischen Abschnitt ein, in dessen Verlauf das verwerfliche Handeln der
‚Hofleute‘ nicht direkt angesprochen, sondern an dem Verhalten der – hier als Idealbild
fungierenden – „Anderen“ (bei Rüssow die Russen, bei Brakel Claus von Ungern) gemessen
und somit verdeutlicht wird. Doch Brakel geht in seiner Darstellung einen Schritt weiter: An
die Stelle des angedeuteten Dialogs zwischen dem Russen und dem Deutschen tritt eine fiktive
Selbstcharakterisierung der ‚Hofleute‘, in deren Verlauf die dem Leser des „Christlich
Gesprech“ bereits aus dem livländischen Sittengemälde bekannten Mißstände386 wiederholt
werden. Die Verwerflichkeit des Handelns der ‚Hofleute‘ wird exemplifiziert und zugleich
gesteigert denn – so der Ansatz Brakels -, wollten die ‚Hofleute‘ überhaupt ihr Handeln

384 Bra. L6r/171.
385 Vgl. Anm. 353.
386 Vgl. Bra. G7r-v/109f.; H3r/117f.

84

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

rechtfertigen, so täten sie dies nur „Heüchlerweis“, ohne Reue zu empfinden und Abhilfe
schaffen zu wollen.
Die beiden zunächst in zwei separaten Blöcken dargelegten Komponenten werden nun in
dem historischen Ereignis des Einfalls der Russen auf Ösel 1576 miteinander verwoben:
Vom Adel schmählich alleingelassen, sieht sich Claus von Ungern mit einer kleinen Schar
von Getreuen den Russen allein gegenüber. Doch nichtsdestotrotz – und hier setzt sogleich die
theologische Beweisführung Brakels ein – vermögen sie den Ansturm der Russen abzuwehren.
Einzelheiten des Aufeinandertreffens (z.B über die Zahl der daran Beteiligten) vermittelt Brakel
nur spärlich, von Belang ist in seiner Sichtweise und Argumentation lediglich das Eine: Gott
steht den Seinen in aller Not hilfreich zur Seite.
„Man hat Ihr [der Hofleute] Hertz in kurtzen Jarn/
Daselbst auf Oesel auch erfarn/
Da man sie hett mit mühe vnd Macht/
Nach ihrer weiss zu feld gebracht/
Vnd auf die Grentz zur wehr bestellt/
Da hielten sie sich wie die Held/
Biss man den Feind mocht kommen sehn/
Da blieben kaum von hundert zehen/
Ja zwentzig funff von gantzen hauffn/
Die nicht mit Schand dauon gelauffn/
Vnd liessen da in grosser Fahr/
Den Stathalter sampt seiner Schar/
Hett Gott nicht selbs gehlten wacht/
Vnd ihn beschutzt fur Feindes Macht/
Durch ihn darzu des Landes Vest/
Es wer groß Ebentheur gewest/
Vntrew ihrn Eignen Heren schlegt/
Da Trew mit Ehrn das Krentzlein tregt.“387

Wiederum wird eine allgemeine Aussage anhand eines historischen Exempels konkretisiert.
Das von Brakel vorgetragene Verhalten der ‚Hofleute‘ ist aus dem entsprechenden Abschnitt
von Brakels Sittengemälde bekannt;388 Zahlenreihen sind ein von Brakel mehrfach
herangezogenes darstellerisches Muster, wobei dem Reimfaktor gewiß auch Bedeutung
beizumessen ist („sehn-zehen“).389
387 Bra. L6v/172.
388 Bra. H3v-4r/118f.
389 Vgl. Bra. H2v/116:
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

85

Eine direkte Bestätigung des offenen Abfalls der ‚Hofleute‘ und des Adels auch auf Ösel
findet sich andernorts nicht belegt – Brakel stellt in dieser Ausführlichkeit die einzige Quelle
für den Russeneinfall dar390 -, auf indirektem Wege ließe sich freilich im Verrat der ‚Hofleute‘
von Hapsal, Lode und anderen ‚Häusern‘ in der Wiek eine solche finden. Magnus von Holstein
forderte unmittelbar vor dem Einfall der Russen in die Wiek die Räte, Stände und Ritterschaft
von Ösel und der Wiek dazu auf, sich angesichts der Kriegstreiberei von Ungerns unverzüglich
dem Großfürsten zu unterstellen.391 Daß sich dieser Aufforderung auch Kreise auf Ösel
anschlossen, ist zumindest nicht unwahrscheinlich, für die Wiek haben wir in diese Richtung
weisende Nachrichten.392
Die beiden besprochenen Darstellungen des Einfalles der Russen auf Ösel werden durch ein
gemeinsames theologisches Band miteinander verknüpft, durch das Band des Loses des
„getruwen“ Dieners Gottes in seiner mit eindringlichen Bildern aufgezeigten gottlosen Welt.393
Vermittelt wird in beiden Fällen lediglich ein Einblick in einen ganz bestimmten, durch den
jeweiligen Exempelrahmen vorgegebenen Einzelaspekt des Einfalles der Russen, wobei, und
zwar vornehmlich im ersteren Falle die Einengung der Perspektive mit einer detailierteren
Darstellung verbunden ist.

3.2.4. Ergebnisse
Fassen wir zusammen: Im Hinblick auf die Frage nach dem Quellenwert der im „Christlich
Gesprech“ vermittelten Informationen wird aus der obigen Untersuchung ersichtlich:
Historische Ereignisse dienen Brakel wie auch biblische Exempel lediglich als Argumente
und Bausteine für eine theologisch-moralisch motivierte Argumentation; vorgetragen werden
Einzelmomente, die Darstellung bleibt oftmals unbestimmt, chronologische Bezüge
interessieren Brakel nicht und bleiben unberücksichtigt. Liegt der Quellenwert des „Christlich
Gesprech“ somit nicht in der Vermittlung einer geschlossenen Darstellung der Geschehnisse in

390
391
392
393

86

„Es mösten auch ihr Kindelein/
Ins Teuffels Reich gefangen sein
Funf wochen / Sechsz / ia / Sieben / Acht/
Ehe man sie hat zur Tauff gebracht.“ und die entsprechende Prosastelle: Bra. B8r/31: „Menn achtet es
auch so Bösz nicht / da man ein Kindlein / vier oder funf wochen vngetauft ligen liess. “
Vgl. neben der oben zitierten Passage Rüssows auch VON HANSEN XIX auf Magnus bezügliche Urkunden,
Nr. XVII (S. 388f.): Schreiben Magnus von Holsteins an den Rat von Reval, 1576. März 20.
Vgl. VON UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. IV, Nr. 418-420 (S. 451–453).
Vgl. Rü III, 92b/110; vgl. auch HENNING Lifflendisch Churlendische Chronica, 58b/70f.; vgl. auch VON
UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. IV, Nr. 425 (S. 458).
Dies läßt Rückschlüsse auf die Biographie Brakels zu: Hätte Brakel die Abberufung Claus von Ungerns
(von VON UNGERN-STERNBERG Nachrichten über das Geschlecht, Bd. I, S. 244, auf ein Datum vor dem
11. August 1576 angesetzt) verschwiegen, wenn er sie miterlebt hätte? Aus Rüssows Chronik konnte er
jedenfalls nicht von ihr wissen. Schildert Brakel den Russeneinfall Anfang Februar 1576 noch als
Augenzeuge, so kann man davon ausgehen, daß er Ösel im Frühjahr 1576 verließ.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Livland, so wird Brakels Werk nichtsdestotrotz gerade durch die Handhabung des Momentes
„Geschichte“ als Exempel in anderer Hinsicht interessant: Neben den im Gespräch gebotenen
Zusammenfassungen größerer Ereigniszusammenhänge sind es vor allem die eingestreuten
Einzelinformantionen verschiedenen Umfangs, die das Werk Brakels für den Historiker
interessant machen. In erster Linie zu erwähnen sind hier die Angaben zur Biographie Brakels
und anderer Personen, etwa der Dorpater Pastoren Wettermann und Meyer oder des dänischen
Statthalters auf Ösel Claus von Ungern, die freilich – obgleich Informationen eines
Augenzeugen – immer aus dem bereits im Zusammenhang mit der Vita Brakels
angesprochenen Blickwinkel des (hier positiven) Exempels zu betrachten sind. Daneben aber
ist auch eine Vielzahl anderer Mitteilungen zu nennen, so etwa über protestantische Strukturen
in Pskov in den Jahren vor dem Livländischen Krieg, über die Situation in Narva während der
russischen Zeit oder über den Einfall der Russen auf Ösel 1576.
So unterschiedlich der Umfang derartiger Einzelexempel ist, so groß ist auch die im Hinblick
auf ihren historiographischen Gehalt

feststellbare Bandbreite:

von klaren,

nahezu

unverschlüsselten Mitteilungen bis hin zu Informationen, welche durch den verallgemeinernden
Charakter des Exemplums in einem solchen Maße an historischer Aussagekraft verloren, daß
ihre Aufschlüsselung nur mehr unter Zuhilfenahme anderer Quellen möglich ist.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang ein dem Werk Brakels charakteristisches
Element: Der eigentliche Hauptteil – sprich, der Dialogteil – ist in einen mehrfachen
Prosarahmen gehüllt, welcher – in seinem Aufbau einem bibelexegetischen Schema folgend –
nicht nur die Hintergründe und die Zielsetzung des Werkes aufzeigt, sondern auch eine
Vielzahl im Hauptteil wieder aufgegriffener historisch-biographischer Informationen vermittelt,
die die Entschlüsselung der Angaben im Gesprächsteil erleichtern. Allgemein läßt sich hierbei
über das Verhältnis Prosa – Dichtung sagen: Die Prosapassagen erweisen sich als viel
unverschlüsselter als die entsprechenden Abschnitte des Gesprächsteiles, ein Phänomen
welches nicht allein als Folge der unterschiedlichen Darstellungsform gesehen werden sollte:
Brakels Äußerungen sind in vielerlei Hinsich schonungslos unverblümt, ihre Unbestimmtheit
nimmt ihnen jedoch viel Angriffsfläche, eine Methode, welche – wohl infolge seiner
Erfahrungen mit der ersten Auflage seiner Chronik – 1584 auch Rüssow anzuwenden wußte.394

4. Zusammenfassung
Im Sommer des Jahres 1578 erschien in Rostock die erste Auflage der «Chronica der Prouintz
Lyfflandt» des Revaler Predigers Balthasar Rüssow. Im eigenen Land wegen ihres
kompromißlosen Charakters nicht unumstritten, wurde sie dessenungeachtet zu einem
394 Vgl. TIBERG Kritische Bemerkungen, S. 465, Anm. 6.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

87

Verkaufsschlager unvorhersehbaren Umfangs. Noch im selben Jahr erfolgte unter einem
abgewandelten Titel eine nahezu unveränderte zweite Auflage; es scheint sich dabei lediglich
um einen nicht autorisierten Nachdruck der vorausgegangenen zu handeln. War auch diese
rasch ausverkauft, so wurde 1584 – diesmal in der Fürstlichen Druckerei zu Barth in Pommern
– eine umgearbeitete und um die Ereignisse von 1577 bis 1583 erweiterte dritte Auflage der
Chronik gedruckt.395 Knapp ein Jahr nach dem Erscheinen der ersten beiden Auflagen der
Rüssowschen Chronik wurde in Antwerpen ein nicht minder umfangreiches Werk eines vor
dem Kriegselend in Livland ins Reich geflohenen livländischen Amtsbruders Rüssows in Druck
gegeben: das „Christlich Gesprech von der grawsamen Zerstörung in Lifland durch den
Muscowiter vom 58.Jar her geschehenn ...“ Timann Brakels.
Die „Chronica der Prouintz Lyfflandt“ und das „Christlich Gesprech“ gründen auf denselben
darstellerischen Fundamenten – Darstellung und Begründung des Schicksals Livlands in den
Jahren des Livländischen Krieges, geprägt durch die theologische Weltsicht und begnadete
Erzählergabe ihrer Verfasser; die unterschiedliche Gewichtung dieser Elemente durch Rüssow
und Brakel führte ihre Werke jedoch in verschiedene, man kann sagen entgegengesetzte
Richtungen: Blieb Rüssows Chronik – ungeachtet ihres theologischen Grundtones – ein Werk
der Geschichtsschreibung,396 so wies die Verschiebung der drei genannten Elemente zugunsten
des theologischen Momentes in Brakels Werk diesem – nicht nur hinsichtlich der gewählten
literarischen Form des Dialoges – einen eigenen Weg, auf welchem die als Strafgericht Gottes
empfundenen Entwicklungen im Livland jener Kriegsjahre eine dienende Funktion erhielten,
nämlich als Exempel für eine moralisch-theologische Botschaft.
Brakel erhebt nicht den Anspruch eines Historikers; die von ihm vermittelte Botschaft ist wie
auch die der geistlichen Dichtung im Livland jener Jahre eine primär theologische: Aufruf zur
Umkehr und zur bedingungslosen Hingabe in die Hand Gottes als einzige Möglichkeit, vor
Gott und der Welt zu bestehen. Dies bedeutet auch , daß Brakel das Individuum als
selbstverantwortliches Subjekt der Entwicklungen in der Welt begreift und in die Pflicht nimmt.
Neben diese theologische Schiene tritt sogleich – und dies ist in doppelter Hinsicht das
Bindeglied zwischen Livland und dem Reich in Brakels Werk – eine autobiographische: Der
aus seiner livländischen Heimat geflohene Flüchtling Christianus!/Brakel ist im Reich ein
Fremder und damit sogleich auch als Augenzeuge begehrte Informationsquelle bezüglich
Nachrichten vom Schlachtfeld Livland. Beide Ebenen vermischen sich ineinander: Die
theologische Botschaft Brakels – zugleich verflochten mit einer unüberhörbaren Anklage an
das Reich, Livland in seiner Not nicht zu helfen, ja aus jener Profit zu ziehen – wird in einen
konkreten Rahmen eingefügt, der einerseits dem Werk im an Informationen aus Livland
395 Vgl. STOCK Tõlkija Järelmärkus, S.358f.; vgl. auch JOHANSEN Balthasar Rüssow als Humanist, S. 7–9.
396 Vgl. die postive Bewertung der Chronik bei KAPPELER Ivan Groznyj S. 52f., 71; vgl. auch BRÜGGEMANN
Russen in Livland, S.257f.

88

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

durchaus interessierten Reich Aussicht auf (Verkaufs-)Erfolg zu versprechen schien, der
andererseits vor allem aber – und hierin könnte das Bindeglied zu Antwerpen zu suchen sein –
als mahnendes Exempel im Sinne der theologischen Aussageabsicht seines Verfassers diente.397
Livland wird somit zur Lehrmeisterin des Reiches, das ihm in den Untergang zu folgen droht,
ein Gedankengang, der zugleich in einem neuen, freilich nicht ganz neuen Verständnis des
Verhältnisses zwischen Livland und dem Reich Ausdruck findet: Livland als gleichberechtigter
Partner oder – wie es Theodorus Sorbachius in seinem Widmungsgedicht ausdrückt – als soror
– des Reiches.398
Geht Brakel in seiner Argumentation ganz im Geiste der Literatur der Reformationszeit399
von aktuellen, zeitgeschichtlichen Gegebenheiten aus, so stellt sein „Christlich Gesprech“ – und
insofern mag der auf dem Vergleich mit der Chronik Rüssows beruhende Ansatz der
vorliegenden Arbeit irreführend sein – eben kein Werk der Geschichtsschreibung dar; es ist ein
vor dem Hintergrund der Geschehnisse in Livland gestaltetes, theologisches Gespräch über das
Verhältnis Gott – Mensch, welches zur Vermittlung einer primär unhistorischen, in erster Linie
didaktischen Aussageabsicht auf ausgewählte zeitgeschichtliche, im Reich durch die spärlichen
Nachrichten aus Livland aktuelle Geschehnisse als Exempla zurückgreift. Es ist religiös
motivierte Dichtung, nicht nur in Form und Gestaltung näher der «Parabell vam verlorn
Szohn» eines Burkhard Waldis400 und den (geistlichen) Liedern jener Jahre des Unterganges
Altlivlands denn der Chronik Rüssows.
Eine Grundkenntnis der Ereignisse in Livland wird vorausgesetzt; gefragt wird nicht nach
den Geschehnissen an sich, sondern nach ihren Hintergründen und damit Ursachen; diese
Fragen beantwortet Brakel nicht als Geschichtsschreiber, sondern als Prediger.
397 Aus der Zeit der Regeneration der lutherischen Gemeinden in Antwerpen nach dem Ende der
Verfolgungszeit (1578) sind mehrere Schriften aus der Feder lutherischer Prediger (sowohl in Dialog- als
auch Versform verfaßt) zur religiösen Unterweisung ihrer Gemeinden bekannt [vgl. BRAEKMAN Het
Lutheranisme in Antwerpen, S. 30].
398 Bra. A2r/3; der Vorläufer dieser Konzeption dürfte in der „Querela Livoniae“ Georg Neiners [VD 16, Nr.
N 478f.; vgl. KAPPELER Ivan Groznyj, S. 32] zu suchen sein; knapp ein Jahrhundert später wurde sie von
Kelch in seiner „Liefländischen Historia“ [vgl. KELCH Liefländische Historia, S. 198] wieder aufgegriffen
[vgl. VON RAUCH Deutschland im politischen Weltbild, S. 165f., mit S. 193, Anm. 39 – im Gegensatz zu
von Rauchs Annahme wird das Gedicht Sorbachs an der genannten Textstelle von Kelch zitiert].
399 Vgl. KÖNNEKER Die deutsche Literatur S. 8f., 60.
400 Zu Burkhard Waldis vgl. jetzt ANGEBAUER „Idt ys all hir tho Ryge gschen ...“

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

89

Abkürzungsverzeichnis

Bra.
BT

KMChr.A

KMChr.B

Timann Brakel, Christlich Gesprech (siehe im
Quellenverzeichnis unter [BRAKEL]).
Lutz Mackensen, Baltische Texte der Frühzeit
(siehe im Quellenverzeichnis unter
MACKENSEN, LUTZ).
Kleine Meisterchronik, Redaktion A (siehe im
Quellenverzeichnis unter Kleine
Meisterchronik).
Kleine Meisterchronik, Redaktion B (siehe im
Quellen-verzeichnis unter Kleine
Meisterchronik).

Mlat.WB

Mittellateinisches Wörterbuch bis zum
ausgehenden 13. Jahrhundert (siehe
Literaturverzeichnis).

Rü I

Balthasar Rüssow, Chronica der Prouintz
Lyfflandt, 1. Auflage (siehe im
Quellenverzeichnis unter [RÜSSOW]).

Rü III

Balthasar Rüssow, Chronica der Prouintz
Lyfflandt, 3. Auflage (siehe im
Quellenverzeichnis unter [RÜSSOW]).

SS rer.Liv.

Scriptores rerum Livonicarum (siehe
Quellenverzeichnis).

ThLL

Thesaurus linguae latinae. Lipsiae 1900ff.
(siehe Literaturverzeichnis).

VD 16

Verzeichnis der im deutschen Sprachraum
erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts
(siehe Quellenverzeichnis).

VL

Die deutsche Literatur des Mittelalters.
Verfasserlexikon (siehe Literaturverzeichnis).

90

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellenverzeichnis
[BRAKEL] Christlich Gesprech von der grawsamen Zerstörung in Lifland / durch den Muscowiter vom 58. Jar
her geschehenn: Auch ihren vrsachen / mit einer kurtzen Predig vnd vermanung / wie / beid /
Gotlosenn / vnnd Frommen / diese schreckliche Mutation fruchtbarlich behertzigen / vnd ihnen zu
nutz machen sollen: Durch Timannum Brakel Liuoniensem, der Gemeine Christi vonn der
Augsburgischen Confession Prediger zu Anttorf einfeltig gestellet / vnnd inn Druck verfertigt. Im Jar
vnsers Hern [Anttorf/Antwerpen] 1579. Neu hrsg. von Theodor von Riekhoff, in: Jahresbericht der
Felliner literarischen Gesellschaft für das Jahr 1889. Dorpat 1890, S. 51-215.
[BREDENBACH] Belli Livonici, quod magnus Moschoviae dux, anno 1558. contra Liuones gessit, nova &
memorabilis historia, lamentabilem vniuersae Torpatensis prouinciae vastationem & excidium
complectens, bona fide per Tilmannum Bredenbachium conscripta, Coloniae ..... 1564.
[BUCHNER] Augusti Buchneri dissertationes academicæ, sive programmata in incluta Wittebergensi Academia
publico olim nomine scripta editaque ....., Francofurt & Lipsiæ 1679.
BUSSE, KARL VON (Hrsg.) Die Einnahme der Stadt Dorpat im Jahre 1558 und die damit verbundenen
Ereignisse. Vier geschichtliche Urkunden nach gleichzeitigen, im Grossherzoglich-Mecklenburgischen Archiv zu Schwerin aufbewahrten Abschriften, nebst einer Nachricht über die aus dem
genannten Archiv genommenen und im gräflich Rumanzowschen Museum zu St.Petersburg
befindlichen, zur livländischen Geschichte gehörenden Urkunden-Abschriften, in: Mittheilungen aus
dem Gebiete der Geschichte Liv-, Ehst- und Kurlands 1 (1837), S. 477-522.
EUCAEDIUS, AUGUSTINUS Aulaeum Dunaidum, continens seriem ac successiones archiepiscoporum Rigensium
in Livonia .... (Wittenberg 1564), in: SS rer.Liv. II, S. 393-426.
HENNING, SALOMON Lifflendisch Churlendische Chronica, in: SS.rer.Liv. II, S. 195-290. [Separater
Nachdruck: Hannover-Döhren 1968 (hiernach zitiert)].
[HILLEBRANDT] Christian Hillebrandts Bericht über den Aufenthalt Hermanns von Dorpat in Moskau 1558/59.
Herausgegeben von Alexander Bergengrün, in: Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv-,
Est- und Kurlands 15 (1893), S. 421-468.
HOENEKE, BARTHOLOMÄUS Liivimaa noorem riimkroonika (1315-1348) (Die jüngere Livländische
Reimchronik), hrsg. von Sulev Vahtre. Tallinn 1960.
HORNER, THOMAS Livoniae historia in compendium ex annalibus contracta ... (Wittenberg 1562), in: SS
rer.Liv. II, S. 371-388.
KELCH, CHRISTIAN Liefländische Historia, oder kurtze Beschreibung der Denkwürdigsten Kriegs- und
Friedens-Geschichte Ehst-, Liv- und Kurlands, Revall-Rudolphstadt 1695.
Kleine Meisterchronik. Redaktion A, in: Archiv für die Geschichte Liv-, Est- und Kurlands 5 (1847), S. 280286. Redaktion B, in: Archiv für die Geschichte Liv-. Est- und Kurlands 4 (1845), S. 291-298.
[KRUSE] Elert Kruse´s, Freiherrn zu Kelles und Treiden, Dörptischen Stiftsvogt´s, Warhafftiger Gegenbericht
auff die Anno 1578 ausgegangene Liefflendische Chronica Balthasar Russow´s. Hrsg. von August
Buchholtz. Riga 1861.
LUTHER, MARTIN Werke. Kritische Gesamtausgabe. (Weimarer Ausgabe). Weimar 1883ff.
MACKENSEN, LUTZ Baltische Texte der Frühzeit. Riga 1936 (=Abhandlungen der Herder-Gesellschaft und des
Herder-Instituts zu Riga; Bd. 5.8).
NYENSTEDE, FRANZ Livländische Chronik nebst dessen Handbuch, hrsg. von Gerd Tielemann, in: Monumenta
Livoniae antiquae. Bd. 2. Riga 1839.
RENNER, JOHANNES Livländische Historien 1556-1561, zum ersten Mal nach der Urschrift hrsg. von Peter
Karstedt. Lübeck 1953 (=Veröffentlichungen der Stadtbibliothek Lübeck. Neue Reihe; Bd. 2).
[RENNER*] Johann Renner’s Livländische Historien, hrsg. von Richard Hausmann und Konstantin Höhlbaum.
Göttingen 1876.
[RÜSSOW] Chronica der Prouintz Lyfflandt / darinne vormeldet werdt: Wo datsülvige Landt ersten gefunden /
vnde thom Christendome gebracht ys: Wol de ersten Regenten des Landes gewesen sint; Van dem
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

91

ersten Meister Düdesches Ordens in Lyfflandt / beth up den lesten / vnde van eines ydtliken Daden:
Wat sick in der voranderinge der Lyfflendischen Stende / vnde nha der tydt / beth in dat negeste
1577. Jar vor seltzame vnde wünderlike gescheffte im Lande thogedragen hebben / nütte vnde
angeneme tho lesende. Korth vnde loffwerdich beschreuen / Dörch Balthasar Rüssouwen
Reualiensem. Rostock. Gedrücket dörch Augustin Ferber. Anno M.D.LXXVIII.
RÜSSOW, BALTHASAR Chronica der Prouintz Lyfflandt ..... (Barth 1584), in: SS rer.Liv. II., S. 1-194. [Separater
Nachdruck: Hannover-Döhren 1967 (hiernach zitiert)].
[SCHMIEDT] Die Aufzeichnungen des rigischen Rathssekretärs Johann Schmiedt zu den Jahren 1558-1562.
Bearbeitet von Alexander Bergengrün. Leipzig 1892.
Scriptores rerum Livonicarum. Bde I-II. Riga 1848-1853.
Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts. I. Abteilung:
Verfasser, Körperschaften, Anonyma. 22. Bde. Stuttgart 1983-1995.

2. Literaturverzeichnis
Album Academiae Vitebergensis. Vol. I. Ed. Carolus Eduardus Foerstemann. Lipsiae 1841. Vol. II. Halle 1894.
ANGEBAUER, MARCUS „Idt ys all hir tho Ryge gschen....“. Burkhard Waldis, der verlorene Sohn und die
Reformation in Riga, in: Jahrbuch des baltischen Deutschtums 42 (1995), S. 21-26.
AMBURGER, ERIK Geschichte des Protestantismus in Rußland. Stuttgart 1961.
ANGERMANN, NORBERT DIE MITTELALTERLICHE CHRONISTIK, in: Georg von Rauch (Hrsg.): Geschichte der
deutschbaltischen Geschichtsschreibung. Köln, Wien 1986, S. 3-20 (=Ostmitteleuropa in
Vergangenheit und Gegenwart; Bd. 20).
ANGERMANN, NORBERT (Hrsg.) Wolter von Plettenberg. Der größte Ordensmeister Livlands. Beiträge von
Norbert Angermann, Udo Arnold, Manfred Hellmann, Elke Wimmer, Heinrich Bosse, Michael
Garleff, Lutz Spelge. Lüneburg 1985 (=Schriftenreihe Nordost-Archiv; Heft 21).
ANGERMANN, NORBERT Studien zur Livlandpolitik Ivan Groznyjs. Marburg/Lahn 1972 (=Marburger
Ostforschungen im Auftrage des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates; Bd. 32).
ARBUSOW (jun.), LEONID Die Einführung der Reformation in Liv-, Est- und Kurland. Leipzig 1921 (=Quellen
und Forschungen zur Reformationsgschichte; Bd. 3) [Nachdruck: Aalen 1964].
ARBUSOW (jun.), LEONID Die handschriftliche Überlieferung des „Chronicon Livoniae“ Heinrichs von Lettland,
in: Latvijas Universitates Raksti 15 (1926), S. 189-341; 16 (1927), S. 125-202.
ARBUSOW (sen.), LEONID Livlands Geistlichkeit vom Ende des 12. bis ins 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für
Genealogie, Heraldik und Sphragistik 1900 (1902), S. 33-80; 1901 (1902), S. 1-160; 1902 (1904), S.
39-134; 1911/13 (1914), S. 1-432.
ARENDS, OTTO FR. Gejstligheden i Slesvig og Holsten fra Reformationen til 1864. 3. Bde., Kopenhagen 1932.
AUER, P. ALBERT Johannes von Dambach und die Trostbücher vom 11. bis zum 16. Jahrhundert. Münster i.W.
1928 (=Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Texte und
Untersuchungen; Bd. 18, Heft 1/2).
AUKSI, PETER Henry of Livonia and Balthasar Russow. The chronicler as literary artist, in: Journal of Baltic
Studies 6(1975), S. 107-119.
Baltisches historisches Ortslexikon. Begonnen von Hans Feldmann. Herausgegeben von Heinz von zur Mühlen.
Teil I: Estland (einschließlich Nordlivland). Bearbeitet von Gertrud Westermann. Köln, Wien 1985
(=Quellen und Studien zur baltischen Geschichte; Bd. 8/I).
BEHRSING, ARTHUR (Hrsg.) Grundriß einer Geschichte der baltischen Dichtung. Leipzig 1928
[Fotomechanischer Nachdruck: Hannover-Döhren 1973].
BENNINGHOVEN, FRIEDRICH Rußland im Spiegel der livländischen Schonnen Hysthorie von 1508, in:
Zeitschrift für Ostforschung 11 (1962), S. 601-625, auch in: Rossica externa. Studien zum 15.-17.
Jahrhundert. Festschrift für Paul Johansen zum 60. Geburtstag. Marburg 1963, S. 11-35.
BENRATH, GUSTAV ADOLF Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie. VII: Reformations- und
Neuzeit. VII/1: 16. bis 18. Jahrhundert, in: Theologische Real-Enzyklopedie 12 (1984), S. 630-643.

92

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

BÖTHFÜHR, HEINRICH J. Die Livländer auf auswärtigen Universitäten in vergangenen Jahrhunderten. Riga 1884
(=Festschrift der Gesellschaft für Geschichte und Alterthumskunde der Ostseeprovinzen zur Feier
ihres fünfzigjährigen Bestehens am 6. Dezember 1884).
BRACKERT, HELMUT Rudolf von Ems. Dichtung und Geschichte. Heidelberg 1968.
BRAEKMAN, E.M. Het Lutheranisme in Antwerpen, in: Bijdragen tot de Geschiedenis 70 (1987), S. 23-38.
BRÜGGEMANN, KARSTEN Russen in Livland: Überlegungen zum Rußlandbild Balthasar Rüssows anhand seiner
„Chronica der Prouintz Lyfflandt“ (1584), in: Ortwin Pelc/Gertrud Pickhan (Hrsg.): Zwischen
Lübeck und Novgorod. Wirtschaft, Politik und Kultur im Ostseeraum vom frühen Mittelalter bis ins
20. Jahrhundert. Norbert Angermann zum 60. Geburtstag. Lüneburg 1996, S. 249-268.
BUXTHÖVDEN, FRIEDRICH VON Beiträge zu einer älteren Geschichte der Oeselschen Landgüter und ihrer
Besitzer. Riga 1861 [Fotomechanischer Nachdruck: Hannover-Döhren 1972].
CHRISTIANI, TITUS Martin Kuiwleha und Magnus von Holstein, in: Sitzungsberichte der Gelehrten Estnischen
Gesellschaft 1912-1920 (Dorpat 1921), S. 21-80.
CVETAEV, DMITRIJ VLADIMIROVIþ Protestanstvo i Protestanty v Rossii do epochi preobrazovanij. Istoriþeskoe
issledovanie. Moskva 1890.
DAXELMÜLLER, CHRISTOPH Narratio, Illustratio, Argumentatio. Exemplum und Bildungstechnik in der frühen
Neuzeit, in: Walter Haug/Burghardt Wachinger (Hrsg.): Exempel und Exempel-sammlung.
Tübingen 1991, S. 77-94 (=Fortuna Vitrea; Bd. 2).
Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2. Auflage. Hrsg. von Kurt Ruh. Berlin (W), New
York 1978ff.
DIRKS, BERNHARD Krieg und Frieden mit Livland (12.-15. Jahrhundert), in: Dagmar Herrmann (Hrsg.):
Deutsche und Deutschland aus russischer Sicht. 11.-17. Jahrhundert. München 1988, S. 116-145
(=West-östliche Spiegelungen. Reihe B; Bd. 1).
DÖRRIES, HERMANN Wort und Stunde. Bd. 3: Beiträge zum Verständnis Luthers. Göttingen 1970.
Eesti ajalugu. Kd. 1 (Geschichte Estlands. Bd. 1) Tallinn 1995.
Eesti biograafiline leksikon (Estnisches Biographisches Lexikon). Hrsg. von Arno. R. Cederberg u.a. 4 Bde.
Tartus 1926-1929 (=Akadeemilise ajaloo-seltsi toimetused/Academiae societatis historiae scripta;
2,1.2.3.4.).
Eesti raamat 1525-1575. Ajalooline ülevaade (Das estnische Buch 1525-1575. Geschichtlicher Überblick).
Tallinn 1975.
ETZOLD, GOTTFRIED Die Geschichtsschreibung der polnisch-schwedischen Zeit, in: Georg von Rauch (Hrsg.):
Geschichte der deutschbaltischen Geschichtsschreibung. Köln, Wien 1986, S. 43-62
(=Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart; Bd. 20).
ETZOLD, GOTTFRIED Polens Herrschaft über Livland 1561-1621. Ein Problem deutsch-baltischer
Geschichtsschreibung, in: Zeszyty Naukowe Universytetu Jagiellonskiego CMXLIII. Prace
Historyczne. Zeszyt 92 (1990), S. 7-20.
FAGERBERG, HOLSTEN Amt/Ämter/Amtsverständnis. VI: Reformationszeit, in: Theologische RealEnzyklopedie 1 (1984), S. 552-574.
FECHNER, A.W. Chronik der Evangelischen Gemeinden in Moskau. Zum dreihundertjährigen Jubiläum der
Evangelisch-Lutherischen St. Michaelis-Gemeinde. Bd. 1. Moskau 1876.
FRANK, KARL SUSO Habsucht, in: Reallexikon für Antike und Christentum 13 (1986), Sp. 226-247.
FREYMUTH, OTTO Tartu linn aastail 1558-1625 (Die Stadt Dorpat in den Jahren 1558-1625), in: Tartu. Tartu
linna-uurimise toimkonna korraldatud ja toimetatud. Tartus 1927, S. 44-58.
GADEBUSCH, FRIEDRICH KONRAD Abhandlung von Livländischen Geschichtsschreibern. Riga 1772
[Fotomechansicher Nachdruck: Hannover-Döhren 1973].
GADEBUSCH, FRIEDRICH KONRAD Livländische Bibliothek nach alphabetischer Ordnung. Erster Theil [A-G];
Zweiter Theil [H-P]; Dritter Theil [Q-Z]. Riga 1777 [Fotomechanischer Nachdruck: HannoverDöhren 1973]
GENSICHEN, HANS-WERNER Heidentum I., in: Theologische Real-Enzyklopedie 14 (1985), S. 590-601.
GOEDEKE, KARL Grundrisz [!] zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. Zweite, ganz neu
bearbeitete Auflage. Zweiter Band: Das Reformationszeitalter. Dresden 1886.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

93

GRIMM, JAKOB u. WILHELM Deutsches Wörterbuch. Bearbeitet von Rudolf Hildebrand. München 1984.
[Fotomechanischer Nachdruck der Erstausgabe Leipzig 1854-1954].
GROTTHUß, JEANNOT EMIL FHR. VON Das baltische Dichterbuch. Eine Auswahl deutscher Dichtungen aus den
baltischen Provinzen Rußlands mit einer historischen Einleitung und biographisch-kritischen
Studien. Reval 1895.
HANSEN, GOTTHARD VON Superintendent Sagittarius. Ein revalsches Sittenbild aus dem Ende des
16. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Kunde Ehst-, Liv- und Kurlands 3 (Reval 1886), S. 249-263.
HANSEN, GOTTHARD VON XIX auf Magnus bezügliche Urkunden, in: Beiträge zur Kunde Ehst-, Liv- und
Kurlands 3 (Reval 1886), S. 349-391.
HAUSMANN, RICHARD/HÖHLBAUM, KONSTANTIN Einleitung, in: Johann Renner´s Livländische Historien, hrsg.
von Richard Hausmann und Konstantin Höhlbaum. Göttingen 1876, S. ???
HELK, VELLO Die Stadtschule in Arensburg auf Ösel in dänischer und schwedischer Zeit (1559-1710).
Lüneburg 1989 (=Beiträge zur Schulgeschichte, Bd. 2; Schriften der baltischen historischen
Kommission; Bd. 1).
HÖHLBAUM, KONSTANTIN Johann Renner´s Historien und die jüngere livländische Reimchronik. Göttingen
1872.
HÖHLBAUM, KONSTANTIN Der erste Theil der Historien Johann Renners, in: Verhandlungen der Gelehrten
Estnischen Gesellschaft zu Dorpat 8 (1874), S. 45-78.
JENSEN, FREDE P. Ungern, Claus von, in: Dansk biografisk leksikon. Tredje Udgave 15 (1984), S. 175-176.
JOEST, WILFRIED Sünde und Schuld VI., in: Religion in Geschichte und Gegenwart 6 (1962), Sp. 594-600.
JOHANSEN, PAUL Balthasar Rüssow als Humanist und Geschichtsschreiber. Aus dem Nachlaß ergänzt und
herausgegeben von Heinz von zur Mühlen. Köln, Weimar, Wien 1996 (=Quellen und Studien zur
baltischen Geschichte; Bd. 14).
JOHANSEN, PAUL Kronist Balthasar Rüssowi päritolu ja miljöö (Herkunft und Umwelt des Chronisten Balthasar
Rüssow), in: Tulimuld. Eesti kirjanduse ja kultuuri ajakiri 15 (Lund 1964), S. 252-260.
JOHANSEN, PAUL Nationale Vorurteile und Minderwertigkeitsgefühle als sozialer Faktor im mittelalter-lichen
Livland, in: Alteuropa und die moderne Gesellschaft. Festschrift für Otto Brunner. Göttingen 1963,
S. 88-115.
JOHANSEN, PAUL/MÜHLEN, HEINZ VON ZUR Deutsch und Undeutsch im mittelalterlichen und frühneu-zeitlichen
Reval. Köln, Wien 1973 (=Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart; Bd. 15).
KAHLE, WILHELM Die Begegnung des baltischen Protestantismus mit der russisch-orthodoxen Kirche. Leiden,
Köln 1958 (=Oekumenische Studien; Bd. 2).
KAPPELER, ANDREAS Die deutschen Flugschriften über die Moskowiter und Iwan den Schrecklichen im
Rahmen der Rußlandliteratur des 16. Jahrhunderts, in: Mechthild Keller (Hrsg.): Russen und
Rußland aus deutscher Sicht. 9.-17. Jahrhundert. München 1988, S. 150-182 (=West-östliche
Spiegelungen. Reihe A; Bd. 1).
KAPPELER, ANDREAS Ivan Groznyj im Spiegel der ausländischen Druckschriften seiner Zeit. Ein Beitrag zur
Geschichte des westlichen Russlandbildes. Bern, Frankfurt am Main 1972 (=Geist und Werk der
Zeiten. Arbeiten aus dem Historischen Seminar der Universität Zürich; Bd. 33).
KARSTEDT, PETER Die Urschrift der livländischen Historien des Johannes Renner, in: Jahrbücher für
Geschichte Osteuropas 4 (1939), S. 431-450.
KERSKEN, NORBERT Geschichtsschreibung im Europa der „nationes“. Nationalgeschichtliche Gesamtdarstellung im Mittelalter. Köln, Weimar, Wien 1995 (=Münsterische historische Forschungen; Bd.
8).
KINDER, ERNST Sünde und Schuld V., in: Religion in Geschichte und Gegenwart 6 (1962), Sp. 591-593
KIRCHNER, WALTHER A milestone in European history. The Danish-Russian treaty of 1562, in: Slavonic and
East European Review 22 (1944), S. 39-48.
KIRCHNER, WALTHER The rise of the Baltic Question. Newark/Delawere 1954.
KIVIMÄE, JÜRI Zur Handelsgeschichte der Fugger im spätmittelalterlichen Livland. Abraham Greiszbeutel in
Dorpat 1552-1553, in: Scripta mercaturae – Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1
(1980), S. 1-26.

94

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

KIVIMÄE, JÜRI Luterliku reformatsiooni kultuurimõjud Eestis XVI sajandil (Die kulturellen Einflüsse der
lutherischen Reformation in Estland im 16. Jahrhundert), in: Religiooni ja ateismi ajaloost Eestis 3
(1987), S. 33-56. (dt. Zusammenfassung: S. 269-271.)
KIVIMÄE, JÜRI Teated senitundmatu eestikeelse katekismuse kohta Liivi sõja ajast (Nachrichten über einen
bislang unbekannten estnischen Katechismus aus der Zeit des Livländischen Krieges), in: Keel ja
kirjandus 36 (1993), S. 388-398.
KLEIN, KARL KURT Literaturgeschichte des Deutschtums im Ausland. Schrifttum und Geistesleben der
deutschen Volksgruppen im Ausland vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Leipzig 1939). Neu
herausgegeben mit einer Bibliographie (1945-1978) von Alexander Ritter. Hildesheim, New York
1979.
KLOCKE, FRIEDRICH VON Urkunden-Regesten der Soester Wohlfahrtsanstalten. 3. Bde. Münster in Westfalen,
Soest 1953-1964.
KÖNNEKER, BARBARA Die deutsche Literatur der Reformationszeit. Kommentar zu einer Epoche. München
1975.
KÖRBER, MARTIN Bausteine einer Geschichte Oesels. Fünf Jahrhunderte, von der heidnischen Vorzeit bis zum
Frieden von Nystädt. Arnsburg 1885 [Fotomechanischer Nachdruck: Hannover-Döhren 1977].
KÖRBER, MARTIN Oesel einst und jetzt. Bd. 2: Die Kirchspiele Mustel, Kielkond, Anseküll, Jamma, Walde und
Pyha. Arnsburg 1899 [Fotomechanischer Nachdruck: Hannover-Döhren 1975].
KÕRGE, HANS Taani-Vene vahekond Eesti suhtes a.[astail] 1573-1576 (Das dänisch-russische Verhältnis
bezüglich Estlands in den Jahren 1573-1576), in: Ajalooline ajakiri 1937.2, S. 73-85. (franz.
Zusammenfassung: S. 85)
KOHL, J. G. Aeussere Lebensumstände Renner´s, in: Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv-, Estund Kurlands 12 (1880), S. 138-159.
KORDT, V. ýuzozemni podorozni po schidnij Evropi. Kiiv 1926.
KRISTELLER, PAUL OSKAR Der Gelehrte und sein Publikum im späten Mittelalter und in der Renaissance, in:
ders.: Humanismus und Renaissance. Bd. 2: Philosophie, Bildung und Kunst. Herausge-geben von
Eduard Keßler. Übersetzungen aus dem Englischen von Renate Schweyen-Ott. München 1976, S.
223-243 (=Humanistische Bibliothek. Reihe I: Abhandlungen; Bd. 22).
KUHLMANN, WILHELM Buchner, Augustus, in: Walther Killy (Hrsg.): Literatur Lexikon. Autoren und Werke
deutscher Sprache. Bd. 2. Gütersloh, München 1989, S. 279-280.
LECHNER, KILIAN Hellenen und Barbaren im Weltbild der Byzantiner. Die alten Beziehungen als Ausdruck
eines neuen Kulturbewußtseins. Diss. München 1954.
Lexikon des Mittelalters. München 1980ff.
Lexikon für Theologie und Kirche. 2. Auflage. 10 Bde. mit Registerband. Freiburg im Breisgau 1957-68. [3.,
völlig neu bearbeitete Auflage. Freiburg im Bresigau u.a. 1993ff.]
MAARBJERG, JOHN P. Diplomatic Relations Between Denmark and Russia during the Livonian Wars 15581581, in: Scandinavien Journal of History 16 (1991), S. 167-188.
MACKENSEN, LUTZ Baltische Texte: siehe im Quellenverzeichnis unter MACKENSEN, LUTZ.
MACKENSEN, LUTZ Zur deutschen Literatur Altlivlands. Untersuchungen. Würzburg 1961 (=Ostdeutsche
Beiträge aus dem Göttinger Arbeitskreis; Bd. 18).
MARNEF, GUIDO Antwerp in the Age of Reformation. Underground Protestantism in a Commercial Metropolis.
1550-1577. Translated by J. C. Grayson. Baltimore, London 1996.
MAURER, WILHELM Historischer Kommentar zur Confessio Augustana. Bd. I: Einleitung und Ordnungs-fragen.
Bd. II: Theologische Probleme. Güthersloh 1976-78.
MAURER, WILHELM Luthers Lehre von den drei Hierarchien und ihr mittelalterlicher Hintergrund.
(=Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist.Klasse, Jahrgang 1970,
Heft 4).
MILITZER, KLAUS Pauperes, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993), Sp. 1829-1830.
Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert. München 1967ff.
MÖRKE, OLAF Rat und Bürger in der Reformation. Soziale Gruppen und kirchlicher Wandel in den
westfälischen Hansestädten Lüneburg, Braunschweig und Göttingen. Hildesheim 1983.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

95

MÜHLEN, KARL-HEINZ VON ZUR Demut. VI. Reformation, in Theologische Real-Enzyklopedie 8 (1981), S. 474478.
NAPIERSKY, KARL EDUARD Beiträge zur Geschichte der Kirchen und Prediger in Livland. Heft 1. Riga 1843.
Heft 2-4. Mitau 1850-52.
Neuer Bericht über ein altes Buch. Verlesen in der Gesellschaft f.[ür] Gesch.[ichte] und Alterth.[umskunde] der
Ostsee-Provinzen zu Riga am 10. Nov. 1848, in: Das Inland 14 (1849), Sp. 73-77, 108-112.
OTT, THOMAS „Livonia est propugnaculum Imperii“. Eine Studie zur Schilderung und Wahrnehmung des
Livländischen Krieges (1558-1582/83) nach den deutschen und lateinischen Flugschriften der Zeit.
München 1996 (= Osteuropa-Institut München. Mitteilungen; Nr. 16).
OTTO, RICHARD Ueber die Dorpater Klöster und ihre Kirchen, in: Verhandlungen der Gelehrten Estnischen
Gesellschaft zu Dorpat 22 (1910), S. 1-65.
OTTOW, MARTIN/LENZ, WILHELM Die evangelischen Prediger Livlands bis 1918. Begonnen von Paul Baerent
(†). Im Auftrage der Baltischen Historischen Kommission unter Mitarbeit von Erik Amburger und
Helmut Speer herausgegeben von Martin Ottow und Wilhelm Lenz (†). Köln, Wien 1977.
PAPST, EDUARD Zur Biographie Timann Brakel´s, in: Das Inland 16 (1851), Sp. 761-767.
PAPST, EDUARD Vier politische Gedichte. Livland in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts betreffend, in:
Archiv für die Geschichte Liv-, Est- und Kurlands 3 (1844), S. 146-223.
PONT, J.W. Geschiedenis van het Lutheranisme in den Nederlanden tot 1618. Haarlem 1911 (=Verhandlelingen rakende den natuurlijken en geopenbaarden Godsdienst. Nieuwe Serie; Zeventiende Deel
[=17. Teil]).
PROCOPÉ, JOHN Hochmut, in: Reallexikon für Antike und Christentum 15 (1991), Sp. 797-858.
PULLAT, RAIMO (Hrsg.) Tartu ajalugu (Geschichte Tartus/Dorpats). Tallinn 1980.
RATHLEF, GEORG Das Verhältnis der kleinen Meisterchronik zum Chronicon Livoniae Hermanns von
Wartberge und zur Reimchronik, in: Verhandlungen der Gelehrten Estnischen Gesellschaft zu
Dorpat 8 (1875), S. 27-84.
RAUCH, GEORG VON Deutschland im politischen Weltbild der baltischen Provinzen zur polnischen und
schwedischen Zeit, in: ders.: Aus der baltischen Geschichte. Vorträge, Untersuchungen, Skizzen aus
sechs Jahrzehnten. Hannover-Döhren 1980, S. 147-195 (=Beiträge zur baltischen Geschichte; Bd. 9).
RAUCH, GEORG VON Der Fall Vegesack im Jahre 1550, in: Sitzungsberichte der Gelehrten Estnischen
Gesellschaft 1930. Tartu 1932, S. 158-196.
RAUCH, GEORG VON Stadt und Bistum Dorpat zum Ende der Ordenszeit, in: Zeitschrift für Ostforschung 24
(1976), S. 577-626.
Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der
antiken Welt. Stuttgart 1950ff.
RECKE, JOHANN GEORG VON/NAPIERSKY, KARL EDUARD Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrten-lexikon der
Provinzen Livland, Esthland und Kurland. 4 Bde. Mitau 1827-32. Nachträge und Fortsetzungen.
Bearb. von Theodor Beise. Mitau 1859-61 [Nachdruck: Berlin 1966].
REDLICH, MAY Lexikon deutschbaltischer Literatur. Eine Bibliographie. Köln 1989.
REINECKE, WILHELM Geschichte der Stadt Lüneburg. Bd. 1. Lüneburg 1933
Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 3.,
völlig neu bear-beitete Auflage. 6 Bde. mit Registerband. Tübingen 1957-1965.
RENNER, URSULA Herzog Magnus von Holstein als Vasall des Zaren Ivan Groznyj, in: Norbert Angermann
(Hrsg.): Deutschland – Livland – Rußland. Ihre Beziehungen vom 15. bis zum 17. Jahrhundert.
Beiträge aus dem Historischen Seminar der Universität Hamburg. Lüneburg 1988, S. 137-158.
RIEKHOFF, THEODOR VON Christlich Gesprech: siehe im Quellenverzeichnis unter BRAKEL.
RUTHENBERG, RALPH Die Beziehungen Luthers und der anderen Wittenberger Reformatoren zu Livland, in:
Reinhard Wittram (Hrsg.): Baltische Kirchengeschichte. Beiträge zur Geschichte der Missionierung
und der Reformation, der evangelisch-lutherischen Landeskirchen und des Volkskirchentums in den
baltischen Landen. Göttingen 1956, S. 56-76, 312-314.
Saaremaa (Ösel). Hrsg. von A. Luha, E. Blumfeldt und A. Tammekan. Tartu 1934.

96

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

SCHEIDEGGER, GABRIELE Perverses Abendland – barbarisches Rußland. Begnungen des 16. und 17. Jahrhunderts im Schatten kultureller Mißverständnisse. Zürich 1993.
SCHEIDEGGER, GABRIELE Das eigene im Bild vom Anderen. Quellenkritische Überlegungen zur russischabendländischen Begegnung im 16. und 17. Jahrhundert, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
N.F. 35 (1987), S. 339-355.
SCHEUERMANN, AUDOMAR Strafe, in: LThK 9 (1964), Sp. 1096-1098.
SCHILLER, KARL AUGUST/LÜBBEN AUGUST Mittelniederdeutsches Wörterbuch. Bremen 1875-1881 [Nachdruck:
Münster in Westfalen 1931].
SCHMIDT, ARVED VON Die Pastoren Oesels seit der Reformation. Tartu 1939 (=Abhandlungen des Instituts für
wissenschaftliche Heimatforschung an der Livländischen Gemeinnützigen und Ökonomischen
Sozietät; Bd. 5).
SCHMIDT, HEINRICH Politische Geschichte Ostfrieslands. Leer 1975 (=Ostfriesland im Schutze des Deiches.
Beiträge zur Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des ostfriesischen Küstenlandes; Bd. 5).
SCHOLZ, FRIEDRICH Die Literaturen des Baltikums. Ihre Entstehung und Entwicklung. Opladen 1990
(=Abhandlungen der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 80).
SCHOLZ, FRIEDRICH Die Rolle der Geistlichkeit bei der Entwicklung der Schriftsprachen des Baltikums, in:
Wilfried Schlau (Hrsg.): Tausend Jahre Nachbarschaft. Die Völker des baltischen Raumes und die
Deutschen. München 1995, S. 251-259.
SCHOTTENLOHER, KARL Die Widmungsvorrede im Buch des 16. Jahrhunderts. Münster in Westfalen 1953
(=Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; Heft 76/77).
SCHREINERT, KURT Die niederdeutsche Dichtung Alt-Livlands. Eine Skizze, in: Neuphilologische Mitteilungen
53 (1952), S. 287-322.
SEEBERG-ELVERFELDT, ROLAND Gelegenheitsfund. Ahnen Fabricius-Schoenberg, in: Baltische Hefte 8 (1962),
S. 255-256.
SILD, OLAF Eesti kirikulugu vanimast ajast olevikuni (Estnische Kirchengeschichte von den ältesten Zeiten bis
zur Gegenwart). Tartu 1938.
SMID, MENNO Ostfriesische Kirchengeschichte. Leer 1974 (=Ostfriesland im Schutze des Deiches. Beiträge zur
Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des ostfriesischen Küstenlandes; Bd. 6).
SOFFEL, JOACHIM Die Regeln Menanders für die Leichenrede, in ihrer Tradition dargestellt und kommen-tiert.
Meisenheim am Glan 1974 (=Beiträge zur Klassischen Philologie; Heft 57).
SOMMER, ERICH FRANZ Die Anfänge der Moskauer Deutschen Sloboda, in: Deutsches Archiv für Landes- und
Volksforschung 5 (1941), S. 421-444.
SOMMER, ERICH FRANZ Das Schicksal livländischer Kriegsgefangerner in Moskau (1540-1584) in den
deutschen Flugschriften des 16. Jahrhnuderts, in: Jahrbuch des baltischen Deutschtums 35
(1987/88), S. 15-38.
SPELGE, LUTZ Das Rußlandbild der livländischen Chroniken des 17. Jahrhunderts, in: Norbert Angermann
(Hrsg.): Deutschland – Livland – Rußland. Ihre Beziehungen vom 15. bis zun 17. Jahrhundert.
Beiträge aus dem Historischen Seminar der Universität Hamburg. Lüneburg 1988, S. 175-204.
SPRANDEL, ROLF Chronisten als Zeitzeugen. Forschungen zur spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung in
Deutschland. Köln, Weimar, Wien 1996 (=Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im
Mittelalter. N.F.; Bd. 3).
Stammtafeln Lüneburger Patriziergeschlechter. Veröffentlichung der „Familienkundlichen Kommission für
Niedersachsen und Bremen sowie angrenzende Gebiete“. Bearbeitet von Hans-Jürgen von
Witzendorff. Göttingen 1952.
STOCK, HERMANN Tõlkija järelmärkus (Nachbemerkung des Übersetzers), in: Balthasar Russow. Liivimaa
kroonika. Alamsaksa keelest tõlkinud Dagmar ja Hermann Stock. Tallinn 1993, S. 358-364.
STUPPERICH, ROBERT Melanchthon und Hermann Wittekind über den livländischen Krieg, in: Zeitschrift für
die Geschichte des Oberrheins 103 [N.F. 64] (1955), S. 275-281.
SUITS, GUSTAV Eesti kirjanduslugu. Kd. I: Algusest kuni ärkamisaja lõpuni (Estnische Literaturgeschichte. Bd.
I: Von den Anfängen bis zum Ende der Zeit des nationalen Erwachens). Lund 1953.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

97

TAUBE, ARVED FHR. VON „Der Untergang der livländischen Selbständigkeit“. Die livländische Chronistik des
16. Jahrhunderts, in: Georg von Rauch (Hrsg.): Geschichte der deutschbaltischen
Geschichtsschreibung. Köln, Wien 1986, S. 21-41 (=Ostmitteleuropa in Vergangenheit und
Gegenwart; Bd. 20).
Thesaurus linguae latinae. Lipsiae 1900ff.
Theologische Real-Enzyklopedie. Hrsg. von Gerhard Krause. Berlin (W) u.a. 1977ff.
THORAU, PETER Krieg, in: Lexikon des Mittelalters 5 (1991), Sp. 1525-1527.
TIBERG, ERIK Kritische Bemerkungen zu einigen Quellen über den Anfang des Livländischen Krieges, in:
Zeitschrift für Ostforschung 25 (1976), S. 462-475.
UNGERN-STERNBERG, RUDOLF VON Nachrichten über das Geschlecht der Ungern-Sternberg aus authentischen
Quellen gesammelt. Im Auftrage der Familie revidiert und ergänzt von Carl Rußwurm. Bd. I:
Lebensbeschreibungen. Schwedische Zeit. Breslau 1876. Bd. IV: Urkunden aus der schwedischen
Zeit. Reval 1877.
VAHTRE, LAURI Eesti kultuuri ajalugu. Lühiülevaade (Geschichte der estnischen Kultur. Ein kurzer Überblick).
Tallinn 1993.
VAHTRE, SULEV Kirik, aadel ja talurahvas Eestimaal XVI sajandi lõpul (Kirche, Adel und Bauern in Estland
am Ende des 16. Jahrhunderts), in: Religiooni ja ateismi ajaloost Eestis 3 (1987), S. 92-123 (dt.
Zusammenfassung: S. 273-274).
VAHTRE, SULEV Kroniki baltyckie (inflanckie) XIII-XVIII w. jako zrodla (Stan badan), in: Zapiski Historyczne
34 (1969), S. 661-677.
VAHTRE, SULEV Balti kroonikad ja nende osa Eesti mineviku valgustamisel (Die baltischen Chroniken und ihr
Anteil an der Erhellung der estnischen Vergangenheit), in: Eesti kirjanduse ajalugu. Kd. 1:
Esimesest algetest XIX sajandi 40-ndate aastateni (Geschichte der estnischen Literatur. Bd. 1: Von
den ersten Anfängen bis in die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts). Tallinn 1965, S. 91-104.
VAHTRE, SULEV Allikakriitiline ülevaade [Quellenhistorischer Überblick], in: Bartholomäus Hoeneke, Liivimaa
noorem riimkroonika (Die jüngere Livländische Reimchronik) (1315-1348). Tallinn 1960, S. 7-54.
WALTHER-WITTENHEIM, GERTRUD VON Die Dominikaner in Livland im Mittelalter. Die natio Livoniae. Rom
1938 (= Dissertacionis historicae; Bd. 9).
WITTRAM, REINHARD Die Reformation in Livland, in: ders. (Hrsg.): Baltische Kirchengeschichte. Beiträge zur
Geschichte der Missionierung und der Reformation, der evangelisch-lutherischen Landeskirchen und
des Volkskirchentums in den baltischen Landen. Göttingen 1956, S. 35-56.
ZUTIS, JANIS Oþerki po istoriografii Latvii. ýast’ I: Pribaltijsko-nemeckaja istoriografija. Riga 1949.

98

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

Anhang I: Gliederungsschema zum Livlandbild des „Christlich Gesprech“
I. Gnadenzeit
- Zal der Bischoue, vnd was ihre vnd ihres Capittels / thun vnd herligkeit gewesen [Bra. G2v-3r/100f.]
- Von des Ordens Herligkeitkeit [Bra. G3r-v/101f.]
- Von der Ritterschaft/ beide der Stifftischen und der Ordenschen gelegenheit [Bra. G3v/101]
- Von Stedten [G3v-4r/102f.]
II. Verfall der Gottesfurcht [Bra. G4r-5r/103-105]
III. Blüte der Gottferne (als Nährboden für das Strafgericht Gottes)
- Regel der Bischoue in Lifland [Bra. G5r-6v/105-108]
- Wie sich der Ord gehalten [Bra. G6v-8v/108-112]
- Von des gemeinen Adels Sitten und Gebreuchen in Lifland [Bra. H1r-5v/113-122]
- Von Stedten [Bra. H5v-8v/122-128]
- Vonn Baurn [Bra. I1v-2v/130-132]
- Prediger [Bra. I3r-v/133f.]
- Vrsach des Kriegs im Entsagbrief [Bra. I7v-K3r/140-149]
IV. Ausbruch des göttlichen Strafgerichtes durch den Russen und die diesem vorausgegangenen
mahnenden Vorzeichen
- Vorgehende Zeichen [Bra. K3v-4r/150f.]
- Der Straff vnnd Zerstörung anfangk, Anno 1558 [K4v-K6r/152-155]
V. Verharren der Livländer in ihrem gottfernen Lebenswandel
- Themenfeld: Das (un-)rechte Verhalten (gegenüber) der Obrigkeit
a) Ivan Groznyj und Reinhold Buxtehude [K6r/155]
b) Exempel „Magnus von Holstein“ [K6v-L3v/156-166]
c) Exempel „Claus von Ungern“ und der Russeneinfall auf Oesel 1576
Claus von Ungern [Bra. L5r-7v/169-173]
Angriff der Russen auf Pyha (Ösel) [Bra. B6r-v/27f.] (autobiographische Angaben Brakels∗)
d) Das Unwesen der „Hofleute“ [Bra. M1r-v/177f.]
e) Aufstand Taubes und Kruses in Dorpat 1571 [Bra. B1r/17; M2r-3v179-182]
Johannes Wettermann (Prediger zu Dorpat) [Bra. A8v/16]
Johann Meyer (Prediger zu Dorpat) [Bra. B1r/17]
Christopher Trope (Stadtschreiber zu Dorpat) [Bra. B1r/17]
f) Kriegszug Ivan Groznyjs nach Livland 1577 [Bra. M3v/182; vgl. N2r-v/195f.]


Autobiographische Angaben Brakels zu seiner Gefangenschaft in Rußland und seiner Zeit in Livland
siehe Kap. 2.4. und 3.2.3.

Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998

99

- Themenfeld: Fehlende Demut und Nächstenliebe:
e) „Von der Naruischen Fahrt“ [Bra. M4v-7v/184-190]
f) Narva während der Russenzeit [Bra. M7v-N1v/190-194] (autobiographische Angaben Brakels )

Anhang II: Augustus Buchner über die Biographie Timann Brakels
Auszug aus der Leichenrede auf Dorothea Prakelia (gest. 1624)1
[S. 219]
CCXIII
[....]
Nata est [Dorothea Prakelia] ante hos LII. præter propter, annos in arce quâdam insulæ Osiliæ, Liuoniæ
adjacentis, Arensburgâ; Patre Timanno Brakel, matre Anna Rechenbergia, quarum illa nobilis Livoniæ,
ista Westphaliæ prosapia est. Pater Wittebergiæ olim studiorum grata versatus juvenis, purioris
doctrinæ Evangelicæ fundamenta feliciter posuit, tantoque amore ac studio in Theologiam flagrare
cœpit, ut se ministerio Verbi divini mox destinaret, cùm reliqui fratres Ottho, Daniel, Hermannus,
majorum exemplo, militiam sequerentur. Primùm itaque Dorpati, quæ Dorpatensis Episcopatus, cui id
temporis Hermannus à Wesel præfectus erat, Metropolis, concionator aulicus factus est, quanquam non
ita faustis auspiciis.
Nam cum cùm aliquot annis post Moscovitarum irruerent copiæ, ipse captus atque in Moscoviam
adductus fuit. Ubi cùm anno integro & tribus mensibus ærumnabilem vixisset vitam, in famosissimi
illius Tyranni Johannis Basilidis conspectum productus, non sine singulari DEI beneficio liber missus
est. Inde Arensburgam venit, & Viro Nobili atque in Livonicis Suecisque bellis fortitudinis laude valdè
claro, Nicolao ab Ungern, qui Regis Daniarum nomine illi arci præsidebat, operam suam in
concionando regendoque cultu divino, adduxit. Sed cum & eam insulam Moscoviticus miles invaderet,
ac rapinis atque incendiis miserè vexaret, familiam suam omnem Timannus Lubecam transtulit: ibique,
mox Lunæburgi, deniq[ue] in vicinis Westphaliæ & comitatus Lippiensis locis, und oriunda ipsius
mater, se tenuit, donec Antwerpiam tandem ad munus concionatorium evocaretur. Quo quidem ipse se
postea, malignitate ac fraude Anabaptistarum & aliorum inimicorum compulsus, abdicavit, atque in
Holstatiam primùm, deinde in Orientalem Frisiam profectus, & concionatoris aulici munere apud
Comitem Viduam functus est. Veru[m] cùm jam non modo variis ærumnaru[m] defatigatus vicibus, sed
& ingravescente ætate infirmior esset factus, atq[ue] ex oculis præcipue laboraret, ex Frisia
Hamburgum se contulit, privatæque se dedit vitæ. Ubi à Brabantis, qui ob Religionem eò confugerant,
liberaliter sustentatus fuit, donec elapso quadriennio à cognatis suis Riga[m] Livoniæ revocaretur. Ubi
paulò post unà cum uxore in- [S. 220] dividuâ ærumnarum & tot peregrinationu[m] sociâ, Anno
Christi, MDCII. decessit. Post Parentum excessum Dorothea nostra Hamburgum iterum rediit ...“

1

100

Autobiographische Angaben Brakels zu seiner Gefangenschaft in Rußland und seiner Zeit in Livland vgl.
Kap. 2.4. und 3.2.3.
BUCHNER, S. 219–220. Eine eng an den Text Buchners angelehnte Paraphrase der Leichenrede auf
Dorothea Brakel bietet PAPST Zur Biographie, Sp. 761–764.
Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 26/1998
Item sets